635. Von dem Jüngling, der nicht bange war.

Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne, von denen der jüngste gar nicht bange war, während die beiden anderen vor Bangigkeit sich des Abends nicht aus dem Hause wagten. Der jüngste, der Dutje hieß, mußte dem Vater alle Abend ein Mengel Bier vom Dorfe holen, von dem sie eine Strecke Weges entfernt wohnten; die ältesten beiden waren frei davon und brauchten nicht hin, eben weil sie bange waren. Das verdroß Dutje, und er sprach zu sich selbst: »Unser Eppe und unser Esdert sind vom Bierholen frei, und ich muß des Abends immer laufen wie ein Schäferhund, das will ich nicht länger; wenn ich nur wüßte, wie ich bange werden könnte – [496] ich will bange werden, das mag gehen, wie es will.« Er dachte, am besten könne ihm zum bange werden verhelfen der Pastor. Zu dem ging er hin und fragte ihn, ob er keinen Rat wisse, und erzählte ihm seine Lage. »Das kann wohl angehen, geh nur heute nacht in die Kirche und setze dich auf eine Bank, so sollst du morgen früh wohl bange sein.« Das tat Dutje. Zwischen zwölf und eins stieß ihn jemand in die Seite. »Still, still, laß das Stoßen sein, was soll das bedeuten? Der Pastor hat mich hierher gesetzt.« Aber es dauerte nicht lange, da knuffte ihn einer in die andere Seite. »Nun«, sprach Dutje, »ich sage dir in gutem, laß das Stoßen, sonst geht dirs nicht glatt.« Kaum hatte er das gesagt, so bekam er eine Ohrfeige an den Kopf und das eine tüchtige. Dutje auf die Beine: »Nun solls doch nicht anders werden, als wenn der Teufel regiert!« Der Geist machte sich fort und das auf den Orgelboden und kroch in die Orgel. Dutje hinternach, öffnete die Orgel und wirtschaftete zwischen den Orgelpfeifen herum. Der Pastor, der einmal nachsehen wollte, wie es ihm gehe, sah, daß Dutje zwischen den Orgelpfeifen zu reißen und zu schmeißen war, und sprach: »Morgen früh bin ich übel mit dem Küster daran, wenn der sieht, daß alle Pfeifen aus der Orgel sind, und daß ich solch dummen Streich gespielt und den tollen Burschen in die Kirche gebracht habe.« Er ging auf Dutje zu und bat ihn um Gottes willen, er möge doch aufhören. »Ach was«, sagte Dutje, »er sitzt darin und soll auch heraus, er soll mich nicht umsonst gestoßen und geschlagen haben.« Aber endlich, als er den Geist nicht finden konnte, und der Pastor ihm noch einmal zuredete und ihm Geld bot, gab Dutje es auf; aber bange wurde er nicht. Da dachte er: »Kann der Pastor mich nicht bange machen, so kanns der Küster doch gewiß.«

Als er zu dem Küster kam, erzählte er ihm von Anfang bis zu Ende, wie es ihm gegangen war, und bat ihn, ob er nicht Rat wisse, daß er bange würde. Ja wohl, sagte der Küster, er solle nur die nächste Nacht auf den Kirchhof gehen und bleiben da bis zum andern Morgen, dann solle er wohl bange werden. Dutje tat das. Zwischen zwölf und eins kamen da sechs Geister, nahmen Menschenknochen aus dem Beinhause, setzten sie auf als Kegel und warfen darnach mit Totenköpfen statt der Kegelkugeln. Dutje, der das eine Weile mit ansah, fragte die Geister, ob er nicht mitkegeln [497] dürfe. »Herzlich gern«, antwortete der eine. »Ja, aber nicht umsonst«, sagte Dutje, »ich spiele nur um bare Batzen«, denn er wollte das daran wagen, was er von dem Pastor bekommen hatte. »So hoch du nur willst«, antworteten die Geister, und nun gings an ein Kegeln, und Dutje hatte, als die Glocke eins schlug, eine tüchtige Zeche gewonnen. Aber die Geister, als sie die Glocke hörten, gingen davon und krochen ins Beinhaus unter die Knochen. Dutje hinterher und rief: »Hier, ihr Teufel, ihr habt verloren und gehet durch wie die Beutelschneider, ihr sollt bezahlen, ihr mögt sitzen, wo ihr wollt, und säßet ihr auch in der Hölle.« Er machte sich ans Ausräumen und warf alle Knochen aus dem Hause hinaus auf den Kirchhof. Der Küster, der auch einmal zusehen wollte, wie es ihm gehe, sah, daß er zwischen den Knochen stand und sie hinauswarf. »Gottes Blitz, Dutje, was machst du? Bist du verrückt geworden? Laß doch das Ausräumen sein, du machst mir ja große Mühe, ich muß sie ja morgen früh alle wieder hineinpacken, die du jetzt hinauswirfst.« »Das glaub dir der Teufel, das sollte dir auch nicht anders gehen, wenn du jemand 'nen Haufen abgewonnen hättest, und er dir davon ginge, wenn er bezahlen soll; hier sind sie hineingekrochen, und hier sollen sie auch wieder heraus, und bezahlen sollen sie auch, und wenn sie auch vom Teufel sind.« »Dann höre um Gottes willen nur auf, ich will dir gerne bezahlen, was du gewonnen hast, laß mir die Knochen nur drinnen, ich habe ja morgen den ganzen Tag zu tun, daß ich sie nur wieder hinein bringe, und muß mich noch dazu schämen vor den Leuten!« Als Dutje das vernahm, hörte er auf, der Küster bezahlte ihm aus, und Dutje ging fort, aber bange war er noch nicht.

»Nun will ich doch bange werden«, sagte Dutje, »es mag kosten, was es will, zugeben will ich es einmal nicht.« Kurze Zeit hernach hörte er, daß nicht weit weg ein altes verwünschtes Schloß sei, wo es böse spuken sollte; »da«, dachte er, »mußt du einmal hin, ob du da nicht bange werden kannst.« Als er zu dem Schloßhüter kam und ihm erzählte, daß er gern bange werden wolle, und ob er nicht Rat dazu wisse, sagte der Schloßhüter: Ja, er solle nur die Nacht in das Schloß hineingehen, dann solle er am anderen Morgen wohl bange sein. »Das will ich gern tun«, sagte Dutje, »aber ihr müßt mir auch etwas Torf, Feuer und Grütze mitgeben, damit ich es aushalten kann und was zu essen habe, und wenn ich [498] dann bange werde, sollt ihr auch was schönes haben.« »Das sollst du haben«, sagte der Schloßhüter, »aber nimm dich in acht, daß dir der Teufel nicht den Nacken bricht!«

Abends ging Dutje nach dem Schlosse hin, legte sich ein tüchtiges Feuer an und stellte einen Topf mit Grütze darauf. Zwischen zwölf und eins, als Dutje die Grütze auf dem Feuer hatte und dabei saß und sich wärmte, kam eine Stimme von oben, die rief: »Ich falle!« »Wart ein wenig, ich habe meine Grütze noch nicht gar.« »Ich falle!« rief es noch einmal. »Nun, so fall zu, aber fall mir nicht in den Topf!« Mit einemmale kam ein Sarg von oben herab poltern und fiel dicht an Dutje nieder. Dutje war nicht bange, aber neugierig, und wollte einmal sehen, was in dem Sarge stäke. Er öffnete ihn und sah, daß ein toter Mann darin war, der ganz verfroren und erstarrt war. Er nahm ihn heraus, legte ihn ans Feuer und taute ihn wieder auf. Nun wollte er ihm auch noch von der Gerste geben, aber essen mochte er nicht und sprechen konnte er nicht. Dutje fragte ihn von allem herum, allein er bekam keine Antwort. Als die Glocke eins schlug, stand der Tote auf und schwebte aus dem Zimmer und winkte Dutje, ihm zu folgen. Dutje ging nach und immer weiter, bis sie endlich zusammen in einen großen, tiefen Totenkeller kamen. Da fing der Geist an zu reden und sprach: »Hier stehen drei Kisten mit Geld, die habe ich bei meinen Lebzeiten herein gebracht und nicht wieder hinaus gebracht an den rechten Mann, darum muß ich nun so schweben zwischen Himmel und Erde und hier in dem Schlosse spuken, so lange, bis das Geld an den rechten Mann kommt, dem es gehört. Die eine Kiste gehört meinem Sohne, dem Grafen, der noch jetzt lebt, die zweite gehört den Armen, und die dritte gehört niemand, aber sie soll dein sein, wenn du die andern beiden an den rechten Mann bringst, und tust du das, so bist du reich genug, ich bin erlöst und das Spuken hört auf. Es ist noch keiner lebendig aus dem Schlosse gekommen als du, aber weil du in einem Helm (Glückshaut) geboren bist, durfte ich mich nicht an dir vergreifen, sonst hätte ich dir den Nacken umgedreht. Und zum Wahrzeichen, daß sie dir glauben, will ich dir die Schlüssel zu den Kisten geben.« Als er das getan hatte, war der Geist verschwunden.

Dutje ging mit den Schlüsseln zurück und setzte sich wieder an das Feuer und aß dann und wann etwas aus dem Grütztopfe. [499] Andern Morgen kam der Schloßhüter und dachte nicht anders, als der Teufel habe unserm guten Dutje das Genick gebrochen, aber was machte er für Augen, als er Dutje lebendig, hübsch und nett am Feuer sitzen sah. Dutje erzählte ihm, wie es zugegangen war, und wie es mit den Kisten stand, und daß der tote Graf das Gespenst gewesen sei und ihm die Schlüssel gegeben habe. Nun gingen sie in den Keller, holten das Geld, brachten es an den rechten Mann, und damit war das Spuken aus, Dutje war reich, aber bange war er nicht. (Scharrel). – In einer Erzählung von Piet, der meinte, daß Bange-werden ein Handwerk sei, und dasselbe erlernen wollte, wird Piet von einem Pastor drei Nächte in eine Kirche geschickt, wo eines Grafen Tochter spukt und alle auffrißt, die in der Nacht sich dort betreffen lassen. In der ersten Nacht macht Piet sich in den Boden der Kirche ein Loch, um darin zu schlafen. Um zwölf Uhr erscheint der Geist und sucht in der ganzen Kirche, aber lange vergeblich, und als er endlich Piet gefunden und ihn gerade bei den Füßen herausziehen will, schlägt die Glocke eins, und der Geist muß entweichen. In der zweiten Nacht klettert Piet oben auf den Altar, der Geist erscheint um zwölf Uhr, sucht Piet und findet ihn, aber das Hinaufklettern wird ihm so schwer, daß es wieder eins schlägt, wie er grade zufassen will. Piet hat diesmal gesehen, daß der Geist aus einem Totenkeller, der mit einer Klapptür bedeckt ist, heraufgestiegen ist. In der dritten Nacht legt er sich neben diese Tür. Als der Geist herauskommt, verdeckt ihn die Tür, und während jener in der Kirche sucht, steigt Piet in den Keller und zieht die Tür zu. Um ein Uhr will der Geist in seine Gruft zurück, aber Piet hält die Tür fest. Der Geist muß bis an den hellen Morgen ausharren und ist dadurch erlöst. Piet aber hat nicht gelernt, bange zu werden, und besteht noch viele Abenteuer (die unser Gewährsmann aber nicht mehr recht zusammenbringen konnte), ohne es zu lernen. Auf seinen Fahrten hat er aber so viel Geld und Gut erworben, daß er kein Handwerk mehr zu erlernen braucht, nach Hause zurückkehrt und eine Frau nimmt. Doch bleibt er verdrießlich, daß er es nicht hat lernen können. Seine Frau versucht es endlich noch einmal, es ihm beizubringen. Sie kauft eine Menge Gänse, steckt sie in einen Schweinestall und läßt sie nun aus einem Sacke fressen, bis sie es gar nicht mehr anders kennen. Dann, wie Piet grade wieder sagt, er[500] werde nie lernen, bange zu werden, veranlaßt sie ihn, in einen Sack zu kriechen, bindet den Sack zu und läßt die Gänse, die sie den ganzen Tag hat hungern lassen, los. Piet hat vorher noch niemals Gänse gesehen. Wie die Gänse den Sack erblicken, schnattern sie vor Freude, laufen auf ihn zu und hacken und beißen mit ihren Schnäbeln lustig hinein. Piet fühlt sich unbehaglich, wie aber ein großer Gänserich ihn bei der Nase faßt und sie tüchtig zwickt und schüttelt, da fürchtet er sich, bittet seine Frau, ihn nur los zu lassen, und bekennt, daß er jetzt gelernt habe, bange zu werden. (Saterland.)

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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Zweiter Band. Viertes Buch. 635. Von dem Jüngling, der nicht bange war. 635. Von dem Jüngling, der nicht bange war. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2615-F