[243] 209. Prinzessin Swanvithe.

Bei der Stadt Garz auf Rügen befindet sich ein See, neben welchem früher ein Schloß der heidnischen Könige gestanden hat. Als dieses Schloß vor vielen Jahren von den Christen genommen und zerstört ist, hat darin ein alter Heidenkönig gelebt, der ist sehr reich gewesen, und so geizig, daß er immer bei seinen Schätzen von Gold und Edelsteinen gelegen hat, die er in einem großen Saale tief unter dem Schlosse aufgehäuft hatte. Darin wühlte er Tag und Nacht umher, und als das Schloß von den Christen zerstört wurde, da lag er auch darin verschüttet, so daß er eines elenden Hungertodes sterben mußte. Darauf, weil seine Seele von dem irdischen Gute nicht scheiden konnte, wurde er in einen schwarzen Hund verwandelt, der nun immerwährend die Goldhaufen bewachen muß. Zuweilen sieht man ihn auch in seiner menschlichen Gestalt, mit Helm und Panzer angethan, auf einem Schimmel über die Stadt und über den See reiten; manchmal hat er dabei anstatt des Helmes eine goldene Krone auf. Andere haben ihn auch wohl in der Nacht im Garzer Holze an dem Wege nach Poseritz gesehen, wie er mit einer schwarzen Pudelmütze auf dem Kopfe und einem weißen Stocke in der Hand herumwandelt.

Wie nun dieser alte Heidenköig erlöset werden kann, das mag folgende Geschichte erzählen.

Viele Jahre nachher begab es sich, daß in Bergen ein König von Rügen wohnte, der eine schöne Tochter hatte, Swanvithe geheißen. Zu der kamen viele fremde Prinzen, um sie zu freien. Sie wollte aber keinen von ihnen, als den Prinzen Peter von Dänemark, der ein feiner und stattlicher Mann war, und ihr ausnehmend wohl gefiel. Der wurde also ihr verlobter Bräutigam, und es sollte [244] bald die Hochzeit seyn. Hierüber ärgerte sich sehr ein polnischer Prinz, der auch zu ihren Freiern gehörte, und weil er von tückischem, boshaftem Gemüthe war, so streute er glaubhaft unter die Leute aus, die Prinzessin führe ein unzüchtiges Leben und habe manche Nacht bei ihm zugebracht. Das wußte er so glaublich zu machen, daß Alle ihm traueten, und es reisete nun ein Freier nach dem andern fort, und auch der Prinz von Dänemark wollte nichts mehr von der Verlobung wissen. Die Geschichte kam zuletzt an den König, und er glaubte sie wie die Andern, und gerieth darüber so in Zorn, daß er die Prinzessin schlug und ihr Haar zerriß, und sie in einen finstern Thurm einsperren ließ, damit er sie nimmer wieder vor Augen bekäme.

In dem Thurme saß die Prinzessin wohl über drei Jahre, und sie grämte und mühete sich vergebens, wie sie ihrem Vater ihre Unschuld beweisen solle. Da fiel ihr zuletzt die Geschichte mit dem alten Heidenkönige ein, und wie derselbe erlöset werden könne. Dies soll nämlich geschehen können, wenn eine reine Jungfrau den Muth hat, in der Johannisnacht zwischen zwölf und ein Uhr nackt und einsam den Schloßwall an dem Garzer See zu ersteigen, und darauf rückwärts so lange hin und her zu gehen, bis sie gerade auf die Stelle trifft, unter der bei der Zerstörung des Schlosses die Thür und die Treppe zu der Schatzkammer des alten Königs verschüttet sind. Sie wird dann hinuntergleiten, aber ohne Schaden zu besorgen, und nun kann sie so viel Gold und Edelsteine nehmen, als sie tragen kann, und damit bei Sonnenaufgang wieder zurückgehen. Was sie nicht selbst tragen kann, wird ihr der alte König nachtragen, also daß sie zeitlebens Geld und Gut genug haben wird. Sie darf sich aber die ganze Zeit über kein einziges Mal umsehen, und sie darf kein einziges Wort sprechen, sonst gelingt es ihr nicht, und sie [245] kommt elendiglich um. Eben so ergeht es ihr, wenn sie keine keusche Jungfrau ist.

Dieses fiel der Prinzessin Swanvithe in ihrem einsamen Gefängnisse ein, und sie gedachte, das Wagestück zu unternehmen, um so ihrem Vater und der ganzen Welt zu beweisen, daß sie rein und unschuldig sey, und daß der schlechte Pole sie belogen habe. Sie ließ daher ihr Vorhaben dem Könige anzeigen, und bat ihn um Erlaubniß, dasselbe auszuführen. Das wurde ihr gestattet.

Als nun einige Zeit nachher die Johannisnacht kam, da ging die Prinzessin allein von Bergen nach Garz; und wie es vom Garzer Kirchthurm Mitternacht schlug, so that sie ihre Kleider von sich, und betrat den Schloßwall, auf dem sie nun rückwärts auf und ab schritt, mit einer Johannisruthe, die sie mitgenommen hatte, die Erde berührend. Nicht lange war sie so geschritten, da that sich die Erde auf, und sie glitt sanft und langsam tief hinunter, bis in einen großen Saal, in dem über tausend Lichter brannten, so daß es darin heller war, als am klarsten Mittage. Die Wände des Saals waren von Marmor und Diamantenspiegeln, und der ganze Saal voll großer Haufen von Silber, Gold und Edelsteinen. Hinten in einer Ecke saß der König, der alle diese Schätze bewachte; es war ein kleines, graues Männchen, das ihr zuwinkte, um ihr Muth einzusprechen. Sie aber fürchtete sich nicht, und begrüßte den König nur leise mit der Hand. Da erschienen auf einmal eine große Menge herrlich gekleideter Diener und Dienerinnen. Die füllten alle ihre Hände und Kleider mit Gold und Edelsteinen, und also that auch die Prinzessin. Und wie sie genug hatte, da trat sie ihren Rückweg an, und alle die Diener und Dienerinnen folgten ihr. Wie sie so nun schon viele Stufen heraufgestiegen war, so ward ihr auf einmal bange, ob jene mit den [246] Schätzen ihr auch wohl folgen würden und sie wandte sich um, nach ihnen zu sehen. Aber das war ihr großes Unglück: denn auf einmal verwandelte sich der alte König in einen großen schwarzen Hund, der mit feurigem Rachen und glühenden Augen auf sie zusprang, und wie sie nun weiter vor Angst und Entsetzen laut ausrief: O Herr je! da schlug auf einmal die Thür über ihr mit lautem Knalle zu, und die Treppe versank, und sie fiel in den großen Saal hinein, in dem die Lichter plötzlich verlöschten. Darin sitzt sie nun schon viele hundert Jahre lang, und muß dem alten Heidenkönige helfen, seine Schätze zu hüten.

Sie kann nur erlöset werden, wenn ein reiner Junggesell es wagt, in der Johannisnacht auf dieselbe Weise, wie sie es that, auf den Garzer Schloßwall zu gehen, und in die Schatzkammer hinabzufallen. Er muß sich dann dreimal vor ihr neigen, und ihr einen Kuß geben, und sie still an der Hand herausführen. Sprechen darf er dabei kein Wort. Wer sie so herausbringt, der wird ihr Gemahl werden, und so viel Schätze erwerben, daß er sich ein ganzes Königreich kaufen kann.

Es sollen schon Viele dieses Wagestück versucht haben; aber es ist noch Keiner zurückgekommen. Man sagt, der alte schwarze Hund sey so schrecklich, daß Alle, die ihn sehen, vor Entsetzen laut schreien müssen, und dann ist Alles vorbei. Zuletzt soll noch vor dreißig oder vierzig Jahren ein Schuhmachergesell hier verschwunden seyn.

E.M. Arndt, Märchen und Jugenderinnerungen, I. S. 10-29.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Temme, Jodocus Deodatus Hubertus. Sagen. Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Die Volkssagen von Pommern und Rügen. 209. Prinzessin Swanvithe. 209. Prinzessin Swanvithe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-3A29-F