62. Ermunterungslied für die Pilger

Mel.: Von Gott will ich nicht lassen ... oder: Aus meines Herzens Grunde ...

1.
Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Abend kommt herbei;
Es ist gefährlich, stehen
In dieser Wüstenei!
Kommt, stärket euren Mut,
Zur Ewigkeit zu wandern,
Von einer Kraft zur andern,
Es ist das Ende gut!
2.
Es soll uns nicht gereuen
Der schmale Pilgerpfad,
Wir kennen ja den Treuen,
Der uns gerufen hat;
Kommt, folgt und trauet dem,
Ein jeder sein Gesichte
Mit ganzer Wendung richte
Steif nach Jerusalem!
[469] 3.
Der Ausgang, der geschehen,
Ist uns fürwahr nicht leid,
Es soll noch besser gehen
Zur Abgeschiedenheit.
Nein, Kinder, seid nicht bang,
Verachtet tausend Welten,
Ihr Locken und ihr Schelten
Und geht nur euern Gang!
4.
Geht der Natur entgegen,
So geht's gerad und fein!
Die Fleisch und Sinne pflegen,
Noch schlechte Pilger sein.
Verlaßt die Kreatur
Und was euch sonst will binden,
Laßt gar euch selbst dahinten,
Es geht durch Sterben nur!
5.
Man muß wie Pilger wandeln,
Frei, bloß und wahrlich leer;
Viel sammeln, halten, handeln
Macht unsern Gang nur schwer.
Wer will, der trag' sich tot!
Wir reisen abgeschieden,
Mit wenigem zufrieden,
Wir brauchen's nur zur Not.
6.
Schmückt euer Herz aufs beste,
Sonst weder Leib noch Haus!
Wir sind hier fremde Gäste
[470]
Und ziehen bald hinaus.
Gemach bringt Ungemach;
Ein Pilger muß sich schicken,
Sich dulden und sich bücken
Den kurzen Pilgertag.
7.
Laßt uns nicht viel besehen
Das Kinderspiel am Weg!
Durch Säumen und durch Stehen
Wird man verstrickt und träg.
Es geht uns all's nicht an;
Nur fort durch dick und dünne,
Kehrt ein die leichten Sinne,
Es ist so bald getan!
8.
Ist gleich der Weg 'was enge,
So einsam, krumm und schlecht,
Der Dornen in der Menge
Und manches Kreuzchen trägt –
Es ist doch nur ein Weg.
Laß sein! Wir gehen weiter,
Wir folgen unserm Leiter
Und brechen durchs Geheg'.
9.
Was wir hier hör'n und sehen,
Das hör'n und sehn wir kaum,
Wir lassen's da und gehen,
Es irret uns kein Traum;
Wir gehn ins Ew'ge ein,
Mit Gott muß unser Handel,
[471]
Im Himmel unser Wandel
Und Herz und alles sein.
10.
Wir wandeln eingekehret,
Veracht't und unbekannt,
Man siehet, kennt und höret
Uns kaum im fremden Land;
Und höret man uns ja,
So höret man uns singen
Von unsern großen Dingen,
Die auf uns warten da.
11.
Kommt, Kinder, laßt uns gehen,
Der Vater gehet mit,
Er selbst will bei uns stehen
In jedem sauern Tritt!
Er will uns machen Mut,
Mit süßen Sonnenblicken
Uns locken und erquicken;
Ach ja, wir haben's gut!
12.
Ein jeder munter eile,
Wir sind vom Ziel noch fern;
Schaut auf die Feuersäule,
Die Gegenwart des Herrn!
Das Aug' nur eingekehrt,
Da uns die Liebe winket
[472]
Und dem, der folgt und sinket,
Den wahren Ausgang lehrt!
13.
Des süßen Lammes Wesen
Wird uns da eingedrückt,
Man kann's am Wandel lesen,
Wie kindlich, wie gebückt,
Wie sanft, gerad und still
Die Lämmer vor sich sehen
Und ohne Forschen gehen
So, wie ihr Führer will.
14.
Kommt, Kinder, laßt uns wandern,
Wir gehen Hand an Hand!
Eins freuet sich am andern
In diesem wilden Land.
Kommt, laß uns kindlich sein,
Uns auf dem Weg nicht streiten!
Die Engel uns begleiten
Als unsre Brüderlein.
15.
Sollt' wo ein Schwacher fallen,
So greif' der Stärkre zu;
Man trag', man helfe allen,
Man pflanze Lieb' und Ruh!
Kommt, bindet fester an;
Ein jeder sei der Kleinste,
Doch auch wohl gern der Reinste
Auf unsrer Liebesbahn!
[473] 16.
Kommt, laßt uns munter wandern,
Der Weg kürzt immer ab!
Ein Tag, der folgt dem andern,
Bald fällt das Fleisch ins Grab.
Nur noch ein wenig Mut,
Nur noch ein wenig treuer,
Von allen Dingen freier
Gewandt zum ew'gen Gut!
17.
Es wird nicht lang mehr währen,
Halt't noch ein wenig aus!
Es wird nicht lang mehr währen,
So kommen wir nach Haus.
Da wird man ewig ruhn,
Wann wir mit allen Frommen
Heim zu dem Vater kommen;
Wie wohl, wie wohl wird's tun!
18.
Drauf wollen wir's denn wagen,
Es ist wohl wagenswert,
Und gründlich dem absagen,
Was aufhält und beschwert.
Welt, du bist uns zu klein,
Wir gehn durch Jesu Leiten
Hin in die Ewigkeiten;
Es soll nur Jesus sein!
19.
O Freund, den wir erlesen,
O allvergnügend Gut,
O ewig bleibend Wesen,
[474]
Wie reizest du den Mut!
Wir freuen uns in dir,
Du, unsre Wonn' und Leben,
Worin wir ewig schweben,
Du, unsre ganze Zier.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Tersteegen, Gerhard. 62. Ermunterungslied für die Pilger. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4249-E