[52] VI.
Die Rinderhirten.

Daphnis, der Hirt, und Damötas weideten einst auf demselben
Platze die Rinder zusammen, Aratos. Der Eine war röthlich
Schon um das Kinn, wo dem Andern noch Milchhaar sproßt'. An der Quelle
Jetzo sitzend im Sommer am Mittag, sangen sie Beide.
Daphnis zuerst hub an, denn zuerst auch bot er die Wette.

Daphnis.
Schau, Polyphemos! da wirft Galateia die Heerde mit Aepfeln
Dir, und Geißhirt schilt sie dich, »o du stockiger Geißhirt!«
Doch du siehst sie nicht an, Unseliger; sondern du sitzest
Nur süß flötend für dich. O sieh, da wirft sie schon wieder,
Nach dem Hüter der Schafe, dem Hund; der bellet und blicket
Starr in das Meer, und es zeigen die Nymphe die lieblichen Wellen,
Saust am Gestad' aufrauschend, wie unter der Fluth sie daherläuft.
Gib nur Acht, daß er ihr nicht gar in die Füße noch fahre,
Wann aus dem Meer sie steigt, und den blühenden Leib ihr zerfleische!
Lüstern schon läßt sie von selbst sich herbei, und spielt, wie der Distel
Trockenes Haar sich wiegt, wann der liebliche Sommer es dörret;
Bist du zärtlich, sie flieht, unzärtlich, und schau, sie verfolgt dich.
Ja von der Linie rückt sie den Stein. Denn, weißt du, die Liebe
Nimmt ja was unschön ist gar oft für schön, Polyphemos.
Jetzo hub auch Damötas sein Vorspiel und den Gesang an.
[53] Damötas.
Ja, bei'm Pan, ich hab' es geseh'n, wie sie warf in die Heerde!
Nicht fehl schaute mein Süßes, mein Einziges (das mir auch bleibet
Lebenslang, so verhoff' ich, und Telemos trage das Unglück
Selber nach Haus, der böse Prophet, und behalt' es den Kindern!) –
Aber ich ärg're sie wieder dafür und bemerke sie gar nicht,
Sag' auch, ein anderes Mägdelein hätt' ich. Wenn sie das höret,
Päan! wie eifert sie dann und zergrämt sich! wild aus der Meerfluth
Springt sie hervor und schaut nach der Höhle dort und nach der Heerde.
Ließ ich doch selber den Hund auf sie bellen. Denn als ich sie liebte,
Pflegt' er freundlich zu winseln, die Schnauz' an die Hüfte ihr legend.
Sieht sie mich also thun, vielleicht da schickt sie noch Boten
Mir auf Boten. Doch schließ' ich die Thür', bis die schwört, daß sie selber
Hier auf der Insel mir köstlich das Brautbett wolle bereiten.
Traun, ich bin von Gestalt auch so unhold nicht, wie sie sagen.
Denn ich schaut' in das Meer unlängst, wie es ruhig und still war:
Schön da stellte mein Bart sich dar, auch mein einziger Lichstern
Ließ ganz schön, wie mir wenigstens daucht', und es strahlten, gespiegelt,
Weißer die Zähne zurück wie Schimmer des parischen Marmors.
Daß kein schädlicher Zauber mir beikäm', spuckt' ich mir dreimal
Gleich in den Busen. Die alte Kotyttaris lehrte mich Solches.

Hiermit endigend küßte Damötas den Daphnis; die Pfeife
Schenkt' ihm dieser, und er ihm die künstliche Flöte dagegen.
Pfeifend stand nun Damötas, es flötete Daphnis der Stierhirt,
Und rings tanzeten jetzt im üppigen Grase die Kälber.
Sieger jedoch war Keiner, denn fehllos sangen sie Beide.

M.

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TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 6. Die Rinderhirten. 6. Die Rinderhirten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4F9A-C