[229] Der Egoist

Willkommen, grössester Gedanke,
Der hoch zum Gotte mich erhebt!
Es öffnet sich die düstre Schranke,
Vom Tod genes't der matte Kranke
Und sieht, da er zum erstenmale lebt,
Was das Gewebe seines Schicksals webt.
Die Wesen sind, weil wir sie dachten,
In trüber Ferne liegt die Welt,
Es fällt in ihre dunkeln Schachten
Ein Schimmer, den wir mit uns brachten:
Warum sie nicht in wilde Trümmer fällt?
Wir sind das Schicksal, das sie aufrecht hält!
[230]
Ich komme mir nur selbst entgegen
In einer leeren Wüsteney,
Ich lasse Welten sich bewegen,
Die Element' in Ordnung legen,
Der Wechsel kommt auf meinen Ruf herbei
Und wandelt stets die alten Dinge neu.
Den bangen Ketten froh entronnen
Geh ich nun kühn durch's Leben hin,
Den harten Pflichten abgewonnen
Von feigen Thoren nur ersonnen.
Die Tugend ist nur, weil ich selber bin,
Ein Widerschein in meinem innern Sinn.
Was kümmern mich Gestalten, deren matten
Lichtglanz ich selbst hervorgebracht?
Mag Tugend sich und Laster gatten!
Sie sind nur Dunst und Nebelschatten!
Das Licht aus mir fällt in die finstre Nacht,
Die Tugend ist nur, weil ich sie gedacht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Zweiter Theil. Der Egoist. Der Egoist. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5462-1