[161] Improvisirtes Lied

Wenn in Schmerzen Herzen sich verzehren,
Und im Sehnen Thränen uns verklären,
Geister: Hülfe! rufen tief im Innern,
Und wie Morgenroth ein seliges Erinnern
Aufsteigt aus der stillen dunklen Nacht,
Alle rothen Küsse mitgebracht,
Alles Lächeln, das die Liebste je gelacht,
O dann saugt mit ihrem Purpurmunde
Himmels-Wollust unsre Wunde,
Sie entsaugt das Gift
Das vom Bogen dunkler Schwermuth trifft.
Wie die kleinen fleißgen Bienen
Gehn, um Blumenlippen zu benagen,
Wie sich Schmetterlinge jagen,
[162]
Wie die Vögel in dem grünen Dunkeln
Springen, und die Lieder tönen,
Also gaukeln, flattern, funkeln
Alle Worte, alle Blicke, süße Mienen
Von der schönsten einz'gen Schönen,
Und in tiefer Winternacht
Lacht und wacht um mich des Frühlings Pracht,
Und die Schmerzen scherzen mit den Zähren,
Und im Weinen scheinen mild sich zu verklären
Leiden in den Freuden, Wonnen in dem Gram,
Wie in der holden Braut die Liebe kämpft mit Scham,
Und Leid und Lust nun muß vereinigt ziehen
Und schweben nach der Liebe süßen Harmonien.

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TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Erster Teil. Improvisirtes Lied. Improvisirtes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-54CD-6