[5] Die heilige Cäcilia

Es steht die holde Jungfrau im Betrachten,
Wie sich Geräusch und wilde Freude mehret,
Ihr Herz, Gemüth ist still in sich gekehret,
Sie kann auf Freunde, Bräutigam nicht achten.
Und wie die Gäste drinnen tobend lachten,
Wird ihr der Geist mit Traurigkeit beschweret,
Nun fühlt sie erst, was sie verliert, entbehret,
Nach Gott und Christum muß ihr Busen schmachten.
Es klingt die wilde Pfeife schon zum Reigen,
Verwegne Klänge schrein im Uebermuthe,
Es droht und lärmt das weltliche Getümmel:
Da sieht ihr trunknes Auge nach dem Himmel,
Ihr Herz verklärt die Tön', in ihnen steigen
Gebete auf zu ihrem höchsten Gute.

[Warum, ihr Menschen, so spricht sie in Klagen]

[6]
Warum, ihr Menschen, so spricht sie in Klagen,
Daß ihr so gern dem Himmel euch entziehet?
Euch ruft so Furcht, als Lieb' und Lust: entfliehet!
Die Töne macht ihr wild, bis sie verzagen.
Wie könnt ihr Erz und armes Holz so plagen
Euch selber quälend? Daß kein Herz erglühet,
Im liebenden Gesang zum Himmel blühet,
Aus tiefen Nächten zu den heitern Tagen?
Verschmäht Metall, verachtet Holz, verschönen
Will ich den Stand, euch Mund und Zunge leihen,
Erretten euch von Sünd' und wildem Toben,
Ihr sollt auch Gott, der euch erschaffen, loben,
Den Kirchendienst soll meine Orgel weihen,
Den Glauben stärken mit allmächt'gen Tönen.

[Jungfrau bleibt sie vermählt, den Himmelsthoren]

[7]
Jungfrau bleibt sie vermählt, den Himmelsthoren
Entsteigt ein lichter Engel, ihrem Flehen
Rauscht lieblich tönend seiner Flügel Wehen,
Er singt: der Herr hat dich als sein erkohren.
Da weint sie, daß der Bräutigam verloren,
Daß er den Bronn des Lebens will verschmähen;
Kann dieser Blick, spricht er, den Engel sehen,
So sei alsbald der Götzendienst verschworen.
Sie wirft sich betend nieder: laß nicht rauben
Dies edle Herz, im Zweifel nicht erblinden!
Er sieht den Seraph, glaubt, vom Licht getroffen.
Doch fester steht des frommen Christen Hoffen,
Er hört wie alle Orgeltöne künden:
Ja, seelig sind, die nicht sehn und doch glauben.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Die heilige Cäcilia. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-55A4-7