[259] Die Kunst der Sonette

Hans.

Nun wandeln wir in grünen Lustbezirken.
Michel.

Es rauschen auch der Bienen holde Schwärme
Säuselnd dahin durch laue Frühlingswärme.
Hans.

Ein Duft weht her vom neuen Laub der Birken:
Drum muß der Mensch, Gevatter, Gutes wirken.
Michel.

Er muß, wenn auch manch kleiner Geist sich härme.
Und drob im Ungethüm der Pöbel lärme.
Hans.

Wer anders denkt gehört zu Heid' und Türken.
Christian.

So nehmt uns mit, wir gehn des Wegs; Hans, halt Er!
[260] Kasper.

Bleibt Kerle stehn, ihr habt ja kein Versäumniß.
Hans.

Es sind der Pfarrer und der Herr Verwalter.
Michel.

Ich seh es wohl, daß ist ja kein Geheimniß.
Christian.

So wandle welt- und geistlicher Statthalter.
Kasper.

Und ein Sonett wird's gilt für einen Reim dies.

[Der hohe Geist wird keine Schande dulden]

[261]
Der hohe Geist wird keine Schande dulden,
Ein kühner Sinn erkennet keine Schranken,
Wer feste steht wird nicht so leichte wanken,
Doch junges Blut macht gar zu gerne Schulden.
Denkt, sechszehn Groschen machen einen Gulden;
Mit Brutus einst die besten Römer sanken,
Wer Ruhe liebt, wird nur ungerne zanken,
Man sagt vergolden, aber auch vergulden. –
Du Eremit in deiner stillen Klause
Belächelst wohl den warmen Sonnenschein,
Doch weis' mich aus dem Labyrinth geschwinde:
Denn wie ich suchend irr', ich nirgend finde
Was man Gedanken nennt, es scheint zu Hause
Kein Mensch, ich klopfe, Niemand ruft: herein!

[Ein edles Ebenmaaß sucht keine Winkel]

[262]
Ein edles Ebenmaaß sucht keine Winkel,
Mit reiner Schönheit dort sich zu verbergen:
Wir sind wohl Riesen neben kleinen Zwergen,
Bei Riesen selbst vergeht uns dieser Dünkel.
Es eilt so manches sanfte Versgeklinkel
Mit holder Eil zu den papiernen Särgen,
Da kommen denn die übermüthgen Schergen
Und ziehn sie wieder an des Lichts Geblinkel.
Die liebevolle Güte will nicht strahlen,
Ein still Geheimniß paßt nicht auf den Markt;
Wer geht gern vor der Menge wenn er hinkt?
Wenn ihr die Kinderchen also zerharkt,
Und rührt sie um zu wiederholten Mahlen,
Ist es nicht Eigenlob allein das stinkt.

[Ein nett honett Sonett so nett zu drechseln]

[263]
Ein nett honett Sonett so nett zu drechseln
Ist nicht so leicht, ihr Kinderchen, das wett' ich,
Ihr nennt's Sonett, doch klingt es nicht sonettig,
Statt Haber füttert ihr den Gaul mit Hexeln.
Dergleichen Dinge muß man nicht verwechseln;
Ein Unterschied ist zwischen einen Rettig,
Und ritt' ich, rutsch' ich, rumpl' ich, oder rett' ich,
Auch Dichten, Dünnen, Singen, Krähen, Krächzeln.
Drum liegt im Hafen stille doch ein Weilchen,
Und lasset hier das kranke Schiff ausbessern,
Es zeigt mehr Leck' als Schiff in seiner Fläche:
Noch lecker wird es, ihr bezahlt die Zeche,
Doch dünkt uns lecker nicht ein einzig Zeilchen;
Nach lauem Wasser kann kein Mund je wässern.

[Verkünden will ich wundervolle Wunder]

[264]
Verkünden will ich wundervolle Wunder,
Wer Ohren hat zu hören, der mag hören!
Nichts zu entweihn muß er zuvörderst schwören,
Dann wird ihm alles klarer und auch runder.
Von neuem brennt der alte Liebeszunder
Und droht das ganze Welt- All zu verzehren,
Die Rumpel-Kammer mag sich bald verkehren
Mit allen Schätzen in gar nicht'gen Plunder.
So lange Worte noch Gedanken tragen,
Wird man an Worten was zu denken haben,
Doch wie ich auch die Augen wisch und wasche,
So weiß ich doch, mein Seel, gar nichts zu sagen;
Ja, Freunde, da, da liegt der Hund begraben,
Geht Wandrer hin und weint auf seine Asche.

[So wie ein Weiser schloß er seinen Lauf]

[265]
So wie ein Weiser schloß er seinen Lauf,
Wohlthät'g war er, und thätig wohl zum Guten,
Dem freien Sinn konnt alles man zumuthen
Gebildet war er und gekläret auf.
Jeglichem Streben war er oben drauf,
Nie ruhig wußt er sich also zu sputen
Daß selbst die Meister gegen ihn Rekruten,
So exercirt er Tag, Nacht, ohn Verschnauf.
Moral, Choral, Frugal und Ideale,
Real, Sentimental, die Ale alle
Wußt' er an seinen Pfoten abzuzählen.
Wie muß der Zeit doch dieser Edle fehlen!
Die Bildung all sank in des Orkus Halle,
Wir weinen an der Urn' im stillen Thale.

[Wer einmal hat die leuchtenden Azuren]

[266]
Wer einmal hat die leuchtenden Azuren,
Durchspäht mit seinem Adlerblick, dem kühnen,
Der irrt nicht auf den hohen Himmelsbühnen,
Wie sich, kennt er die schaffenden Naturen.
Muthigen Schritt's geht auf den Sternenfluren
Er lächelnd, mit dem All sich zu versühnen,
Er weiß wie Blumen blühn und Pflanzen grünen,
Licht glänzt, gehn, fliegen, schwimmen Kreaturen.
Derselbe Mann, den ich muß tief verehren,
Derselbe Mann, der so beschuht zum wandern,
Derselbe Mann, auf dieser hohen Leiter,
Kommt mit der Zeit vielleicht noch immer weiter,
Ist, Wunder, o ein Mensch nur wie wir andern,
Noch mehr, kann dieses Lob beinah entbehren.

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TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Die Kunst der Sonette. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-566E-6