Mieter und Vermieter
– »Das seh ich doch gar nicht ein. Wenn die Rohre kaputt gehen, muß er sie eben reparieren lassen! Vertrag . . . ! Vertrag . . . Er als Wirt ist verpflichtet. Das wäre ja noch schöner – das wäre ja . . . Gib mal das Gesetzbuch her – nein, weißt du was, ich werde mal meinen Rechtsanwalt anklingeln – er als Wirt ist eben verpflichtet, das werden wir ja mal sehen. Na erlaube mal: wenn ich hier wohne, dann verlange ich eben, daß die Rohrleitungen zum Badezimmer funktionieren! Dafür kriegt der Mann seine Miete! Teuer genug ist sie. Da hilft kein Gott: er muß die Rohre reparieren – hier, gleich mal 'n eingeschriebenen Brief . . . dem werd ich das . . . das seh ich doch gar nicht ein – ich als Mieter –?«
– »Das seh ich doch gar nicht ein. Ich als Wirt? Wahrscheinlich baden die Herrschaften täglich sechsmal und lassen die ganze Wäsche in der Badewanne waschen, kein Wunder, daß die Rohre kaputt gehen. Ich denke gar nicht daran, sie reparieren zu lassen! Auf meine Kosten? Hast du das gehört? Er wird sie auf meine Kosten reparieren lassen! Ich wer ihm was . . . ! Auf meine Kosten – hö. Gib mir mal das [248] Bürgerliche Gesetzbuch – nein, weißt du was, ich geh die Sache einfach unserm Verband, soll der sich ärgern . . . Auf meine Kosten! Wie komme ich denn überhaupt dazu! Er als Mieter . . . ich meine: sollen froh sein, daß sie da überhaupt wohnen dürfen! Bei den Steuern! Was zahlen denn die schon Miete? Einen Pappenstiel. Ich will dir mal sagen: wenn unsereiner so könnte, wie er wollte, da hätte ich die schon längst – also das sehe ich gar nicht ein! Ich als Vermieter –?«
Gut. Nicht, daß diese Mono- und Dialoge sich so oder so ähnlich abspielen, ist das Lustige – das ist ja noch verständlich; beide Parteien kämpfen für ihr Geld, für ihre Interessen, für ihr wahres oder vermeintliches Recht . . . das ist auf der ganzen Welt so.
Aber daß diese Dialoge sich – vom selben Mann gesprochen – so abspielen: einer vormittags, der andere nachmittags –: das ist eine der reinsten Freuden meines Lebens.
Denn es gibt Leute, die zugleich Mieter und Vermieter sind; das ist sogar sehr häufig. Und wenn die ›als Wirt‹ etwas entscheiden, dann tun sie es mit dem ganzen Aplomb der gekränkten Leberwurst, man hat an das Heiligste gerührt, wo der Mensch hat – und nun gehts los.
Und wenn sie dieselbe, genau dieselbe Geschichte andersherum vor sich haben, dann toben sie ›als Mieter‹ herum, daß der Hausfrau angst und bange wird. Und beide Male mit demselben Brustton der Überzeugung.
Im Handel und Wandel kann man am schönsten den ideologischen Überbau studieren, den merkantilen und den seelischen, von dem wir so viel lesen. Die orientalischen Kaufleute sind ja wohl darin Meister: sie ›beweisen‹ es dem Käufer, daß die Ware zu billig, und dem Verkäufer, daß sie zu teuer ist. Die Logik wird in den Dienst der Interessen gespannt, und wenn man sie gut einspannt: die zieht immer, den ganzen Karren. Ist man nicht ein sehr starker Logiker, dann ist man geliefert, wenn man sich darauf einläßt.
Merk –:
Man kann alles beweisen; dadurch, daß mans bewiesen hat, ist noch nichts bewiesen. Der Syllogismen sind viele; der Trugschlüsse viele; der falschen Voraussetzungen viele . . . laß sie reden, aber gehe nicht auf den Leim. Du bleibst unweigerlich hängen.
Und merk –:
Du kannst niemals im Wirt an den Mieter appellieren, der er doch gleichzeitig auch ist, noch im Mieter an den Wirt. Dazu fehlt ihnen beiden die Phantasie. Sie können ihre eigenen Interessen nicht umdenken, dazu sind die meisten Menschen viel zu monoman. Wenn einer schwimmt, kann er nicht Schach spielen; das ist selten. Und sie wollen auch gar nicht umdenken: »Wo kämen wir denn da hin!« Ja, wohin kämen sie dann wohl . . . ? Vielleicht gar zu einer Angleichung der Interessen? Da sei Gott vor. Jedes Geschäft muß so ausgehandelt werden, als hänge vom Ausgang das Gedeihen der Welt ab; tut man das nicht, [249] dann ist man kein guter Geschäftsmann. Und siegen ist schwer, so schwer . . .
Wir sind alle: Mieter und Vermieter. Aber wir schlüpfen aus der einen Haut in die andere, wie wir das gerade brauchen; leer baumelt inzwischen die zurückgelassene, sie wird jetzt nicht benötigt. Der Herr sind ausgegangen . . . Und krakeelt voller Energie in der anderen – man möchts beinah glauben – man möchts beinah.
Sehen Sie um sich, und Sie haben tausend Beispiele:
Die Tochter als Mama; der Schauspieler als Regisseur; der Richter als Angeklagter; der Kritiker als Autor; der Arbeiter als Arbeitgeber – lauter Mieter und Vermieter. Und keiner, keiner weiß, daß er es ist.