Das Theaterkind
Es ist weiblichen Geschlechts, hat goldblonde Locken, ein ›kl.‹ vor dem Namen, der Häußler oder Berg oder anders lautet, und ist das Entzücken des Hauses.
Ist es nicht aber auch goldig, wenn es aus den Kulissen hervortollt, in Spitzenhöschen und hellblauem Kleidchen, nichts ahnend von der erschütternden Tragik, was hier vorgeht? Eben hat Madame zum Gemahl gesagt: »Nimmermehr!! Hörst du, Gaston, nimmermehr!« Und Monsieur war gerade damit befaßt, eine seiner schon aus dem ersten Akt bekannten Roheiten zu verüben – da kam ›es‹. Das Kind . . .
»Unser Kind . . . « sagt Madame, Und weint. Das Goldchen ahnt nichts.
»Mutti«, spricht es mit herziger Stimme, »Mutti – Fräulein erlaubt mir nicht, das Weiße anzuziehen –! Nicht wahr, ich darf es aber doch anziehen . . . ?«
Da beugt sich Madame zu ›ihm‹ herunter und sagt: »Ja, du darfst . . . Heute darfst du noch . . . Wer weiß« – und hier fügt sie einen bezeichnenden Blick ein – »wer weiß, ob du einmal später wirst dürfen, mein Herzchen . . . «
Und während das heitere Lachen des Kindes in den Kulissen verhallt, weint Madame von neuem und mit ihr der größte Teil der Zuschauer.
Oder ›es‹ tritt – wiederum von einer geradezu erschreckenden Nichtahnung erfüllt – zu irgend einem gefesselten Riesen, der sonst alle in dem Stück vorkommenden Personen aufzuessen pflegt. »Du, Onkel!« sagt es dann, »du – was hast du denn für garstige Stiefel . . . Sieh mal, ich hab viel feinere – ich hab auch einen Hund zu Hause und einen Papa . . . « Und schwätzt arglos.
Dann fallen dem Riesen wohl die Tage der Kindheit ein, er sehnt sich zurücke, seine Tränen schmelzen das harte Herz. Und segnend legt er die schwere Tatze dem Theaterkind auf den goldblonden Scheitel.
Das aber kokettiert bereits in der Gefühlspause mit den Logen, senkt die Stiefelspitze zur Souffleuse und streift das gerutschte Armband nach oben.
Schauspielerin, Mädel, Weibchen – kurz: Theaterkind.