Herr Wendriner diktiert einen Brief
Für Curt Friedmann
»Da hats geklingelt. Gehn Sie mal hin – wer ist das? Frollein Lachmann? Sehr gut. Da kann sie gleich mal . . . Das war ja noch schöner! Dem wer ich das besorgen. Dreihundert Mark, der Mann ist wohl verrückt! Da glauben sie, weil man 'n Pelz anhat, man verdient wer weiß was! Vielleicht hat er auch 's Auto vor der Tür stehn sehn! . . . Dreihundert Mark! Was hat er denn schon groß gemacht? Gib mal her die Liquidation – 'n Morgen, Frollein Lachmann . . . nein, nichts Besondres . . . ich geh heut nicht ins Geschäft, ich fühl mich nicht wohl. Alles in Ordnung? Was? Was? Freutel ist nicht gekommen? Wieso ist er nicht gekommen? Er hat telefoniert, er hat Grippe? Deswegen braucht er doch nicht gleich zu Haus zu bleiben – da kämen wir ja weit, wenn jeder gleich zu Haus bleibt, wenn ihm was fehlt. Ja, ich hab son komisches Gefühl im Hals, so Schmerzen beim Schlucken, nein, es ist weiter nichts, meine Frau hat mir schon in 'n Hals gesehen. Also schreiben Sie mal gleich. Hanne! Hanne! Ich hab dir doch gesagt, du sollst mal die Liquidation von dem Kerl hergeben – wo isse denn nu? Gib mal her. So. Und nu stör hier nicht, ich will jetzt hier diktieren. Legen Sie die Post – haben Sie die Post mitgebracht? – legen Sie mal dahin, inzwischen . . . ist was dabei? Na, nachher. Also schreiben Sie mal:
›Herrn Professor Braun. Hier. Im Besitz Ihrer –‹ Nein, keine Anrede! ›Im Besitz Ihrer Rechnung‹ – nein: ›Im Besitz Ihrer Liquidation [95] vom –‹ warten Sie mal – ›vom sechzehnten dieses Monats spreche ich Ihnen mein Erstaunen aus, – ööm –, daß Sie als Arzt mir eine derartige Rechnung schicken.‹ Schicken. Schicken. ›Sie scheinen nicht zu wissen . . . ‹ Hanne! Hanne! Komm mal rein. Wie oft war er bei dem Kind? Was? Jeden Tag? Natürlich jeden Tag, wenn das Kind krank war. Wie oft? Warte mal – am achtzehnten waren die Flecken im Hals, das weiß ich noch, weil sie an dem Tag den Diskont raufgesetzt haben, achtzehnten, neunzehnten das wäre also . . . – wann war er zum letzten Mal hier? Vor vier Wochen? Eine Frechheit, einem schon nach vier Wochen die Rechnung zu schicken! Wer zahlt mir? Dann ist er also achtzehn, nein, neunzehn Mal ist er dagewesen. – Was sagen Sie, Frollein Lachmann? Der März hat einunddreißig Tage? Dafür kann ich nichts. Also schreiben Sie. ›Herrn Professor Braun.‹ Nein, keine Anrede. Doch: Anrede. ›Sehr geehrter Herr Professor! Im Besitz Ihrer – mnöö – offenbar irrtümlichen Liquidation vom sechzehnten dieses Monats spreche ich Ihnen‹ – was hab ich gesagt? – ja – ›spreche ich Ihnen mein Erstaunen aus, daß Sie als Arzt mir eine derartige Liquidation schicken‹, nein: ›ze senden wagen.‹ So! ›Sie scheinen zu vergessen, daß unsere Margot lediglich einen kleinen Halskatarrh hatte, untä – und daß das Kind heute gesund ist‹ . . . was? . . . ›was nicht der Fall wäre, wenn es ein ernsterer Fall gewesen wäre.‹ Hanne, jetzt geh, du störst hier! Nein. ›Ich fordere Sie auf‹ – jetzt lauf doch nicht immer raus! vielleicht brauch ich dich noch! – ›ich fordere Sie auf, mir einen wesentlich mäßigeren Preis – öh – zu machen, da ich die Sache sonst meinem Rechtsanwalt . . . ‹ Was hat er denn dem Kind schon gemacht? Er hat ihm in den Hals geguckt, ach! erzähl mir doch nichts! Was? Das war doch keine Operation! Das war ein Eingriff, das hat er selbst gesagt – ein ganz belangloser Eingriff, das Kind hat ja kaum geschrien, das hast du mir ja selbst erzählt! Was? Was bin ich mir schuldig? Jetzt stell dich noch auf die Seite von dem Mann! Er als Arzt muß wissen, was er seinen Patienten zumuten kann! Überhaupt die modernen Ärzte! Was können sie denn schon? Wie Jenny damals Wasser im Bauch gehabt hat, daß mans durch alle Zimmer hat gluckern hören, da haben sie um das Bett rumgestanden, und keiner hat . . . Frollein Lachmann ist lange genug im Geschäft, die kann das ruhig hören! – Laß mich in Ruh mit den Ärzten! Na ja, im Krieg – da sind sie ja manchmal ganz nützlich gewesen, aber wir haben jetzt keinen Krieg. Neulich stand in der Zeitung, bei den Chinesen werden die Leibärzte so lange bezahlt, wie der Patient gesund ist, und wenn er krank wird, kriegen sie nichts mehr . . . sehr vernünftig, was meinst du, würde der Professor Braun . . . Ich habn bloß kommen lassen, weil Regierer gesagt hat, er schwört auf ihn . . . vorher war ich bei Jensen, ich könnt mir was antun, daß ich da weggegangen bin! Wüllner! Wüllner versteht einen Dreck, der ist [96] bloß Hausarzt. Wenn ihr mich immerzu unterbrecht, kann ich nicht diktieren! Also schreihm Se. ›Sehr geehrter Herr Professor! Im Besitz Ihrer Liquidation vom sechzehnten dieses Monats erlaube ich mir – immm – Ihnen mitzuteilen, daß ich dieselbe leider nicht anerkennen kann. Mir scheint sie in Anbetracht der stattgefundenen achtzehn . . . ‹ nein! schreiben Sie: vierzehn! – ›vierzehn Besuche sowie in Anbetracht meines Einkommens reichlich – öh – hoch, und möchte ich Sie bitten . . . ‹ Der Mann behandelt die ganze Börse, der wird einen guten kaufmännischen Brief schon verstehen. Red nicht immer dazwischen . . . Angst gehabt! Angst gehabt! Natürlich, wenn ein Kind Flecken im Hals hat, hat man Angst. Wieso? Was heißt Dankbarkeit? Er ist Arzt, das ist sein Beruf, dafür kriegt er bezahlt! Das wäre ja noch schöner! Wer ist mir dankbar! Das Leben ist kein Kinderspiel. Er hat ja gute Leute, das ist wahr: Simons und Löwenbergs und Regierer – wissen möcht ich, wovon Regierer sonen teuern Arzt bezahlt. Dem macht er wahrscheinlich nicht so hohe Rechnungen . . . Also schreihm Se. ›Sehr geehrter Herr Professor! Im Besitz Ihrer werten Liquidation vom sechzehnten dieses Monats erlaube ich mir, Ihnen mitzuteilen, daß – eh – daß es mir in Anbetracht der derzeitigen Wirtschaftslage sowie des nur kleinen Eingriffs bei dem Kind lieb wäre, – mmm – wenn Sie dieselbe zu ermäßigen in der Lage wären. Ich erlaube mir, Ihnen anliegend einen Scheck‹ – wo ist denn wieder das Scheckbuch? ach so! – ›einen Scheck über hundert Mark zu übersenden, und hoffe ich – öö – daß die Angelegenheit damit erledigt ist. Mit vorzüglicher Hoch –‹ Er wird die hundert Mark einstecken und mir gar keine Ungelegenheiten machen, das sag ich dir! Hundert sind reichlich, der Mann arbeitet mit zweihundert Prozent Verdienst, son Geschäft möcht ich auch mal haben . . . Ach, wem wird er denn das schon erzählen! Dafür hat er viel zu viel zu tun. Ich bin fest davon überzeugt, daß er die Rechnung gleich so hoch angesetzt hat, weil er genau weiß, daß ers mit Kaufleuten zu tun hat – da ist er doch gewöhnt, daß man sie runtersetzt. Wenn auch. Also gut: zweihundert. Schreihm Se: ›einen Scheck über zweihundert.‹ Aber nicht einen Pfennig mehr! Er soll froh sein, daß man so prompt bezahlt! Das seh ich überhaupt nicht ein, daß ich gleich zahl – wer zahlt denn nach vier Wochen? Die Reichsbank. Seh ich aus wie die Reichsbank? Meinst du, er wird doch drüber sprechen? Das Kind war auch so gesund geworden, was hats denn schon gehabt? 'ne kleine Erkältung. Fieber? Lächerlich! Dem sein Thermometer! Diphterie sagen sie, und Husten meinen sie. Dreihundert Mark . . . frag mal Frollein Lachmann, wie lange wir im Geschäft dafür arbeiten müssen, bis wir dreihundert Mark verdienen! Das ist kein kaufmännischer Standpunkt! Vom kaufmännischen Standpunkt . . . Die Leute können von unsereinem noch immer was lernen. Die Leute sollen Lehren annehmen und nicht alles besser wissen [97] wollen, dabei lernen sie. Ich komme gewiß viel herum, ich habe praktische Erfahrungen und kaufmännisches Wissen . . . Überhaupt: Wenn mans im Leben zu was bringen will, muß mans zu was gebracht haben –! Das ist mein Standpunkt. Also mir wächst schon die ganze Halsgeschichte zum Hals raus, man ist doch nicht der Affe von dem Mann, ich habe meine Nerven nicht gestohlen, wenn man ne verantwortliche Position hat, dann muß man eben . . . Ich will nichts mehr davon hören! Einmal und nicht wieder! Das nächste Mal geh ich zu Jensen. Welsch sagt auch, Jensen is unsere erste Kapazität. Dann paß besser aufs Kind auf, dann wirds nicht krank werden. Wer ist überhaupt an allem schuld? Du –! Dafür geh ich nicht ins Geschäft, um für die Ärzte zu arbeiten. Dafür ist mir mein Geld zu schade. Hat Kistenmacher den Wein für heute abend geschickt? Dann telefonier – Du weißt, daß mir daran liegt . . . Lehmann versteht was von Wein, er hat erst neulich gesagt: ›Komisch, in jüdischen Häusern gibts immer so gut zu essen und so schlecht zu trinken!‹ Aufgewachsen bei. Du warst doch bei ihm – nein, nicht bei Kistenmacher, bei Braun! Ist er denn wenigstens modern eingerichtet? Ein Arzt ohne Apparate ist überhaupt kein Arzt. Is ja doch fabelhaft, wie weit sie in der letzten Zeit fortgeschritten sind. Neulich hab ich gelesen, sie können jetzt sogar Diphterie auf Blattläuse übertragen, oder wars umgekehrt? jedenfalls is es ein fabelhafter Fortschritt. Was, Frollein Lachmann? Ihnen hat auch schon mal ein Internist geholfen? Na, sehn Sie. Ich weiß nicht, was das mit dem Schlucken ist – Hanne, hol mir mal 'n Spiegel! Von den Internisten halt ich ja im allgemeinen nicht viel – oben gucken sie rein, und unten kommt nichts raus. Aber die Chirurgen – wissen Sie: was weg ist, wächst nicht nach, hat mein seliger Vater immer gesagt. Recht hat er gehabt. Also denn schreiben Sie mal. Das streichen Sie aus. Nein, das Ganze, und nu schreiben Sie . . . So. Und lesen Sie nochmal vor. Wie sieht der Brief jetzt aus –?
›Herrn Professor Dr. Braun
Hier
Sehr geehrter Herr Professor!
Im Besitz Ihrer Liquidation vom 16. d. M. erlaube ich mir, Ihnen in der Anlage einen Scheck über
Mark 300, – (Dreihundert)
Ihr sehr ergebener
H. Wendriner‹«