Das schwarze Kreuz auf grünem Grunde
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr die Becher und Schüsseln auswendig reinlich haltet, inwendig aber ists voll Raubes und Fraßes!
Matthäus 23; 25
Im Zuchthaus zu Celle, das von Fritz Kleist fortschrittlich geleitet wird, hat im vorigen Jahr der Präsident des Strafvollzugamts zu Hannover, Muntau, die Weihnachtsfeier gestört.
Ein wiener Schauspieler, Herr Tyndall, hatte aus›Nathan dem Weisen‹ rezitiert und seinem Vortrag einige ruhige und maßvolle Schlußworte folgen lassen, die allerdings nicht biblisch waren. Darauf erhob sich Muntau und protestierte. Die Gefangenen lärmten, und nur der Geschicklichkeit des Direktors Kleist gelang es, die Situation zu retten, die Muntau verfahren hatte. Das Justizministerium veröffentlichte eine Erklärung, die den Präsidenten deckte. Wer ist dieser Mann?
Ein schönes Beispiel für die Sorte, die im Strafvollzug trotz aller gegenteiligen Versicherungen des wohlmeinenden Justizministeriums die Melodie angibt. Es ist keine schöne Melodie.
Der Präsident Muntau ist ein christlich-sozialer Reichstagsabgeordneter. Er hat aber noch eine dritte Tätigkeit: er ist »Vorsitzender des schwarzen Kreuzes, der christlichen Gefangenenhilfe E. V.« (Abzeichen: Schwarzes Kreuz auf grünem Grunde). Da muß man hineingetreten sein.
»Es ist heute wichtiger als je, die Gefangenen schon während der Strafzeit in lebendige Berührung mit Gott und Gottes Wort zu bringen.« Und warum? Weil das ganze Volk unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen so leide. Und dagegen ist ja Gottes Wort immer sehr gut.
Hier ist die peinlichste und häßlichste Vergewaltigung von Strafgefangenen am Werk: Menschen, die sich nicht wehren können, werden gezwungen, sich, wenigstens mit dem Munde, zu einer Weltanschauung zu bekennen, die fast jeder von ihnen in der Freiheit nicht akzeptiert. Selbstverständlich werden Muntau wie seine Kollegen weit von sich weisen, jemals einen Gefangenen zu ›zwingen‹. Nun, die Bastonade bekommt er nicht. Aber jeder weiß doch, wie ein Beamter zu schikanieren vermag, und wer von den Strafgefangenen dem Anstaltspfarrer nicht bußfertig genug erscheint, gelangt nie zu jenen kleinen Vergünstigungen, die uns andern in der Freiheit so geringfügig erscheinen und die in dem begrenzten Lebensfeld eines Eingesperrten so unendlich wichtig sind.
Das Bekenntnis zur Frömmigkeit wird erpreßt. »Recht erfreulich war die Entwicklung unseres Genesungsheimes ›Licht nach dem Dunkel‹ [184] in Westercelle bei Celle. Gott hat dort in diesem ersten vollen Wirtschaftsjahr ganz sichtbarlich gesegnet . . . In mehreren Fällen galt der Aufenthalt in unserm Heim als Bedingung für vorzeitige Strafaussetzung mit Bewährungsfrist.« Wer also nicht damit einverstanden war, in jenem Heim sichtbarlich für den lieben Gott Mohrrüben zu hacken, der war noch nicht reif für die Bewährungsfrist. Wie groß ist des Allmächtigen Güte!
Und hierzu wie zu den Personen, die diesen Strafvollzug immer noch bestimmen dürfen, ist zu sagen:
Es ist eine Dreistigkeit und eine Unverfrorenheit, in Strafgefangenen Objekte zu religiösen Experimenten zu sehen.
Niemand hat das Recht, einem Rechtsbrecher ›zur Vergeltung‹ alle Lebensrechte zu nehmen, die sein sind, auch dann noch, wenn er gemordet hat. Die Gesellschaft hat nur das Recht, sich zu sichern – also den Mörder aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Niemals mehr.
Mit welchem Recht denn auch mehr? Wo ist die Aktivlegitimation dieser Herren? Wer ist Muntau? Was berechtigt ihn dazu, die Nachfolge Christi in den Gefängnissen anzutreten? Nichts als ein paar bestandene Examina und – hier ist der Kern –: das Wohlwollen des Beamtenkörpers, der ihn, ohne die Volksmeinung zu befragen, kooptiert hat. So kommt ein solches Amt zustande.
Denn wer befaßt sich mit dem Strafvollzug? Jene Gesellschaften, Vereine und Vereinchen, die ihre Traktätchen nicht anders an den Mann bringen können: die breite Öffentlichkeit aber hat Gott sei Dank mit diesen Dingen nichts zu tun, oder sie ist machtlos. Der Beamte regiert. Und er regiert nicht gut.
Es ist keine Rede davon, unter O-Bruder-Mensch-Geschrei dem Rechtsbrecher die Füße zu küssen. Es gibt unter den Berufsverbrechern und unter den Gelegenheitsverbrechern böse Jungens, wirklich niedrige Charaktere, deren seelische Anlagen gesellschaftsschädlich sind und es auch bleiben. Man sichere die Gesellschaft vor ihnen – niemand aber vermesse sich, sie aus Rache zu quälen.
Die empörende Dreistigkeit der Strafvollzugsbehörden, sich wie einen Gott über den Gefangenen zu setzen, ist international. Man lese Berichte aus französischen Gefängnissen, wie zum Beispiel den von Francis Carco ›Les Prisons de Femmes‹, und der Menschheit ganzer Jammer faßt einen über soviel seelische Verderbnis an: wie sie nämlich unter den Direktoren dieser Anstalten herrscht. Die Franzosen unterscheiden sich dadurch von den Deutschen, daß man dort den Publizisten erlaubt, diese Dinge zu sagen – gebessert wird allerdings kaum etwas. Nun, es soll zunächst jeder bei sich zu Hause ausfegen.
Was Deutschland angeht, so sind im Strafvollzug neben dem bekannten Bullentyp gewisser Unterorgane Menschen beschäftigt, denen jede, aber auch jede Kenntnis der menschlichen Seele fehlt. Das ginge [185] noch an, wenn sie sich darauf beschränken wollten, nur die Tore ihrer Strafanstalten geschlossen zu halten und das äußere Leben der Gefangenen hygienisch und ordentlich zu gestalten. Sie wollen aber mehr. Sie wollen: die absolute Unterordnung.
Nun wissen sie in ihrer kleinbürgerlichen Beschränktheit nicht, daß der seelische Widerstand eines Gefangenen sehr oft den letzten Rest Menschenwürde enthält, der noch in ihm ist – sie wissen es nicht, und sie wollen es auch nicht wissen. Sie wollen herrschen. Bessern sie –? Sie strafen.
Gott straft. Aber wo ist die Legitimation dieser Muntaus? Ich erschlage im Jähzorn einen Arbeitskollegen. Ich bin ein Rechtsbrecher. Und nun falle ich unter die Herrschaft eines mehr oder minder beschränkten, kleinkalibrigen Mannes, der mir mit seinen Anordnungen das Leben zerstört. Was soll das? Wird dadurch der Erschlagene wieder lebendig? Ich kann den Zusammenhang nicht sehn.
Unter welchen Vorwänden maßen sich diese Direktoren, deren seelische Qualifikationen nur von Gleichgesinnten, also unzureichend geprüft werden, das Recht an, Gefangene zu schinden? Und sie werden geschunden. Was um alles in der Welt ist damit getan, daß man sie quält? Es ist ja nicht wahr, daß andre Menschen dadurch abgeschreckt werden, ihrerseits das Recht zu brechen, es ist ja nicht wahr, daß auch nur ein einziger diese Orte des seelischen Grauens gebessert verläßt. Zerbrochen oder geknickt, verbittert oder innerlich zerschlagen – gebessert niemals.
Wir brauchen keine Psychologie der Verbrecher; wir brauchten eine Psychologie der Richter und der Gefängnisbeamten, nebst ihrer frommen Schwestern. Wie sieht es in diesen Herzen aus?
Ein Kongreß der Strafanstaltsdirektoren wird sicherlich keine Versammlung wilder Sadisten sein. Es sind in ihrer Mehrheit Bürger, mit all der Phantasielosigkeit, der dumpfen Gleichgültigkeit, der Unfähigkeit, sich in die Seele eines andern Menschen zu versetzen, und erfüllt von dem ehernen Aberglauben, sie seien wirklich besser als die Verurteilten. Wer aber nicht weiß, was Sünde ist, wer nie begriffen hat, wie es in uns allen aussieht –: der ist zu allerletzt legitimiert, andre Menschen zu strafen, indem er ihnen sinnlose Sprechverbote auferlegt, sie wie dressierte Hunde zusammentreibt und in ihre Zwinger entläßt.
Wieviel trübe Herrschsucht ist in diesen Beamten! Wieviel kleines Neronentum! Welche versetzte Sexualität in manchen dieser frommen Schwestern, die am Tage nachholen, was ihnen die Nacht nicht gewährt! Was sich dort als sozial nützlich gibt, ist mitunter viel, viel schlimmer als das, was aus sozial mißleiteten Trieben von den Rechtsbrechern gefehlt worden ist. Wir brauchten eine Psychologie der Herrschenden.
Der Muntaus sind viele. Sie richten maßloses Unheil an.
Das A und O, woran dieser lächerliche Strafvollzug krankt und kranken muß, steckt nicht nur im Wirtschaftlichen.
[186] Es steckt in dem hochmütigen und echt pharisäischen Irrtum, daß ein bestandenes Assessorexamen dazu berechtigt, sich über den Rechtsbrecher auch sittlich zu erheben. Die Herren lesen die Bibel und lassen sie lesen; aber sie haben sie nie verstanden.
Niemals darf der Rechtsbrecher Grundrechte des Menschen verlieren, auch er nicht. Das primitive Rechtsbedürfnis des Gerichtssaal-Publikums (»Den Kerl müßte man aushauen und ihm Pfeffer in die Wunden streuen!«) wird mit modernem Mitteln von den Strafvollstreckern realisiert – man kann Menschen noch mehr leiden machen als dadurch, daß man sie prügelt. Die Gegenmeinung jener, die besser als das Durchschnitts-Publikum begriffen haben, was Strafe ist, und daß der Mensch den Menschen überhaupt nicht strafen, sondern ihn nur quälen kann, sich also so ein Lustmoment schaffend, das ihm oft nicht bewußt ist: diese Gegenmeinung verhallt.
Wie lange noch –?
Ein Zuchthaus sei kein japanischer Blumentempel. Es sei aber auch kein sadistisches Kabinett.
Betritt ein Rechtsbrecher eine dieser Strafanstalten, so müssen in ihm, wenn er nicht ein abgehärteter Sträfling ist, aller Widerspruch, alle Bitternis, alle Wut wach werden, die ein gequälter Mensch zu fühlen fähig ist. Das Verbrechen steht mit dem, was dort geschieht, in gar keinem Zusammenhang mehr. Dort wird gekämpft.
Es wird gekämpft zwischen Menschen, die einmal eine Untat begangen haben, und den Feldwebeln des Geistes. Kusch, du Hund, halts Maul, friß, arbeite, onaniere und gehorche, gehorche, gehorche! Und ein ohnmächtiges Ding ringelt sich am Boden, tut das alles und knirscht vor Wut. Und es ist ja nicht wahr, daß man »der Bande nicht anders beikommen kann«. Jeder Kenner wird bestätigen, daß grade unter diesen Leuten das Rechtsgefühl merkwürdig lebendig ist; daß die Mehrheit der Rechtsbrecher, wenn man sie nur richtig leitet, nämlich mit Festigkeit, aber mit Verständnis, ein ungeheuer feines Gefühl für Gerechtigkeit hat, und daß, sofern man sie nicht quält und schindet, grade diese einsehen: »Daß man mich gefangen hält, verstehe ich, ich habe das und das ausgefressen.« Worüber sie sich aber zerfressen vor Wut, sind jene unnötigen Demütigungen, die keinen andern Sinn haben, als das Lebensgefühl eines mittelmäßigen Beamten zu erhöhen. Denen ist nichts so widerwärtig wie öffentliche Kontrolle. Mißtrauisch betrachten sie jeden, der sich überhaupt um den Strafvollzug kümmert; denn den haben sie gepachtet. Kleine Leute. Aber innerhalb ihrer Mauern aufgeblasen wie Ballons. Bedauernswert die Opfer, die ihnen in die Finger fallen.
Der Geist dieses Strafvollzugs ist schlecht. Er ist durchsetzt von übeln religiösen Wahnvorstellungen; von Irrtümern über die einfachsten [187] Funktionen der Seele: von sozial maskierten, höchst minderwertigen Begierden. Greift einer ein, so schallt ihm ein Chor entgegen: »Ja, soll man vielleicht den Gefangenen jeden Tag Pudding zu essen geben und sie abends ins Varieté führen?«
Man sollte aber vor allem einmal Menschen aus dem Strafvollzug ausroden, die ihrerseits Verbrecher an Seelen sind, dumpfe Rohlinge, Caligula-Naturen und Pharisäer, die jener Christus gegeißelt hat, dessen Namen sie mißbrauchen. Denn nie empfindet ein normaler Mensch so viel Lust im Bett wie jene an ihrem Schreibtisch. Fluch ihnen.
Zu fordern ist, immer wieder: das Recht für die Rechtsbrecher.