Die Tagung
Nun, Mutter, bürst mir den Zylinder,
den guten Sonntags-Gehrock hol herbei;
gehab dich wohl – paß gut auf, auf die Kinder,
pack mir die Stullen ein und auch ein Ei . . .
[209]Heut fahr ich los, um neun Uhr, im Expreß . . .
heut ist Kongreß!
Vom Reichsverband sind die Kollegen
schon alle in die ferne Stadt geeilt.
Man wird uns dort brillant verpflegen,
weil ein Minister bei uns weilt.
Die Hoteliers sind froh. Sie wissen es:
heut ist Kongreß.
Zu ernster Arbeit sind wir dort versammelt.
Der Herr Minister spricht – das ist der Clou
(da ist der Saal noch voll, voll wie gerammelt) –
er sagt uns seine Unterstützung zu . . .
Das ist ein großes Wort. Ein amtliches –
heut ist Kongreß.
Dann wird man viele schönen Reden hören.
Jedweder bittet um des Wortes Gunst.
Da kann uns die Opposition nicht stören –
Abstimmen lassen ist auch eine Kunst.
Die Hände hoch! Und kurz ist der Prozeß . . .
heut ist Kongreß.
Wir sprechen von den einfach ungeheuern
Unkosten in Fabrik und in Büro
und von den viel zu hohen Steuern –
»Das, meine Herren, geht nicht weiter so!
Was hier geschieht, ist ein Exzeß!«
Heut ist Kongreß.
Im Saal ein Nickerchen . . . die Uhr ist viere . . .
Der Redner liest und liest und redet seins . . .
Dann sitzen wir in Reihen froh beim Biere
und trinken, trinken immer noch eins.
Denn, Mutter, schon die ollen Germanen
versammelten sich mit allen Schikanen
rechts vom Rhein und links vom Rhein:
Deutsche Arbeit will beredet sein.
Weil selbe immer nur gedeiht
im Treibhaus unserer Wichtigkeit.
Leb wohl! Da pfeift schon der Expreß . . . !
Heut ist Kongreß.