O you my sweet evening star!
Kaufen Sie sich, lieber Emil Ludwig, Columbia Nummer 14002, gucken Sie nicht aufs Etikett und lassen Sie die Platte auf dem kostbaren Grammophon laufen, das Ihnen unser Verleger Rowohlt in einem Anfall von Cäsarenwahn geschenkt hat, wie ich hoffe. Folgendes wird sich dann begeben:
Da spielt einer Wagner, und zwar das schöne Lied von dem Herrn Abendstern. Aber wie spielt er es? Auf die einzig mögliche Weise, in der man es noch spielen kann, nämlich als Jazz. Lieber Emil Ludwig, es ist ganz großartig.
Auf einmal ist alles nicht mehr wahr: die Eierkuchensentimentalität nicht und nicht jene butterweiche Rührsamkeit, mit der dieses Gedudel angemacht ist; fort ist das Pathos aus Sachsen und der trutzge Krach, der sich als Rassenstolz ausgegeben hat (eine der Kriegsursachen); geblieben ist etwas andres. Geblieben ist eine luftige, lustige und nette Melodie, von der man nur wünschen könnte, der Meister hätte sie so geschrieben, wie sie da gespielt wird: unerbittlich rhythmisch wie eine Nähmaschine und sehr hopp-hopp. Wie da zum Beispiel der Refrain des schönen Couplets
wie diese Zeilen als Tanztakte erklingen, das ist fürwahr ganz wunderbar. Es gibt eine unwiderlegbare Probe für den Wert dieser Umgestaltung: man hört das wackere Lied fortab nur noch im neuen Rhythmus, mit den eingelegten Pausen, hängend am stählernen Tau des Viervierteltaktes. Da ist nichts mehr zu retten, so hätte es gleich erklingen sollen; die Parodie rückt das Werk des großen Sachsen erst richtig zurecht, hier ist die wahre Gestalt, und Parodie war nur das Original.
Sehen Sie, auf der Rückseite der Platte haben sie dasselbe mit Chopin gemacht, und da gehts nicht. Selbst Pachmann auf Electrola kann nicht mehr retten, was an dem veraltet ist, aus vergilbten Tasten steigt ein schwacher Lavendelgeruch auf – und doch ist diese Chopin-Platte verzerrt und nur ein amüsantes Kunststück. Unsterblich klingt der Walzer-Rhythmus durch das Gehämmer, das als Spaß grade noch zu ertragen ist.
Bei Wagnern aber enthüllt es ein ganzes Opus. Es ist viel mehr als ein Offenbachscher Ulk –: es ist die Selbstsicherheit einer neuen klaren Zeit, unbeweglicher Hohn auf die Pendant-Ideale eines gutbürgerlichen Vertikos aus dem Jahre 1891 oder eines Landgerichtsdirektors aus dem Jahre 1931 und die pfeifende Lebensfreude einer Kraft, die Notung, das neidige Schwert, in Serien bei Armstrong, Krupp und Schneider-Creusot in Auftrag gegeben hat. Viel Vergnügen –!