Das zweite Heer

Das ist nun sechs Jahr her, da stand in diesen Blättern ein Artikel zu lesen, in dem ich auf die versuchte Umgehung des Versailler Friedensvertrags durch eine unverhältnismäßig starke Bewaffnung und Organisation der damaligen preußischen Polizei hingewiesen hatte. Alles blieb still, bis ein pariser Blatt, ›L'Eclair‹, die Sache aufgriff und eine Übersetzung meiner Arbeit brachte. Der schickte die Redaktion eine irreführende Notiz vorauf, aus der man herauslesen konnte, der deutsche Pazifist Ignaz Wrobel habe dem Blatt diese Mitteilungen gemacht. Aber nun gings los.

Von Berlin bis Eydtkuhnen heulte die schweißige Entrüstung der Nationalen, und als ich den Obstinatesten mitteilte, daß der französische Artikel nicht von mir angeregt sei, da taten sie das, was die normale kleine Redaktion immer tut: sie verbargen sich, in jener spezifischen Mischung von Feigheit und Rechthaberei, hinter der Tatsache, daß man in diesen Blättern die Wahrheit nicht einmal inserieren kann. Mein reiches Einkommen aus französischen Fonds stand von da ab fest. Die Angelegenheit wurde später durch die Zuwendung von Ruhrgeldern an Industrie und Gewerkschaften wieder bereinigt.

Wie sieht die Polizei heute aus?


Es ist festzustellen, daß sich Karl Severing und ebenso sein Nachfolger, Grzesinski, in ihrer Art um eine vernünftige Personalpolitik in der preußischen Polizei bemüht haben. Das ist anzuerkennen, auch wenn man das, was da geschieht, als nicht sehr weitgehend ansehen muß; die Widerstände, mit denen diese Minister zu kämpfen hatten und zu kämpfen haben, sind sehr groß, und man kann sich darüber unterhalten, ob sie sie mit der nötigen Schärfe überwinden. Es muß ihnen zugebilligt werden, daß es nicht einfach ist, der Verwaltungsschlauheit, dem Protektionsklüngel und den sehr gerissenen Korpsstudenten entgegenzutreten, wenn man in einer Koalitionsregierung sitzt. Soweit gut.

Über die fortdauernde Militarisierung der Polizei aber reißen die Klagen der beteiligten Beamtenverbände nicht ab: auf den Polizeischulen werden die älteren Leute noch heute wie die dummen Jungen, schlimmer: wie die preußischen Rekruten behandelt; das System ist wiederum wie das alte auf hündischer Unterordnung, auf Aufgeblasenheit der ›Vorgesetzten‹, auf Schikane und Unvernunft aufgebaut, und das ist bei dem Offiziersmaterial kein Wunder. Die Beamten sind zum größten Teil republikanisch gesinnt und wären, besonders in den großen Städten, nicht so ohne weiteres für einen Putsch zu haben, dessen Inszenierung übrigens nicht aktuell ist.

Daß diese Polizei nicht so ausgebildet werden kann, wie die braven [240] ›Blauen‹ unter dem Seligen, leuchtet ein. Ihre Aufgaben sind andre, ihr Mannschaftsersatz ist ein andrer geworden, die Zeiten haben sich geändert.

Aber was in dieser Polizei heute noch alles getrieben wird, was dort möglich ist, zeigt ihre Ausbildung in einem Zweig, der ihre Kompetenzen weit überschreitet: in der aktiven Vorbereitung des Bürgerkrieges.

Die für uns gleichgültige Anschauung des Reichsgerichts über das, was ›Landesverrat‹ sei, wird niemals hindern, daß in diesen Blättern das steht, was wir für gut befinden, und wenn ich es für meine Person im Interesse des europäischen Landfriedens für richtig hielte, einer fremden Macht Einzelheiten über das deutsche Militär auszuliefern, so täte ich das. Doch geht es darum im Augenblick nicht. Nach der Baldrian-Politik der letzten Jahre, die eine Befriedung Europas vorgibt, wo Geschäfte gemeint sind, haben wir kein Interesse daran, nach außen um Hilfe zu rufen – es käme nämlich keine. Was hier nun gerügt werden soll, hat mit dem Versailler Vertrag wenig zu tun, denn die preußische Polizei hält sich sicherlich an die gesetzlichen Abmachungen, soweit sie außenpolitischer Natur sind. Viel schlimmer ist, was da für das Geld der Steuerzahler, nach innen hin, betrieben wird.

»K. v. Oven, Polizeimajor und Lehrer an der preußischen höheren Polizeischule in Eiche.›Polizeiverwendung, dargestellt an Aufgaben‹. Buch II, ›Beim Einsatz im Stadtgebiet‹« (erschienen im Deutschen Polizei-Verlag in Lübeck). Dieses Buch ist ein Skandal.

Ich weiß nicht, ob sein Verfasser jener berüchtigte Freikorpsführer aus der Noske-Zeit ist; dem Geist des Buches nach könnte er es sein. Das Vorwort enthält die politische Weisheit des Jahres 1913:

»Hört man doch stellenweise immer noch die irrige Ansicht, ein Kampfeinsatz der Schutzpolizei wäre heute derart unwahrscheinlich, daß er nicht mehr im Vordergrunde der Ausbildung zu stehen hätte, daß unsre Führer für ihn nicht mehr so eingehend geschult zu werden brauchten. Welch kurzsichtige Auffassung! Je weniger wir auf den Kampf vorbereitet sind, um so mehr leisten wir ihm durch den damit verbundenen Tiefstand unsres Könnens Vorschub, wir fordern die Gegner der heutigen Staatsordnung ja gradezu heraus, sich ihre Ziele mit bewaffneter Hand zu erkämpfen. Die alte Römerweisheit ›si vis pacem, para bellum‹ hat in übertragenem Sinne auch für die Polizei Gültigkeit; dadurch, daß man sich auf die Möglichkeit eines Kampfes einrichtet, zeigt man nicht, daß man ihn will.«

Das ist gelogen, zwar vorsichtig, aber schlecht gelogen. Wer in eine Kampfausbildung so viel Geld, Mühe und Menschen investiert, wie das hier geschieht, zeigt, daß er mit Krieg rechnet, und es ist unabänderliches Gebot dieser Kapitalanlagen, daß sie eines Tages Selbstzweck [241] werden. »Kampfaufgaben sind also heute noch genau so nötig wie in den ersten Nachkriegsjahren.« Wiederum falsch: denn die innerpolitische Lage ist wesentlich konsolidierter, sie hat mit einem Sieg der Reaktion geendet, die heute die Namen gewechselt hat, und es ist vor allem nicht Aufgabe der Polizei, im Bürgerkrieg als Truppe aufzutreten. Das wäre ›Polizeiverwendung‹? Das ist dann keine Polizei mehr, sondern ein zweites Heer.

Wozu dann noch die Reichswehr, deren Existenz uns dauernd, mehr oder minder verhüllt, mit dem ›innern Feind‹ erklärt wird?

Liest man diese Anweisung zum Bürgerkrieg, so glaubt man sich mitten im Kriege und vor allem mitten in einer großen Armee. Da ist von »Taktik« und »Einsatz« und »Aufklärung« und »Erkundung« die Rede: da gibt es »Angriffsvorbereitungen« und »vortäuschende Tätigkeit«; da wimmelt es von »Stoßrichtung«, »Westfront«, »Feuerschutz«, »Flankierungen« . . . kurz: hier wird Soldat gespielt. Aber das Spiel ist ernst.

Wie ernst, zeigen die Hinweise auf die Spezialliteratur dieser Kreise, die auf einen ganzen Korb voller Ovens schließen läßt: und daß sich die Herren nicht begnügen, in den Städten Unheil anzurichten, ersehen wir an dem Buch›Polizeiverwendung im landespolizeilichen Einsatz‹, wo auch mit größern Verbänden operiert wird. Wohinaus läuft das? Was wollen diese Leute –?

Über die Rechtslage machen sie sich wenig Skrupeln. »Die rechtlichen Grundlagen für die Benutzung fremden Eigentums (Wohnungen, Möbel usw.) sollen hier nicht weiter erörtert werden. Soweit die betreffenden Grundrechtartikel der Reichsverfassung durch den Ausnahmezustand nicht außer Kraft gesetzt sind, liefert die erforderlichen Grundlagen vor allem das Allgemeine Landrecht mit seinem §10 II 17 und mit dem Staatsnotrecht (polizeilicher Notstand)«, eine Rechtsdarlegung, die man am besten mit den Worten ›und überhaupt‹ charakterisiert. Aber sie ist sehr bezeichnend für die Denkart dieser republikanischen Beamten.

Daß der Ausnahmezustand für ein ›anständiges‹ Regieren eine Notwendigkeit ist, wird jeder Esel, der bekanntlich damit regieren kann, einsehen. Mit seiner Verhängung wird als Grundbedingung dieser ›Polizeiverwendung‹ gerechnet. Auch der Rückzug auf jene Kautschukbestimmung des Allgemeinen Landrechts, die die Aufgaben der Polizei sehr dünn definiert, das Gefühl, im Rücken Komplicen im Talar zu haben, kräftigen ungemein. Im einzelnen kommts dann nicht mehr so genau drauf an.

»Eine Ablieferung von festgenommenen Personen bei der Gefangenen-Sammelstelle ohne nähere Angabe über die Straftat und Zeugen ist völlig zwecklos; es läßt sich dann später dem Betreffenden durchaus nichts nachweisen, und er geht – obgleich er sich sicher einer strafbaren [242] Handlung schuldig gemacht hat – straffrei aus.« Na sicher! Der Polizeimajor hat seinen Beruf verfehlt: er hätte Richter werden sollen.

»Ist es . . . nicht überhaupt Pflicht des Polizeiführers, grade Besonderheiten in der Kampfweise der Aufständischen mitzuteilen und vorzuschreiben, welche Gegenmittel anzuwenden sind? Oder wirken grausame Verstümmelungen verwundeter oder gefangener Beamten nicht grade in einer den Kampfwert der Polizei hebenden Richtung?« Das dürfen sich Aufständische umgekehrt genau so fragen, nur haben sie infolge der Präzedenzfälle mehr Berechtigung dazu. Denn ich glaube nicht, daß deutsche Arbeiter ihre paar Gefangenen jemals so hundsgemein gequält haben wie die ›Vertreter der Ordnung‹ das mit verhafteten Arbeitern getan haben. Niemand ist so roh wie die entfesselte Kanaille der Ordnung.

So ganz wohl ist dem Polizeimajor bei seiner Kompetenzüberschreitung nicht. »Als Übungsgelände kämen in der Regel wohl nur Polizeiunterkünfte in Frage, in denen durch besondere Bezeichnung (weiße Bänder, Tafeln, sonstige Geräte) nicht vorhandene Straßenzüge angedeutet werden müßten, soweit es zum Verständnis der Lage erforderlich ist.« Denn sonst könnten die ›aufständischen‹ Angestellten und Arbeiter wohl sehen, was da für ihr Geld getrieben wird . . .

Wie eine solche völlige Verkennung der Polizeiaufgaben auf die vielbeklagte, viel zu militärische Ausbildung der Polizeibeamten zurückwirkt, ist ganz klar. »Leider«, spricht der Major, »leider ist das Wort ›Kameradschaft‹ in der Schutzpolizei zum Teil wenig geschätzt. Man hat versucht, den ›Kameraden‹ durch den ›Kollegen‹ zu ersetzen, hat dabei aber übersehen, daß Kollegialität etwas ganz andres ist als Kameradschaft.« Der Major wittert richtig, daß hier die Grenzen seiner Macht sind, und daß eine neue Gesinnung aufkommt, die ihm und seinesgleichen sehr, sehr gefährlich werden kann. »Kollegen sind Berufsgenossen, Arbeitsnachbarn im weitern Sinne; sie gehen ihrer Beschäftigung wohl gemeinsam nach, sie unterstützen einander auch gelegentlich. Der Begriff ›Kollege‹ ist jedoch nicht untrennbar verbunden mit dem Gedanken gegenseitiger Hilfe in Not und Tod, im Feuer der Aufständischen gibt es keine Kollegialität.« Doch. Die mit den Aufständischen. »Da braucht man Kameraden, da ist die Kameradschaft das Band, das über die Lebensgefahr hinweg . . . « Sagt mal, ist eine Polizeischule ein Narrenhaus? Was hat der mit ›Not und Tod‹? Was will der Mann eigentlich –?

Der Mann will die Polizei so aus dem Volkskörper herausheben und so zu einem eignen, unstaatlichen Gebilde machen, wie das mit der Reichswehr bereits geglückt ist. Der Mann will aus der Polizei ein gefügiges Werkzeug in den Händen einiger von der Industrie und Landwirtschaft bezahlter Drahtzieher machen, die ihre Hofhunde gut füttern, wenn die gut beißen. Der Mann will ein zweites Heer.

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Wir aber wollen gar keins. Und vor allem wollen wir nicht, daß aus der Polizei wieder ein Haufe blindwütiger, ordinärer, brüllender und brutaler Lümmel gemacht wird, wie sie das unter dem Seligen gewesen ist.

Zweifellos hat jeder Staat das Recht, sich gegen seine politischen Gegner nach innen zu verteidigen. Das ist ein Grundgesetz. Es fragt sich nur, durch welche Organe er das besorgen läßt. Entweder die Polizei wird auf ›Aufständische‹ dressiert, deren Macht und Können der Major bewußt oder unbewußt übertreibt, dann ist das Heer überflüssig. Oder aber es ist Aufgabe der Reichswehr, die keinen äußern Feind kennt, den innern Feind zu bekämpfen, dann hat die Polizei sich mit dem zu befassen, wozu sie geschaffen ist, aber nicht mit der Vorbereitung von Bürgerkriegsschlachten. Da ich die Gefahr eines großen deutschen Volksaufstandes nicht sehe, so stehe ich nicht im Verdacht, einen mir unbequemen Gegner aus der Welt schaffen zu wollen; ich glaube auch nicht, daß eine echte Revolution durch die Stoßkraft des Herrn v. Oven aufgehalten werden kann. Ich glaube nur, daß die preußische Polizei ihre Steuergelder nicht für den Bürgerkrieg bekommt, und daß es die unheilvollsten geistigen Wirkungen haben muß, wenn solche Gesinnung von Staats wegen proklamiert wird.

Die ›Vossische Zeitung‹ hat neulich die Reportage eines Mannes veröffentlicht, der als Stromer durch Pommern gezogen ist. Seine Charakterisierung der örtlichen Polizeiorgane war vernichtend. »In diesem Augenblick wurde die Tür zum Nebenzimmer aufgerissen und mit flatternder grüner Pelerine erschien der Offizier vom Dienst. Als er mich erblickte, stieß er einen Laut durch die Nase aus, wie ein Liebhaber einer Provinzbühne, der seine Angebetete in den Armen eines andern überrascht, und schrie: ›Was will der Kerl?‹« – Ich kann darüber nicht so lachen, wie es der Offizier vom Dienst verdient. Denn ich weiß, daß von diesem ungehörigen Auftreten bis zur Gefangenenmißhandlung oder ihrer Duldung ein einziger winziger Schritt ist, und ich spreche einem Beamten das Recht ab, seine Landsleute, die ihn bezahlen, wie die Schweinehunde zu behandeln. Wenn er das zu tun gewohnt ist, so gehe er auf seinen kaiserlichen Kasernenhof; in einer Republik er nichts zu suchen.

Die mangelnde Hilfsbereitschaft der Polizei, über die so viel geklagt wird; ihre Überbürokratisierung; ihre Unfähigkeit, das heutige Leben zu begreifen; ihr Versagen in den kleinen Städten, wo sie auf den Leuten herumregiert, anstatt mit ihnen zu arbeiten – alles das ist zum wesentlichen Teil durch die unglückliche Offiziersauswahl zu erklären. Ein Kommiß- und Kasino-Mensch kann eben nicht verstehen, wie eine gute Polizei zu funktionieren hat, und er wird automatisch die Allüren, Anschauungen und Gebräuche des Kasernenhofs auf eine ganze Nation zu übertragen versuchen, und weil das deren schlimmsten Eigenschaften entgegenkommt, wird er sie noch mehr verderben.

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Wie diese Gehirne arbeiten, wie sie aus diesem Krieg nichts, nichts gelernt haben, das zeigt sich herrlich aus dem Abschnitt einer Ovenschen Arbeit, deren Titel schon so lang ist wie ein mittelkräftiger Instanzenweg: ›Die Tätigkeit der beteiligten Polizeikommandos bei der Vorbereitung des großen Aufsichtsdienstes‹ woraus ›polizeitaktisch‹ zu lernen, daß sich an einem Aufsichtsdienst niemals unbeteiligte Polizeikommandos beteiligen. Der Aufsichtsdienst nun ist nötig – wozu . . . ? Wozu anders als zur Einweihung eines ›Weltkrieg-Denkmals‹ – und man muß nun sehen, wie das auf zwanzig Seiten dargetan wird. Ich mache mich gar nicht darüber lustig, daß jemand seinen Leuten beibringt, wie man in einer großen Stadt eine Absperrung handhabt, das will gelernt sein und muß ordentlich gemacht werden – aber wer mitangesehen hat, was die ›Feldtelefonwache‹ auf dem Brandenburger Tor anstellte, als der Emil von Afghanistan, ein freundlicher Feind, heranrückte, wie da signalisiert, gewinkt, telefoniert und angegeben wurde und das alles für nichts für wieder nichts: der wundert sich nicht, wenn er hier die Pflanzschule für diesen aufgeblasenen Unfug findet. Da gibt es einen »nachrichtentechnischen Polizeioffizier«; man stelle sich die Überorganisation aus dem Krieg vor, angewendet auf eine Absperrung, A Denkmal, B Spitzen der Behörden, C Verbände . . . und eine Geschäftigkeit, ein Hallo, eine Scheinarbeit – zum Schluß, wenn alle ›in ihre Quartiere gerückt sind‹, wundert man sich nicht mehr, warum hier eigentlich so viel gearbeitet und so wenig getan wird.

Die militärischen Wirkungen der Ovenschen Spielerei überschätze ich nicht, obgleich ich glaube, daß man in einer derart vorgebildeten und verbildeten Polizei in einer nicht zu fernen Zeit den Rahmen eines zweiten Heeres wohl schaffen kann. Die moralischen Wirkungen sind schlimmer.

Zu erklären sind sie in erster Linie nicht etwa durch finstere Verschwörungen des Reichswehrministeriums mit den Polizeibehörden. Das Reichswehrministerium, zutiefst versenkt in kaufmännische Gründungen fortgeschrittener Art, in Besprechungen mit der Kriegsindustrie und mit Propagandareisen ins Ausland, also mit rein militärischen Aufgaben, mißtraut der Polizei instinktiv, die an den Maßstäben der Bendlerstraße gemessen, einen Haufen wüster Bolschewisten darstellt. Da sind ›unsre‹, die wir in möglichst kleinen Nestern unkontrolliert ausbilden lassen, denn doch andre Kerls. Das walte Gott.

Zu erklären ist die Militärspielerei der maßlos aufgepusteten und überorganisierten Polizei durch ganz etwas andres. Nämlich durch die Überbevölkerung Deutschlands.

Diese Offiziere haben, wie die meisten Beamten, die Sucht, ihre Position so wichtig zu machen, wie nur irgend möglich – sie konstruieren sich eine Beschäftigung, wo keine ist. Was früher ein Bürgermeister im Nebenamt gemacht hat, machen heute zwanzig Polizeioffiziere, die anderswo nicht unterkriechen konnten, denn wem Gott Verstand gibt,[245] dem gibt er auch ein Amt, und mit irgend etwas müssen sich diese Herren doch beschäftigen. Das tun sie auch.

Sie verfallen dem allgemeinen deutschen Fehler, aus Freude am Theater, am Apparat, an der Wichtigtuerei des Berufs, ihre Stellung aufzublasen wie einen Ballon. Das fängt mit den Fachausdrücken an und hört mit den Etats auf; was in Deutschland registriert, organisiert, normalisiert, dekretiert und disponiert wird, geht auf keine Geßlerhaut; produktiv gearbeitet aber wird viel weniger als man glaubt, denn dies alles ist blanker Leerlauf. Sie verteidigen eine gekünstelte Position; sie fühlen sich ständig als Reklamierte, die ihre Existenzberechtigung dartun müssen, und das Gefühl ist auch richtig. Daher diese maßlose Aufgeblasenheit der Stände; die Wichtigkeit, mit der ein Schlafwagenschaffner unsre Billetts knipst, als seien noch niemals auf der Welt Billetts geknipst worden; der Dummstolz des ›Fachmanns‹, der sich gar vor Hochmut nicht zu lassen weiß, weil er seinen Kram gelernt hat wie anderswo Millionen Menschen auch; die ungeheuerliche Selbstüberschätzung jedes Bürovorstehers . . . sie alle repräsentieren den Typus des Deutschen, der gern die Arbeit der andern kommandieren möchte. »Was wünschen Sie denn für eine Position?« – »Ja, wissen Sie, ich bin ein ausgezeichneter Organisator . . . « Ab dafür.

So einer ist der Polizeimajor, und so einer ist jeder von ihnen. Aber was Oven treibt, ist gefährlich: In einem seiner Bücher, ›Straßenkampf‹ betitelt, liegt die militärische Färbung der Ausbildung ganz offen zutage. Das entsprechende Fachadverbium heißt ›polizeitaktisch‹ – aber dieser Herr von Oven hat verflucht wenig Takt, und für die Taktik ist die Polizei nicht da. »Während sich der Kräftebedarf beim Kampfe eines Polizeikörpers im offenen Gelände . . . « ja, sind wir denn Hereros, die von einer Schutztruppe unterworfen werden sollen? Wofür bekommt der sein Gehalt? Dafür –?

Auch in diesem zweiten Band ist die Angst, seine Vorbereitungen zum Bürgerkrieg könnten herauskommen. Wie werden die Manöver abgehalten? »Um solche Stadtgänge unauffällig und möglichst ungestört durch Zuschauerpublikum ausführen zu können, empfiehlt es sich, sie in Zivilkleidung zu unternehmen. Man kann dann selbst in belebten Stadtteilen und in solchen Gegenden, deren Bevölkerung der Polizei unfreundlich gesonnen ist, mit zwanzig bis dreißig Teilnehmern ohne Aufsehen und unbehindert derartige Besprechungen abhalten.« Daß es immer noch Stadtteile gibt, deren Bevölkerung dieser freundlichen Polizei unfreundlich gesonnen ist, sollte man nicht für möglich halten . . . . Im übrigen nennt jener sein Indianerspiel: »Befriedungsaktion« – vielleicht erkundigen sich die Sozialistenführer einmal bei ihren sächsischen und thüringischen Genossen, wie diese Befriedung in Praxis aussieht: braun und blau sieht sie aus, denn das sind die Farben, wenn jene losgelassen werden.

[246]

Oven übt. Wofür –? Er macht ›Planspiele‹, die genau den alten Kriegsspielen des Generalstabs nachgebildet sind, und wir dürfen uns aussuchen, ob er harmlos ist und nur unser Geld und Kraft und Zeit der Beamten vertut – oder ob er wirklich gefährlich und bösartig ist und wartet, wartet . . . Ich denke: er wartet.

Darauf wollen aber wir nicht warten. Mit uns werden keine Planspiele gemacht und keine Kriegsspiele und keine Generalproben für Mord und Totschlag. Der Polizeimajor hat seinen Staat, den er angeblich schützen will, gut begriffen: er will den Krieg und bereitet ihn vor, und er malt ununterbrochen, um sich und seinen Kram zu rechtfertigen, den bösen Feind an die geduldigen Wände der Polizeischulen. Heraus da –!

Wenn es dem preußischen Innenministerium ernst ist mit dem, was es uns verspricht, dann entlasse es diese ungeeigneten Beamten, die ihr Amt und das der Polizei verkennen, und bilde die preußische Polizei erst einmal in dem aus, was ihr noch so sehr fehlt: in Hilfsbereitschaft, Menschenfreundlichkeit und vernünftiger Zusammenarbeit mit dem Publikum.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1928. Das zweite Heer. Das zweite Heer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-60B3-C