»Guten Morgen – dies ist Ihre Zeitung!«
Da ist einmal eine Hotelier-Vereinigung in die Vereinigten Staaten gereist, um sich deren Hotels anzusehen, – und von dort haben sie manches mitgebracht.
Wenn du in einem großem deutschen Hotel morgens die Zimmertür öffnest, so liegt dort ein Lokalblatt, mit einem hellgrünen Zettel: »Guten Morgen! Dies ist Ihre Zeitung!«
Danke auch schön . . . Guten Morgen . . . ei, was es alles gibt! Was gibt es denn so alles –?
Es gibt zunächst einmal eine ›Deutsche Fremdenverkehrswerbung‹, die wohl das Groteskeste darstellt, was auf diesem Gebiet möglich ist. Anstatt nämlich die Ware, die man verkaufen will, nach Möglichkeit zu verbessern: also im Lande herumzufahren, die Hoteliers auf Mißstände aufmerksam zu machen, Nepperei abzuschaffen, kurz, für die Fremden zu arbeiten – zeigen sie eine Ware an, die sie noch gar nicht haben. Der ganze Laden hängt voller Plakate. Die Ware? Die Ware sieht so aus:
Deutsche Lieferanten aller Art haben sich zu Verbänden zusammengeschlossen, die ein einziges Ziel haben: gegen den Konsumenten aufzutreten und jedes Risiko nach Möglichkeit auf ihn abzuwälzen. Diese Lieferungsverträge – bei Spediteuren, bei Hoteliers, bei Fabriken aller Art – sind ein Skandal, weil sie die Ausnutzung eines Notstandes sind; der Konsument nämlich kann sich nicht wehren, weil er einem Trust gegenübersteht: es ist die trockene Ausschaltung der Konkurrenz und die Stabilisierung einer kaufmännischen Bürokratie, der es ebenso wichtig ist, Geschäfte zu machen wie zu regieren. Man sehe sich darauf diese von den Herrn Syndici ausgekochten Verträge an, und man wird allemal finden, daß das Risiko, die Steuern, die Gefahr, die Zufälle vom Produzenten auf den Konsumenten abgewälzt werden. Der Konsument darf zahlen und hat ansonsten den Schnabel zu halten. Wir wollen ihn einmal auftun.
Die Sache fängt in den deutschen Hotels damit an, daß der Inhaber die Haftung für die eingebrachten Sachen des Gastes aufgehoben hat (§§ 701 – 708 BGB). Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch haftet der Hotelier, wenn dem Gaste im Hotel etwas gestohlen wird – er kann sich nur mit der Fahrlässigkeit des Gastes exkulpieren, die er zu beweisen hat. Nach den vorgedruckten Vorschriften, die sich das Hotel vom Gast [353] unterschreiben läßt, besteht diese Haftung nicht mehr. Früher haben die Hoteliers das mit einem einfachen Aushang gemacht – das Reichsgericht hat entschieden, daß solch ein Aushang nicht genüge und daß eine besondere Abmachung zur Aufhebung der Haftung nötig sei. Nun ist aber das, was da im Empfangsbüro der Hotels vor sich geht, keine Abmachung, und das Reichsgericht ist wie immer scholastisch und lebensfremd.
Die wenigsten Gäste lesen überhaupt durch, was sie unterschreiben – damit rechnet doloserweise der Hotelier. Der Ankommende ist müde, möchte sich waschen, auspacken, ruhen – er ist nicht in der Laune, juristische Streitfragen zu lösen. Das nutzt der Hotelier aus. Immerhin wäre es Sache und Pflicht des Gastes, aufzupassen. Aber selbst wenn er liest, was ihm da vorgelegt wird, hat er doch in den allerseltensten Fällen den Mut, seinem Vorgesetzten, den jeder Deutsche hat und der in diesem Fall der ernste Mann im Büro ist, Nein zu sagen. Und sagt er selbst Nein, so riskiert er, vom Hotel nicht aufgenommen zu werden. Und das nächste Hotel macht es grade so. Das heißt:
Hier liegt überhaupt keine Abmachung vor, sondern eine durch die Festigkeit der Organisation erzwungene Zustimmung zu einer ungehörigen Rechtsminderung. Wie unanständig, wie peinlich, wie kleinlich ist das alles!
Das Hotel haftet nicht nur nicht für die Koffer des Gastes. Es schließt auch die Haftung aus, wenn der Zimmerinhaber im vierten Stock den Fahrstuhl wegen Betriebsstörung nicht benutzen kann und die Treppen hinauflaufen muß; es haftet nicht, wenn die gemietete Badezimmereinrichtung nicht funktioniert; wenn die Zentralheizung nicht heizt; wenn das Zimmer-Telefon nicht instand ist – es haftet nicht, und der Gast muß den vollen Preis zahlen. Aber der Gast haftet für alle Beschädigungen . . . das alles unterschreibt er, ohne sich Gedanken zu machen. Der Syndikus hat sich welche gemacht.
Auch hier liegt alles Risiko beim Gast, der grade noch geduldet ist. Rechtlich hat der Hotelier in einer gradezu unsittlichen Weise die Oberhand. Es gibt aber keine Organisation der Gäste – es gibt nur Einzelpersonen, die einem festgefügten Verband machtlos gegenüberstehen.
Dazu kommt, daß, abgesehen von den allerteuersten Hotels, vieles durchaus unzulänglich ist. Wo waschen sich eigentlich die Gäste, die kein Badezimmer bezahlen können, ihre Füße? In der Seifenschale? Warum weisen zahlreiche Badezimmer keine Brause auf? Warum gibt es nicht, wie in den dänischen Hotels sogar zweiter Ordnung überall kleine Brauseräume, die weniger kosten als ein Wannenbaderaum und weniger Platz fortnehmen? Achselzucken. Aber Fremdenverkehrswerbung.
Es ist so viel über das Trinkgeld gescholten worden und mit Recht. [354] Aber was in Deutschland zur Zeit vor sich geht, ist ein sauberer und rechtschaffener Betrug am Hotelgast.
»Das Trinkgeld ist abgelöst.« Es empfiehlt sich, jedesmal, wenn man ein Zimmer mietet, vorher zu fragen, wie hoch diese Ablösung in Prozenten ist – und man wird sein Wunder erleben. Das eine Haus nimmt 10 Prozent, das zweite 15, das dritte 20 Prozent – und kein Mensch weiß, warum; und kein Mensch weiß, wohin diese Gelder eigentlich gehen . . . die unter sich uneinigen Angestelltenverbände behaupten, daß sie nicht völlig in den Genuß dieser Summen kommen. Es ist ein Unding, einen einzelnen Posten der Unkosten herauszuheben und ihn dem Gast gesondert aufzubürden.
Die Kleinlichkeit geht ins aschgraue. Deutschland ist bekanntlich das Land mit der größten Schilderliteratur der Welt – wenn wir einen Bahnwagen in Betrieb setzen, so nageln wir vierundsechzig Schilder hinein, die verbieten, befehlen, bitten, beschwören, die uns erzählen, daß man sich die Nase nicht in die Hand schneuzen solle (Hamburg); daß man und wie man absteigen solle; daß man . . . daß man nicht . . . Polizeilich erschreckte Kinder.
In den Hotels wimmelt es von solchen Schildern, und ohne hinzusehen kann man darauf schwören, daß sie alle, alle gegen den Gast gerichtet sind. »Für Stiefelputzen berechnet der Hausdiener 20 Pfennig«, »Für das nächtliche Öffnen der Haustür berechnet der Hausdiener 25 Pfennig« und so fort. Es ist so, wie wenn jemand ein Zimmer mietet und bezahlt, und hinterher wird ihm eine Rechnung dafür vorgelegt, daß es nicht hineingeregnet hat – also für etwas Selbstverständliches.
»In den erstrangigen Hotels«, hat der kluge Weltreisende Richard Katz einmal gesagt, »in den erstrangigen Hotels ist das Personal frech, und die Gäste haben spanisches Hofzeremoniell.« Nicht nur das: sie spielen die Feinen auch, wenn sies nicht sind, grade wenn sies nicht sind, und sind viel zu feige, etwas zu monieren. »Das tut man doch nicht« – wobei denn allerdings zu bemerken, daß bei uns der sanfte Tadel in höflicher Form auch meist nicht angebracht, weil wirkungslos ist. Es scheint wohl so zu sein, daß in Deutschland immer einer von zwein frech sein muß – dann ist der andere höflich.
Neulich haben die Hotelierverbände eine große Zusammenkunft in der Schweiz gehabt. Ich hätte nie gedacht, daß Hoteliers reisen. Nach ihren Einrichtungen zu urteilen, kann man sich das nur schwer vorstellen.
Probiert denn niemand dieser Herren eine Wascheinrichtung aus, bevor er sie bestellt? Wo waschen sich diese Leute? In den Waschbecken ihrer eigenen Hotels? Dann stoßen sie sich den Kopf an einem Glasbrettchen und an den Wasserhähnen, die entweder zu kurz oder zu lang sind – ist es wirklich so schwer, die paar restlos zu schablonisierenden[355] Bedürfnisse des Reisenden zu befriedigen? Es muß doch wohl sehr schwer sein – denn so etwas lieblos Hingehudeltes wie diese Badezimmer und Waschbecken sucht seinesgleichen. Hoteliers reisen nicht. Sonst wüßten sie, daß es kaum ein richtig beleuchtetes Hotelzimmer gibt: die Beleuchtung in der Mitte hängt fast immer zu hoch; die Nachttischlampen sind in einem Blindenheim konstruiert und beleuchten alles mögliche, nur nicht das Stückchen Bett, wo ein Buch liegen kann – kurz: alles ist von ›Fachleuten‹ nach den altbewährten Gesetzen der Schlendrian-Routine angebracht – ausprobiert haben das die Besteller wohl noch nie. Sie begreifen nicht, daß man auch für Material eine zärtliche Liebe haben kann, ohne ein Snob zu sein.
Die Einrichtung der meisten, auch zweitrangigen, Hotels ist auf falschen Prunk gestellt – nur ganz langsam dringt hier die vielbeschriene Sachlichkeit durch. Und weil solcher Tadel zwei Feinde hat, wollen wir uns recht deutlich erklären.
Der eine Feind steht rechts und zuckt die Achseln: das sind die feinen Leute, von denen die Fremdenverkehrswerbung glaubt, es gäbe nur sie. ›Man‹ steigt eben im ersten Hotel ab. Ganz abgesehen davon, daß auch da das Gebotene in keinem rechten Verhältnis zum Preis steht –: es ist überflüssig und uninteressant, dafür zu kämpfen, daß ein Reisender, der mit einem Tagesetat von zweihundert Mark reist, noch besser untergebracht wird, als es bereits der Fall ist. Er kann sich allein helfen. Der andere Feind steht links und macht bei solcher Kritik klassenbewußt darauf aufmerksam, daß es Arbeitslose gibt, die überhaupt nicht wissen, wo sie nachts schlafen können. Es muß einmal gesagt werden, daß diese Frage selbstverständlich für jeden anständigen Menschen als grundlegend zu bewerten ist – daß sie aber nicht ausschließt, daß man sich gelegentlich mit der gerechten Verausgabung des sauer verdienten Gehalts jener beschäftigen darf, die weder unter den Brücken noch im ersten Hotel übernachten. Und diesen Angestellten, Bürobeamten, Telefonistinnen, Wanderern und Reisenden aller Art gehts in des Wortes wahrster Bedeutung ziemlich dreckig, wenn sie durch Deutschland reisen.
Ich kenne nun die französischen und die deutschen Hotels so gut, wie einer sie kennen kann, der sie oft benutzt hat – aber wenn ich doch nur wüßte, woher eigentlich der Aberglaube rührt, daß die Deutschen gar so reinlich und die Franzosen gar so schmierig seien! Einzelbeobachtungen führen zu nichts; man muß aber betrunken durch die Welt reisen, um zu diesem Beobachtungsergebnis zu kommen. Der unbestechliche Baedeker hat zwar jene Probe nicht gemacht, die ihm die Legende nachsagt: er hat nicht eigens das schlechteste Zimmer in einem guten Hotel belegen lassen, um zu sehen, wie der Gast dann behandelt wird – aber seine Tendenz ist es schon immerhin, auch bescheidene Häuser anzuführen, »in denen man bei geringen Preisen ordentliche Unterkunft [356] findet«, wie er mir schreibt. Und in diesen deutschen Häusern gehts gar nicht so sehr sauber, so sehr billig, so sehr zweckentsprechend zu – das sagt nur die Fremdenverkehrswerbung.
Die sollte, anstatt den Mund ungebührlich voll zu nehmen, in Amerika weniger brüllen und lieber auf die liebe Heimat achten. Da gibt es viel für sie zu tun: und besonders in den Hotels, wo man falschen Luxus bietet, anstatt wahrer Bequemlichkeit, Fassade statt praktischer Einrichtung, und wo man dem Reisenden mit Auto ein Paradies vortäuscht und den ›gewöhnlichen‹ Reisenden überteuert und ausnutzt.