Courteline
Lieber Fasanenhauptmann, Sie fragen mich anläßlich der Erwähnung Courtelines, die unser Freund Theobald Tiger neulich getan hat, warum ich denn diesen weisen und tiefen Humoristen nicht übersetzte, ›Les Gaîtés de l'Escadron‹ und ›Le Train de 8 h 47‹ seien doch wohl nicht ins Deutsche übertragen. Ich glaube, daß sie noch nicht übersetzt sind.
[247] Wie sehr ich Georges Courteline schätze, werden Sie an meinem nächsten Buch sehen, das ihm gewidmet ist. Aber warum ich ihn nicht übersetze . . .
Lieber Fasanenhauptmann, man kann ihn zwar übersetzen, aber man kann ihn nicht übertragen.
Nicht etwa, weil ein Soldatenargot darin vorkommt. Desgleichen haben wir auch vom Frieden her und noch mehr vom Krieg, aus dem man bekanntlich ganze Lexika dieser Soldatensprache herausgezogen hat. Das also machte keine Schwierigkeiten. Der spezifisch courtelinesche Humor macht sie.
Dieser Mann ist derart französisch, daß wahrscheinlich bei den meisten Scherzen, bei denen drüben kein Auge trocken bleibt, hierzulande niemand lachte – und das kann man sehr wohl verstehen. Wenn internationale Wirkung ein Zeichen von Größe ist –: so groß ist er dann nicht. Die Soldatengespräche; die Verspottung einer Bürokratie, die eben französisch ist bis ins letzte Staubfäserchen; die Fröhlichkeit dieser Soldaten, die so anders ist als die unsre – exportieren Sie mal eine Berliner Weiße!
Noch mehr bedaure ich das von den ›Messieurs les Ronds-de-cuir‹, eine ganz geniale Sache, die von der Bürosatire ins Visionäre heraufsteigt, eine Fundgrube an echtestem und tiefstem Humor. Courteline, der wie Sie wissen, eigentlich Moinaux heißt, war ja selbst einer von den ›Ronds-de-cuir‹, und er hat sich lange Jahre hindurch von einem Kollegen vertreten lassen und ist nie ins Büro gegangen. Als dieser Kollege ihn dann eines Tages im Café bat, doch nun einmal selber zu kommen, da er auf Urlaub müsse, da brauste Courteline auf, soweit ihm das möglich war, und verweigerte einen Urlaub, der ihm nicht nötig schien . . . .
Aber übersetzen kann man ihn nicht. Ich habe die›Freuden der Eskadron‹ unter einem Lachtränenschleier gelesen, aber wenn ich das auf deutsch sagen sollte, käme ich in die allergrößte Verlegenheit. Da wird es kaum noch komisch sein. Französisch die Unterhaltungen auf Stube; französisch der ›adjudant Flick‹, der eine populäre Figur ist, und zu dem es übrigens ein lebendes Vorbild gegeben hat; französisch die beiden Soldaten im Puff, sehen Sie, das ist schon so eine Sache: das Lebensgefühl drüben reagiert ganz anders auf diese Episode, bei uns tauchen dann dreihundertdreiundvierzig ›Probleme‹ auf . . . die beiden Jungens aber, die total durchgeregnet, übermüdet und halb lahm vor Erschöpfung den Laternenanzünder auf seiner Tour begleitet haben, bis sie, von einer ausgelöschten Laterne zur andern, morgens an den Puff kommen und da alle Mädchen aus den Betten geholt werden . . . und wie das alles, durchaus naturgemäß, im Arrest endet – ich weiß wirklich nicht, wie ich das übertragen soll. Dazu diese Fülle der kleinen Glanzlichterchen; diese Güte; dieser Spott, der aus dem tiefsten Mitleid [248] herrührt – es ist eben der Mann, der sich in sein Privatwappen gemalt hat: »Et après?« Und wenn man es übersetzte, so sagte er uns vielleicht: »Na und?«
Aber er kann nicht deutsch, der alte Herr, dem es heute mit der Gesundheit nicht mehr so geht, wie wir das wünschen . . . Wissen Sie, lieber Fasanenhauptmann: lesen Sie das Ding französisch und lachen Sie deutsch.
Herzlichst Ihr
Peter Panter