Die Geldstrafe

Die deutschen vorläufig unabsetzbaren Richter werden zu hoch bezahlt; die Gehälter für Richter in Deutschland sind zu niedrig. Aber es dürfte nicht unangebracht sein, sich einmal zu überlegen, was diese Richter, die ein durchschnittliches Jahreseinkommen von acht- bis elftausend Mark haben, so für Geldstrafen verhängen.

Tausend Mark – zweitausend Mark – achthundert Mark – und das meist ohne die leiseste Prüfung, was der Verdonnerte eigentlich verdient. Die Herren haben, seit der Inflation, den Maßstab für den Wert der Strafgelder völlig verloren – sie verknacken drauf los, ohne sich auch nur im leisesten zu überlegen, was sie damit anrichten, auf diese Weise die verhängten Geldstrafen den Freiheitsstrafen auf das angenehmste annähernd.

Daß Leute, die ein Monatsgehalt von hundertundfünfundzwanzig Mark haben, zu zweihundert, zu dreihundert Mark Geldstrafe verurteilt werden, ist nichts Seltenes; die amüsante Wahl zwischen Haft und: »Richter – zahlen!« läßt ja den Objekten der Justiz immer noch die Möglichkeit offen, die Geldstrafe durch die Tätigkeit jenes Körperteils zu ersetzen, der der Themis wirklich würdig ist.

Es wäre aber nicht ganz abwegig, wenn die Justizminister sich einmal die Urteile, die über Geldstrafen ergehen, vorlegen ließen und ihre Beamten darauf aufmerksam machten, daß für die überragende Majorität der arbeitenden Massen hundert Mark etwa vierzehn Tage Arbeit bedeuten und daß kleinere Delikte, die nicht in der reinigenden Atmosphäre der Strafanstalten abgebüßt werden, nicht dazu da sind, die Finanzen der Angeklagten völlig durcheinander zu bringen.

[51] Mit der Verhängung von Geldstrafen wird heute ein sträflicher Unfug getrieben, weil sich kaum einer der Richter überlegt, wie ihn selber solche Geldbuße treffen würde. Wofür werden diese Geldstrafen entrichtet? Für die juristische Belehrung, die der Angeklagte empfangen hat? Für die Erlaubnis, mit beamteten Juristen in Berührung getreten zu sein? Für die Strafverfahren? Dann normiere man die Geldstrafen und setze einen Einheitspreis fest: Eine Mark fünfundneunzig, mit Rabatt.

Meinen es die Richter aber mit der Verhängung der Geldstrafe so ernst wie mit ihren Diskussionen über das eigene Gehalt, dann mögen sie sie in sozialer Weise verhängen und nicht so lotteriemäßig und unüberlegt, wie es heute geschieht.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Die Geldstrafe. Die Geldstrafe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-64A4-C