Die Karikatur Preußens

Frau Margarete Ludendorff hat ihre Memoiren geschrieben, obgleich sie doch keinen Krieg verloren hat, und es ist etwas peinlich, dies Buch zu besprechen. (›Als ich Ludendorffs Frau war‹, erschienen im Drei-Masken-Verlag, München.)

Peinlich deshalb, weil es schrecklich ist, einen Krebskranken die Symptome seiner Krankheit erzählen zu hören, die er für Gott weiß was hält – nur nicht für tödlich. Es ist bitter, was hier zu lesen steht.

Historisch Neues ist wenig zu finden – das Meiste ist bekannt. Wichtig an diesem Buch ist ganz etwas andres als das geschichtliche Material: wichtig ist die Ahnungslosigkeit dieser Frau, die eine typische Vertreterin ihrer Kaste ist, als Erscheinung nicht einmal unsympathisch – aber das waren sie? Das hat Deutschland beherrscht? Und beherrscht es zum Teil heute noch? Und davor kuschen die demokratischen Bürger? Du lieber Gott.

Kindlich ihre Beurteilung des Auslands, wo die Soldaten nicht so ›stramm‹ sind wie ihre, die nachher voller Strammheit den Krieg verloren; blind solche Berichte aus dem Kadettenkorps: »Welche Würde, welche Machtbefugnisse in dem Wort Stubenältester liegt, kann man nur verstehen, wenn man das frühere Kadettenleben kennt . . . Mein Junge war sehr klein und hatte lange Buben unter sich. Er erzählte schmunzelnd: Ein paar sind darunter, da muß ich mich auf einen Tritt stellen, wenn ich ihnen Ohrfeigen geben will.« Diese Ohrfeigen sind nachher beim Kommiß fürchterlich weitergegeben worden[153] – aber was weiß diese Mutter davon! Nichts. Man lese in den Erinnerungen Leopold von Wieses nach, was das preußische Kadettenkorps für eine Schweinerei gewesen ist. Ja, der Stubenälteste hatte die Buben wohl auch unter sich . . .

Manchmal rutscht eine unangenehme historische Wahrheit durch. »Selbst ein Mann wie Rathenau hatte in einem Brief an Ober-Ost ungeheure Annexionen, Belgien, Polen, Kurland, einen Streifen von Rußland gefordert . . . « Nun, das wird dem Absatz seiner Bücher kaum etwas schaden; wissen Sie, es ist so das rein Geistige, das mich an diesem Mann . . . . Und noch ein schönes, historisches Wort Ludendorffs, das man gerahmt über die Betten hängen sollte: »Die größte Dummheit der Revolutionäre war es, daß sie uns alle leben ließen. Na, komme ich einmal wieder zur Macht, da gibts kein Pardon. Mit ruhigem Gewissen würde ich Ebert, Scheidemann und Genossen aufknüpfen lassen und baumeln sehen!« Was ebenso für den politischen Instinkt des Generals wie für die feine Objektivität jener Wilden spricht, die denn doch bessere Menschen gewesen sind.

Diese Frau ist ahnungslos durch ihre Welt gegangen – und so ist sie geblieben. Wenn man liest, was für sie den Gipfel der Leiden bedeutet (eine beschwerliche Fahrt von Schweden herunter nach Berlin); wie völlig von Gott geschlagen sie alles nachplappert, was ihr Herr Hussong vorplappert: »Die Spartakisten hatten die Einrichtung getroffen, Frauen und Kinder in die vorderste Linie zu stellen, damit die Soldaten sich scheuen sollten, zu schießen«; wie sie so ein Idyll erzählt, in dem der treue Bursche (der später neben Ludendorff auf dem münchner Pflaster gefallen ist) in der Inflationszeit ein Schwein mästet und vor dem Stall gegen die Diebe eine Handgranate anbringt . . . wie sie das erzählt, aber gar nichts dabei fühlt, nicht das Grausige der Allegorie, nichts; wie sie auf der Reise zu dem geflohenen Lindström an der schwedischen Grenze selbstverständlich vom Zoll kontrolliert wird . . . »Ich war enttäuscht: war das die schwedische Gastfreundlichkeit . . . ?« – hier wirds symptomatisch.

Es ist jene Kaste, für die das alles nicht gilt. Sie haben keine Wohnungsschwierigkeiten zu haben wie alle Welt – wenn sie sie haben, gibts ein erschröckliches Geschrei. Sie brauchen nicht zu hungern. Nicht zu frieren. Nicht ruhmlos zu sterben – denn es ist ein Unterschied, ob die Söhne Ludendorffs im Leutnantsrang die Erfüllung ihrer Lebenssehnsucht und ihres Berufs sehen oder ob ein Gemüsehändler eingezogen wird, dem sie nachher zwei gekreuzte Latten aufs Grab gesteckt haben . . . es ist ein Unterschied. Für die da gibts das alles nicht. Unverzeihlicher, nie wieder gutzumachender Fehler jener ›Revolution‹, jene nicht ein für alle Mal erledigt zu haben.

Die Liebesbriefe Ludendorffs soll man nicht kommentieren – hier ist auch der politische Gegner tabu.

[154] Aber etwas andres darf man kommentieren. Das ist die Stelle, wo Frau Ludendorff vom alten Hindenburg erzählt, wie der jeden Schlachtplan – o schönes Wort! – mit den Worten: »Na, denn mit Gott!« unterzeichnet habe – wohl die schrecklichste Blasphemie, die ich seit langem gehört habe. Daß er es nicht so gemeint hat, ist gleichgültig; es bleibt eine. Wie ja denn überhaupt die mutigen Angriffe auf den zerstörten Ludendorff langsam beginnen, eine Feigheit zu werden – da ist ja nichts mehr. Aber ist denn Hindenburg ein Gran besser gewesen? Mitnichten. Beider Anschauungen, Welt, Herkommen, Dienstauffassung und Menschenunkenntnis sind die gleichen. Man kann nicht den einen ehren und den andern verdammen. Immerhin sind der Herr Präsident noch heute Ehrenmitglied des Stahlhelm . . .

Ein peinliches Buch. Ein beschämendes Buch. Die Karikatur Preußens.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Die Karikatur Preußens. Die Karikatur Preußens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-64C9-9