Roda Roda

Was ist Humor? Nach Brockhaus: »Humor (lat.) ursprünglich die nach der Ansicht der alten Ärzte das geistige und leibliche Wohlsein bedingende Feuchtigkeit im menschlichen Körper; daher s. v. w. gute Stimmung, heitere Laune, seit dem achtzehnten Jahrh. Bezeichnung der höchsten mit Wehmut verbundenen Form der Komik.« Und wer hat ihn? Das steht nicht dabei.

»Am dreizehnten April 1872, frühmorgens, schlug der Blitz in den Schafeingang der Puszta Zdenci ein, und das Feuer griff aufs Herrenhaus über. Darob erschrak meine Mutter und gebar mich.« Ihn: Roda Roda. Und weil er also heute, wenn er inzwischen nicht pausiert hat, fünfzig Jahre alt ist, wollen wir ihm ein bißchen gratulieren.

Er hat der deutschen Anekdote Gestalt und Gehalt gegeben. Das stellt der Geburtstagsmann mit Recht selbst von sich fest – in einem hübschen Vorwort zu den ›Sieben Leidenschaften‹ (im Rikola-Verlag zu Wien). Man kann sagen: er hat den deutschen Witz durch prägnante Formung überhaupt erst literaturfähig gemacht. »Handwerksbursche (vor einer Hütte dieselbe musternd)« – so fingen ehemals die Bildunterschriften in jenen ›Fliegenden Blättern‹ an, die generationenlang alle Wartenden beim Zahnarzt mit Recht in die trübste Stimmung versetzten. Roda Roda hat mit der seltensten Sprachkraft den Ausdruck, die Pointe, das Wort für eine Situation, für Personen und Zustände gefunden und geformt. Sein Reichtum ist erstaunlich. Dieser Mann spricht alle Sprachen des Kontinents: deutsch, bürokratisch, bayerisch, weanerisch, jiddisch, preußisch, durch die Nase, kokottisch . . . und jedes Mal so unheimlich echt. Rudolf Rittner hat einmal in der Unterhaltung gesagt: Dem »Wilhelm Busch haben sie das ›stehlende Auge‹ nachgerühmt. Roda Roda hat das stehlende Ohr.«

Daß er Witz hat, wird sich allmählich herumgesprochen haben. Wenn man die ›Fünfhundert Schwänke‹ durchblättert, sieht man, daß so ziemlich alle geflügelten Worte des alten ›Simplicissimus‹ von ihm stammen (wer kennt nicht den Offizier, der im morgendlichen Biwak sich gähnend reckt: »Uah! da ist ja auch der Morgenstern – das Schwein!«). Die Worte sitzen, Plik folgt auf Replik – und welche charmanten Bösartigkeiten dieses landfremde Element [170] auf Potsdam und Gomorrha regnen ließ, das ist mehr als munter.

Aber daß er Humor hat (siehe Brockhaus), das wissen nur die, die jene entzückenden Bändchen kennen: ›Der Schnaps, der Rauchtabak und die verfluchte Liebe‹ und ›Von Bienen, Drohnen und Baronen‹ – darin stehen meisterhafte Dinge. Die kleine Geschichte ›Deutsche im Wald – 1866‹ ist ein Wurf . . . Aber wenn ich ins Zitieren käme, würde diese Glosse so lang wie eine Ausfuhrbewilligung. Und nimmt man noch hinzu, daß Roda südslawische Literatur übersetzt hat und jene Volksstämme uns nahegebracht hat – Paul Wiegler sollte ihn in seine ausgezeichnete ›Geschichte der Weltliteratur‹ aufnehmen! –, dann muß man schon sagen: Wir wollen ihm die Lichter anzünden.

Im Laufe eines Lebens sammelt sich Spreu an, wenn Holz gehackt wird. In den Neuausgaben seiner Bücher ist sie wie weggeblasen. Und die Gewißheit, daß es fast für jede Lage des menschlichen Lebens einen frommen Kernspruch des Meisters gibt, über den man erst lachen, dann schmunzeln und dann nachdenken muß, drückt uns jenes Kleidungsstück in die Hand, von dem der Gefeierte einmal gesagt hat, er habe es und setze es nur auf, wenn er einen deutschen Satiriker besuche, und es sei noch so gut wie neu: den Zylinder.

Wir stellen ihn auf den Boden und rufen in froher Dankbarkeit, daß die Wand wackelt:

»Wir gratulieren –!«


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1922. Roda Roda. Roda Roda. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-656D-2