Die Flöhhatz

Im Jahre 1573 erschien zu Straßburg: ›Ein New geläs auff das oberkurtzweiligest zu belachen, wa anders die Flöh mit stechen einem die kurtzweil nicht lang machen‹ von Johannes Fischart. Und in unsern Tagen fing sich ein Namensvetter des alten Fischart den ganzen Flohzirkus der deutschen Politik, die muntern Tierchen hüpften auf sein Geheiß über die›Weltbühne‹, und nun liegen diese Charakteristiken gesammelt vor: ›Das alte und das neue System. Die politischen Köpfe Deutschlands‹. (Im Verlage von Österheld & Co. zu Berlin.)

Ich weiß in Deutschland nichts dieser Sammlung Gleichgeartetes. Die Unart, über einen Mann entweder eine große Monographie oder ein kurzatmiges Feuilleton zu schreiben, ist hier erfreulich vermieden. Material und Darstellungskunst gehen ineinander auf und sind so verschmolzen, daß eines ohne die andre nicht denkbar ist. Und das Material ist reichlich, und die Darstellung ist bunt.

Der Reigen schlingt sich vom Freiherrn von Zedlitz bis zu Karl Liebknecht, und da fehlt keiner, der im fünften Akt der alten und im ersten der neuen Zeit eine Rolle gespielt hat. Da sind sie alle, alle: der genius loci Ebert und der fröhliche Erzberger, und, lögenhaft to vertellen, Tirpitz, und Paasche, der Agentenkönig, und Payer, der strenge Demokratenlehrer, und so weiter und so weiter. Ich habe die Arbeiten, wie sie im Buche zu lesen sind, mit ihrer Fassung in der ›Weltbühne‹ verglichen: sie sind außerordentlich sorgfältig überarbeitet, das Tagesgeglitzer ist verschwunden, und an seiner Stelle strahlt ein ruhiges, kräftiges Licht.

Den Lesern der ›Weltbühne‹ ist bekannt, wie Fischart seine Sache zu machen pflegt: in einem zierlichen Rahmen lacht oder grämelt uns das Bild des Helden an; und nicht nur die Data aus der polizeilichen Anmeldung sind alle hübsch beieinander, sondern es ist auch immer gezeigt, wie der Mann und sein Werk in der Zeit wirkten und mit der [91] Zeit zusammenhingen, wie er so geartet sein mußte und nicht anders: wir lernen seine leiblichen und seine seelischen Eltern kennen, und das ist viel wert.

Nicht, als ob ich mit allem einverstanden wäre, nicht, als ob das jeder mit jedem Charakterbild sein kann. Was mich betrifft, so finde ich die Unabhängigen, Eisner, Liebknecht, Luxemburg, nicht allzu ähnlich; der Herr Fotograf hat retuschiert, aber nicht sehr glücklich. Andres dagegen ist wieder prachtvoll: der Film Ludendorff ist das Witzigste, was über den Mann geschrieben wurde; ausgezeichnet das Kabinettbild Erzbergers; Tirpitz ist (wie immer) täuschend getroffen; und ich lache noch in dankbarer Erinnerung an die entzückende Tagebuchstelle über den dahingegangenen Michaelis: »Als er seiner Frau telefonisch von seiner Ernennung Mitteilung machte, erzählte mir heute einer aus der Reichskanzlei, habe die ganz erschreckt bloß gesagt: ›Ach, du bist ja verrückt!‹« Und Fischart fügt vorsichtig hinzu: »Ob er ein salbungsvolles Amen dazu gesprochen hat, weiß ich nicht.«

Der Flohzirkus ist komplett. Wenn einer einmal in spätern Jahren das seltsame Gelüst verspüren sollte, sich mit dieser großen Zeit und ihren kleinen Menschlein zu befassen, so wird er nach diesem amüsanten und gut fundierten Buch greifen müssen. Uns Mitlebende und Mitleidende aber wird es noch lange belehrend unterhalten – denn die große Geschichte, die einmal über uns geschrieben wird, werden wir vermutlich kaum mehr erleben, und sie wird ja schließlich auch nicht mehr und nicht weniger Unrichtigkeiten bringen als die Geschichtsbücher gemeinhin. So halten wir uns denn an den Historiker des Tages, der nicht weit sieht, aber scharf. Und nur einen wirklichen Fehler weist das Buch auf (für den aber der Verfasser nichts kann), und das ist der Untertitel. Die ›politischen Köpfe Deutschlands‹. Köpfe? Köpfe? Ich zähl die Häupter meiner Lieben – wo ist nur ihr Gehirn geblieben? Nein, Köpfe waren das, mit wenigen Ausnahmen, wohl kaum.

Flöhe waren es. Wie sie kribbeln und krabbeln! Wie sie alle brav und artig an dem einen Strang ziehen, an dem kleinen Wägelchen, das sie in den Reichtum, in den Ruhm, in das gelobte Land ziehen soll. Fischart hat die Tierchen wohl erfaßt. »Ehe nun die Vorstellung beginnt, lockt er seinen Hund, langt aus dem haarigen Urwalde einige stattliche Wildfänge hervor, ›dressiert‹ ihnen mit einer kleinen Schere die Achterbeene, tupft ihnen etwas Gummi auf den Rücken – das Stück beginnt – und was sonst gehupft, krabbelt nun.« Aber es ist gehupft wie gekrabbelt. Wie hieß der Untertitel? Die politischen Kopfe Deutschlands? Das Volk kratzte sich, weil es gar zu sehr juckte, die Insekten sprangen, und es gab: eine Flöhhatz. Und ein hübsches, gutes Buch.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1919. Die Flöhhatz. Die Flöhhatz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-65D1-B