Kino privat

Für Emil Jannings


In vielen Prokuristen steckt ein Perser-Schah,
der ruht, verzaubert. Aber manchmal, im Büro,
wenn schläfrig nebenan die Schreibmaschinen schnattern,
so kurz nach Tisch . . . schlägt er im Traum die Augen auf
und atmet.
Dreimal klatscht er leise
in die Hände. Ibrahim erscheint
und kreuzt die Arme, neigt sich, schweigt.
»Die Mädchen!« sagt der Prok . . . der Schah.
Und sieben Mädchen trippeln
um ihn herum, jung, schlank, mit Öl gesalbt,
und eine ist dabei, feist wie ein praller Sack.
Der Schah versinkt in Weiberfleisch, in Brüste, die ihn streicheln,
er weiß nichts mehr, sieht rot, ist sieben Male Mann . . .
Wach auf, Gehirn! Das Hirn erwacht,
und aller Unflat, den er je gelesen
und je erträumt, bricht aus dem Prokuristen-Schah.
Er schaut, er schmatzt, er schmeckt, er wittert . . .
»Fatme! Suleima! Ah, du bist . . . «
Entzwei
reißt ihn ein Klingellaut, der hart verzittert.
Schah ab. Der Prokurist:
»Hier Lützow siebenundsiebenzignulldrei!
Am Apparat. Der Skonto? Wie gewöhnlich!
Na, unser Doktor Freutel hat persönlich . . .«
In vielen Angestellten wohnt ein Dschingis Khan,
der schläft, verzaubert.
Aber manchmal, wenn
der launenhafte Chef den Angestellten piesackt,
bis dem die Galle hochsteigt, bis er kocht
und bis er platzt –: dann steht der Kriegsmongole
wild in ihm auf. Er stürzt sich auf den Chef,
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pfeift seinen Leuten, und die packen
den Herrn Direktor, binden ihn mit Lassos
und werfen ihn auf ihre Pferde,
nein: er wird am Sattel festgebunden
und muß nun laufen. Laufe! Willst du laufen!
Du Hund! Die Peitsche saust. Es stöhnt der Chef!
Dann wirbeln ihn die Reiter auf die Erde
und schneiden ihm . . . nein: nadeln ihn . . .
nein: braten ihn in Kohlenfeuer
und streuen Salz und Pfeffer in die Wunden.
Und Mostrich.
Und der Dschingis Khan
streicht seinen Seidenbart und lächelt: »Na, Herr Zaschke . . .?«
Und während der Gefangene sich am Boden ringelt,
ergreift der Dschingis Khan den vollen Silberhumpen,
tut einen tiefen Schluck . . .
»Der Alte hat geklingelt!«
»Sie! Könn Sie mir nicht Ihre Zinstabelle pumpen?«
– »Gewiß, Herr Direktor!
Jawohl, Herr Direktor Zaschke!
Bis morgen früh, Herr Direktor!
Seppfaständlich, Herr Direktor –!«
So laufen manche Filme tief in Finsternissen.
Kino privat. Der Regisseur siegt immer über das Geschick.
Du lächelst, Lottchen. Und ich möchte gerne wissen:
Was denkst du dir in diesem Augenblick?
Du machst dir viele Filme aus den Dingen.
Das tun sie alle. Laß sie ruhig drehn.
Denn sagts der andre nicht wie Götz von Berlichingen –:
das, was er denkt, kann man zum Glück nicht sehn.

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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Kino privat. Kino privat. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6643-5