Casanova im Safe
Der Verleger Brockhaus in Leipzig besitzt ein Casanova-Manuskript, das noch niemals veröffentlicht worden ist, und das er auch nicht veröffentlichen will. Ich habe ihn gefragt, warum er es nicht tun wolle – er hat sehr höflich geantwortet, daß er auch darüber nichts sagen möchte.
Juristisch ist alles völlig in Ordnung. Wie das Manuskript seinerzeit erworben worden ist, weiß ich nicht – jedenfalls ist Herr Brockhaus im Besitz der Urheberrechte, und niemand kann ihn zwingen, das Buch herauszugeben oder zu veröffentlichen. Ein Werk wird ja bekanntlich erst ›frei‹, wenn es einmal veröffentlicht worden ist. Der sicherlich interessante Band liegt nun also in einem Safe, und da wird er wohl noch eine ganze Weile liegen bleiben.
Die Gründe, die den Verleger bewegen, damit nicht herauszukommen, sind nicht recht ersichtlich. Wenn er etwa glaubt, daß das Werk für seinen Verlag zu frivol sei, dann braucht er es ja nur zu verkaufen. Die Interessen Lebender können kaum noch geschädigt werden; Enthüllungen irgendwelcher Art sind nicht zu erwarten; politische Unannehmlichkeiten ebensowenig – also was ist es?
Es scheint mir die Überspannung der Idee des Privateigentums zu sein, die ja überhaupt im Urheberrecht recht verhängnisvolle Niederschläge gefunden hat. (So haben Erben oft gradezu katastrophale Rechte an geistigem Eigentum.)
Was mir aber vor allem dubios erscheint, das ist die geistige Aktiv-Legitimation des Verlegers. Wie hat er das Manuskript erworben? Hat er es gekauft? Verleiht solch ein Kauf moralische Rechte? Hat Casanova ihn oder seinen Vorgänger zum Vollstrecker seines letzten Willens eingesetzt? Ist Brockhaus berufen, diese literarische Erbschaft zu verwalten? Ist es überhaupt eine?
Armer Casanova.