Der Papagei-Papagei
Dieses unwahrscheinliche Tier gibt es wirklich, ich habe es selbst mit eigenen Ohren gesehn, und es ist die merkwürdigste Spielart Vogel, die man sich vorstellen kann. Er wohnt zwischen Ischl und Salzburg und heißt natürlich Lora.
Er verdient sich sein Brot als schlichter Papagei, bei wohlsituierten Leuten.
Zunächst frißt dieses Unding mit einem Löffel. Die Köchin, die ihn vergöttert, gibt ihm morgens eine Tasse an den Käfig; er sitzt auf dem Käfig und schielt hinunter. Dann kommt er. Dann gibt sie ihm einen Löffel, mit dem panscht er in dem Kaffee umher, und er frißt seine Brocken und seinen Kaffee aus dem Löffel, mit dem er sehr vorsichtig hantiert. Ab und zu schielt er über seinen Schnabel hinweg, ob ihm vielleicht jemand den Löffel wegnehmen will. Das will aber keiner, denn Papagei Lora beißt. Und zwar jeden und alles, nur nicht in die Mamsell, aber vielleicht doch, und sie ist es wohl schon gewöhnt, und da macht es weiter nichts. Sprechen . . . ? Ja, er spricht.
Ich muß erst erzählen, wer Gussy ist.
Gussy ist eine Frau, die ihrerseits alles und alle so nachmachen kann, daß man den Beteiligten nur wünschen kann, sie hörten es nicht – so schrecklich genau ist es und so ironisch und überhaupt. Und sie kann nicht nur die Schauspieler nachmachen und die Leute aus dem nächsten Obstgeschäft –, sie kann auch Grammophone nachmachen und natürlich auch Papageien. Gut und schön.
Jetzt hat sie aber der Lora alles mögliche vorgesprochen, das gesamte Papageien-Repertoire, aber nun kommt das Unheimliche –:
Sie hat es ihr nicht in Menschensprache vorgesprochen, sondern in der Papageien-Sprache. Die beherrscht sie zur Vollendung: sie spricht fließend papageiisch, mit einem leichten Anklang ins Frankfurterische.
Was braucht so ein Vogel, damit er durchkommt? – Er muß »Lora« rufen können, damit man weiß, wer er ist: er muß »Mamsehell« rufen, damit ihm die Köchin Kaffee bringt; er muß ein bißchen bellen können, [254] grade so viel, wie man zu oberflächlichem Verkehr mit Hunden braucht; er muß nach Stefan brüllen und Ja-ja und Nein-nein, und dergleichen. Und das hat nun die Gussy diesem Vogel auf papageiisch beigebracht, und jetzt ist der Vogel irrsinnig, aber er weiß es nicht. Er spricht wie ein Papagei, der wie ein Papagei spricht.
Kommst du an das Haus, dann sitzt das Luder da oben auf dem Fenstersims und sagt, in einer gradezu niederträchtig parodistischen Tonart: »Mamsähäll!« – aber das nun so breit, so auseinandergezogen, so kreischend, daß man versucht ist, hinaufzurufen: »Herr, Sie übertreiben!« Aber man kann ja wohl nicht zu Lora Herr sagen. Und er sitzt da und brüllt und gluckst und pfeift, und manchmal sagt er auch, in der schlimmsten Schmieren-Tonart der Welt: »Achgottachgottachgottachgott . . . !« und dann fängt er an zu weinen, und wenn sein Gefieder so falsch wäre wie dieses Geheul, dann färbte er ab.
Ich habe ihm gesagt: »Mensch. Sei doch vernünftig. So spricht ja kein Papagei –, das ist ja alles dummes Zeug!« –, aber er hört nicht. Er meint, so spricht der Papagei. Und so lebt denn dieser seltsame Zaubervogel dahin, indem er ständig seine eigene Rasse nachmacht, kopiert, parodiert, sich selber überbietet, ein außer Rand und Band geratener Überpapagei. Sein Besitzer Emil gibt ihn für alles Geld der Welt nicht her. Er hat ihn für diesen Sommer neu streichen lassen, und jetzt fehlt nur noch, daß sich ein Varieté-Komiker an dem Vogel belernt, wie der Papagei spricht.
Gussy behauptet, er verstände, was er sagt, und jeder feinere Papageienfreund wird mir bestätigen, daß sie recht hat. Wenn aber dieser versteht, was er manchmal sagt, das Ferkel, dann wäre er rot und nicht grün. Es ist ein herziger Vogel; die Unermüdlichkeit, mit der er seine Sachen aufsagt, berechtigen ihn zu den schönsten Hoffnungen, und wir werden ihm sicher eines Tages noch in der Politik begegnen.