. . . das Geld aus dem Fenster!
In Cannes wohnt Herr Chanel aus den USA, und am 6. April dieses Jahres hat er zum großen Entzücken der ortseingesessenen und zugewanderten Bevölkerung eine Handvoll Tausendfranc-Scheine aus seinem Hotelfenster auf die Straße geworfen. Wie uns unser Spezialkorrespondent Theobald Tiger aus Cannes meldet, liegen die Scheine zur Zeit nicht mehr auf der Straße.
Oh, Herr Chanel ist nicht verrückt. Zunächst hat er das nicht zum erstenmal gemacht: schon einmal hat er die Cannesen mit den flatternden blaßblau-rosa Schmetterlingen erfreut. Herr Chanel ist nicht verdreht – er ist nur zu reich. Er muß sehr reich sein; denn der gewöhnliche Haus-Reiche (Homo pecuniosus communis) trägt als Panzer und Aura einen leichten Wams von Geiz; fahre nie mit einem reichen Mann nach Hause, der kein Auto hat – immer wirst du das Auto bezahlen . . . Herr Chanel muß so reich sein, daß es schon nicht mehr schön ist: denn als er nach Europa herüberfuhr, da verfertigte er auf dem Schiff eine lange Drachenschnur, mit hundert Tausendfranc-Scheinen daran – pro Zettel immerhin 160 Mark – und so ließ er die Schnur im Wasser hinter dem Schiff hergleiten. Dann zog er sie heraus, die Scheine waren alle noch da. »Three cheers auf die Fische –!« rief der Herr Chanel. »Die Fische machen sich wenigstens nichts aus Geld – also sind sie besser als die Menschen!« Ich halte diesen Schluß für leicht anfechtbar; vielleicht nehmen die Fische nur Dollars oder gedeckte Schecks oder nur Naturalien von der Firma Jonas u. Cie., man weiß das nicht genau. Das tollste Stück aber hat Herr Chanel in New York vollbracht.
Dortselbst zog er nach einer Wette mit einem Korb in den Straßen herum, der war bis obenhin mit Dollarscheinen gefüllt, ungefähr eine Million! Und davon bot er allen Vorübergehenden an.
»Bitte, nehmen Sie doch – aber bedienen Sie sich, meine Damen und Herren! Wer hat noch nicht seinen Dollar? Schöne, frische Dollars – hier ganz umsonst –!« Und da geschah das Wunder.
Es nahm keiner. Die Amerikaner, die zwar sonntags fleißig aus ihren Gesangbüchern singen, hatten so etwas von Nächstenliebe noch nie gesehen, dieses Erlebnis lag völlig außerhalb ihrer Vorstellungssphäre, und Herr Chanel zog mit seinem Dollarkorb unangefochten durch die brausenden Straßen New Yorks. Nur ein schlichter Arbeiter erbarmte sich seiner und langte etwas zögernd in die raschelnde Masse . . . Vier Zehn-Dollar-Scheine fischte der Mann, nur vier, mehr nicht, und damit ging er schnell ab, sie sicherlich sorgsam befühlend, ob sie auch echt seien, zweifelnd und sich oft umsehend, ob er nun auch nicht von dem Narren da etwa verfolgt würde . . . Aber der rief weiterhin seine Ware aus, die keiner wollte. Hier war das Glück – da waren die Leute –: sie glaubten es nicht.
[102] Herr Chanel wird wahrscheinlich eines Tages von seinen besorgten Verwandten in ein Haus getan werden, in dem er den Kaiser der Sahara und den Erfinder der Fliegenfalle beim traulichen Poker antreffen wird . . . Bis dahin aber möge er nicht fortfahren, an der göttlichen Weltordnung zu rütteln. Denn es ist etwas Ärgerliches um einen, der da sein Geld zum Fenster hinauswirft.
Ich bin zwar nicht in Cannes dabei gewesen, aber ich kann mir – über den grapschenden Händen der Zugreifenden – die ärgerlich-belustigten Gesichter der Leute schon denken. Geld aus dem Fenster zu werfen –! Gutes, richtiges Geld aus dem Fenster –!
Das haben unsere Mamas zu uns gesagt, wenn wir uns für fünfzehn Pfennig Makronen gekauft hatten (nannten Sie das auch ›knacken‹? wir nannten das ›knacken‹) – und es war wohl mehr eine schöne Redensart, denn wer sollte Geld aus dem Fenster werfen! Nein, es war nur eine façon de parler – meine Verwandtschaft hat mir zum Beispiel immer geweissagt, ich werde noch einmal eine Kellnerin heiraten, was in meiner Jugend so ziemlich das Äußerste darstellte, das sich ein braver Mann vorstellen konnte . . . Geld aus dem Fenster –!
Herr Chanel hat einer Redensart zur Wirklichkeit verholfen. Er hat uns endlich einmal gezeigt, wie so etwas tut, aber es tut nicht gut. Es ist Revolution gegen den Kosmos; wir werden das leise Gefühl einer Art Furcht nicht los – wohin soll das führen, wenn jetzt plötzlich aus den Fenstern der Babelsberger Straße und des Boulevard Malesherbes Schecks, Dollars, Francs, Hundertmarkscheine und das schönste Geld der Welt: die englischen schwarz-weißen Pfundnoten, auf uns heruntergeflattert kommen!
Dann stimmt auf einmal alles nicht mehr. Ja, gewiß: man kann sich vielerlei dafür kaufen . . . Ich nichts wie hin, und los gehts: ein Ultraphon und eine englische Pfeife und gespitzte Bleistifte und etwas Liebe und die gesammelten Werke des Philosophen Keyserling (die werfe ich dann wieder aus dem Fenster) – und für Lottchen ein Auto, ein sechspferdiges, aber mit Scheinwerfern, so groß wie Eierkuchen . . . man kann sich vieles dafür kaufen, das ist wahr.
Aber es ist nicht das richtige. Es bleibt ein unbehagliches Gefühl an den Schulterblättern, seelisches Juckpulver kriecht durchs Gemüt, hier stimmt etwas nicht. Es ist doch nicht recht . . . »Na, mir wäre das gleich – ich nehme, was ich kriege!« Das sagen Sie so – wenn Sie es nachher haben, dann werden Sie sehen: hier ist etwas nicht in Butter.
Herr Chanel aus New York hat an der göttlichen Weltordnung gerüttelt. Denn das Geld soll man nicht zum Fenster hinauswerfen, sondern es soll da bleiben, wo es nun einmal von Gottes und Rechts wegen hingehört: da, wo es schon ist, in den Steuerkassen und bei denen, die es verdienen, ohne es zu verdienen.
[103] Und jedesmal, wenn ich jetzt durch die Straßen von Cannes gehe, werde ich sehnsüchtig an den Häuserfronten emporsehen, mit einem langen Blick – zur Erinnerung an den Herrn Chanel.