Das Gesetz

Mann und Frau und Frau und Mann –
nach dem Happy End fängt ihr Leben erst an . . .
Wohnungsnot und Herzensnot
machen manche Ehe tot.
Warum
läßt man sich denn nicht scheiden?
's fehlt an Geld – und der Schmutz und der Schmutz . . .
Und so zerrinnt das Leben beiden –
so wie sie, sind hunderttausend ohne Schutz . . .
Und unterdes –
da sitzen sie im Reichstagshaus
und knobeln sich neue Gesetze aus;
ein gutes für Scheidung ist nicht dabei –
Hört ihr den Schrei? Hört ihr den Schrei?
Hört ihr den Schrei?
Paragraph 5, Ziffer 4, Absatz 3.
»Hör mal, Willy – jetzt ists aus!
Noch ein fünftes Kind hat keinen Platz im Haus!«
»Heul nicht, Liese, das hat keinen Sinn . . .
hier hast du ne Adresse – geh mal hin!«
Die Olsch, die macht das im Tarife –
aber schlecht – und die Frau geht ein.
Dann setzt es anonyme Briefe,
und vier Kinder sind nun ganz allein . . .
Und unterdes –
da sitzen sie im Reichstagshaus
und knobeln sich neue Gesetze aus –
[199]
Für manche ist die Frau eine Milchmeierei –
Hört ihr den Schrei? Hört ihr den Schrei?
Hört ihr den Schrei?
Paragraph 5, Ziffer 4, Absatz 3.
Kleiner Dieb, der wird gehängt –
großer Verbrecher kriegt noch was geschenkt.
Wer da ausbrennt Kriegessaat –
das nennt der Richter Landesverrat.
Zehntausend warten ungeduldig
in den Zellen, geduckt wie ein Tier . . .
Die sind vorm Paragraphen schuldig
– aber Menschen, Menschen wie wir! –
Wach auf, wach auf, Barmherzigkeit!
Ein neuer Ton – eine neue Zeit!
Recht und Recht sind immer zweierlei . . .
Hört ihr den Schrei? Hört ihr den Schrei?
Hört ihr den Schrei?
Macht euch frei!
Macht euch frei!
Macht euch frei!

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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Das Gesetz. Das Gesetz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-69D5-5