Gerüste! Gerüste!

Wenn eine Gegend so trostlos und verlassen ist, daß es selbst die Gemeindeverwaltung aufgegeben hat, dem Bürgermeister zuzusetzen: er solle doch nun endlich Handel und Wandel eintreten lassen; wenn niemand handelt und niemand wandelt und wenn nichts vorwärtsgeht: – dann sollte man mich engagieren. Nicht, daß ich etwas zu tun gedächte. Das wäre gegen die Familientraditionen. Mein Vater war Geheimrat bei der bayerischen Gesandtschaft in Pasewalk – wir Panters arbeiten nicht. Aber engagieren sollte man mich doch: denn wo ich hinkomme:

da wird gebaut.

Unter den vier Geräuschen, die meine häufigen Eingaben an den lieben Gott, den Menschen Ohrenlider anzuschaffen, hervorgerufen haben, ist eins, das mich verfolgt, wohin ich auch komme: da ist das Geräusch von Hämmern auf Holz oder Stein. Die Hämmer treffen mein Gehirn, dahinein wird gehämmert, und dann soll unsereiner noch imstande sein, die deutsche Politik zu verstehen . . . Klopfklopfklopf . . . macht es. Überall.

In Berlin wundert das keinen. Denn soweit das berliner Auge reicht, stößt es immer auf mindestens drei Gerüste. Man freut sich ja bei diesen schlechten Zeiten schon, wenn sich überhaupt etwas regt, und ferne sei es von mir, ernsthaft gegen die Gerüste etwas zu sagen. So kommt wenigstens Geld unter die Leute. Aber die Sucht der Unternehmer, alles – o göttlicher Pleonasmus! – ›neu zu renovieren‹, und die Sucht der Kunden, um Himmels willen nicht in ein Lokal zu gehen, das seit zwei Jahren brav und bieder und sauber dasteht, haben diese Gerüste ins Dasein gerufen – es ist ein Kaleidoskop: neue Sternchen kommen nicht hinzu, aber die alten präsentieren sich in schöner Abwechslung.

Und wenn Gerüste gebaut werden, dann wird geklopft. Diese berliner Gerüste haben mir in den Jahren 1920 – 1924 zerstört:

[232] ›Die Liebe im Heuhaufen‹, ein Pubertätsdrama;

›O Mensch!‹, ein brüderlicher Schrei in 3 Akten;

Cäsar, Wallenstein, der Hauptmann von Köpenick: drei Soldaten (Biografie).

Kann einer arbeiten, wenn es immer am Hause klopft? Er kann es nicht. Da floh ich nach Paris.

In Paris kann man keine Wohnungen mieten – man muß sie heiraten. Es mag ja vorkommen, daß ein Fremder, frisch von der Gare du Nord, die jüngste Tochter des Duc de Grammont zur Frau bekommt – aber es ist noch nie vorgekommen, daß ein Fremder, der nicht über ein kaiserlich-republikanisches Vermögen verfügt, so mir nichts dir nichts in Paris eine Wohnung bekommen hat. (Vergleiche hierzu mein Handbuch ›Auf der Wohnungsjagd durch Paris; Abenteuer im Asphaltdschungel‹.) Also ging ich in die ›banlieue‹, welches Wort die Leute gern mit ›Bannmeile‹ übersetzen, was aber ›Vororte‹ heißt.

Die Bautätigkeit der pariser Vororte hat sich sofort entsprechend gehoben. Kaum war ich da, so wurde gebaut und gekarrt, gezimmert und geklopft, daß es eine Freude war. Mich kostete das:

›Auf Druckposten in Feindesland‹, ein Kriegsroman;

›Agathe, die Puppe schreit!‹, eine Gesellschaftskomödie;

Zwei Friederiken: Sesenheim und Kempner (Biografie).

Kann einer arbeiten, wenn überall geklopft wird? Er kann es nicht. Und da floh ich nach Schweden.

Nach Schweden, wo die Lappen im Walde heulen und wo ein stiller Bach von Schwedenpunsch durch die Gegend gluckert; wo blonde Frauen mich ansehen und sagen: »Auf Sie haben wir hier grade gewartet!« – nach Schweden . . .

Ich wohne in einem tiefen, tiefen Wald – keines Menschen Fuß hat ihn je betreten, sagt er; und ich klappte die Maschine auf und probte die Hebel und spannte ein Blatt ein und setzte an:

›Die deutsche Inflation‹, Panoptikum in achtundzwanzig Bildern – denn man muß der Kundschaft liefern, was die Kundschaft begehrt; das ist ein alter Literatur-Grundsatz, und darum schreiben sie bei uns auch immer alle dasselbe.

Aber kaum hatte ich das Personenverzeichnis fertig, das ich mühsam aus den alten Jahrgängen der›Vossischen Zeitung‹ abgeschrieben hatte, da sträubten sich meine Ohren: man klopfte. Im Wald wurde geklopft! Ich stürzte ans Fenster.

Himmelkreuzmillionenmohrenundmarkgrafenstraßenecke! Da standen doch wahrhaftig die Arbeiter, die mich durch die ganze Welt verfolgen, und hackten und kratzten und bauten und hämmerten und karrten und klopften! Ich raus. »Was macht ihr hier?« fragte ich sie.

Nun ist schon einmal bei Stockholm ein kleiner Hund davongelaufen, weil ich Schwedisch gesprochen habe . . . Die Arbeiter ließen [233] alles stehen und liegen und traten neugierig näher. Sie billigten meine Sprachversuche; dergleichen hatten sie noch nie gehört. Ich blätterte in meinen Wörterbüchern. »Hvad tillverka ni här?« buchstabierte ich. Und da sagten es die Leute.

Sie bauten dort ein Sanatorium für Leute, die der Ruhe pflegen wollten. Eins für Nervöse. Eins für ganz Stille.

Und da lehnte ich meinen Kopf an eine zu diesem Zweck angebrachte Buche und weinte bitterlich.

Wohin ich komme –: da wird gebaut. Wie soll ich da das Buch meines Lebens schreiben:

Was ist und zu welchem Ende studieren wir die Liebe –?


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Gerüste! Gerüste!. Gerüste! Gerüste!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-69DA-C