Lenzliche Leitartikel
›Kreuz-Zeitung‹
Der Lenz ist da. Auf den Feldern des deutschen Landmannes sprießt und wächst es, ernste Kirchenglocken mahnen zur Andacht, aber das Herz wird nicht so leicht den Frühling in sich einziehen lassen. Vergleicht man diesen republikanischen Lenz mit dem guten kaiserlichen Frühling, so wird jeder gute Deutsche feststellen, daß es da keine Vergleichsmöglichkeit gibt. Dort hoffnungsfrohes Lenzgefühl in schimmernder Wehr, wie sie schon die alten Germanen kannten – hier eitel Dolchstoß, Barmat, Lüge und knechtseliges Hofieren vor zur Macht gelangten Landesverrätern! Ein Blick in die Natur zeigt, woher allein das Heil kommen kann: aristokratisch wie die Natur, die nur die Herrschaft des Einen anerkennt, die Pöbelmassen rücksichtslos zu Boden stoßend, sei auch unser Land! Ein Volk, das fremde Fürsten importieren muß, ist zum Untergang verdammt. Wer, wie wir, dem angestammten Fürstenhaus in den schweren Tagen des Umsturzes die Treue gewahrt hat – – –
Der Lenz ist da. Deutscher Frühling ist über die deutschen Lande gekommen, und echt deutsches Blühen sprüht aus deutschen Knospen. Die politische Situation sieht allerdings nicht so hoffnungsgrün aus. Die Sklaverei, in der der Feindbund Deutschland gefangen hält, sowie die Begehrlichkeit der Arbeiter wirft einen Schatten auf das frühlingshafte Gemälde. Ein Blick in die Natur zeigt, was Deutschland allein noch vom Untergang retten kann: Produktion und nochmal Produktion, und zwar eine solche, die sich nicht an den Acht-Stunden-Tag gebunden glaubt. Blüht der Kirschbaum nur acht Stunden? Bringen die Bienen nur acht Stunden den Honig ein? So wie der Generaldirektor eines Hüttenwerks unablässig, die Nacht zum Tage machend, für das Wohl der ihm unterstellten Arbeiter sorgt und die deutsche Wirtschaft fördert, so soll auch der deutsche Arbeiter einsehen, daß die Einflüsterungen, denen er unterliegt, von landfremder Seite herkommen. Eine Stärkung der Reichswehr, eine Erhöhung des Schutzzolles und eine scharfe, aber gerechte Lohnsteuer – das tut uns not!
Der Lenz ist da. Durch Gottes unerforschliche Güte sprießt auch in diesem Jahr das frische Grün auf den Feldern, die ersten Maiglöckchen strecken ihre Köpfchen schüchtern aus der braunen Erde und lassen uns fragen, wer dies alles geschaffen hat, lassen uns dem Schöpfer für sein Werk danken. In die Frühjahrsglocken aber mischt sich die Sorge um das neue Schulgesetz, das leider nicht ganz so ausfallen wird, wie es die Interessen der katholischen Kirche verlangen. Solange es Eltern gibt, die die Möglichkeit haben, ihre Kinder ohne Religion aufwachsen zu lassen, solange steht es nicht gut um Deutschland! Der Terror der Freidenker nimmt groteske Formen an, die wir nicht dulden können. Ein Blick in die Natur belehrt uns, daß es dort keine Freiheit gibt – wir sehen Gebundenheit, wohin wir auch schauen –, also warum sollten sich die Menschen eine Freiheit anmaßen, die der Herr seinen Kreaturen selbst nicht gönnt? Die Simultanschule bedeutet die Entfesselung eines neuen Kulturkampfes, den wir aufzunehmen entschlossen sind. Ver sacrum! Blicken wir in diese Natur, so sehen wir nirgends einen Lutherfilm, können also auch nicht dulden, daß ein solcher das deutsche Volk in seinen tiefsten Gefühlen verletze!
Der Lenz ist da! Die kleinen Krokusblüten entfalten langsam ihre zierlichen Blätter, die ersten Schwalben schwirren durch die lenzliche Luft, und ein kleiner Schulbub hat uns gestern einen jungen Maikäfer auf unsern Reaktionstisch gesetzt! Der Hirt zieht mit seinen Schafen von Tal zu Tal, auch unsre Leser sind aus ihrem Winterschlaf erwacht, und junge Birken bedecken sich mit zartem Grün. Auch der Politiker hat alle Ursache, Ausschau zu halten ins weite Land. Wenn auch einerseits nicht geleugnet werden kann, daß Deutschland in den letzten Jahren wieder eine Stellung gegenüber dem Ausland erlangt hat, die wir nur begrüßen können, so muß doch andererseits gesagt werden, daß die republikanischen Staatsmänner nicht immer mit jener Vorsicht und diplomatischen Kunst zu Werke gegangen sind, die wir von ihnen verlangen dürfen und können. Herr Stresemann geht auch jetzt wieder nach Genf, aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und wenn auch nicht geleugnet werden soll, daß . . . so doch immerhin . . . aber auch andererseits . . .
Der Lenz ist da. Da zieht der klassenbewußte Arbeiter gern ins Grüne und vergißt für einige Stunden die ernste Berufsarbeit und die Fron des Lebens. Ein Blick in die dem Arbeiter vertraute Natur lehrt, woher allein das Heil kommen kann: aus der Zusammenarbeit aller für ein Gesamtziel, und auch die Natur, die keine Einzelführer kennt, sondern [80] jede Gattung nur als Ganzes wirken läßt, bestätigt den Sozialismus und die Republik. Ohne etwa russische Experimente, deren Gefährlichkeit feststeht, billigen zu wollen, wird doch die Partei unerschütterlich, von staatsmännischem Kompromiß zu Kompromiß eilend, am Aufbau Deutschlands mitarbeiten, dem Völkerfrühling entgegen!
Der Lenz ist da. Die Dame von Welt bevorzugt in diesem Jahr das leichte Kascha-Kostüm, das oben eine leicht erweiterte Linie gegen das vorige Jahr zeigt, unten aber streng zusammengerafft ist. Hellbraun, marinegrün und gendarmenblau sind die Farben des Frühlings. Die Schuhe für den Morgen sind aus leicht gefälteltem Bambusrohr, für den Vormittag ist natürlich nur pockennarbiges Walfischleder möglich; für den frühen Nachmittag weiß gestepptes Bockleder, für den späten Nachmittag stumpfes Kalbleder, für den Abend Lackseide oder Alpacca-Chenille . . .