Die Pose der Kraft

Eine leicht verweichlichte Generation junger Leute, die nicht bis zehn boxen kann, stellt auf den Bühnen der großen Städte Kraft dar. Es gibt eine ganze Literatur solcher Stücke, in denen der Wilde Westen, die Maschinen und neuerdings auch das Proletariat dazu herhalten müssen, Vorwand für eine Schaustellung zu sein, die verlogen ist bis in ihre weichen Knochen. Welch trutzig gereckte Arme! hintenüber geworfene Köpfe! So ist die neue Zeit gar nicht. So sieht sie nicht einmal aus. So wird sie nur dargestellt.

Am schauerlichsten aber ist es, wenn die Schwächlinge in weibischer Anbetung der Kraft sich am Nationalismus hochranken und brünstig die erigierten Fahnen umarmen; das geht von den schreibenden Marineleutnants bis zu den jüngeren Autoren, ihren Namen sollt ihr nie erfahren, einer beginnt mit dem Anfangsbuchstaben Bronnen. Hei, da gehts zu!

Dieser, der da oben boxt, tut es sicherlich ethisch – ich höre die gezackten, gerafften, geballten und gesteilten Verse, die keine sind, aber sicherlich mit der Internationale schließen. Kost ja nischt.

Dann gibts welche, die boxen mehr aus sauberer Freude am Blut. Es wird ein bißchen viel geschlagen in der neueren deutschen Literatur – der Riesenerfolg so eines Schmarrens wie des Lönsschen ›Werwolfs‹ ist auf latenten Sadismus zurückzuführen. Es hat einmal in der verblichenen Zeitschrift ›Der Drache‹ die Geschichte eines gestanden, dem [303] zeigte ein Stahlhelmer ein koloriertes Foto von der Erschießung Schlageters. »Wissen Sie«, sagte der Held, »wenn ich sowas Racheaktjes, dann . . . « er meinte, dann würde ihm sehr wohl zumute – aber ich mag das nicht hierher setzen, es ist nicht schön. Deckt aber den tiefen Zusammenhang zwischen Wollust und Blutlust auf das eindeutigste auf. Was dem einen seine Ludmilla, ist dem andern sein Einmarsch in München.

Immerhin: mit Kraft hat dergleichen nichts zu tun; es ist lediglich ihre Pose. Wilde Bautzener, die nie in Amerika gewesen sind, berauschen sich, wie ihre Papas bei Karl May, an den Cow-Boys; junge Herren, die kaum die Schreibmaschine bedienen können, haben es mit der chinesischen Revolution . . . es ist gar nicht so einfach im menschlichen Leben. Man sollte dieses Getue auslachen.

Boxt! Aber geilt euch nicht an den Boxern an. Kämpft! Aber schreit nicht, daß ihr Kämpfer seid. Man wird ja vom Zuhören heiser. Und muß lachen – über die Pose der Kraft.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Die Pose der Kraft. Die Pose der Kraft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6BA9-A