Treptow

bei Berlin hat eine Sternwarte, und die Sternwarte hat ein großes Fernrohr; die Prospekte sagen, es sei das größte der Welt, davon wird es nicht größer.

Manchmal, an lauen, staubigen Sommerabenden, wenn in der ›Abtei‹ die Militärmusik randaliert und die Kellner der Bierabteilung schwitzen und die der Weinabteilung transpirieren und: – »Alauhm Se mal, das ist mein Stuhl! Fällt Ihnen denn überhaupt ein?« – »August, reg dich nicht auf – hier! setz dich da hin . . . !« (vergrollend) »Frechheit – –« ja, also dann sind wir die kleinen Eisentreppen hinaufgeklettert; manchmal war es sehr voll, dann mußten wir auf den Treppchen warten, bis wir an den Mars kamen oder an den Saturn. Ja, da standen wir. Bis die Milchstraße frei war, hatte man Muße, sich im Stehen einen kleinen zu denken.

Die treptower Sternwarte ist ein winziges Arsenal der Großstadt-Metaphysik. Sehr anspruchsvoll ist sie nicht, diese Metaphysik – aber hier, so auf den kleinen Eisentreppen, ruht das Radio-Gehirn einen Momang, wenn man so bedenkt, wie hoch der Himmel, wie hoch mag eigentlich der Himmel, weißt du das Max? Nein, Max weiß das auch nicht; wenn man so bedenkt . . . ja, das ist nun ganz weit weg, die wissen vielleicht gar nichts von uns, komisch . . . was für ein winziges Wesen der Mensch eigentlich ist . . . Sophokles . . . rasch tritt der Tod den Menschen . . . ach, Zimt . . . immerhin, was hat der Astronom vorhin gesagt? Fünf Millionen Lichtjahre.. das sind . . . , Donnerwetter . . . so, jetzt sind die da vorn fertig – wollen mal sehen: ich seh ja gar nichts – doch, da:

[304] Ah –!

Ja – wie ne Erbse! Der Mars sieht aus wie ne Erbse. Man möchte meinen, laß doch mal! – wie ne Erbse. Ja, und ganz gelb. Da, sieh mal – (noch leicht versunken) fünfhundert Millionen Lichtjahre – man ist wirklich nur ein kleiner Haufen Elend . . . was spielen die da drüben? Ach, aus der ›Lustigen Witwe‹ – ja, ja – was es alles gibt . . .

Einmal, als wir da so standen und uns den religiösen Gedanken hingaben, da trippelte vor uns ein altes Mütterchen hin und her, hin und her . . . Was hatte sie nur? Und schließlich faßte sie sich ein Herz und ging auf den Astronomen zu, der da oben auf dem flachen, dunkeln Dach die Planeten beaufsichtigt, und sagte:

– »Haben Sie das nicht auch gehört, daß zwei ungeheure Sonnen kommen mit ungeheurer Geschwindigkeit auf die Erde zugeflogen? Ja – ja –.« Der Astronom hatte es nicht gehört. Die Frau wandte sich für ihre beiden Sonnen hilfeflehend an die Umstehenden. Zwei so gute Sonnen . . . »Haben Sie das gehört . . . ?« Manche lächelten spöttisch; manche waren ihrer Sache nicht ganz sicher und sahen angestrengt in den schwarzen Himmel, ob sie vielleicht dort die Sonnen sehen konnten . . . Nein, da war nichts. Die doppelte Sonnenfrau zog tief beleidigt ab.

Wenn sie nun aber recht hat?

Bis die Sonnen da sind, reagieren die entlaufenen Gläubigen ihre Reste an Religion auf den Sternwarten ab, begreifen für fünfzig Pfennig Entree den Kosmos und sind, unten angekommen, wieder im Vollbesitz ihrer irdischen Menschenwürde.


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1929. Treptow. Treptow. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6CAD-D