Die ›dummen‹ Schweden
Hier oben in Schweden habe ich etwas Merkwürdiges entdeckt. Nämlich:
Alle Deutschen sagen allgemein, immer und überall: »Die dummen Schweden.«
Wußten Sie das? Ich auch nicht.
Als ich dies zum ersten Male hörte, hielt ich es für einen Irrtum – den abseitigen Gedankengang eines Einzelgängers . . . aber nein! Viele Schweden haben mir das bestätigt: es sei eine Art schwedischer Volksmeinung, daß es ein deutscher Volksbrauch sei, von den ›dummen Schweden‹ zu sprechen. Woher mag das nur kommen? In meinem Leben habe ich so etwas noch nicht gehört.
Wir sagen: »Alter Schwede«, das ist schon ein bißchen altmodisch – aber das Wörterbuch von Sanders gibt hier mit Recht an: »alter Schwede, volkstümlich = alter Freund, ehrlicher Kerl«. Wir denken, wenn wir an Schweden denken, fast automatisch an: Streichhölzer; dann an gutes Essen; an Kälte und Schwedenpunsch; dann eine ganze Weile an gar nichts; dann an Stockholm . . . an ihren tennisspielenden König . . . hier lösen sich die Gedankenverbindungen auf; es kommt darauf an, wer denkt. Aber die gewöhnlichen Kollektivvorstellungen, die Reaktionen, die auf den Zuruf des Reizwortes ›Schweden‹ erfolgen, können bei ehrlicher Selbstkontrolle keine anderen sein als diese da. Von geschichtlichen Erinnerungen sehe ich hierbei ab.
Und nun ist eines zu beachten:
Es gibt kein deutsches Normalgehirn, das bei dem Gedanken ›Schweden‹ anders als angenehme, freundliche, gute Gedanken hätte. Wir wissen gemeinhin nicht so sehr viel von den Schweden, nicht genug von ihrem Leben, von ihrer sozialen Struktur – wir wissen, daß sie eine sehr gute Sozialgesetzgebung haben; furchtbar viele Telefone; daß die Männer gute Sportsleute sind und der Frauentypus sehr schön ist . . . wenn wir nachdenken, wissen wir auch, was diese Nation im Kriege für Deutschland getan hat . . . wie sie während der Inflation deutsche Kinder unterstützt hat . . . nun werde ich fast feierlich. So ernst ist die Sache ja gar nicht. Kein diplomatischer Zwischenfall steht am Himmel – es ist alles in bester Ordnung . . .
[240] Wir wollen nur einmal nachsehen, wie mitten in Europa ein Volk vom anderen, ein paar Seestunden voneinander entfernt und nur eine Flugstunde – wie das solche Märchen glauben kann. Das ist natürlich eine ganz belanglose Geschichte. Die Schweden sind viel zu klug, um störend in die große Politik einzugreifen; sie sind froh, wenn man sie zufrieden läßt – und es ist ein schöner Friede, in dem sie leben. Auch hat diese kleine, falsche Idee niemals ernsthaft die Handelsbeziehungen oder sonstige Verbindungen der beiden Völker gestört, natürlich nicht. Ein Pickelchen . . . Aber solche Pickelchen können von bösartigen und interessierten Pfuschern zu Geschwüren herangezüchtet werden. Ich weiß schon: so entstehen keine Kriege. Kriege werden viel mehrgemacht, als sie entstehen – wer da mit magischen Geschichten kommt, hat viel zu gewinnen im Kriege – und wenig zu verlieren. Es ist nur an dem, daß kleine, simple Irrtümer – wie dieser da – böse ausgebeutet werden können, so jemand ein Interesse daran hat, sie auszubeuten. Sie wissen ja, wie man gute Propaganda machen kann, wenn man die Vulgärvorstellungen über fremde Nationen in Rücksicht zieht. »Alle Franzosen sind Windbeutel.« – »Spanier sind stolz« (den ganzen Tag über), »Engländer reden mit keinem Menschen . . . « und so in infinitum. Gewöhnlich sind diese Urteile falsche Verallgemeinerungen richtiger Beobachtung von Einzelzügen – ganz richtig sind sie niemals. Und woher das nur mit den ›dummen Schweden‹ kommen mag . . .
Es widerspricht auch noch so ziemlich allem, was wir von den Schweden denken. Die gelten bei uns – rechtens – als durchaus gebildet, intelligent; dazu als schweigsam, wie die Leute aus dem Norden sein sollen (das ist aber nicht ganz richtig); alles, alles, was Sie nur wollen – nur nicht dumm. Gott weiß, wer das aufgebracht hat.
Man kann auch in einem Kubikmillimeter die Beschaffenheit des Meerwassers erkennen. Man kann auch in so einem winzigen Wörtlein die internationalen Irrtümer erkennen, an denen Europa dann leidet, wenn sie große Ausmaße annehmen. Auf einmal ist so ein Wort da; niemand weiß, woher es kommt; jedermann sagts weiter – und dann sitzt es fest. Und eher holst du den Teufel aus der Hölle als dies Wort und diese Wahrheit, die niemals eine gewesen ist, aus den Gehirnen.
Inzwischen wollen wir an Strindberg denken, der ja allerdings kein typischer Schwede gewesen ist, aber dennoch . . . an den großen Chemiker Berzelius, der einer gewesen ist – an die Lagerlöf; an so viele gute Stunden, die uns die schwedische Kunst bereitet hat, sowie an die herzerhebende Tatsache, daß die Schweden ihre Mahlzeiten mit Käse anfangen – und wollen sprechen:
Die klugen Schweden. Die klugen Schweden.