Taillefer

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:
»Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht
So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?«
[222]
»Das ist der Taillefer, der so gerne singt
Im Hofe, wann er das Rad am Bronnen schwingt,
Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht,
Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht.«
Der Herzog sprach: »Ich hab einen guten Knecht,
Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,
Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut
Und singet so hell, das höhet mir den Mut.«
Da sprach der Taillefer: »Und wär ich frei,
Viel besser wollt ich dienen und singen dabei.
Wie wollt ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!
Wie wollt ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!«
Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild
Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Schild.
Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld,
Sie sprach: »Dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held.«
Und als er ritt vorüber an Fräuleins Turm,
Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.
Sie sprach: »Der singet, das ist eine herrliche Lust!
Es zittert der Turm, und es zittert mein Herz in der Brust.«
Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,
Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.
Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand:
»Hei!«, rief er, »ich faß und ergreife dich, Engelland!«
Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,
Der edle Taillefer vor den Herzog ritt:
»Manch Jährlein hab ich gesungen und Feuer geschürt,
Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze gerührt.
Und hab ich Euch gedient und gesungen zu Dank,
Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank:
So laßt mich das entgelten am heutigen Tag,
Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!«
Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer
Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Speer.
[223]
Er sang so herrlich, das klang über Hastingsfeld,
Von Roland sang er und manchem frommen Held.
Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,
Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,
Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut,
Der Taillefer sang und schürte das Feuer gut.
Dann sprengt' er hinein und führte den ersten Stoß,
Davon ein englischer Ritter zur Erde schoß,
Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag,
Davon ein englischer Ritter am Boden lag.
Normannen sahen's, die harrten nicht allzu lang,
Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang.
Hei! sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag!
Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag.
Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld,
Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt,
Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand,
Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland.
»Mein tapfrer Taillefer! komm, trink mir Bescheid!
Du hast mir viel gesungen in Lieb und in Leid,
Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang
Der tönet mir in den Ohren mein Leben lang.«

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TextGrid Repository (2012). Uhland, Ludwig. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Balladen und Romanzen. Taillefer. Taillefer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7188-5