Tempe

Durch welch geheimen Zwang
Erwacht mein schlafender Gesang?
Ich fühle wiederum die Herrschaft weiser Musen.
Wie stürmet nicht in meinem Busen
Die ungestüme Glut,
Und reisst mich hin in trunkner Wuth!
Täuscht mich der süsse Wahn?
Welch Thal der Freuden lockt mich an
Mit frischbethautem Grün, mit ambrareichen Lüften?
Wie plaudert in der Berge Klüften
Der wache Wiederhall!
Die Vögel singen überall!
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Durch kühle Büsche rauscht
Ein Zephyr, der um Floren lauscht:
Es murmelt mancher Bach; es wandelt unter Bäumen
Der holde Schlaf mit holdern Träumen.
Entzückendes Revier!
Dich, himmlisch Tempe, seh ich hier!
Hier, wo der Pelion,
Wo der Olymp, der Götter Thron,
Sich in die Wolken thürmt aus heerdenvollen Matten:
In dieser grüner Lorbeern Schatten
Gläntzt, als ein glatter See,
Der Peneus durch beblühmten Klee.
Die Gegend ist so schön,
Daß hier die Musen sich ergehn.
Thalien seh ich dort bedornte Rosen pflücken:
Die Schalkheit spricht aus ihren Blicken;
Und ihren Mund beseelt
Ein Lächeln, das die Thoren quält.
Wer scherzt an ihrer Hand?
Ists Clio, deren leicht Gewand
Nachlässig flatternd wallt und nicht mit Golde prahlet?
Fontaine, der verewigt strahlet,
Sang einst an ihrer Brust
Von Hymens Qual und Amors Lust.
Du aber irrst allein,
O Uranie! durch Thal und Hayn!
Dein heilig Saitenspiel schläft unter stillem Laube:
Bis von verschmähtem niedern Staube
Sich dein entbundner Geist
Zum Himmel, seinem Ursprung, reisst.
Den Sternen schwingest du
Dein brausendes Gefieder zu,
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Durch unsre gröbre Luft, die Werkstatt rother Blitze;
Und wo, wann Gott von seinem Sitze
Die Welt im Wetter schilt,
Sein ausgesandter Donner brüllt.
Du dringst Auroren nach
In ihr bepurpert Schlafgemach;
Und siehst in blauer Höh die Erde silbern glänzen.
Bald reisst aus unsers Titans Gränzen
Dich dein entflammter Sinn
In andrer Sonnen Herrschaft hin.
Die Erde scheint wie Nichts
In jenen Gegenden des Lichts,
Wo deiner Blicke Flug an fremde Welten landet.
Dort wo ihr niemals überwandet,
Ihr Weltbezwinger! seht,
Wie euer Stolz euch hintergeht.
O göttlich hoher Flug!
Mein Flügel ist nicht stark genug,
Sich dir auf Neutons Pfad, o Muse! nachzuschwingen.
Ich will im niedern Busche singen,
Wo Erato sich kühlt
Und Amorn lockt, mit Amorn spielt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Uz, Johann Peter. Gedichte. Sämtliche poetische Werke. Lyrische Gedichte. Drittes Buch. Tempe. Tempe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-72BC-7