[123] An die Deutschen

Ihr Deutschen, die an Ruhm berühmtern Vätern weichen!
Verlangt ihr, groß zu seyn, so müßt ihr ihnen gleichen;
Nicht an der alten Rauhigkeit!
Die Helden-Tugend jener Zeit
Ruht nicht auf ungeschlachten Sitten,
Auf nackter Armuth, nackten Hütten.
In Freundschaft Redlichkeit und ehrner Muth im Streite,
Der ieden Tropfen Bluts dem Vaterlande weihte,
Und jener unbewegte Sinn,
Der, taub zu niedrigem Gewinn,
Allein der Ehre Stimme kannte,
Für Vaterland und Freyheit brannte:
Das machte Deutschland groß; das eifert, nachzuahmen:
So seyd ihr deutscher Art, nicht bloß aus deutschem Saamen.
Ihr starrt? ihr zittert und erbleicht?
Warum irrt euer Blick verscheucht?
Die Ahndung hat mich nicht betrogen!
Zu Sklaven werdet ihr erzogen.
O unsrer Schande Quell, Erziehung deutscher Jugend
Wer pflanzt in ihre Brust Empfindungen der Tugend
Und Liebe für das Vaterland,
Die unserm Hermann Lorbeern wand?
Wer bildet ihre jungen Seelen,
Noch ehe sie das Laster wählen?
Man bildet nur den Leib: der Jüngling lernt gefallen,
Lernt freyen Tanz und Spiel, in fremder Sprache lallen
Und buhlen, eh er mannbar ist,
Betrügen, die er kaum geküßt,
Und seinen Hals zu schlauen Tücken
Im Joche weicher Sitten bücken.
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Zur Ueppigkeit verwöhnt, wie kann er edel denken?
Wie soll er sich, als Mann, zur strengen Tugend lenken?
Und wird er, seiner Pflicht getreu,
Im Schoose fauler Schwelgerey,
Nie mit erkauften Uebelthaten
Des Vaterlandes Wohl verrathen?
Entkräftet vor der Zeit in Amors Myrthensträuchen,
Baut er die Nachwelt an mit Kindern, die ihm gleichen,
An einer gleichen Gattinn Brust,
Die sorglos, unter eitler Lust,
Nur ihren Putz und Schooshund liebet,
Und ihren Witz beym Spieltisch übet.
Aus bessrer Eltern Schoos entsprungen jene Helden,
Von derer hellem Ruhm des Nachruhms Bücher melden,
Die keinem Weltstrich unbekannt,
Als Geisseln in des Schicksals Hand,
An Rom, das feige Laster schwächten,
Der halben Erbe Knechtschaft rächten:
Ein männliches Geschlecht, stark, alles zu ertragen,
Gleich streitbar, wann der Süd, in trägen Sommertagen,
Die Wüste Lybiens verließ;
Und wann der alte Nordwind blies,
Und seine furchtbarn Flügel stürmten,
Die Schnee auf Schnee verderblich thürmten.
Zu welchem Wechsel ist der Völker Glück verdammet!
Ein rauh verachtet Volk, das edler Muth entflammet,
Macht sich der Erde fürchterlich,
Wird üppig und entkräftet sich,
Und fällt, nach kurzgenossnem Glücke,
Schnell in sein erstes Nichts zurücke.

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TextGrid Repository (2012). Uz, Johann Peter. Gedichte. Sämtliche poetische Werke. Lyrische Gedichte. Viertes Buch. An die Deutschen. An die Deutschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-733B-0