Der Morgen

Auf! auf! weil schon Aurora lacht;
Ihr Gatten junger Schönen!
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Ihr müßt nunmehr, nach fauler Nacht,
Dem Gott der Ehe fröhnen.
Erneuert den verliebten Zwist,
Der süsser, als die Eintracht ist,
Nach der sich Alte sehnen.
Ists möglich, daß zu solcher Lust
Ein Gatte nicht erwache?
Daß eine nahe Liljen Brust
Ihn nicht geschäftig mache?
Indeß schwebt um der Gattinn Haupt
Der Morgentraum, mit Mohn belaubt:
Ihr träumt von eitel Rache.
Da, wo Cytherens waches Kind
Den Schlaf vom Bette scheuchet;
Da rauschts, wie wann ein Morgenwind
Bethautes Laub durchstreichet.
Da lauschet meine Muse nun,
Die, wie die Mädchen alle thun,
Verliebte gern beschleichet.
Der Vorhang weicht: welch reizend Weib!
Ich sehe Venus liegen,
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Und zarten Flohr den Marmorleib
Unachtsam nur umfliegen.
Wie sucht ihr Blick, der kriegrisch glüht,
Den süssen Feind, der noch verzieht;
Und dürstet nach Vergnügen.
Du itzo noch verliebtes Paar,
Was mangelt deinem Glücke?
Ich werde, selbst entzückt, gewahr,
Daß Hymen auch entzücke.
Die Muse sieht hinweg und weicht:
Doch manchmal und verstohlen schleicht
Ein halber Blick zurücke.

Notes
Erstdruck in: Lyrische Gedichte, Berlin (Johann Jacob Weitbrecht) 1749.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Uz, Johann Peter. Der Morgen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7365-1