Silenus

Ich sah, ihr Enkel, glaubt! mit heiligem Erstaunen;
Ich sah den Gott Silen! Er zechte mit den Faunen,
Und lehrte die bezechte Schaar.
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Er sang, indem er trank, von dem, was längst geschehen:
Ein Epheukranz verbarg des Alten graues Haar;
Die Adern schwollen von Lyäen.
Der Muse sey vergönnt, dir, Vater! nachzulallen!
Ich hör ihr Saitenspiel, ich hör es schon erschallen;
Sie wiederholt dein göttlich Lied.
Du sangst, wie ungestüm das finstre Chaos brüllte,
Bis Erd und blaue Flut und Luft und Feuer schied,
Und sich die alte Zwietracht stillte.
Drauf sey die Harmonie, des Himmels Kind, gebohren:
Der neuen Sonne ward ihr steter Ort erkohren;
Der Mond nahm seine Herrschaft ein.
Bald hörte der Parnaß die jungen Musen singen,
Und sah die Grazien zuerst im Lorbeerhayn
Die Arme durch einander schlingen.
Du sangst auch, wie Mercur der Leyer Scherz erfunden,
Und wie das feuchte Rohr, mit kluger Kunst verbunden,
In Pans betrübter Hand geklagt:
Als Pan von Syrinx, ach! der schönsten Nais, brannte,
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Die Ladons Tochter war und stets in strenger Jagd
Arkadiens Gebürg durchrannte.
Die sah der Hirten Gott nach schnellem Wilde jagen;
Und ihr verirrtes Haar die weissen Schultern schlagen,
Und ihre schöne Wangen glühn.
Er sah um ihre Brust die freyen Weste scherzen:
Ihn brannte, was er sah: er bat sie, zu verziehn,
Und klagte seiner Liebe Schmerzen.
Umsonst! die Nymphe floh, wie ein gejagtes Rehe,
Dem Tode zu entgehn, auf wälderreicher Höhe
Stets flieht und nirgendwo verweilt.
Sie flieht und Pan ihr nach, bis hin auf Ladons Strande:
Sie sprang in seine Flut und rief: ihr Schwestern, eilt!
Errettet mich von solcher Schande.
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Gleich blieb ihr leichter Fuß an trägen Wurzeln hangen;
Der schlanke Leib ward Schilf, als Pan, sie zu umfangen,
Um ihn die braunen Arme wand.
Die Winde spielten itzt in kaum entstandnen Rohren:
Die taumeln, sanft bewegt, und flüstern um den Strand
Ihm schwache Seufzer in die Ohren.
Wie sinnreich machen uns, o Liebe! deine Lehren!
Pan hörte diesen Laut und wünscht', ihn stets zu hören,
Auch wann der müde Wind entschlief.
Er klebte Halm an Halm, die er verschieden wählte,
Alsdann von Rohr zu Rohr mit schnellen Lippen lief,
Und sie durch sanften Hauch beseelte.
Pan lehrte gleich darauf die Flöte seine Hirten;
Und ieden Hirtentanz, im Schatten hoher Myrten,
Belebte süsser Flöten Klang.
Sie ging vor Sparta her dem fremden Feind entgegen,
Und stimmte kriegrisch ein in Castors Lobgesang,
Den Muth der Jugend zu erregen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Uz, Johann Peter. Gedichte. Sämtliche poetische Werke. Lyrische Gedichte. Zweytes Buch. Silenus. Silenus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7384-C