Jules Verne
Der stolze Orinoco


1. Band

1. Capitel
Erstes Capitel.
Herr Miguel und seine beiden Collegen.

»Nein, meine Herren, ich begreife wirklich nicht, wie Ihr Streit auf diese Weise ein Ende finden soll, sagte Herr Miguel, bemüht, die hitzköpfigen Gegner zu versöhnen.

[5] – O, er wird auch kein Ende finden, erwiderte Herr Felipe, wenigstens nicht dadurch, daß ich meine Ansicht für die des Herrn Varinas opfere...

– Und ich nicht meine Anschauung zu Gunsten der des Herrn Felipe aufgebe!«... versetzte Herr Varinas.

Schon seit drei vollen Stunden und ohne einander um ein Tüpfelchen nachzugeben, stritten sich die beiden starrsinnigen Gelehrten um eine Frage betreffs des Orinoco, darum nämlich, ob dieser berühmte Strom Südamerikas, die Hauptwasserader Venezuelas, in seinem Oberlaufe die Richtung von Osten nach Westen einhielte, wie es auf den neuesten Landkarten eingezeichnet war, oder ob er nicht vielmehr von Südwesten herkäme, in welchem Falle der Guaviare oder der Atabapo mit Unrecht nur als Zuflüsse desselben betrachtet würden.

»Der Atabapo ist der eigentliche Orinoco, versicherte Herr Felipe sehr bestimmt.

– Nein, das ist der Guaviare!« erklärte Herr Varinas mit gleicher Energie.

Herr Miguel selbst pflichtete der Anschauung bei die die modernen Geographen vertraten. Ihrer Ansicht nach befinden sich die Quellen des Orinoco in dem Theile Venezuelas, der an Brasilien und Britisch-Guyana grenzt, so daß der ganze Lauf des Stromes ausschließlich Venezuela angehört. Vergeblich versuchte Herr Miguel aber, seine beiden Freunde davon zu überzeugen; die Herren widersprachen einander übrigens auch noch in einem andern Punkte von nicht geringerer Bedeutung.

-»Nein, nein, wiederholte der Eine, der Orinoco entspringt in den columbischen Anden, und der Guaviare, den Sie nur für einen Nebenfluß gelten lassen wollen, ist schlecht und recht der Orinoco selbst, der columbisch in seinem Oberlaufe und venezuolanisch in seinem Unterlaufe ist!

– Falsch, falsch! entgegnete der Andre, der Atabapo ist der richtige Orinoco, nicht aber der Guaviare!

– O, liebe Freunde, fiel da Herr Miguel ein, ich bleibe lieber bei dem Glauben, daß einer der schönsten Ströme Amerikas kein andres Land als das unsre bewässert.

– Hier handelt es sich nicht um eine Frage patriotischer Eigenliebe, entgegnete Herr Varinas, sondern um eine geographische Thatsache. Der Guaviare...

– Nein doch, der Atabapo!« rief Herr Felipe.

[6] Die beiden Gegner, die lebhaft aufgesprungen waren, sahen einander scharf ins Auge.

»Meine Herren... meine Herren! Ich bitte Sie...!« fiel Herr Miguel, ein trefflicher Mann von sehr versöhnlicher Natur, beschwichtigend ein.

An der Wand des Raumes, der jetzt von den Salven dieses Wortgefechtes widerhallte, hing eine umfängliche Landkarte. Sie umfaßte, in großem Maßstabe gezeichnet, die neunhundertzweiundsiebzigtausend Quadratkilometer der Oberfläche des spanisch-amerikanischen Venezuela. Welchen Wechselfällen war das schöne Land durch politische Ereignisse unterworfen gewesen seit dem Jahre 1499, wo Hojeda, der Gefährte Florentin Amerigo Vespucci's, als er, am Ufer der Bai von Maracaïbo ans Land gehend, hier einen mitten in den Lagunen auf Pfählen erbauten Flecken vorfand, dem er den Namen Venezuela, d.i. Klein-Venedig, beilegte! Die Karte stellte den Staat so dar, wie er sich nach dem »Grundgesetz« gestaltet hatte, also nach dem Unabhängigkeitskampfe, dessen Hauptheld Simon Bolivar war, nach der Begründung des Generalkapitanats Caracas und nach der 1839 eingetretenen Trennung zwischen Columbia und Venezuela... einer Trennung, die letzteres zu einer unabhängigen Republik machte. Farbige Linien bezeichneten im Orinocobecken die Grenzen der drei Provinzen Varinas, Guyana und Apure. Das Relief seiner orographischen Anordnung und die Verzweigungen seines hydrographischen Systems hoben sich, mit dem Netze seiner größern und kleinern Wasserläufe, durch vielfache Schraffierung darauf deutlich ab. Man sah da den Verlauf der Küste am Antillen-Meere von der Provinz Maracaïbo mit der gleichnamigen Hauptstadt aus bis zum Mündungsdelta des Orinoco, das die Grenze gegen Britisch-Guyana bildet.

Herr Miguel betrachtete diese Karte, die ihm gegenüber seinen Collegen Felipe und Varinas unzweifelhaft Recht gab. Ein innerhalb Venezuelas verlaufender Strom, der sehr sorgfältig eingezeichnet war, bildete einen eleganten Bogen und war ebenso bei seiner ersten Biegung, wo ein Nebenfluß, der Apure, ihm seine Gewässer zuführt, wie bei der zweiten, wo der Guaviare und der Atabapo sich, von den Cordilleren kommend, hinein ergießen, durchweg mit dem prächtigen Namen Orinoco bezeichnet.

Man begriff wirklich nicht recht, warum die Herren Varinas und Felipe sich darauf versteiften die Quellen dieser mächtigen Wasserader in den Bergen Columbiens zu suchen und nicht in dem Gebirgsstock der Sierra Parima, in der Nähe des hohen Roraima, jenes riesigen, zweitausenddreihundert Meter [7] hohen Meilensteins, an dem sich die Ecken dreier südamerikanischer Staaten, die von Venezuela, Brasilien und Britisch-Guyana, berühren.

Hierzu verdient jedoch Erwähnung, daß die beiden Geographen nicht die einzigen waren, die eine solche abweichende Ansicht vertraten. Trotz der Versicherungen kühner Forschungsreisender, die den Lauf des Orinoco fast bis zur Quelle verfolgten, eines Diaz de la Fuente 1760, eines Bobadilla 1764 und eines Robert Schomburgk 1840, trotz der Untersuchungen des unerschrockenen Reisenden Chaffanjon, der die von den ersten Wassertropfen des Orinoco benetzte Flagge Frankreichs auf den Abhängen der Parima entfaltete – ja, trotz all dieser, scheinbar endgiltigen Zeugnisse galt die Frage für manche starrsinnige Geister – richtiger Jünger des Apostels Thomas, die ebenso unbestreitbare Beweise verlangten, wie dieser alte Vater der Ungläubigkeit – doch noch nicht für gelöst.

Wollte man freilich behaupten, daß diese Frage jener Zeit, im Jahre 1893, die Landesbevölkerung besonders beschäftigt hätte, so würde man mit Recht einer Uebertreibung geziehen werden. Zwei Jahre vorher freilich, als das zum Schiedsrichter ernannte Spanien die endgiltigen Grenzen zwischen Columbien und Venezuela festsetzte, nahmen hieran Alle sehr lebhaften Antheil. Dasselbe wäre wohl der Fall gewesen, wenn es sich um die Festlegung der Grenze gegen Brasilien gehandelt hätte. Bei den zweimillionenzweihundertfünfzigtausend Einwohnern aber, unter denen sich auch noch dreihundertfünfundzwanzigtausend »gezähmte« oder in ihren Wäldern und Savannen ganz unabhängig hausende Indianer befinden, und zu denen fünfzigtausend Neger und endlich aus Blutmischung hervorgegangene Mestizen, Weiße, Ausländer, nebst englischen, italienischen, holländischen, deutschen und französischen Farangos gehören, würde es sicher nur eine verschwindende Minderheit gewesen sein, die sich für die erwähnte hydrographische Frage erwärmt hätte. Jedenfalls gab es indeß zwei Venezuolaner, den genannten Varinas, der für den Guaviare, und den genannten Felipe, der für den Atabapo das Recht, sich Orinoco zu nennen, in Anspruch nahm und neben diesen beiden Gelehrten noch einzelne Parteigänger, die jene bei sich bietender Gelegenheit unterstützten.

Es möge jedoch niemand glauben, daß Herr Miguel und seine beiden Freunde etwa alte verrostete Gelehrte mit kahlem Schädel und weißem Barte gewesen wären. Nein! Sie erfreuten sich als Vertreter ihrer Fachwissenschaft eines wohlverdienten, auch über die Landesgrenzen hinausreichenden guten [8] Rufes. Der älteste, Miguel, zählte erst fünfundvierzig, die beiden andern noch einige Jahre weniger. Von Natur sehr lebhaft und demonstrativ, verleugneten sie in keiner Weise ihre baskische Abstammung, die auch die des berühmten Bolivar war und in den Republiken Südamerikas die der allermeisten Weißen ist, welche zuweilen einen Tropfen corsisches oder indianisches, doch nie eine Spur von Negerblut in den Adern haben.


»Ereifern Sie sich nur nicht zu sehr, liebe Freunde!« (S. 10.)

Die drei Geographen trafen Tag für Tag in der Bibliothek der Universität von Ciudad-Bolivar zusammen, und obwohl die Herren Varinas [9] und Felipe übereingekommen waren, die heikle Frage bezüglich des Orinocoursprungs nicht mehr zu berühren, ließen sie sich doch immer wieder zu einer Discussion über dieselbe hinreißen. Selbst nach der so überzeugenden Untersuchung des französischen Reisenden verharrten die Vertheidiger des Atabapo und des Guaviare bei ihrer bisherigen Rede.

Der Leser kennt das aus dem Wortgeplänkel am Anfang dieser Erzählung. Die alte Streitigkeit ging immer weiter fort, so sehr sich Herr Miguel auch bemühte, die Lebhaftigkeit seiner beiden Collegen zu mäßigen.

Er war übrigens eine Persönlichkeit, die schon durch Körpergröße, vornehme, aristokratische Erscheinung, einen braunen, mit einzelnen Silberfäden durchsetzten Vollbart, durch die Wichtigkeit seiner Stellung und den Dreimaster, den er nach dem Vorgange der Begründer der spanisch-amerikanischen Unabhängigkeit zu tragen pflegte, überall einen gewissen Eindruck machte.

Heute wieder mahnte Herr Miguel mit klangvoller, ruhiger, aber eindringlicher Stimme:

»Ereifern Sie sich nur nicht zu sehr, liebe Freunde! Ob er nun von Osten oder Westen herströmt, der Orinoco bleibt allemal ein venezuolanischer Fluß, der Vater der Gewässer unsrer Republik...

– Es handelt sich aber nicht darum, unterbrach ihn der hitzige Varinas, zu wissen, wessen Vater, sondern nur darum, wessen Sohn er ist, ob er auf dem Bergrücken der Parima oder der columbischen Anden geboren wurde...

– Der Anden... der Anden!« rief Herr Felipe, spöttisch die Achseln zuckend.

Offenbar war hier keiner gewillt, in der Frage des Orinoco-Ursprungs dem andern nachzugeben; beide blieben starrköpfig dabei, jeder dem Strome einen andern Vater zuzuweisen.

»Nun, liebe Collegen, nahm Herr Miguel nochmals das Wort in der guten Absicht, sie zu gegenseitigen Concessionen zu bestimmen, es genügte ja, die Augen auf diese Karte zu richten, um zu sehen, daß der Orinoco – er mag kommen, woher er will, vor allem aber, wenn er aus Osten kommt – einen herrlichen Bogen, einen regelmäßigen Halbkreis bildet, gegenüber dem unglückseligen Zickzack, in das ihn der Atabapo oder der Guaviare drängten...

– Was kommt es denn darauf an, ob sein Bett eine schön geschwungene Linie zeigt oder nicht? rief Herr Felipe.

– Wenn sie nur scharf gezeichnet ist und der Natur des Terrains entspricht!« setzte Herr Varinas dazu.

[10] Thatsächlich war es wohl gleichgiltig, ob die Biegungen des Flußlaufes künstlerischen Anforderungen entsprachen oder nicht. Hier lag ja eine rein geographische und keine artistische Frage vor. Die Beweisführung des Herrn Miguel ging von falschen Grundsätzen aus. Er fühlte das recht wohl. Da kam ihm der Gedanke, das Gespräch auf ein andres Thema zu lenken, um ihm seine drohende Schärfe zu nehmen. Das konnte zwar auch nicht dazu dienen, zwischen den beiden Gegnern Uebereinstimmung herbeizuführen, vielleicht aber vereinten sie sich, wie zwei, von ihrer richtigen Spur abgekommene Hunde, zur Verfolgung eines dritten Ebers.

»Zugegeben, sagte also Herr Miguel, stehen wir davon ab, die Sache von dieser Seite aus anzusehen. Sie, Felipe, behaupten – und mit welcher Hartnäckigkeit! – daß der Atabapo, fern davon, nur einen Nebenfluß darzustellen, der Strom selbst sei...

– Das behaupte ich!

– Sie aber, Varinas, bleiben – und mit welcher Halsstarrigkeit! – dabei, daß dem Guaviare die Ehre zukommt, der eigentliche Orinoco zu sein

– Dabei bleib' ich!

– Ja, fuhr Herr Miguel fort, dessen Finger auf der Landkarte dem Laufe des umstrittenen Stromes folgte, warum könnten Sie sich denn nicht Beide täuschen?

– Alle Beide?... stieß Herr Felipe hervor.

– Nur Einer von uns irrt, erklärte Herr Varinas; ich... ich bin das aber nicht!

– Lassen Sie mich nur ausreden, sagte Herr Miguel ruhig, und antworten Sie erst, wenn Sie mich angehört haben. Es giebt doch außer dem Guaviare und dem Atabapo noch andre Nebenflüsse, die ihre Fluthen in den Orinoco ergießen, Zuflüsse, die sich ebenso durch ihren langen Lauf wie durch großen Wasserreichthum auszeichnen. Solche sind z.B. der Caura in seinem nördlichen Theile, der Apure und der Meta in seinem westlichen, und der Cassiquiare nebst dem Iquapo in seinem südlichen Theile. Sehen Sie diese wohl hier auf der Karte?... Ich frage Sie nun, warum könnte einer derselben nicht weit eher der Orinoco selbst sein, als Ihr Guaviare, lieber Varinas, und als Ihr Atabapo, lieber Felipe?«

Es war zum ersten Male, daß eine solche Anschauung zutage trat, und es wird niemand verwundern, daß die beiden Widersacher anfangs still [11] und stumm blieben, als sie dieselbe aussprechen hörten. Die Frage sollte sich also nicht ausschließlich um den Atabapo und den Guaviare drehen?... Nach der Aussage ihres Collegen könnten noch andre Prätendenten auftreten?

»O, ich bitte Sie! rief Herr Varinas, davon kann nicht ernstlich die Rede sein, und Sie sprechen auch selbst nicht im Ernst, Herr Miguel...

– Im Gegentheil, ganz ernsthaft. Ich finde es ganz natürlich, logisch und folglich annehmbar, daß auch andre Flußläufe sich um die Ehre, der wirkliche, eigentliche Orinoco zu sein, bewerben könnten.

– Sie scherzen nur! versetzte Herr Felipe.

– Ich scherze nie, wenn es sich um geographische Fragen handelt, antwortete Herr Miguel ernsthafter. Am rechten Ufer des Oberlaufs giebt es den Padamo...

– Ihr Padamo ist gegenüber meinem Guaviare nur ein Bächlein, fiel Herr Varinas ein.

– Nun sagen wir: ein Bach, den die Geographen für ebenso bedeutend halten, wie den Orinoco, erwiderte Herr Miguel. Auf der linken Seite giebt es den Cassiquiare...

– Ihr Cassiquiare ist nur ein Wasserfädchen gegenüber meinem Atabapo! ließ sich Herr Felipe vernehmen.

– Na, ein Wasserfaden, der die venezuolanischen Becken mit denen des Amazonenstromgebiets verbindet. An derselben Seite mündet ferner der Meta...

– Ihr Meta ist nur so groß wie der Ausfluß eines Wasserleitungshahnes!

– Ja, aber eines Hahnes, dem ein Wasserstrom entquillt, welchen Sachkenner im Verkehrswesen als den zukünftigen Weg zwischen Europa und dem columbischen Ländercomplex betrachten.«

Man sieht hieraus, daß Herr Miguel vielseitig bewandert war und auf alles eine Antwort hatte. So fuhr er denn unbeirrt fort:

»An der rechten Seite giebt es ferner den Apure, den Fluß der Ilanos, der bis fünfhundert Kilometer stromaufwärts schiffbar ist.«

Weder Herr Felipe, noch Herr Varinas erhoben hiergegen Einspruch. Es sah aus, als würden sie von dem so sichern Auftreten des Herrn Miguel halb erstickt.

»Auf der rechten Seite endlich, setzte dieser hinzu, trifft man auf den Cuchivero, den Caura, den Caroni...

[12] – Wenn Sie mit der Aufzählung dieser Liste fertig sind... fiel Herr Felipe ein.

– Werden wir uns darüber aussprechen, vollendete Herr Varinas, der geduldig die Arme gekreuzt hatte, die Worte des gelehrten Collegen.

– Ich bin fertig, antwortete Herr Miguel, und wenn Sie meine persönliche Ansicht zu erfahren wünschen...

– Sollte das der Mühe lohnen? fragte Herr Varinas im Tone überlegener Ironie.

– Schwerlich! erklärte Herr Felipe.

– Ich will sie Ihnen doch nicht vorenthalten, meine werthen Herren Collegen. Keiner der genannten Zuflüsse dürfte wohl als Hauptflußlauf, dem der Name Orinoco rechtmäßig zukäme, zu betrachten sein. Meiner Ansicht nach verdient diese Bezeichnung auch weder der von meinem Freunde Felipe befürwortete Atabapo...

– Irrthum! Irrthum! rief der Genannte.

– Noch der von meinem Freunde Varinas empfohlene Guaviare.

– Die reine Ketzerei! polterte der Zweite hervor.

– Und ich ziehe daraus den Schluß, fuhr Herr Miguel fort, daß der Name Orinoco dem Oberlaufe des Stromes vorbehalten bleiben muß, dessen Quellen an dem Bergstock der Parima hervorbrechen. Er verläuft vollständig durch das Gebiet unsrer Republik und benetzt keine andre. Der Guaviare und der Atabapo werden sich wohl oder übel mit der Rolle von Nebenflüssen des Hauptstromes begnügen müssen, eine Rolle, die in der Geographie doch recht annehmbar erscheint...

– Die ich aber nicht annehme! rief Herr Felipe.

– Und die ich rundweg ausschlage!« secundierte ihm Herr Varinas.

Das Ergebniß der Vermittlung des Herrn Miguel in dieser hydrographischen Frage lief also darauf hinaus, daß jetzt drei, statt früher zwei Personen für den Guaviare, den Orinoco und den Atabapo eintraten. Der Streit dauerte noch eine volle Stunde an und würde vielleicht überhaupt niemals ein Ende gefunden haben, wenn nicht Felipe von der einen und Varinas von der andern Seite plötzlich gerufen hätten:

»Wohlan... so reisen wir zur Entscheidung selbst ab!...

– Abreisen? erwiderte Herr Miguel, der einen solchen Vorschlag kaum erwartet hätte.

[13] – Ja ja! erklärte Herr Felipe. Brechen wir nach San-Fernando auf, und wenn ich Sie da nicht einwurfsfrei davon überzeuge, daß der Atabapo der Orinoco ist...

– Und ich, schnitt ihm Herr Varinas das Wort ab, Ihnen nicht haarklein beweise, daß der Guaviare den eigentlichen Orinoco darstellt...

– So wird es meine Aufgabe sein, schloß Herr Miguel, Sie zu der Anerkennung zu zwingen, daß nur der Orinoco in der That der Orinoco ist!«

Unter solchen Verhältnissen und in Folge des berichteten Wortgefechts beschlossen die drei Männer eine derartige Reise. Vielleicht wurde durch diese neue Expedition endlich der Lauf des venezuolanischen Stromes festgestellt, wenn das durch die letzten Forschungsreisen noch nicht endgiltig geschehen war.

Uebrigens handelte es sich nur darum, bis nach San-Fernando, an jene Stelle hinauszugehen, wo der Guaviare und der Atabapo ihre Gewässer, nur wenige Kilometer voneinander entfernt, in den Hauptstrom ergießen. Ließ es sich dort nachweisen, daß der eine und der andere nur Nebenflüsse waren und nichts anderes sein konnten, so mußte man wohl dem Orinoco die Rangstellung zusprechen, von der ihn minderwürdige Wasserläufe zu stürzen suchten.

Man braucht sich nicht darüber zu wundern, daß dieser im Laufe einer hitzigen Discussion aufgetauchte Entschluß sofort zur Ausführung kam, auch nicht über das Aufsehen, das er in der gelehrten Welt und unter den höheren Gesellschaftsclassen von Ciudad-Bolivar ebenso erregte, wie er fast die ganze Republik Venezuela in gelinden Aufruhr brachte.

Es geht mit gewissen Städten, wie mit gewissen Menschen: so lange sie keine feste und dauernde Wohnstätte haben, tasten sie zögernd umher. Das trifft auch für den Hauptort der Provinz Guyana zu, seit dem ersten Entstehen eines solchen im Jahre 1576 am rechten Ufer des Orinoco. Nachdem nämlich der Ort an der Mündung des Caroni unter dem Namen San-Tomé gegründet worden war, wurde er zehn Jahre später um etwa fünfzehn Lieues weiter flußabwärts verlegt. Von den Engländern unter dem Befehle des berühmten Walter Raleigh niedergebrannt, verlegte man ihn 1764 wieder hundertfünfzig Kilometer weiter stromaufwärts, nach einer Stelle, wo die Breite des Flusses kaum noch vierhundert Toisen beträgt. Daher stammte der Name des »Engen« Angostura, der später dem Namen Ciudad-Bolivar weichen mußte.

Dieser Hauptort der Provinz liegt gegen hundert Lieues (450 Kilometer) vom Delta des Orinoco entfernt, dessen Wasserstand – den man an der [14] Piedra del Midio, einem mitten im Strome aufragenden steilen Felsen abliest – unter dem Einfluß der (vom Januar bis zum Mai) trockenen Jahres- und dem der Regenzeit sehr beträchtlich wechselt.

Zu der Stadt, die nach der neuesten Zählung elf- bis zwölftausend Einwohner haben soll, gehört noch die Vorstadt Soledad am linken Stromufer. Sie erstreckt sich von der Alameda-Promenade bis zum Quartier »Chien-sec« (Trockner Hund), ein ganz unpassender Name, da dieser Stadttheil mehr als jeder andre den Ueberschwemmungen ausgesetzt ist, die das plötzliche und häufig sehr starke Anschwellen des Orinoco hervorruft. Die Hauptstraße mit ihren öffentlichen Gebäuden, eleganten Läden und offnen Säulengängen, die Häuserreihen, die sich übereinander am Abhange des schiefrigen Hügels erheben, der die Stadt beherrscht, die ländlichen Wohnstätten, die zerstreut unter grüner Umrahmung hervorschimmern, die eigenartigen Seen, die der Strom flußauf- und flußabwärts durch Verbreiterung seines Bettes bildet, die Bewegung und das Leben des Hafens, die zahlreichen Dampfer und Segelschiffe, die für die Lebhaftigkeit des Stromverkehrs zeugen, der noch durch einen recht bedeutenden Handel vermehrt wird – Alles vereinigt sich hier, das Auge zu ergötzen.

Ueber Soledad, wo später eine Eisenbahn münden soll, wird Ciudad-Bolivar bald mit Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, verbunden sein. Seine Ausfuhr an Rinderhäuten und Hirschfellen, an Kaffee, Baumwolle, Indigo, Cacao und Tabak dürfte dann eine weitere Vermehrung erfahren, eine so große Höhe sie durch die Ausbeutung der goldhaltigen Quarzlager, die 1848 im Thale des Yuruauri entdeckt wurden, auch schon erreicht hat.

Die Neuigkeit, daß die drei gelehrten Mitglieder der geographischen Gesellschaft von Venezuela aufbrechen wollten, um die Streitfrage bezüglich des Orinoco und seiner zwei südwestlichen Zuflüsse aus der Welt zu schaffen, fand also im ganzen Lande den lebhaftesten Widerhall. Die Bolivarier sind etwas heißblütig und machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Die Tagespresse nahm die Angelegenheit auf und stellte sich zum Theil auf die Seite der Atabapo-Anhänger, zum Theil auf die der Vertheidiger des Guaviare oder des Orinoco. Die große Menge kam ins Feuer. Man hätte wirklich glauben mögen, die Wasserläufe drohten ihr Bett zu ändern, das Gebiet der Republik zu verlassen und nach irgendeinem andern Staate der Neuen Welt auszuwandern, wenn man ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren ließe.

[15] Bot nun wohl diese Fahrt stromaufwärts ernstliche Gefahren? In gewissem Maße, ja; wenigstens für Reisende, die auf ihre eignen Hilfsmittel angewiesen waren. Gegenüber der beabsichtigten Lösung jener Lebensfrage scheute vielleicht aber auch die Regierung vor einem Opfer nicht zurück. Das war ja eine passende Gelegenheit zur Verwendung der Miliz, die auf dem Papiere wohl zweihundertfünfzigtausend Mann zählt, in der That aber kaum den zehnten Theil dieser Sollstärke erreicht. Warum hätte man den Forschungsreisenden aber nicht eine Compagnie des stehenden Heeres zur Verfügung stellen können, jener »Armee«, die auf sechstausend Mann Soldaten gelegentlich siebentausend Generäle hatte, ohne andre hohe Officiere zu rechnen, wie das Elisée Reclus, der schon so viele ethnographische Curiositäten ans Licht brachte, nachgewiesen hat?

So etwas verlangten die Herren Miguel, Felipe und Varinas aber gar nicht. Sie gedachten auf eigne Kosten zu reisen, und ohne andre Begleitung, als die der Bauern, der Ilaneros, der Flußschiffer und Führer, die mehrfach an den Ufern des Stromes anzutreffen sind. Sie wollten dasselbe ausführen, was andre Pioniere der Wissenschaft vor ihnen vollbracht hatten. Uebrigens gedachten sie ja über den Flecken San-Fernando, an der Vereinigung des Atabapo und des Guaviare, gar nicht hinauszugehen. Nur in den Landestheilen, die der Oberlauf des Stromes bewässert, waren vielleicht Angriffe von Indianern zu befürchten, jener unabhängigen Stämme, die so schwer zu bändigen sind und denen man nicht ohne Grund viele Mordthaten und Räubereien zuschreibt, welche in einem, früher von Caraïben bevölkerten Lande ja gar nichts Wunderbares sind.

In der That ist es nicht rathsam, stromaufwärts von San-Fernando, in der Nähe der Mündung des Meta auf dem andern Flußufer, gewissen Guaharibos zu begegnen, die sich stets gegen alle Gesetze auflehnen, oder jenen Quivas, die im Rufe wilder Grausamkeit schon durch ihre Raubzüge in Columbien standen, bevor sie nach den Ufern des Orinoco versetzt wurden.

In Ciudad-Bolivar war man auch etwas beunruhigt über das Schicksal zweier Franzosen, die vor ungefähr einem Monate von dort aufgebrochen waren. Man wußte von diesen Reisenden wohl, daß sie stromaufwärts bis über die Mündung des Meta hinausgekommen waren, nichts aber über ihr Geschick, seit sie durch die Gebiete der Quivas und der Guaharibos dahinzogen.

[16] [19]Der übrigens noch wenig bekannte Oberlauf des Orinoco, der sich schon seiner Entfernung wegen dem Einflusse der venezuolanischen Behörden fast ganz entzieht, keinen Handelsverkehr hat und den umherirrenden Banden der Eingebornen preisgegeben ist, bietet freilich erst die meisten Gefahren. Sind auch die seßhaften Indianer im Westen und Norden des großen Stromes von milderen Sitten, da sie vielfach Landbau treiben, so trifft das doch nicht für die zu, die inmitten der Savannen des Departements Orinoco leben. Räuber aus Habgier wie aus Noth, scheuen sie vor keiner Unthat, vor keinem Morde zurück.


Die Tagespresse nahm die Angelegenheit auf. (S. 15.)

Niemand weiß bisher, ob es in Zukunft gelingen werde, diese wilden, unbezähmbaren Naturen unter eine geordnete Regierung zu beugen, denn ebenso, wie das bezüglich der Raubthiere auf den Ilanos nicht zu erwarten ist, dürfte es bezüglich der Eingebornen auf den Ebenen des Alto-Orinoco unmöglich sein. Thatsächlich haben nicht wenig Missionare es ohne sonderlichen Erfolg versucht.

Einer derselben, ein zu den fremden Missionen gehörender Franzose, weilte schon seit mehreren Jahren in jenen hohen Gebieten des Stromes. Man hat aber nichts davon gehört, daß sein Muth und seine Opferfreudigkeit ihren Lohn gefunden hätten, daß es ihm gelungen wäre, jene wilden Völkerschaften nur einigermaßen zu civilisieren und für die katholische Religion zu gewinnen, ebensowenig davon, daß der muthige Apostel der Mission von Santa-Juana jene Indianer, die sich bisher jedem Versuche einer Civilisierung widersetzten, um sich zu sammeln vermocht hätte.

Doch handelte es sich – um auf Herrn Miguel und seine beiden Collegen zurückzukommen – jetzt nicht darum, über den Gebirgsstock der Roraima bis in jene entlegenen Landestheile vorzudringen. Läge das freilich im Interesse der geographischen Wissenschaft, so schreckten sie gewiß nicht davor zurück, den Orinoco, ebenso wie den Atabapo und den Guaviare bis an ihre Quellen zu verfolgen. Ihre Freunde erwarteten übrigens, und nicht unberechtigter Weise, daß die Frage, wegen des Ursprungs an der Vereinigung der drei Wasserläufe ihre Lösung finden werde. Allgemein nahm man an, daß das zu Gunsten des Orinoco geschehen werde, der sich nach der Aufnahme von dreihundert Nebenflüssen und nach einem Laufe von zweitausendfünfhundert Kilometern durch fünfzig Arme in den Atlantischen Ocean ergießt.

[19]
2. Capitel
Zweites Capitel.
Der Sergeant Martial und seine Neffe.

Die Abfahrt des Geographentrios – eines Trios, dessen Instrumente jedenfalls nie in gleiche Stimmung kommen würden – war auf den 12. August, mitten in der Regenzeit, angesetzt.

Am Vorabend dieses Tages gegen acht Uhr plauderten zwei im Hôtel von Ciudad-Bolivar abgestiegene Reisende in dem Zimmer eines derselben. Ein leichter erfrischender Luftzug strich durch das Fenster herein, das nach der Alameda-Promenade zu lag.

Eben hatte sich der jüngere der beiden Fremdlinge aufgerichtet und sagte zu dem andern in französischer Sprache:

»Sei achtsam, mein guter Martial, und ehe ich mich zur Ruhe lege, erinnre ich Dich noch einmal an alles, was vor der Abreise zwischen uns vereinbart worden ist.

– Wie Sie wünschen, Jean...

– Sapperment, rief Jean, da fällst Du ja gleich bei den ersten Worten aus der Rolle!

– Aus meiner Rolle...?

– Gewiß... Du duzest mich ja nicht.

– Richtig!... Das vermaledeite Duzen!... Ich bitte Sie... nein, ich bitte Dich... der Mangel an Gewohnheit...

– Der Mangel an Gewohnheit, mein armer Sergeant!... Das meinst Du wirklich?... Seit einem Monat haben wir Frankreich verlassen und Du hast mich doch auf der ganzen Ueberfahrt von Saint-Nazaire bis Caracas Du genannt.

– Das ist freilich wahr! antwortete der Sergeant Martial.

– Und jetzt, wo wir in Bolivar angekommen sind, das heißt, an dem Punkte, wo unsre Reise anfängt, die uns so viel Freude – vielleicht so große Enttäuschungen, so viele Schmerzen bereiten wird..«

Jean hatte diese Worte in tiefer Erregung ausgesprochen. Seine Brust hob sich, seine Augen wurden feucht. Dennoch bemeisterte er sich, als er das [20] Gefühl von Unruhe sah, das die harten Züge des Sergeanten Martial widerspiegelten.

Da schlug er lächelnd einen freundlicheren Ton an.

»Jawohl; jetzt, da wir in Bolivar sind, vergißt Du, daß Du mein Onkel bist und ich Dein Neffe bin...

– Ich alter Dummkopf! rief der Sergeant Martial, der sich einen tüchtigen Klaps an die Stirne gab.

– Nein... doch Du beunruhigst Dich, und statt daß Du mich behütetest, scheint es fast nöthig... Sage mir, lieber Martial, pflegt nicht gewöhnlich der Onkel den Neffen zu duzen?

– Allerdings wohl immer.

– Und hab' ich Dich nicht seit unsrer Einschiffung daran gewöhnt, indem ich stets Du zu Dir sagte?

– Ja... und doch... damit angefangen hast Du nicht so von... von...

– Kleinauf! unterbrach ihn Jean, das Wort besonders betonend.

– Freilich... nicht von kleinauf! wiederholte der Sergeant Martial, dessen Blick, als er sich auf den angeblichen Neffen richtete, einen ganz sanften Ausdruck bekam.

– Und vergiß auch nicht, setzte der junge Mann hinzu, daß »klein« auf Spanisch pequeño heißt.

Pequeño, wiederholte der Sergeant Martial. Ein hübsches Wort. Ich kenne es und auch noch gegen fünfzig andre... kaum mehr, soviel ich mir auch Mühe gegeben habe!

– O, der Dickschädel! rief Jean. Hab' ich Dir während der Ueberfahrt auf dem »Pereire« nicht Tag für Tag Deine spanische Aufgabe überhört?

– Zugegeben, Jean! Es ist aber schrecklich für einen alten Soldaten in meinen Jahren, der sein Lebtag nur französisch gesprochen hat, noch dieses Charabia der Andalusier lernen zu sollen. Wahrhaftig, es fällt mir schwer, mich zu hispanisieren, wie jener Andre sagt...

– Das wird sich schon noch finden, lieber Martial.

– Na ja, für die fünfzig Wörter, wovon ich sprach, hat sich's ja schon gefunden. Ich kann zu essen verlangen: »Deme usted algo de comer; zu trinken:Deme usted de beber«; um ein Bett ersuchen: »Deme usted una cama«; nach dem Wagen fragen: »Enseñeme usted el camino«; wie viel kostet das?:»Cuánto vale esto« Ich kann auch Danke schön! »Gracias« und [21] Guten Tag!: »Buenos dias« sagen, ebenso wie Guten Abend!: »Buenos noches«, und wie befinden Sie sich?: »Como esta usted?« Daneben versteh ich zu wettern und zu schimpfen wie ein Aragonier oder ein Castilianer: Carambi de carambo de caramba...

– Genug, genug! unterbrach ihn Jean, ein wenig erröthend. Diese Schimpfreden hab ich Dir nicht gelehrt, und Du wirst gut thun, sie nicht bei jeder ersten besten Gelegenheit anzuwenden...

– Was denkst Du, Jean?... Die Gewohnheiten eines alten Unterofficiers! Mein Leben lang hab' ich mit lauter Tölpeln und mit manchem Donnerwetter nur so herumgeworfen, und wenn man seine Rede nicht mit ein paar solchen Kraftausdrücken würzt, kommt sie mir immer recht schal vor. Was mir am meisten gefällt an diesem spanischen Kauderwälsch, das Du wie eine Señora sprichst...

– Nun, das wäre, Martial...?

– Ja, wohl zu verstehen, daß dieses Kauderwälsch solche Kraftausdrücke in schwerer Menge... fast mehr als andre Wörter hat.

– Und die hast Du Dir natürlich am leichtesten gemerkt...

– Das gesteh' ich, Jean; der Oberst von Kermor war es aber, als ich unter ihm diente, nicht gewesen, der mir wegen meiner Bombendonnerwetter Vorwürfe gemacht hätte!«

Bei Erwähnung des Namens von Kermor veränderte sich der Gesichtsausdruck des jungen Mannes und eine Thräne benetzte die Lider des Sergeanten Martial.

»Siehst Du, Jean,« nahm der Soldat wieder das Wort, »wenn Gott jetzt zu mir spräche: »»Sergeant, in einer Stunde wirst Du Deinem Oberst die Hand drücken, in zwei Stunden werd' ich aber meinen Blitzstrahl auf Dich herabschleudern!««, dann antwortete ich gewiß: »Herr... mach' Deinen Blitzstrahl fertig und ziele mir aufs Herz!«

Jean trat an den alten Vertrauten heran, trocknete ihm die Thränen ab und betrachtete zärtlich die gute Seele, diese rauhe und offenherzige jeder Aufopferung fähige Natur. Und als Martial ihn an sich zog und in seine Arme preßte, sagte der Jüngling schmeichelnd: »O, so sehr sollst Du mich nicht lieben, bester Sergeant!«

»Wäre mir das möglich?...

– Möglich... und nothwendig... wenigstens vor den Leuten, wenn man uns beobachtet...

[22] – Wenn uns aber niemand sieht...

– Dann steht es Dir frei, Deiner Zärtlichkeit – doch mit einiger Vorsicht – Ausdruck zu geben.

– Das wird schwierig werden!

– Schwierig ist gar nichts, was man nicht umgehen kann. Vergiß nie, was ich bin, ein Neffe, der einer strengen Behandlung seitens seines Onkels bedarf...

– Du lieber Gott! Streng!... seufzte der Sergeant Martial, während er die großen Hände zum Himmel erhob.

– Gewiß! Ein Neffe, den Du nur hast auf die Reise mitnehmen müssen, weil es unangezeigt war, ihn allein zu Hause zu lassen, wo er Dummheiten begehen könnte.

– Dummheiten!...

– Einen Neffen, aus dem Du nach Deinem Vorbilde einen Soldaten machen möchtest...

– Einen Soldaten!...

– Natürlich... einen Soldaten, der in harter Schule erzogen werden muß und dem man keine Vorwürfe und Zurechtweisungen ersparen darf, wenn er sie verdient.

– Und wenn er keine verdient?..

– Das wird sich schon zeigen, erklärte Jean lächelnd, denn er ist ein schlechter Rekrut...

– Ein schlechter Rekrut!... Ich dächte doch...

– Und wenn Du ihm vor den Leuten den Kopf zurechtgesetzt hast...

– Werd' ich ihn unter vier Augen um Entschuldigung bitten! rief Martial.

– Ganz nach Belieben, alter Freund, vorausgesetzt, daß uns niemand sieht!«

Der Sergeant Martial umarmte seinen Neffen, nachdem er vorausgeschickt hatte, daß sie hier in dem verschlossenen Hôtelzimmer wohl Keiner beobachten könne.

»Und jetzt, lieber Freund, sagte Jean darauf, ist die Zeit gekommen, der Ruhe zu pflegen. Geh' in Dein Zimmer hier nebenan, ich werde mich in dem meinigen einschließen.

– Wünschest Du, daß ich die Nacht über vor Deiner Thür wache? fragte der Sergeant Martial.

– Das ist unnöthig. Hier droht keinerlei Gefahr...

[23] – Gewiß nicht; und doch...

– Wenn Du von Anfang an meinen Schutzengel in dieser Weise spielst, wirst Du Deine Rolle als gestrenger Onkel herzlich schlecht spielen...

– Als gestrenger Onkel?... Könnt' ich gegen Dich jemals streng auftreten?

– Es muß aber sein... um jeden Verdacht abzuwenden.

– Nun, Jean, warum hast Du mit aller Gewalt hierher gewollt?...

– Weil ich mußte!

– Warum bist Du nicht da unten in unserm Hause geblieben... in Chantenay oder in Nantes?

– Weil es meine Pflicht war, abzureisen!

– Hätte ich diese Reise nicht allein unternehmen können?

– Nein!

– Gefahren?... Es ist mein Beruf, Gefahren zu trotzen. Ich hab' in meinem Leben nichts andres gethan! – Obendrein bedeuten sie für mich nicht so viel, wie für Dich.

– Ich habe doch darauf bestanden, Dein Neffe zu werden, lieber Onkel!

– Ja, doch wenn mein Oberst darum hätte befragt werden können! rief der Sergeant Martial..

– Und wie denn? entgegnete Jean, dessen Stirn sich furchte.

– Freilich, das war ja unmöglich! Erhalten wir aber in San-Fernando zuverlässige Auskunft und ist es uns jemals vergönnt, ihn wieder zu sehen, was wird er dann sagen?

– Er wird es seinem alten Sergeanten Dank wissen, daß dieser meinen Bitten nachgegeben, daß er zugestimmt hat, mich diese Reise unternehmen zu lassen. Er wird Dich in die Arme drücken und erklären, daß Du ebenso Deine Pflicht gethan hast, wie ich die meine!

– Ich sehe schon, rief der Sergeant Martial, Du machst mit mir eben, was Du willst!

– Das ist ganz in der Ordnung, da Du mein Onkel bist und der Onkel stets dem Neffen gehorchen muß... natürlich nicht vor den Leuten!

– Nein... nicht vor andern Leuten! So lautet die Ordre.

– Und nun, mein lieber Martial, geh' schlafen und schlafe recht gut. Morgen früh müssen wir uns beizeiten auf dem Orinoco-Dampfer einschiffen and dürfen seine Abfahrt nicht verfehlen.

[24] – Gute Nacht, Jean!

– Gute Nacht, mein Freund, mein einziger Freund!... Morgen, und Gott leihe uns seinen Schutz!«

Der Sergeant Martial ging nach der Thür, öffnete sie und drückte sie sorgsam wieder zu, dann aber lauschte er, bis Jean den Schlüssel umdrehte und den Riegel an der Innenseite vorschob. Einige Augenblicke stand er still und hatte das Ohr an die Thürfüllung gelegt. So hörte er, daß Jean, ehe er sich zu Bette begab, sein gewohntes Abendgebet sprach. Erst nach erlangter [25] Gewißheit, daß der junge Mann sich niedergelegt hatte, begab er sich nach seinem Zimmer, und sein einziges Gebet, während er sich mit der Faust an den Kopf hämmerte, lautete:

»Ja... daß der Herr des Himmels uns beschütze, denn was wir vorhaben, ist ja grade schwer genug!«


Caracas. (S. 29.)

Wer sind nun diese beiden Franzosen? Woher kommen sie? Welcher Beweggrund führte sie nach Venezuela? Warum sind sie übereingekommen, hier als Onkel und Neffe aufzutreten? Zu welchem Zwecke wollen sie sich an Bord eines der Orinoco-Dampfer einschiffen und wie weit wollen sie den großen Strom hinausgehen?

Auf alle diese Fragen ist es vorläufig unmöglich, eine erschöpfende Antwort zu geben. Das wird die Zukunft thun, und in der That wird es auch nur die Zukunft zu thun im Stande sein.

Aus dem im Vorhergehenden wiedergegebenen Zwiegespräch läßt sich indeß etwa das Folgende ableiten:

Es waren zwei Franzosen, zwei Bretagner aus Nantes. Wenn über ihre Herkunft kein Zweifel herrscht, so ist das dafür desto mehr der Fall bezüglich der Bande, die sie verknüpfen, und nicht leicht zu sagen, welch gegenseitige Stellung sie einnehmen. Unbekannt ist ja auch jener Oberst von Kermor, dessen Namen zwischen ihnen so häufig erwähnt wurde und sie so tief zu erregen schien.

Jedenfalls mochte der junge Mann nicht älter als sechzehn bis siebzehn Jahre sein. Er war mittelgroß und für sein Alter offenbar recht kräftig entwickelt. Sein Gesicht erschien etwas ernst, selbst traurig, wenn er sich seinen gewohnten Gedanken hingab; seine Züge machten aber einen bestechenden Eindruck mit dem sanften Blick der Augen, dem lächelnden Munde mit perlweißen Zähnen, und mit der warmen Röthe seiner Wangen, die durch die viele freie Luft bei der Ueberfahrt hierher jetzt etwas gebräunt waren.

Der andre der beiden Franzosen – er mochte an der Grenze der Fünfziger stehen – entsprach völlig dem Typus des Sergeanten, des ehemaligen Soldateneindrillers, der so lange gedient hatte, wie seine Jahre ihm zu dienen erlaubten. Seinen Abschied als Unterofficier nehmend, hatte er unter dem Befehle des Obersten von Kermor gestanden, der ihm in einer Schlacht des blutigen Krieges von 1870/71 mit eigner Gefahr das Leben gerettet hatte. Er war einer der wackern Alten, die, wenn sie auch gelegentlich brummen, im Hause ihres frühern Vorgesetzten bleiben, zum Factotum der Familie werden, [26] die Kinder derselben erziehen sehen, wenn sie sie nicht selbst erziehen und, was man auch sagen möge, verwöhnen, und die ihnen zuerst das Reiten lehren, indem sie die Kleinen auf den Knien schaukeln, und den ersten Gesangunterricht ertheilen, indem sie ihnen die Signale des Regiments beibringen.

Trotz seiner fünfzig Jahre ist der Sergeant Martial noch stramm und kräftig. Abgehärtet und unempfindlich durch seinen Beruf als Soldat, auf den weder Hitze noch Kälte merkbaren Einfluß haben, würde er am Senegal nicht sieden und in Rußland nicht erfrieren. Seine Constitution ist fest, sein Muth jeder Probe gewachsen. Er fürchtet sich vor nichts und niemand, höchstens vor sich selbst, denn er mißtraut allem, was er aus eigner Anregung unternimmt. Groß von Gestalt, dabei ziemlich hager, haben seine Glieder nichts von ihrer früheren Kraft eingebüßt, und auch in seinem jetzigen Alter hat er sich die ganze militärische Strammheit bewahrt. Er mag ein Brummbär, ein alter Schnauzbart sein, doch im übrigen, welch gutmüthige Natur, welch vortreffliches Herz, und was würde er nicht alles für die thun, die er liebt! Es scheint jedoch, daß diese sich in unsrer niedern Welt auf zwei Persönlichkeiten beschränken, auf den Oberst von Kermor und auf Jean, dessen Onkel zu spielen er zugestimmt hat.

Mit welch' ängstlicher Sorgfalt behütet er den jungen Mann! Wie sorgt er für ihn, obgleich er sich entschlossen hat, sich seiner Ansicht nach sehr streng zu erweisen! Man hätte ihn freilich nicht fragen dürfen, was diese Strenge für Zweck habe und warum er überhaupt diese ihm so widerstrebende Rolle spiele. Da hätte man zornige Blicke zu sehen und recht abschreckend lautende Antworten zu hören bekommen. Ja, er hätte jeden Frager mit Grazie dahin verwünscht, wo der Pfeffer wächst.

Daran hatte es auch während der Fahrt von der Alten nach der Neuen Welt über den Atlantischen Ocean keineswegs gefehlt. Wie waren da die Passagiere des »Pereire«, die sich Jean hatten nähern, mit ihm gelegentlich plaudern oder ihm kleine, an Bord so alltägliche Dienste erweisen wollen, da sie sich für den jungen Mann zu interessieren schienen, der von seinem querköpfigen und wenig umgänglichen Onkel so hart behandelt wurde – wie waren sie zurückgescheucht worden mit dem ernstlichen Rathe, so etwas nicht noch einmal zu versuchen!

Wenn der Neffe ein reichlich weites Reisecostüm mit flatternder Jacke und Hofe trug, die kurz geschnittenen Haare mit einem weißen Tropenhelm bedeckte und starksöhlige Stiefeln an den Füßen hatte, so erschien der Onkel im Gegentheil [27] in einen langen Rock eingezwängt. Ohne grade eine Uniform zu sein, erinnerte er an eine solche doch durch den militärischen Zuschnitt. Es fehlten nur die Schnüre und die Achselstücke daran. Unmöglich konnte man den Sergeanten Martial überzeugen, daß es rathsamer sei, eine dem venezuolanischen Klima mehr angepaßte Kleidung zu wählen, die er folglich hätte anlegen sollen. Wenn er keine Dienstmütze trug, kam das nur daher, daß Jean ihn genöthigt hatte, auch einen Tropenhelm aus weißem Stoff aufzusetzen, der besser als jede andre Kopfbedeckung gegen die Gluthstrahlen der Sonne schützt.

Der Sergeant Martial war dem Befehle nachgekommen. Doch, »was kümmerte er sich denn um das bischen Sonne!« – er mit seinem Felle von kurzen, starren Haaren und einem Schädel aus Stahl!

Selbstverständlich enthielten die, wenn auch nicht gar so umfänglichen Reisesäcke des Onkels und des Neffen, was Kleidung zum Wechseln, Leibwäsche, Toilettenbedürfnisse, Schuhwerk u. dgl. betraf, alles, was eine solche Reise erforderte, da sich solche Dinge unterwegs ja nicht neu beschaffen ließen. Darunter befanden sich Schlafdecken und auch Waffen und Munition in ausreichender Menge, ein Paar Revolver für den jungen Mann und ein zweites Paar für den Sergeanten Martial – ohne ein kurzes Gewehr zu zählen, von dem letzterer, ein sehr sichrer Schütze, bei Gelegenheit guten Gebrauch zu machen hoffte.

Bei Gelegenheit?... Sind die Gefahren im Gebiete des Orinocobeckens denn gar so groß, daß man wie im Innern Afrikas jeden Augenblick zur Vertheidigung bereit sein muß? Streifen wohl so viele Banden räuberischer, blutdürstiger Indianer, die zum Theil noch Menschenfresser sein sollen, an den Ufern und in der Nachbarschaft des Stromes umher?

Ja und nein.

Wie es schon aus dem Gespräche der Herren Miguel, Felipe und Varinas hervorging, bietet der untere Orinoco von Ciudad-Bolivar bis zur Einmündung des Apure keinerlei Gefahr. Sein Mittellauf, zwischen dieser Flußmündung und San Fernando de Atabapo, erheischt schon einige Vorsicht, besonders wegen der übel beleumundeten Quivas-Indianer. Der Oberlauf des Stromes aber ist nichts weniger als sicher; die Stämme, die hier hausen, haben noch ihre völlige Wildheit bewahrt.

Wie der Leser weiß, lag es nicht in der Absicht des Herrn Miguel und seiner beiden Collegen, über den Flecken San-Fernando hinauszugehen. Ob der [28] Sergeant Martial und sein Neffe sich noch weiter hinauswagen würden, ob unvorhergesehene Zwischenfälle sie vielleicht bis zu den Quellen des Orinoco hinauf führen sollten, das konnte niemand wissen und wußten sie vorher selbst nicht.

Unzweifelhaft war nur, daß der Oberst von Kermor Frankreich vor vierzehn Jahren verlassen hatte, um sich nach Venezuela zu begeben. Was er daselbst machte, was aus ihm geworden war, infolge welcher Umstände er sich zu einer so überstürzten Auswanderung entschlossen hatte, daß er nicht einmal seinen alten Waffengefährten davon unterrichtete – das wird vielleicht der Verlauf dieser Erzählung lehren. Aus der Unterhaltung des Sergeanten Martial und des jungen Mannes hätte sich in Bezug hierauf nichts Bestimmtes entnehmen lassen.

Was diese Zwei selbst anging, wäre etwa Folgendes zu berichten:

Vor drei Wochen hatten sie ihre Wohnung in Chantenay bei Nantes verlassen und sich in Saint-Nazaire auf dem »Pereire«, einem Packetboot der Transatlantischen Gesellschaft eingeschifft, das nach den Antillen bestimmt war. Von da hatte ein andres Schiff sie nach La Guayra, dem Hafen von Caracas, übergeführt und eine kurze Eisenbahnfahrt sie endlich nach der Hauptstadt Venezuelas gebracht.

Ihr Aufenthalt in Caracas währte nur eine Woche. Sie verwandten auch gar keine Zeit auf den Besuch der, wenn nicht merkwürdigen, so doch recht hübschen Stadt, in der der Höhenunterschied zwischen dem obern und dem untern Theile über tausend Meter beträgt. Ja sie bestiegen kaum den Calvarienberg mit seiner umfassenden Aussicht auf die ganze Ortschaft mit ihren meist leicht gebauten Häusern – leicht, weil sie so weniger Gefahr bei Erdbeben bieten – wie dem von 1812, bei dem zwölftausend Menschen umkamen. Uebrigens giebt es in Caracas auch recht schöne Parkanlagen mit vielen immergrünen Bäumen, einige sehenswerthe öffentliche Gebäude, wie den Palast des Präsidenten, eine Kathedrale von herrlicher Architektur, und Terrassen, die das prächtige Antillenmeer zu beherrschen scheinen; übrigens wogt hier das bunte Leben einer großen Stadt, denn Caracas zählt schon über hunderttausend Einwohner.

Alles das vermochte den Sergeanten Martial und seinen Neffen aber keinen Augenblick von dem abzuziehen, was sie hier vor allem beabsichtigten. Sie benützten die acht Tage fast ausschließlich zur Einziehung von Erkundigungen bezüglich der Reise, die sie vorhatten und die sie vielleicht bis in die fernsten und fast unbekannten Theile der Republik Venezuela führen sollte. Was sie [29] hier erfuhren, war freilich nicht viel und meist recht unbestimmt, sie hofften sich aber in San-Fernando ausführlicher und besser unterrichten zu können. Von da aus wollte Jean seine Nachsuchungen, soweit wie es irgend nöthig erschien, ausdehnen und wenn es sein mußte, bis nach den gefährlichen Gebieten des obern Orinoco vordringen.

Wenn der Sergeant Martial dann etwa seine Autorität geltend machen wollte, wenn er Einspruch erhob, daß Jean sich den Gefahren einer solchen Reise aussetzte, so stieß er allemal – der alte Soldat wußte das ja gar zu gut – auf einen so zähen Widerstand bei dem jungen Manne – eigentlich Knaben dieses Alters, auf einen so unbeugsamen Willen, daß er schließlich nachgab, weil er eben nachgeben mußte.

Deshalb wollten also die beiden Franzosen, die erst am Abend vorher in Ciudad-Bolivar eingetroffen waren, schon am nächsten Morgen an Bord des Dampfers weiter fahren, der den Dienst auf dem untern Orinoco versieht.

»Gott leihe uns seinen Schutz, hatte Jean gesagt... ja, er beschütze uns bei der Hinreise wie bei der Wiederkehr!«

3. Capitel
Drittes Capitel.
An Bord des »Simon Bolivar«.

»Der Orinoco entstammt dem irdischen Paradiese«, so heißt es in einem der Berichte des Columbus. Als Jean diese Anschauung des großen genuesischen Seefahrers zum erstenmale vor dem Sergeanten Martial aussprach, meinte dieser nur:

»Na, das werden wir ja sehen!«

Vielleicht hatte er nicht unrecht, das Urtheil des berühmten Entdeckers Amerikas anzuzweifeln.

Ebenso war es wohl richtiger, in den Bereich reiner Legenden die Behauptungen zu verweisen, nach denen der große Strom aus dem Lande El Dorado herkommen sollte, wie es die ersten Erforscher dieser Gegenden – ein [30] Hajeda, Pinzon, Cabral, Magelhaens, Valdivia, Sarmiento und viele Andre zu glauben schienen, die nicht die Gebiete Südamerikas durchzogen.

Jedenfalls beschreibt der Orinoco in der Republik einen ungeheuern Halbkreis zwischen dem dritten und dem achten Grade nördlicher Breite, dessen Bogenende bis zum siebzigsten Grade westlicher Länge von Paris hinreicht. Die Venezuolaner sind stolz auf ihren Strom, und natürlich standen die Herren Miguel, Felipe und Varinas in dieser Hinsicht ihren Landsleuten in keiner Weise nach.

Vielleicht hatten sie sogar die Absicht, öffentlich gegen Elisée Reclus aufzutreten, der im zehnten Band seiner neuen »Allgemeinen Geographie« dem Orinoco nur den neunten Rang unter den Strömen der Erde zuertheilt, nämlich nach dem Amazonenstrome, dem Congo, dem Parana-Uruguay, dem Niger, Yang-tse-Kiang, dem Brahmaputra, dem Mississippi und dem Sanct-Lorenzo. Sie hätten ja nach Diego Ordaz, einem Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts, dagegen anführen können, daß die Indianer ihn »Paragua«, das heißt »Das große Wasser«, genannt hatten. Trotz eines so schwerwiegenden Beweismittels unterdrückten sie jedoch ihren Widerspruch, und vielleicht thaten sie gut daran, denn das Werk des französischen Geographen stützt sich auf gar zu verläßliche Quellen.

Am 12. August früh sechs Uhr war der »Simon Bolivar« – dieser Name wird ja niemand wundernehmen – zur Abfahrt bereit. Der Dampferverkehr zwischen Ciudad-Bolivar und den Ortschaften an dem untern Laufe des Orinoco besteht erst seit einigen Jahren und reicht über die Mündung des Apure nicht hinaus. Unter Weiterbenützung dieses Flusses können Passagiere und Waaren aber bis nach San-Fernando (de Apure, nicht zu verwechseln mit San-Fernando am Orinoco) hinauf gelangen, Dank der venezuolanischen Gesellschaft, die diesen zweimonatlichen Dienst eingerichtet hat.


Der Sergeant Martial und Jean von Kermor.

An der Mündung des Apure oder vielmehr einige Meilen stromabwärts, bei dem Flecken Caïcara, mußten die Passagiere, die auf dem Orinoco weiter hinauf wollten, den »Simon Bolivar« verlassen und sich den nothdürftig ausgestatteten Indianerbooten anvertrauen.

Der Dampfer war berechnet zur Fahrt auf diesen Flüssen, deren Wasserstand zwischen der trocknen Jahreszeit und der Regenzeit sehr beträchtlich wechselt. Nach einem Modelle, ähnlich denen der Packetboote des Magdalenenstromes in Columbien, hatte er einen ganz flachen Boden und also so wenig wie möglich [31] Tiefgang. Als einzigen Betriebsmechanismus besaß er ein sehr großes Rad ohne Ueberbau (Radkasten) am Hintertheil, das von einer starken, doppelt wirkenden Maschine bewegt wurde. Stelle man sich also eine Art Floß vor mit einem Aufbau, neben dem sich die zwei Schornsteine der Schiffskessel erhoben. Dieser Aufbau, mit einem Spardeck darüber, enthielt Salons und Cabinen für die Passagiere, das untere Deck diente zur Unterbringung der Waaren – eine Einrichtung, die auch an die amerikanischen Flußdampfer mit ihren ungeheuern Balanciers und mächtigen Treibstangen erinnert. Das Ganze [32] ist bis hinauf zum Platz des Lootsen und des Kapitäns, der sich ganz oben unter dem Banner der Republik befindet, mit grellen Farben angestrichen. Auf den Rosten verbrennt man nur Holz aus den nahen Wäldern, und man bemerkt bereits fast unübersehbare baumlose Flächen, wo die Axt des Holzfällers gearbeitet hat, an jeder Seite des Orinoco.


Alle machten ihren Wünschen in lebhaften Zurufen Luft. (S. 34.)

Ciudad-Bolivar liegt vierhundertzwanzig Kilometer von den Mündungen des Orinoco, und wenn sich die Flut auch bis dahin bemerkbar macht, so vermag sie doch die Normalströmung nicht umzukehren. Die Fahrzeuge, die [33] stromaufwärts wollen, können sich also der Flut auch nicht mit besonderem Vortheil bedienen, vorzüglich bei starker Anschwellung des Wassers, die bei der Hauptstadt zwölf bis fünfzehn Meter über dem normalen Stand betragen kann. Im allgemeinen wächst der Orinoco aber bis Mitte August und behält dann sein Niveau bis Ende September. Hierauf tritt ein Abfallen ein bis in den November, das, unterbrochen durch einen kürzere Zeit anhaltenden höheren Stand, bis zum April fortdauert.

Die Fahrt des Herrn Miguel und seiner Collegen sollte also in günstiger Jahreszeit stattfinden, wo alle drei in Frage kommenden Wasserläufe untersucht werden konnten.

Am Einschiffungsplatz in Ciudad-Bolivar strömten am betreffenden Tage eine Menge Freunde der drei Geographen zusammen. Wenn das schon bei der Abfahrt der Fall war, wie würde es erst bei der Rückfahrt sein! Alle, die für den berühmten Strom Partei nahmen, machten ihren Wünschen in ebenso lebhaften und geräuschvollen Zurufen Luft, wie die Vertheidiger der beiden Zuflüsse, und trotz des Lärmens und Hastens der Lastträger und der Schiffsbedienung, die die Landverbindungen des Dampfers zu lösen begann, trotz des betäubenden Prasselns der Kessel und des ohrzerreißenden Ausströmens des Dampfes durch die Sicherheitsventile, unterschied man doch immer noch deutlich die Rufe:

»Viva el Guaviare!

– Viva el Atabapo!

– Viva el Orinoco!«

Das hatte wieder heftige Auseinandersetzungen der Anhänger verschiedener Ansichten zur Folge, die ein schlechtes Ende zu nehmen drohten, obwohl Herr Miguel die hitzigen Streitköpfe zu beschwichtigen sich bemühte.

Von dem Spardeck aus, wo sie Platz genommen hatten, beobachteten der Sergeant Martial und sein Neffe diese lärmenden Auftritte, von denen sie nicht das Geringste begriffen.

»Was mögen nur die Leute wollen? rief der alte Soldat. Das erscheint doch wie die reine Revolution!«

Um eine solche konnte es sich aber schon deshalb nicht handeln, weil in den spanisch-amerikanischen Staaten diese stets unter Mitwirkung des Militärs vor sich gehen. Hier sah man jedoch keinen einzigen von den siebentausend Generalen des Generalstabs von Venezuela.

[34] Jean und der Sergeant Martial konnten über jene Vorgänge indeß nicht lange im Unklaren bleiben, denn im Verlaufe der Fahrt mußte die zwischen dem Herrn Miguel und seinen beiden Collegen streitige Frage jedenfalls wieder zur Erörterung kommen.

Der Kapitän gab seine letzten Befehle – zuerst dem Maschinisten, seine Maschine fertig zu halten, dann den Schiffsleuten, die Sorrtaue am Vorder- und am Hintertheile schießen zu lassen. Alle, die nicht zur eigentlichen Reisegesellschaft gehörten und die sich hier und da auf dem Oberbau verstreut hatten, mußten nun nach dem Quai zurückkehren. Nach einigem Gedränge und verschiedenen Rippenstößen waren denn bald auch nur noch die Passagiere und die Schiffsbedienung an Bord.

Sowie sich der »Simon Bolivar« in Bewegung gesetzt hatte, verdoppelten sich die Zurufe und wurde der Tumult, aus dem man das Hochschreien auf den Orinoco und seine Zuflüsse heraushörte, nur noch ärger. Als das Fahrzeug dann ein Stück vom Ufer abgekommen war, peitschte sein mächtiges Rad das Wasser mit aller Kraft und der Steuermann lenkte es der Mitte des Stromes zu. Eine Viertelstunde später verschwand die Stadt hinter einer Biegung des linken Stromufers und bald sah man auch nichts mehr von den letzten Häusern von Soledad auf dem jenseitigen Ufer.

Die Ausdehnung der venezuolanischen Ilanos schätzt man auf nicht weniger als fünfmalhunderttausend Quadratkilometer, die von horizontalen, fast ganz glatten Ebenen eingenommen werden.

Höchstens an vereinzelten Stellen zeigt der Erdboden Erhebungen, die man im Lande Bancos nennt, und noch seltner Anhöhen mit seitlich abfallenden Wänden, die sogenannten Mesas. Die Ilanos steigen erst am Fuße der Berge, deren Nachbarschaft sich schon bemerkbar macht, etwas mehr an. Andre Landstrecken, die Bajos, ziehen sich bis an den Strom heran. Durch diese ungeheuern Gebiete, die während der Regenzeit ein üppiges Grün bedeckt und die in der trocknen Jahreszeit gelb oder fast farblos erscheinen, wälzt der Orinoco seine Wassermassen in einem großen Halbkreis hin.

Die Passagiere des »Simon Bolivar« übrigens, die etwa den Wunsch hegten, den Strom vom hydrographischen oder vom geographischen Gesichtspunkte aus näher kennen zu lernen, hätten sich nur an die Herren Miguel, Felipe und Varinas zu wenden brauchen, um über alles Auskunft zu erhalten. Die gelehrten Herren waren ja jeden Augenblick bereit zu den eingehendsten Mittheilungen [35] über die Uferortschaften, über alle vom Strome aus sichtbaren Dörfer, wie über die Nebenflüsse und die verschiedenen nomadischen oder seßhaften Volksstämme der Gegend. An gewissenhaftere und mehr unterrichtete Ciceroni hätte man sich gar nicht wenden können – die Herren waren ja stets bereit, sich den Passagieren bezüglich solcher Fragen völlig zur Verfügung zu stellen.

Die größte Menge der Fahrgäste auf dem »Simon Bolivar« hatte es freilich kaum nöthig, noch etwas über den Orinoco zu lernen, denn sie waren auf diesem schon viele Mal stromauf oder stromab gefahren, die einen bis zu den Mündungen des Apure, die an dern bis zu dem Flecken San-Fernando de Atabapo. Die meisten waren Kaufleute oder einfache Händler, die ihre Waaren nach dem Innern schafften oder solche den östlichen Häfen zuführten. Die gewöhnlichsten Handelsartikel bestanden hier aus Cacao, Fellen, Rinder- und Hirschhäuten, Kupfererzen, Holzwaaren, Farbstoffen, Tonkabohnen, Kautschuk, Sarsaparille und endlich aus lebendem Vieh; die Aufzucht von Vieh bildet die Hauptbeschäftigung der Ilaneros auf den weiten Ebenen.

Venezuela gehört in seiner ganzen Ausdehnung zur Tropenzone. Seine Mitteltemperatur liegt zwischen vierundzwanzig und dreißig Grad Celsius. Sie wechselt aber, wie das ja in allen Gebirgsgebieten der Fall ist. Zwischen den Anden der Küste und denen im Westen erreicht die Wärme die höchsten Grade; hier hat man die Gebiete zu suchen, die das Bett des Orinoco durchschneidet und nach denen Seewinde niemals Eingang finden. Sogar die Hauptwinde, die aus Norden und Osten kommenden Passate, werden durch die Höhen an der Küste aufgehalten und tragen nur sehr wenig zur Mäßigung der Wärme bei.

Heute sah der bedeckte Himmel etwas regendrohend aus und die Passagiere litten nicht allzusehr von der Hitze. Der Wind wehte von Westen, also der Bewegung des Schiffes entgegen, so daß sich dessen Passagiere dabei recht wohl befanden.

Der Sergeant Martial und Jean, die beide auf dem Spardeck lagen, betrachteten aufmerksam die beiden Ufer des Stromes. Ihre Reisebegleiter schienen von dem Schauspiel weniger angezogen zu werden. Nur das Geographentrio ließ sich keine Einzelheit entgehen und besprach alles mit einer gewissen Lebhaftigkeit.

Hätte sich Jean an dasselbe gewendet, so würde er ja über Alles verläßliche Auskunft erhalten haben. Einerseits aber würde der eifersüchtige und strenge Sergeant Martial keinem Fremden gestattet haben, mit dem Neffen ein [36] Gespräch zu beginnen, und andrerseits brauchte dieser wirklich niemand, um »Schritt für Schritt« alle Dörfer, Inseln und Windungen des Stromes zu erkennen. Er besaß einen sichern Führer in dem Berichte über zwei Reisen, die Chaffanjon im Auftrage des französischen Ministers des Unterrichts unternommen hatte. Die erste im Jahre 1884 umfaßte den Unterlauf des Orinoco zwischen Ciudad-Bolivar und der Mündung des Caura, wobei auch dieser bedeutende Nebenfluß untersucht wurde; die zweite, in den Jahren 1886 und 1887, erstreckte sich über den ganzen Lauf des Stromes von Ciudad-Bolivar bis zu dessen Quellen. Der Bericht des französischen Reisenden zeichnet sich durch die äußerste Verläßlichkeit aus, und Jean hoffte ihn noch häufig mit Vortheil zu benützen.

Der Sergeant Martial war natürlich mit einer hinreichenden Geldsumme – in Piastern – versehen, um alle Unkosten der Reise bestreiten zu können. Er hatte sich auch mit einer gewissen Menge von Tauschgegenständen versorgt, wie mit Stoffen, Messern, Spiegeln, Glas- und Kunstwaaren, sowie mit andern hübschen Sachen von geringem Werthe, die den Verkehr mit den Indianern der Ilanos erleichtern helfen sollten. Der ganze Vorrath füllte zwei Kisten, die mit dem übrigen Gepäck in der Cabine des Onkels neben der seines Neffen standen.

Sein Buch vor den Augen, verfolgte Jean gewissenhaft die beiden Stromufer, die sich entgegengesetzt der Richtung des »Simon Bolivar« scheinbar dahin bewegten. Sein Landsmann hatte bei jener Fahrt die Reise freilich unter ungünstigeren Umständen, nämlich in einem, oft nur durch Ruder fortbewegten Segelschiffe zurücklegen müssen, während jetzt Dampfboote bis zur Apuremündung verkehren. Von hier aus mußten sich der Sergeant Martial und Jean indeß ebenfalls mit derselben unvollkommenen Beförderungsmethode begnügen, da der Strom gar zu viele Hindernisse bietet, die den Reisenden arge Unbequemlichkeiten verursachen.

Noch am frühen Morgen kam der »Simon Bolivar« in Sicht der Insel Orocopiche vorüber, deren Bodenerzeugnisse die Hauptstadt der Provinz reichlich mit dem Nöthigsten versehen. Hier engt sich das Bett des Orinoco bis auf neunhundert Meter ein, verbreitert sich aber ein wenig stromaufwärts wieder um das Dreifache. Von dem Oberdeck aus konnte Jean die umgebenden, nur von isolierten Cerros unterbrochenen Ebenen auf weite Strecken hm übersehen.

[37] Im Laufe des Vormittags vereinigten sich die Passagiere – im Ganzen etwa zwanzig – zum Frühstück im Salon, wo Herr Miguel und seine beiden Collegen die ersten waren, die ihre Plätze einnahmen. Der Sergeant Martial ließ sich jedoch kaum überholen; er schleppte dabei auch seinen Neffen mit sich, auf den er in so barschem Tone sprach, daß es Herrn Miguel gar nicht entgehen konnte.

»Ein recht bärbeißiger Kerl, dieser Franzose, bemerkte er gegen den neben ihm sitzenden Herrn Varinas.

– O, ein Soldat, das sagt ja Alles!« erwiderte der Vertheidiger des Guaviare.

Das Auftreten des alten Unterofficiers war eben militärisch genug, daß niemand darüber in Zweifel bleiben konnte.

Der Sergeant Martial hatte sich schon vor dem Frühstück »die Kehle geputzt«, indem er einen Anisado, einen Branntwein aus Zuckerrohr und mit Anis vermischt, verschluckte. Jean, der solche starke Getränke nicht zu lieben schien, bedurfte keines derartigen Reizmittels, um der Mahlzeit alle Ehre anzuthun. Er hatte neben seinem Onkel am Ende des Salons Platz genommen, und der Gesichtsausdruck des Brummbärs war so abstoßend, daß niemand versucht wurde, sich an seine Seite zu setzen.

Die Geographen nahmen die Mitte der Tafel ein und führten daran auch das Wort. Da es bekannt war, in welcher Absicht sie diese Reise unternommen hatten, interessierten sich die andern Fahrgäste natürlich für alles, was die Herren sagten, und selbst der Sergeant Martial schien nichts dagegen zu haben, daß sein Neffe ihren Worten lauschte.

Die Speisekarte enthielt zwar mancherlei Gerichte, doch nur von geringer Güte; auf den Dampfern des Orinoco darf man indeß keine hohen Ansprüche machen. Immerhin wäre es gewiß wünschenswerth gewesen, während der Fahrt auf dem Oberlaufe des Stromes solche Bistecas zu haben – obgleich diese von einem Kautschukbaume herzurühren schienen – solche Ragouts, die in safrangelber Sauce schwammen, solche Eier, wenn sie auch so hart waren, daß man sie hätte an den Bratspieß stecken können, oder solch aufgewärmtes Geflügel, das nur durch sehr langes Kochen einigermaßen weich geworden war. Von Früchten gab es unter andern Bananen in Ueberfluß, entweder im Naturzustande oder durch Einlegen in Melissesyrup zu einer Art Consitüre verwandelt. Ferner recht gutes Brod, natürlich Maisbrod, selbst Wein, doch leider nur recht theuern und schlechten.

[38] Das war also das Almerzo, das Frühstück, das übrigens recht schnell erledigt wurde.

Am Nachmittag kam der »Simon Bolivar« an der Insel Bernavelle vorbei. Zahlreiche Inseln und Eilande verengten hier das Bett des Orinoco, und das Rad mußte mit doppelter Kraft arbeiten, um die heftige Strömung zu überwinden. Der Kapitän erwies sich dabei so geschickt in der Führung des Schiffes, daß er gewiß auch durch diese gefährlicheren Stellen glücklich hindurch kam.

An der linken Seite zeigte sich das Ufer jetzt von vielen Buchten mit dichtbewaldeten Abhängen zerrissen, vorzüglich jenseits von Almacens, einem kleinen Dorfe mit nur dreißig Bewohnern, das noch ganz so aussah, wie es Chaffanjon acht Jahre früher gesehen hatte. Hier und da rauschten kleine Abflüsse, wie der Bari, der Lima und andre herab. Ihre Mündungen umrahmten Haine von Coniferen, deren durch einfache Einschnitte gewonnenes Oel einen begehrten Artikel bildet, oder eine Anzahl Mauritiuspalmen. Auf allen Seiten aber tummelten sich ganze Gesellschaften von Affen, deren Fleisch die Bistecas des Frühstücks, die bei der Mittagstafel wieder erscheinen sollten, bei weitem übertrifft.

Es sind übrigens nicht allein Inseln, die die Schifffahrt auf dem Orinoco schwierig gestalten; der Strom ist da und dort auch von gefährlichen Rissen unterbrochen, die mitten im Fahrwasser steil emporstarren. Dem »Simon Bolivar« glückte es jedoch, jeden Zusammenstoß zu vermeiden, und gegen Abend legte er nach einer Fahrt von fünfundzwanzig bis dreißig Lieues bei dem Dorfe Moitaco an.

Hier sollte bis zum nächsten Morgen Halt gemacht werden, da es nicht rathsam schien, in der Nacht, die bei einer dichten Wolkendecke und dem Fehlen des Mondes sehr finster werden mußte, weiter zu fahren.

Um nenn Uhr glaubte der Sergeant Martial die Zeit zum Niederlegen gekommen, und Jean versuchte es gar nicht, dem Wunsche seines Onkels entgegenzutreten.

Beide zogen sich also nach ihren, im zweiten Stockwerke des Aufbaues gelegenen Cabinen zurück. Diese enthielten jede eine sehr einfache Lagerstätte mit einer leichten Decke und eine jener Matten, die man hier Esteras nennt – übrigens genug Bettzeug für die warme Tropengegend.

Der junge Mann betrat seine Cabine, legte die Kleider ab und begab sich zu Bett, worauf der Sergeant Martial noch den »Toldorahmen«, ein mit [39] Musselin bespanntes Gestell, in Ordnung brachte, das man wegen der blutdürstigen Insecten des Orinoco hier gar nicht entbehren kann. Er wollte keinem einzigen dieser verwünschten Muskitos gestatten, die Haut seines Neffen zu belästigen. Mit seiner mochte das so hingehen, denn sie war so dick und lederartig, daß Insecten ihr nicht viel anhaben konnten, und wenn sie es doch versucht hätten, würde er sich ihrer schon zu erwehren wissen.

Auf diese Weise geschützt, schlummerte Jean ruhig bis zum frühen Morgen, trotz der Myriaden von Blutsaugern, die seinen Toldo umschwärmten.

In den ersten Morgenstunden setzte sich der »Simon Bolivar«, dessen Kesselfeuer man auch in der Nacht unterhalten hatte, wieder in Bewegung, nachdem die Manschaft das in den benachbarten Wäldern gefällte Holz herangeschafft und auf dem Vorderdeck aufgeschichtet hatte.

Der Landungsplatz des Dampfers befand sich in einer der beiden Buchten zur Rechten und zur Linken von Moitaco. Sobald er aus dieser Bucht hinaus war, verschwand auch schon die Gruppe hübscher Häuschen – früher ein wichtiger Mittelpunkt der spanischen Mission – hinter einer Biegung des Flusses. In diesem Dorfe hatte Chaffanjon vergeblich nach dem Grabe eines der Begleiter des Doctor Crevaux, des François Burban – einem Grabe, das auf dem bescheidnen Friedhof von Moitaco nicht mehr nachzuweisen war – gesucht.

Im Laufe des Tages passierte der Dampfer den Weiler Santa-Cruz, ein Häuschen von zwanzig Hütten am Stromufer, ferner die Insel Guanares, den ehemaligen Sitz der Missionäre, fast genau an der Stelle, wo der Bogen des Flusses sich nach Süden zu wendet, um dann nach Westen zu weiter zu gehen, und endlich die Insel Muerto.

Hierbei mußten verschiedene Raudals – so nennt man die durch die Verengerung des Flußbettes erzeugten Stromschnellen – überwunden werden. Was aber den Leuten auf den durch Ruder oder Segel fortbewegten Fahrzeugen viel Anstrengung kostet, das kostete auf dem »Simon Bolivar« nur eine Vermehrung des Brennmaterials unter den Kesselrosten. Die Sicherheitsventile bliesen Dampf ab, wurden deshalb aber nicht besonders belastet. Das große Rad peitschte das Wasser heftiger mit seinen breiten Schaufeln. Unter solchen Verhältnissen konnten drei oder vier dieser Raudals ohne größere Verzögerung durchschifft werden sogar der des »Höllenrachens«, auf den Jean stromaufwärts von der Insel Matapalo hinwies.

[40] »Sapperment, meinte der Sergeant Martial, das Buch dieses Franzosen scheint ja alles genau anzugeben, was wir bei der Fahrt des »Simon Bolivar« zu sehen bekommen!

– Ganz genau, lieber Onkel. Nun legen wir binnen vierundzwanzig Stunden dieselbe Strecke zurück, für die unser Landsmann damals drei bis vier Tage brauchte.


Sein Buch vor den Augen... (S. 37.)

Wenn wir freilich den Dampfer erst gegen ein Fahrzeug des mittleren Orinoco vertauscht haben, wird es mit uns ebenso langsam weiter gehen, wie mit ihm. Doch das thut nichts; uns liegt ja nur [41] daran, nach San Fernando zu kommen, wo ich genauere Auskunft zu erhalten hoffe.

– Gewiß; es ist doch gar nicht möglich, daß mein Oberst da hindurch gekommen wäre, ohne irgend welche Spuren zu hinterlassen. Wir werden es schon noch erfahren, wo er sein Zelt aufgeschlagen hat... Ach, wenn wir ihm erst gegenüberstehen... wenn Du Dich in seine Arme stürzest und er erst weiß...

– Daß ich Dein Neffe bin... Dein Neffe!« fiel der junge Mann ein, der immer fürchtete, daß seinem Onkel ein unvorsichtiges Wort entschlüpfen könnte.

Am Abend legte sich der »Simon Bolivar« an der Barranca fest, auf der sich der kleine Flecken Mapire erhebt.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas wollten unter Benutzung einer Dämmerstunde den ziemlich bedeutenden Ort des linken Ufers besichtigen.

Jean hätte sie da gern begleitet, der Sergeant Martial erklärte aber, es scheine ihm nicht gerathen, vom Bord wegzugehen, und so blieb der junge Mann gehorsam zurück.

Die drei Collegen von der Geographischen Gesellschaft hatten ihren kleinen Ausflug übrigens nicht zu bereuen.

Von der Anhöhe bei Mapire genießt man eine weite Aussicht stromauf- und stromabwärts und überblickt nach Norden hin auch die Ilanos, wo die Indianer auf den großen, waldumgrenzten Ebenen Maulesel, Pferde und Esel züchten.

Um neun Uhr schliefen schon alle Passagiere in ihren Cabinen, nachdem sie natürlich die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln wegen des Eindringens der unzähligen Muskitos getroffen hatten.

Der nächste Tag wurde von einem unaufhörlichen Platzregen buchstäblich ertränkt. Auf dem Spardeck konnte kein Mensch verweilen. Der Sergeant Martial und der junge Mann verbrachten die langen Stunden in dem Salon des Hinterdecks, wo auch die Herren Miguel, Felipe und Varinas Zuflucht gesucht hatten. Hier wäre es schwierig gewesen, nichts vom Stand der Atabapo-Guaviare-Orinoco-Frage zu hören, denn die gelehrten Herren führten kein andres Wort im Munde und liebten es, ihren Ansichten recht lauten Ausdruck zu geben. Mehrere Passagiere mischten sich in das Gespräch ein und nahmen für oder wider den Einen oder den Andern Partei, obwohl man voraussetzen konnte, daß sie nicht selbst bis San-Fernando mitfahren würden, um jenes geographische Problem lösen zu helfen.

[42] »Welches Interesse kann man nur daran haben? fragte der Sergeant Martial seinen Neffen als dieser ihn über das streitige Thema unterrichtet hatte. Ob ein Fluß nun so oder so heißt, immer bewegt sich sein Wasser doch nur dem natürlichen Abhang nach...

– Meinst Du, lieber Onkel? erwiderte Jean. Wenn es aber keine derartigen Streitfragen gäbe, wozu brauchte man dann überhaupt Geographen, und wenn es keine Geographen gäbe...

– So könnten wir keine Geographie lernen, fiel der Sergeant Martial ein. Jedenfalls werden wir die Gesellschaft dieser Streitköpfe bis nach San-Fernando genießen.«

In der That mußte die Fahrt von Caïcara aus in einem der Flachboote des mittleren Orinoco fortgesetzt werden, deren Construction ihnen gestattet, über die zahlreichen Strudel des Stromes hinwegzukommen.

Infolge des abscheulichen Wetters dieses Tages sah man gar nichts von der Insel Tigritta. Wie zur Entschuldigung konnten sich die Tischgäste, beim Frühstück wie beim Mittagsmahle, an vorzüglichen Fischen gütlich thun... an den Morocotes, die es hier in ungeheurer Menge giebt und die eingesalzen in großen Sendungen nach Ciudad-Bolivar und nach Caracas gehen.

In den letzten Vormittagstunden kam der Dampfer westlich von der Mündung des Caura vorüber. Dieser Wasserlauf bildet einen der bedeutendsten Zuflüsse des rechten Ufers, strömt von Südwesten her durch die Gebiete der Panares, Inaos, Arebatos und der Taporitos und bewässert die an Naturschönheiten reichsten Thäler von Venezuela. Die dem Orinoco nahe gelegenen Dörfer sind von gesitteten Mestizen spanischen Ursprungs bevölkert. In den entfernteren siedeln nur wilde Indianer, Viehzüchter, die man Gomeros nennt, weil sie sich auch mit der Einsammlung arzneilich verwendeter Gummiarten beschäftigen.

Jean hatte einen Theil seiner Zeit verwendet, den Bericht seines Landsmanns zu lesen, der bei seiner ersten Reise, 1885, den Orinoco verließ, um die Ilanos des Caura, wo die Stämme der Ariguas und der Quiriquiripas hausen, kennen zu lernen. Die Gefahren, die diesen damals bedroht hatten, waren für Jean, wenn er den Oberlauf des Flusses besuchte, gewiß noch dieselben, wenn nicht heute noch schlimmer. So sehr er aber die Energie und den Muth jenes kühnen Franzosen bewunderte, hoffte er doch nicht minder muthig und energisch zu sein.

[43] Freilich war jener ein Mann in den besten Jahren und er nur ein Jüngling – fast noch ein Kind; doch wenn ihm Gott nur Kraft genug verlieh, den Anstrengungen und Mühen einer solchen Reise zu trotzen, so würde er schon an sein Ziel zu gelangen wissen.

Stromaufwärts von der Mündung des Caura hat der Orinoco immer noch eine erstaunliche Breite – fast von drei Kilometern. Seit drei Monaten schon hatten freilich die Regenzeit und die zahlreichen Nebenflüsse an beiden Ufern, die selbst stark gewachsen waren, zur Anschwellung desselben beigetragen.

Trotzdem mußte der Kapitän des »Simon Bolivar« mit großer Vorsicht manövrieren, um nicht jenseits der Insel Tucuragua, etwa in gleicher Höhe mit dem Rio dieses Namens, auf Untiefen zu gerathen. Dennoch streifte der Dampfer dann und wann den Grund, was an Bord stets eine gewisse Unruhe erregte. Doch wenn sein Rumpf das auch ohne Schaden aushielt, da er wie Küstenfahrer ganz flach gebaut war, so konnte man immer noch fürchten, daß der Antriebsmechanismus entweder durch Bruch von Schaufeln oder durch Störung der Dampfmaschine Havarien erlitte.

Dieses Mal ging es jedoch ohne Unheil ab, und gegen Abend ankerte der »Simon Bolivar« in einer Bucht des rechten Ufers bei der nicht unbedeutenden Ortschaft Las Bonitas.

4. Capitel
Viertes Capitel.
Erste Annäherung.

In Las Bonitas, der officiellen Hauptstadt des zugehörigen Kreises, wohnt der Militärgouverneur über den Caura, d. h. über das von diesem großen Nebenflusse bewässerte Gebiet. Die Ortschaft liegt am rechten Ufer und etwa an derselben Stelle, die in früherer Zeit die spanische Mission Altagracia einnahm. Diese Missionäre sind die wirklichen Eroberer der spanisch-amerikanischen Besitzungen gewesen und sahen es nicht ohne Eifersucht, daß sich auch Engländer, Deutsche und Franzosen darum bemühten, die Indianer des [44] Innern zu bekehren. Noch heute kommt es aus dieser Ursache zu wiederholten Reibungen zwischen den Verbreitern der christlichen Lehre.

Der Militärgouverneur befand sich zur Zeit in Las Bonitas. Mit Herrn Miguel war er persönlich bekannt. Auf die Nachricht von dessen Abreise nach dem oberen Orinoco hin, beeilte er sich, sobald der Dampfer angelegt hatte, an Bord zu kommen.

Herr Miguel stellte dem Gouverneur seine beiden Collegen vor. Zwischen den Herren wurden verschiedene höfliche Redensarten gewechselt. Da der Aufenthalt des »Simon Bolivar« bis ein Uhr Mittags dauern sollte, nahmen die reisenden Gelehrten auch eine Einladung zum Frühstück in der Amtswohnung des hohen Beamten an.

Um ein Uhr Mittags war es noch Zeit genug zur Wiederabfahrt, denn der Dampfer erreichte dann immer noch am Abend Caïcara, wo die Passagiere, die nicht nach San-Fernando oder andern Ortschaften der Provinz Apure zu reisen beabsichtigten, das Schiff verlassen sollten.

Am nächsten Tage, dem 15. August, begaben sich die drei Mitglieder der geographischen Gesellschaft also nach der Wohnung des Gouverneurs. Vor ihnen aber – der Sergeant Martial hatte auf den Vorschlag seines Neffen hin »befohlen«, einmal auszusteigen – schlenderten diese Zwei schon durch die Straßen von Las Bonitas.

Ein Flecken in diesem Theile Venezuelas bildet immer nicht viel mehr als ein Dorf mit einer Anzahl Hütten, die unter dem dichten Grün der tropischen Pflanzenwelt zerstreut liegen. Da und dort erheben sich Gruppen prächtiger Bäume als Zeugen der vegetativen Macht des Erdbodens – Chaparos mit gewundenem Stamme, gleich dem der Olivenbäume, Copernicia-Palmen mit in Garben vereinigten Zweigen, von denen die Blattstiele fächerartig herausstehen, Mauritius-Palmen, die hier den »Morichal«, d. h. eine Art Sumpf erzeugen, da sie die Eigenschaft haben, das Wasser aus der Erde aufzusaugen und es an ihrem Fuße, aber recht schmutzig erscheinend, wieder austreten zu lassen.

Ferner gab es hier Copayseren, Saurans und riesenhafte, weit verästelte Mimosen, die sich durch die zarte Structur ihrer Blätter und deren blaßrothe schöne Färbung auszeichnen.

Jean und der Sergeant Martial lustwandelten unter diesen Palmenhainen, die von Natur ein regelmäßiges Dreieck bildeten, und durch das vom [45] niedrigen Gebüsch befreite Unterholz, wo elegante Bouquets von »Dormideras« oder Schläferinnen genannten Sensitiven von herrlicher Färbung in großer Menge vorkamen.

Auf diesen Bäumen schaukelten sich oder liefen und sprangen ganze Banden von Affen umher. Von solchen Burschen wimmelt es in ganz Venezuela, wo nicht weniger als sechzehn, zwar recht lärmende, doch völlig harmlose Arten derselben vorkommen, unter andern jene Aluates oder Araguatos mit einer wahrhaft entsetzlichen Stimme, die jeden, der das Thierleben in den tropischen Wäldern noch nicht kennt, zu erschrecken pflegt. Von einem Zweige zum andern hüpfte und flatterte eine ganze geflügelte Welt, darunter Truplais, die ersten Tenöre dieses lustigen Orchesters, die ihr Nest an das Ende einer langen Liane zu hängen lieben, ferner Lagunen-Hähnchen, eine reizende, graziöse Hühnerart, und auch, in Spalten und Löchern versteckt, die Dunkelheit zum Ausfluge abwartend, zahlreiche, pflanzenfressende Guacharos, gewöhnlicher »Teufelchen« genannt, von denen es aussieht, als würden sie von einer Sprungfeder in die Höhe geschnellt, wenn sie sich über die Baumgipfel erheben.

Immer weiter drangen die beiden Lustwandelnden in die Palmendickichte ein.

»Ich hätte doch meine Flinte mitnehmen sollen, meinte der Sergeant Martial.-

– Wolltest Du etwa Affen erlegen? fragte Jean.

– Affen?... Nein!... Wenn es hier aber andre und lästigere Thiere gäbe...

– Darüber sei ganz ruhig, lieber Onkel! Man muß sehr weit von bewohnten Stellen weggehen, um gefährlichen Raubthieren zu begegnen; es ist aber nicht ausgeschlossen, daß wir später in die Lage kämen, uns gegen solche vertheidigen zu müssen.

– Das ist ganz gleichgiltig. Ein Soldat soll nie ohne seine Waffe ausgehen, und ich verdiente eigentlich bestraft zu werden.«

Der Sergeant hatte seinen Verstoß gegen die Disciplin diesmal indeß nicht zu beklagen. Die großen und kleinen Katzenarten, die Jaguare, Tiger, Löwen, Ozelote und Wildkatzen, kommen meist nur in den dichten Urwäldern am Oberlaufe des Stromes vor. Dort läuft man gelegentlich auch Gefahr, auf Bären zu stoßen; diese Plantipeden (Sohlengänger) sind aber sanftmüthiger Natur und leben nur von Fischen und von Honig; wegen vorkommender [46] Faulthiere (Bratypus trydactylus) brauchte man sich aber erst recht keine Sorge zu machen.

Bei ihrem Spaziergange bemerkte der Sergeant Martial auch nur furchtsame Nagethiere, darunter viele Cabiais (eine Art Wasserschweine) und einzelne Pärchen von Chiniguis, die sehr geschickt im Tauchen, doch unbehilflich im Laufen sind.

Was die Bewohner des Gebietes angeht, so waren das meist Mestizen, nur vermischt mit einzelnen Indianerfamilien, die – vorzüglich die zugehörigen Frauen und Kinder – lieber in ihren Strohhütten hocken, als sich draußen zeigen.

Erst viel weiter oben am Strome konnten Onkel und Neffe mit den noch wilden Indianern des Orinoco in Berührung kommen, und da würde der Sergeant Martial allerdings gut thun, seine Flinte niemals zu vergessen.

Nach einem ziemlich ermüdenden, drei Stunden langen Ausflug in die Umgebung von Las Bonitas kehrten Beide zum Frühstück an Bord des »Simon Bolivar« zurück.

Zur gleichen Stunde setzten sich die Herren Miguel, Felipe und Varinas in der »Residenz« an die Tafel des Gouverneurs.

War die Speisekarte auch nur einfachen Art – und offen gestanden, kann man von dem Gouverneur einer Provinz ja nicht erwarten, was man von dem Präsidenten der venezuolanischen Republik vielleicht erwartet hätte – so fanden die Tischgäste dafür einen um so herzlicheren Empfang. Man sprach natürlich über die Aufgabe, die sich die drei Geographen gestellt hatten, der Gouverneur, als weltkluger Mann, hütete sich aber weislich, weder für den Orinoco, noch für den Guaviare oder den Atabapo Partei zu ergreifen. Ihm kam es ja darauf an, die Unterhaltung nicht in eine Streiterei umschlagen zu lassen, und wiederholt nahm er in dieser Absicht Veranlassung, das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu lenken.

Als die Stimmen der Herren Felipe und Varinas auf einmal eine herausfordernde Schärfe annahmen, leitete er das Gespräch gleich auf ein andres Thema über.

»Ist Ihnen vielleicht bekannt, meine Herren, ob unter den Passagieren des »Simon Bolivar« einer oder der andre ist, der den Orinoco bis zu seinem Oberlaufe hinauf zu gehen gedenkt?

– Das entzieht sich unsrer Kenntniß, antwortete Herr Miguel. Es scheint jedoch, daß die Mehrzahl derselben entweder in Caïcara zu bleiben [47] oder die Fahrt auf dem Apure nach Ansiedlungen in Columbia fortzusetzen gedenkt.

– Wenn sich jene beiden Franzosen nicht nach dem obern Orinoco begeben, flocht Herr Varinas ein.


»Ich hätte doch meine Flinte mitnehmen sollen...«. (S. 46.)
– Wie? Zwei Franzosen? bemerkte der Gouverneur.
– Ja, bestätigte Herr Felipe, ein alter und ein junger, die sich in Bolivar eingeschifft haben.
– Wohin wollen sie denn?

[48]
»Sie sind ein junger Franzose?« fragte der Gouverneur. (S. 56.)

[49] [51]– Das weiß kein Mensch, versicherte Herr Miguel, denn sie sind nicht besonders mittheilsamer Natur. Will man mit dem Jüngeren eine Unterhaltung anknüpfen, so mischt sich gleich der Aeltere, der ein soldatisches Aussehen hat, mit wüthendem Gesichtsausdruck ein, und läßt man sich dadurch nicht abschrecken, so schickt er seinen Neffen – denn der andre scheint sein Neffe zu sein – mit barschen Worten in seine Cabine. Es ist eine Art Onkel, der sich als Vormund aufspielt...

– Und ich bedaure den armen Jungen, den er unter seinem Schutze hat, fügte Herr Varinas hinzu, denn er leidet offenbar unter seiner Härte, und mehrmals glaubt' ich schon in seinen Augen Thränen zu sehen.«

Der vortreffliche Herr Varinas hatte das in der That gesehen. Wenn die Augen Jeans aber dann und wann feucht wurden, kam es daher, daß er an die Zukunft dachte, an das Ziel, das er verfolgte, und an die Enttäuschungen, die ihn vielleicht erwarteten, nicht aber daher, daß ihn der Sergeant Martial zu streng behandelt hätte. Fremde konnten sich darüber freilich leicht täuschen.

»Uebrigens, fuhr Herr Miguel fort, werden wir jedenfalls noch heute Abend erfahren, ob die beiden Franzosen den Orinoco hinauszufahren beabsichtigen oder nicht. Es würde mich das erstere kaum wundern, weil der junge Mann unausgesetzt das Werk eines seiner Landsleute studiert, dem es vor einigen Jahren gelang, die Quellen des Stromes zu erreichen...

– Wenn sie nach dieser Seite hin, in dem Gebirgsstock der Parima liegen... rief Herr Felipe, von dem in seiner Eigenschaft als Verfechter des Atabapo eine solche Einrede ja ganz natürlich erschien.

– Und wenn man sie nicht im Zuge der Anden zu suchen hat, meldete sich Herr Varinas, da wo der fälschlich als Nebenfluß bezeichnete Guaviare entspringt.«

Der Gouverneur merkte, daß der Wortkampf gleich wieder auflodern würde.

»Meine Herren, sagte er zu seinen Gästen, der Onkel und der Neffe, von denen Sie sprechen, erregen meine Neugierde. Bleiben sie nicht in Caïcara oder ist ihr Ziel nicht San-Fernando de Apura oder de Nutrias, sondern beabsichtigten sie wirklich, ihre Reise auf dem Oberlauf des Orinoco fortzusetzen, so wär' ich gespannt, zu erfahren, welchen Zweck sie damit verfolgten. Die Franzosen sind ja kühn, das geb' ich zu, sind wagemuthige Forscher... die Gebiete Südamerikas haben ihnen aber doch schon mehr als ein Opfer gekostet den Doctor Crevaux, der von den Indianern auf den Ebenen [51] Bolivars erschlagen wurde, sowie seinen Begleiter, François Burban, dessen Grabstätte auf dem Friedhof von Moitaco sich schon nicht mehr nachweisen läßt. Ein gewisser Chaffanjon hat freilich bis zu den Quellen des Orinoco vordringen können...

– Wenn das der Orinoco ist! platzte Herr Varinas heraus, der eine ihm so ungeheuerliche Behauptung nicht ohne energischen Widerspruch hingehen lassen konnte.

– Gewiß, wenn das der Orinoco ist, antwortete der Gouverneur, und über diese geographische Frage werden wir ja nach Ihrer Reise, meine Herren, endlich aufgeklärt sein. Ich sagte also, daß jener Chaffanjon heil und gesund zurückgekehrt sei, freilich nicht, ohne wiederholt in Gefahr gewesen zu sein, wie alle seine Vorgänger niedergemetzelt zu werden. Man möchte wirklich behaupten, daß unser stolzer venezuolanischer Strom sie anlocke, diese Franzmänner, und ohne von denen zu sprechen, die jetzt unter den Passagieren des »Simon Bolivar« sind...

– Ja, das ist richtig, fiel Herr Miguel ein. Erst vor wenigen Wochen haben zwei dieser Wagehälse einen Zug durch die Ilanos östlich vom Strome unternommen...

– Wie Sie sagen, Herr Miguel. Es waren zwei junge Leute von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, der eine, Jacques Helloch, ein Entdeckungsreisender, der andre, namens Germain Paterne, ein Naturforscher, der den Kopf daran setzen würde, ein neues Grashälmchen zu finden.

– Und seit jener Zeit haben Sie nichts von ihnen gehört? fragte Herr Felipe.

– Nicht das geringste, meine Herren. Ich weiß nur, daß sie in Caïcara an Bord einer Pirogue gegangen und daß sie, einer Meldung nach, bei Buena-Vista und bei la Urbana vorübergekommen sind, von wo aus sie sich auf einem der Zuflüsse des rechten Ufers hinausbegeben haben sollen. Von jener Zeit ab hat man nicht wieder von ihnen reden gehört, und man beunruhigt sich wohl mit Recht wegen ihres ferneren Schicksals.

– Hoffen wir wenigstens, sagte Herr Miguel, daß sie nicht in die Hände jener räuberischen und mordlustigen Quivas gefallen sind, die Columbia nach Venezuela hinüber gejagt hatte und die jetzt einen gewissen Alfaniz, einen aus dem Bagno von Cayenne entwichenen Sträfling, zum Anführer haben sollen.

[52] – Ist das Thatsache? fragte Herr Felipe.

– Es scheint so, und ich wünsche Ihnen nicht, mit diesen Quivasbanden zusammenzustoßen, meine Herren, antwortete der Gouverneur. Uebrigens ist ja nicht ausgeschlossen, daß jene Franzosen einem ihnen gelegten Hinterhalte haben entgehen können und sie ihre Reise noch mit ebenso viel Glück und Muth fortsetzen, und endlich ist es ja möglich, daß sie heute oder morgen in einem der Dörfer des rechten Ufers wieder auftauchen. Möchten sie doch den gleichen Erfolg haben, wie ihr Landsmann! Man spricht hier aber auch noch von einem Missionär, der sogar noch weiter nach Osten zu vorgedrungen sein soll, von einem Spanier, einem Pater Esperante. Nach kurzem Aufenthalt in San-Fernando hatte dieser Pater nicht gezaudert, bis über die Quellen des Orinoco hinauszugehen...

– Des falschen Orinoco!« riefen gleichzeitig Herr Felipe und Herr Varinas.

Dabei schleuderten sie ihrem Collegen einen herausfordernden Blick zu, dieser aber neigte nur wenig den Kopf mit den Worten:

»So falsch, wie es Ihnen beliebt, werthe Collegen!«

Dann wendete sich Herr Miguel an den Gouverneur und sagte:

»Hab' ich nicht auch gehört, daß es jenem frommen Pater gelungen sei, eine Mission zu gründen?

– Ganz recht, die Mission Santa-Juana, in der Nähe des Roraima, und sie scheint auch gut zu gedeihen.

– Ein schwieriges Unternehmen, meinte Herr Miguel.

– Vorzüglich, bestätigte der Gouverneur, wo es sich darum handelt, die wildesten der seßhaften Indianer, die in den südlichsten Gebieten hausen, die Guaharibos – beklagenswerthe Geschöpfe, die so tief unter der übrigen Menschheit stehen – zu civilisieren, zum katholischen Glauben zu bekehren, kurz sie von Grund aus umzugestalten. Man vergegenwärtige sich nur, wie viel Muth, Entsagung und Geduld, mit einem Worte: apostolische Tugend dazu gehört, ein solch humanitäres Werk durchzuführen. In den ersten Jahren hörte man gar nichts vom Pater Esperante, und selbst 1888 hatte jener französische Reisende nicht das mindeste über ihn erfahren, obwohl die Mission Santa-Juana gar nicht fern von den Quellen liegt.«

Er hütete sich weislich, hier wieder »des Orinoco« hinzuzusetzen, um keinen Funken ins Pulverfaß zu schleudern.

[53] »Seit zwei Jahren fuhr er fort, drangen jedoch mehrfach Nachrichten von ihm bis San-Fernando und alle bestätigten, daß sein Eifer unter den Guaharibos wahre Wunder bewirkt habe.«

Bis zur Beendigung des Frühstücks drehte sich das Gespräch nur um die Gebiete, die der – kein Streitobject bildende – Mittellauf des Orinoco durchströmt, und um die jetzigen Verhältnisse der Indianer, sowohl derer, die schon »gezähmt« sind, wie derer, die sich jeder geregelten Herrschaft, überhaupt jeder Civilisation entziehen.

Der Gouverneur des Caura theilte eingehende Einzelheiten über alle diese Eingebornen mit, Einzelheiten, von denen Herr Miguel, ein so gelehrter Geograph er auch war, Nutzen ziehen sollte und wirklich Nutzen zog. Kurz, die Unterhaltung artete in keinen weitern Streit aus, da sie den Herren Felipe und Varinas keine geeigneten Angriffspunkte bot.

Gegen Mittag erhoben sich die Gäste der Residenz von der Tafel und begaben sich wieder nach dem »Simon Bolivar«, der um ein Uhr abfahren sollte.

Der Onkel und sein Neffe hatten, seit ihrer Rückkehr zum Almuerzo (Frühstück) an Bord, den Fuß nicht wieder ans Land gesetzt. Vom Hintertheile des Oberdecks, wo der Sergeant Martial sein Pfeifchen rauchte, sahen sie schon von fern her Herrn Miguel und dessen Collegen auf dem Wege zum Schiffe.

Der Gouverneur begleitete sie, da er ihnen noch einmal die Hand drücken und ein letztes Lebewohl sagen wollte, ehe der Dampfer abfuhr. So betrat er diesen mit den Gelehrten und erschien auf dem Spardeck.

Da flüsterte der Sergeant Martial Jean zu:

»Das ist mindestens ein General, der Gouverneur da, obgleich er eine Jacke statt des Waffenrocks, einen Strohhut statt des Dreimasters trägt, und obgleich seine Brust nicht mit Orden geschmückt ist.

– Wohl möglich, lieber Onkel!

– Einer der Generale ohne Soldaten, wie es deren in den amerikanischen Republiken so viele giebt.

– Er hat aber ein recht intelligentes Aussehen, bemerkte der junge Mann.

– Das kann sein; jedenfalls macht er mir mehr den Eindruck eines Neugierigen, erwiderte der Sergeant Martial, denn er beobachtet uns in einer Weise, die mir nicht halb... nein, ganz und gar nicht behagt.«

[54] Wirklich richtete der Gouverneur seine Blicke vorzugsweise auf die beiden Franzosen, von denen beim Frühstück die Rede gewesen war. Ihre Anwesenheit an Bord des »Simon Bolivar«, der tiefere Grund, warum sie diese Reise unternommen hatten, die Frage, ob sie in Caïcara bleiben oder, entweder auf dem Apure oder dem Orinoco selbst, noch weiter ins Innere gehen würden, erregte allerdings seine Neugierde. Personen, die den Strom genauer durchforschen wollen, sind ja gewöhnlich in den besten Jahren, wie die, die vor wenigen Wochen Las Bonitas besuchten und von denen man seit ihrem Aufbruch aus la Urbana keine Nachricht erhalten hatte. Bei dem blutjungen Manne von sechzehn bis siebzehn Jahren und dem wenigstens fünfzigjährigen Soldaten konnte man dagegen kaum voraussetzen, daß sie nur zu einer wissenschaftlichen Reise ausgezogen wären.

Nebenbei bemerkt, hat ein Gouverneur, selbst in Venezuela, gewiß das Recht, sich wegen der Gründe, die ganz Fremde in sein Gebiet führten, zu erkundigen und diese darüber, mindestens officiös, zu befragen.

Der Gouverneur ging also mit Herrn Miguel, den seine in ihren Cabinen beschäftigten Collegen mit dem Regierungsbeamten allein gelassen hatten, einige Schritte nach dem Hintertheile zu.

Der Sergeant Martial durchschaute seine Absicht.

»Achtung! rief er. Der General sacht Fühlung mit dem Feinde, und jedenfalls wird er uns fragen, wer wir sind, warum wir hierher kommen und wohin wir wollen...

– Nun, mein guter Martial, wir haben ja in dieser Beziehung nichts zu verheimlichen, antwortete Jean.

– Ich liebe es aber nicht, daß sich Einer um meine Angelegenheiten bekümmert, und werde ihm den Weg weisen...

– Willst Du uns Schwierigkeiten bereiten, lieber Onkel? sagte der junge Mann, ihn an der Hand zurückhaltend.

– Ich mag nicht, daß jemand mit Dir spricht... mag nicht, daß Einer Dich umschleicht...

– Und ich, ich will nicht, daß Du uns durch Deine Derbheit oder Deine Thorheiten Unannehmlichkeiten zuziehst! entgegnete Jean entschiedenen Tones. Wenn der Gouverneur des Caura eine Frage an mich richtet, werd' ich mich nicht weigern, ihm Rede zu stehen, ja es liegt mir sogar daran, von ihm einige Auskunft zu erbitten.«

[55] Der Sergeant knurrte, passte mächtig aus seiner Pfeife und trat näher an seinen Neffen heran, den der Gouverneur jetzt in spanischer Sprache, die Jean hinlänglich beherrschte, anredete.

»Sie sind ein junger Franzose?...

– Ja, Herr Gouverneur, antwortete Jean, höflich den Hut ziehend.

– Und Ihr Reisegefährte?

– Mein Onkel... ebenfalls ein Franzose, ein verabschiedeter früherer Sergeant.«

Mit der spanischen Sprache sehr wenig vertraut, hatte Martial von diesen Worten doch soviel verstanden, daß von ihm die Rede war. So richtete er sich denn stramm in ganzer Länge auf in der Ueberzeugung, daß ein Sergeant vom 72. Linienregiment doch ebensoviel werth sei, wie ein venezuolanischer General, wenn dieser auch nebenbei Provinzgouverneur wäre.

»Ich glaube nicht indiscret zu sein, mein junger Freund, fuhr der letztere fort, wenn ich frage, ob Ihre Reise noch über Caïcara hinausgehen wird?

– Ja... noch darüber hinaus, Herr Gouverneur, bestätigte Jean.

– Auf dem Orinoco oder auf dem Apure?

– Auf dem Orinoco.

– Bis nach San-Fernando de Atabapo?

– Bis zu diesem Orte, Herr Gouverneur, und vielleicht auch noch da drüber hinaus, wenn die Auskünfte, die wir dort zu erlangen hoffen, das nöthig machen.«

Der Gouverneur fühlte sich, ganz wie Herr Miguel, sofort eingenommen für den jungen Mann, der so viele Entschiedenheit zeigte und so klar und bestimmt antwortete, und man erkannte leicht, daß das die aufrichtige Antheilnahme der beiden Herren erweckte.

Grade diese sichtliche Theilnahme wollte der Sergeant Martial aber mit allen Kräften abwehren. Es mißfiel ihm, daß jemand mit seinem Neffen in so nahe Berührung trat, er wollte es nicht leiden, daß Andre, ganz fremde oder nicht, von seiner natürlichen Liebenswürdigkeit gefesselt würden. Am meisten wurmte es ihn, daß Herr Miguel die Gefühle, die er für den jungen Mann hegte, gar nicht zu verbergen suchte. Der Gouverneur des Caura kam weit weniger in Frage, denn der blieb in Las Bonitas zurück; Herr Miguel dagegen mehr als jeder andere Passagier des »Simon Bolivar«, denn er sollte ja bis San-Fernando mit hinausfahren, und hatte er dann mit Jean erst Bekanntschaft angeknüpft [56] mußte es schwierig werden, die Beziehungen wieder zu lösen, die sich zwischen den Theilnehmern einer längeren Reise fast nothwendig entwickeln.

Warum, möchte man fragen, wollte der Sergeant Martial das verhindern?

Welchen Nachtheil hätte es haben können, daß angesehene Personen, wenn sie sich bei einer niemals ganz gefahrlosen Fahrt auf dem Orinoco hilfswillig zeigten, mit dem Neffen und dem Onkel auf vertrauteren Fuß kamen? Das ist doch einmal der gewöhnliche Verlauf der Dinge.

[57] Ja, und wenn man den Sergeanten Martial gefragt hätte, warum er sich dem widersetzen wollte, würde er doch nur abweisenden Tones geantwortet haben: »Weil mir das nicht behagt!« und man hätte sich schon mit dieser Erklärung zufrieden geben müssen, da ihm doch keine andere zu entlocken gewesen wäre.


Sie spähten nach einem passenden Fahrzeug.(S. 64)

Eben jetzt konnte er Seine Excellenz nicht einmal sich »seiner Wege scheeren« heißen und mußte den jungen Mann ganz nach Belieben an dem eingeleiteten Gespräche theilnehmen lassen.

Dem Gouverneur schien viel daran gelegen, Jean über den Zweck seiner Reise auszufragen.

»Sie gehen also nach San-Fernando? sagte er.

– Ja, Herr Gouverneur.

– Und aus welcher Absicht, mein junger Freund?

– Ich hoffe dort einige Auskunft zu erhalten.

- Auskunft?... Auskunft?... Ueber was oder über wen?

– Ueber den Oberst von Kermor.

– Oberst von Kermor? wiederholte der Gouverneur. Diesen Namen höre ich hier zum allerersten Male, und es ist mir nicht zu Ohren gekommen, daß in San-Fernando seit der Durchreise des Herrn Chaffanjon je von einem Franzosen die Rede gewesen wäre.

– Er befand sich dort schon einige Jahre früher, bemerkte der junge Mann.

– Worauf stützt sich Ihre Behauptung? fragte der Gouverneur.

– Auf den letzten Brief des Obersten, der in Frankreich eingetroffen ist, einen Brief, der an einen seiner Freunde in Nantes gerichtet war und als Unterschrift seinen Namen trug.

– Und Sie sagen, liebes Kind, fuhr der Gouverneur fort, daß der Oberst von Kermor vor einigen Jahren in San-Fernando geweilt habe?

– Daran ist kaum zu zweifeln; sein Brief war vom 12. April 1879 datiert.

– Das nimmt mich wunder!

– Warum denn, Herr Gouverneur?

– Weil ich mich zu jener Zeit als Gouverneur selbst in genanntem Orte befand, und wenn ein Fremder, wie der Oberst von Kermor, dort aufgetaucht wäre, würde mir das ohne Zweifel gemeldet worden sein. Ich erinnere mich dessen aber nicht... nicht im geringsten!«

Diese so bestimmte Aussage des Gouverneurs schien auf den jungen Mann einen tiefen Eindruck zu machen. Sein Gesicht, das im Laufe des Gesprächs[58] einen lebhafteren Ausdruck angenommen hatte, verlor die gewöhnliche Färbung. Er erbleichte, seine Augen wurden feucht und er mußte alle Willenskraft zusammennehmen, um sich aufrecht zu erhalten.

»Ich danke Ihnen, Herr Gouverneur, sagte er, ich danke Ihnen für die Theilnahme, die wir, mein Onkel und ich, bei Ihnen finden. So gewiß Sie sich aber auch sein mögen, nie etwas vom Oberst von Kermor gehört zu haben, steht es dennoch fest, daß dieser sich in San-Fernando aufgehalten hat, denn von da aus kam der letzte Brief, den man in Frankreich von ihm erhielt.

– Und was hatte er in San-Fernando vor?« fiel jetzt Herr Miguel mit einer Frage ein, die der Gouverneur noch nicht gestellt hatte.

Sie brachte dem ehrenwerthen Mitgliede der geographischen Gesellschaft einen vernichtenden Blick vom Sergeanten Martial ein, der zwischen den Zähnen murmelte:

»Muß der sich denn auch noch einmischen?... Der Gouverneur... na, meinetwegen, doch dieser Philister...«

Jean zögerte indeß gar nicht, auch dem »Philister« Antwort zu geben.

»Was der Oberst dort beabsichtigte, mein Herr, das weiß ich selbst nicht, das ist ein Geheimniß, das wir enthüllen werden, wenn es Gott gefällt, uns ihn finden zu lassen...

– In welchem Verhältniß stehen Sie zu dem Oberst von Kermor? fragte noch der Gouverneur.

– Er ist mein Vater, erklärte Jean, und ich bin nach Venezuela gekommen, um meinen Vater zu suchen!«

5. Capitel
Fünftes Capitel.
Die »Mariepare« und die »Gallinetta«.

Eine Ortschaft, die sich in dem Winkel eines Stromes hätte ansiedeln wollen würde Caïcara um seine Lage beneiden müssen. Es liegt da wie ein Gasthaus an einer Straßenbiegung oder vielmehr an einem Kreuzwege, was sein [59] Emporblühen, selbst vierhundert Kilometer vom Orinoco-Delta, vorzüglich begünstigt hat.

Caïcara erfreut sich auch herrlichen Gedeihens, Dank der Nachbarschaft eines großen Nebenflusses, des Apure, der stromaufwärts den Handelsverkehr Columbias und Venezuelas vermittelt.

Der »Simon Bolivar« hatte den Stromhafen erst gegen neun Uhr abends erreicht. Nachdem er Las Bonitas um ein Uhr mittags verlassen, dann nacheinander an dem Rio Cuchivero, am Manipare und an der Insel Taruma vorübergekommen war, hatte er seine Passagiere am Quai von Caïcara ans Land gesetzt.

Von den Passagieren natürlich nur die, die der Dampfer nicht auf dem Apure nach San-Fernando oder Nutrias weiter befördern sollte.

Das Geographenkleeblatt, der Sergeant Martial mit Jean von Kermor und eine kleine Anzahl andrer Reisender gehörten zu den letzteren. Am nächsten Morgen sollte der »Simon Bolivar« schon mit Tagesanbruch wieder abgehen, um den bedeutenden Zufluß des Orinoco bis zum Fuße der columbischen Anden hinauszufahren.

Herr Miguel hatte nicht verfehlt, seine beiden Freunde mit dem, was er aus dem Gespräche des Gouverneurs mit dem jungen Manne erfahren hatte, bekannt zu machen. Beide wußten nun also, daß Jean unter dem Schutze des alten Soldaten, des Sergeanten Martial, der sich seinen Onkel nannte, zur Aufsuchung seines Vaters auszog. Vor vierzehn Jahren hatte der Oberst von Kermor Frankreich verlassen und sich nach Venezuela begeben. Aus welchem Grunde er dem Vaterlande den Rücken gekehrt habe und was er in diesem weltfernen Lande treibe, das würde ihnen die Zukunft vielleicht noch entschleiern. Zur Zeit ergab sich nur als gewiß, aus dem von ihm an einen Freund gerichteten Schreiben, – einem Briefe, der erst viele Jahre nach seinem Eintreffen bekannt wurde – daß der Oberst im April 1879 durch San-Fernando gekommen war, als der Gouverneur des Caura damals seinen Sitz in genanntem Orte hatte.

Jean von Kermor unternahm die jetzige gefährliche und beschwerliche Reise also in der Absicht, seinen Vater wieder zu finden. Die Verfolgung eines solchen Zieles durch einen jungen Menschen von siebzehn Jahren war ja geeignet, das Interesse aller gefühlvollen Seelen wachzurufen. Die Herren Miguel, Felipe und Varinas nahmen sich auch vor, ihm bei allen Bemühungen, die er aufwenden [60] würde, den Oberst von Kermor betreffende Nachrichten zu erhalten, nach Kräften behilflich zu sein.

Nicht zu entscheiden blieb es freilich vorläufig, ob es Herrn Miguel und seinen beiden Collegen gelingen werde, den Widerstand des unzugänglichen Sergeanten Martial zu brechen, ob es diesem passen würde, daß sie mit seinem Neffen nähere Bekanntschaft machten, und ob sie den Triumph erleben würden, das ganz ungerechtfertigte Mißtrauen des alten Soldaten zu besiegen. Ob sich dann wohl seine Cerberusblicke, die jetzt jedermann abstießen, sänftigten? Das mochte schwierig sein, und doch kam es vielleicht dazu, vorzüglich wenn beide Parteien in demselben Fahrzeuge nach San-Fernando fuhren.

Caïcara zählt etwa fünfhundert Einwohner und wird von zahlreichen Reisenden besucht, die in Geschäften nach dem Oberlauf des Orinoco wollen. Man findet hier deshalb ein oder zwei Hôtels, in Wirklichkeit einfache Hütten, und in einer derselben sollten die drei Venezuolaner einerseits und die beiden Franzosen andrerseits für die wenigen Tage Unterkunft suchen, die sie hier am Orte blieben.

Schon am folgenden Tage, am 16. August, durchstreiften der Sergeant Martial und Jean Caïcara, um nach einem passenden Fahrzeug zu spähen.

Caïcara ist in der That ein hübscher, freundlicher kleiner Flecken; es liegt hineingeschmiegt zwischen den ersten Hügeln der Bergwelt des Parime und dem rechten Ufer des Stromes, gegenüber dem Dorfe Cabruta, das sich an der andern Seite am Apurito hinstreckt. Im Vordergrunde erblickt man eine der am Orinoco so häufigen, mit schönem Baumwuchs bedeckten Inseln. Sein kleiner Hafen liegt zwischen granitnen Felsenmassen, die steil aus dem Strome emporstreben. Man zählt daselbst hundertfünfzig Hütten, oder sagen wir Häuser, die, meist aus Stein errichtet, ein Dach aus Palmenblättern haben, während nur einzelne Dächer Ziegel aufweisen, deren Roth deutlich durch die grüne Umgebung schimmert. Die Ortschaft wird von einem etwa fünfzig Meter hohen Hügel beherrscht. Auf dessen Gipfel erhebt sich ein seit dem Zuge Miranda's und seit dem Unabhängigkeitskriege verlassenes Kloster von Missionären, in dem sich in frühester Zeit scheußliche Scenen von Cannibalismus abgespielt haben sollen, was den mit Recht schlechten Ruf begründete, in dem die alten Caraïben standen.

Manche alte Sitten und Gebräuche herrschen in Caïcara übrigens noch heute, nur daß sie mit denen des Christenthums in wunderlicher Weise verquickt erscheinen, so zum Beispiel die Sitte des Velorio, die der Todtenwache, welche der [61] französische Forscher einmal selbst kennen lernte. Zu einer solchen werden viele Bekannte eingeladen, die sich an Kaffee, Tabak, vorzüglich aber an Branntwein, dem Aguardiente, gütlich thun, und wo vor der Leiche des Gatten oder des Kindes die Gattin oder die Mutter... einen Ball eröffnet, bei dem getanzt wird, bis die berauschten Theilnehmer erschöpft zusammenbrechen. An eine Leichenfeier wird das schwerlich jemand erinnern.

Wenn die Ermiethung eines Fahrzeuges für die achthundert Kilometer lange Fahrt auf dem mittleren Orinoco zwischen Caïcara und San-Fernando Jean von Kermor's und des Sergeanten Martial erste Sorge war, so mußten sich auch die Herren Miguel, Felipe und Varinas in erster Linie damit befassen, galt es doch, sich vor allem die Weiterreise unter den günstigsten Bedingungen zu sichern.

Nun dürfte man wohl, ganz wie Herr Miguel, glauben, daß ein Einverständniß zwischen ihm und dem Sergeanten Martial die Sache wenigstens vereinfacht hätte. Ob drei oder fünf Personen eine Barke benutzten, kam ziemlich auf eins hinaus, denn diese waren im allgemeinen groß genug, so viele und auch noch etwas mehr Fahrgäste aufzunehmen, ohne daß das eine Verstärkung der Bedienungsmannschaften nöthig gemacht hätte.

Die Anwerbung solcher Schiffsleute ist nicht immer leicht, da man unbedingt geübte Männer engagieren muß. Dazu giebt es eine Menge gefährlicher Raudals und nicht wenige Stellen, die durch Gestein oder Sand schwer zu passieren sind oder gar dazu zwingen, die Fahrzeuge weite Strecken über Land zu transportieren. Der Orinoco hat seine Tücken, ganz wie der Ocean, und man trotzt ihnen nicht ohne Gefahr.

Die Schiffsleute wählt man gewöhnlich aus den am Ufer siedelnden Stämmen. Viele Eingeborne, die sich ausschließlich diesem Berufe widmen, zeigen sich ihrer Aufgabe mit ebenso vieler Gewandtheit wie Klugheit gewachsen. Als die Zuverlässigsten gelten die Banitas, die in der Hauptsache auf den von dem Guaviare, dem Orinoco und dem Atabapo durchflossenen Gebiete wohnen. Sind sie mit Passagieren oder mit Waaren den Strom hinausgefahren, so kehren sie bis Caïcara zurück, um neue Reisende oder neue Ladung zu erwarten.

Immerhin kann man sich auf alle diese Leute nur bis zu gewisser Grenze verlassen, und es hätte die Sache gewiß erleichtert, wenn nur eine einzige Mannschaft anzuwerben war. Dieser Ansicht war der gelehrte Herr Miguel, und [62] er hatte damit gewiß recht. Da er sich überdies lebhaft für den jungen Mann interessierte, konnte Jean eigentlich nur dabei gewinnen, wenn er ihn und seine beiden Freunde als Reisegesellschafter hatte.

Von diesem Gedanken eingenommen, war er auch entschlossen, die Meinung des Sergeanten Martial darüber zu erfahren, und sobald er sie an dem kleinen Hafen von Caïcara, wo Jean und sein Onkel ein Fahrzeug zu miethen suchten, wahrnahm, ging er schnellen Schrittes auf sie zu.

Der alte Haudegen runzelte die Stirn und warf dem Gelehrten einen nicht gerade aufmunternden Blick zu.

»Mein Herr Sergeant, begann Herr Miguel in ganz correctem Französisch, das er sehr gut beherrschte, wir haben das Vergnügen gehabt, an Bord des »Simon Bolivar« zusammen zu reisen...

– Und hier gestern Abend auszusteigen«, antwortete der Sergeant mit aneinandergestellten Fußabsätzen und steif wie ein Infanterist, wenn er präsentiert.

Herr Miguel sachte diesen Worten noch den besten Sinn unterzulegen und fuhr also fort:

»Meine beiden Freunde und ich haben – es war noch in Las Bonitas – aus einem Gespräche zwischen Ihrem Neffen...«

Der Sergeant fing an die Lippen zusammenzuziehen, was immer ein schlechtes Zeichen war, und unterbrach Herrn Miguel mit der Frage:

»Wie meinten Sie... aus einem Gespräche?

– Zwischen Herrn Jean von Kermor und dem Gouverneur erst erfahren, daß es Ihre Absicht war, in Caïcara ans Land zu gehen...

– Wir brauchen deshalb doch wohl niemand um Erlaubniß zu fragen?... erwiderte der Brummbär in barschem Tone.

– Natürlich niemand, sagte Herr Miguel, der sich auch durch diesen unfreundlichen Empfang von seinem Vorschlage nicht abbringen lassen wollte. Da wir nun aber gehört haben, welches das Ziel Ihrer Reise ist...

– Eins! grollte der Sergeant Martial zwischen den Zähnen, als wollte er zählen, wie viele Male er auf Fragen des höflichen Geographen zu antworten haben werde.

– Und unter welchen Verhältnissen Ihr Neffe den Oberst von Kermor seinen Vater, aufzusuchen gedenkt...

– Zwei!... stieß der Sergeant Martial hervor.

[63] – Da wir ferner wissen, daß Sie auf dem Orinoco bis San-Fernando hinausfahren wollen...

– Drei!... knurrte der Sergeant Martial.

– So möchte ich, da meine Collegen und ich uns ebendahin begeben wollen, Sie fragen, ob es Ihnen nicht gelegen, ob es nicht vortheilhafter, ja sogar sicherer wäre, von Caïcara bis San-Fernando eine Barke gemeinschaftlich zu benützen...«

Wenn je ein Anerbieten annehmbar war, so war es das, das Herr Miguel eben machte, und es ließ sich kaum ein Grund denken, es abzulehnen. Durch die Wahl einer hinreichend großen Pirogue mußten die fünf Reisenden ihre Fahrt gewiß unter weit günstigeren Bedingungen ausführen können.

Der Sergeant konnte sich dem Vorschlage vernünftiger Weise also gewiß nicht widersetzen, dennoch antwortete er, ohne seinen Neffen vorher zu befragen, wie einer, dessen Entschluß schon feststeht, trockenen Tones:

»Sehr verbunden, mein Herr, sehr verbunden! Ihr Vorschlag mag ja in mancher Beziehung vortheilhaft sein, doch annehmbar, nein... nein... wenigstens was uns Beide betrifft!

– Was könnte er Unannehmbares an sich haben? fragte Herr Miguel, erstaunt über eine solche unbegreifliche Ablehnung.

– Er hat... nun mit einem Worte, er paßt uns eben nicht! erklärte der Sergeant Martial.

– Ohne Zweifel haben Sie ihre besondern Gründe, so zu antworten, Herr Sergeant, antwortete Herr Miguel. Da mir aber nur daran lag, uns gegenseitige Unterstützung zu gewähren, hätte mein Vorschlag wohl eine minder verletzende Antwort verdient.

– Bedaure ich sehr, ja, recht sehr, werther Herr, antwortete der Sergeant Martial, der sich auf ein ihm nicht besonders zusagendes Gebiet gedrängt fühlte, ich konnte Ihnen aber nur mit einer Weigerung antworten...

– Einer Weigerung, die sich doch hätte in gewissen Formen halten können; an der Ihrigen vermißte ich die berühmte französische Höflichkeit!

– O, mein Herr, erwiderte der alte Soldat, der jetzt schon etwas warm wurde, es handelt sich hier aber nicht um Höflichkeiten! Sie haben uns einen Vorschlag gemacht, und ich hatte meine Gründe, diesen Vorschlag nicht anzunehmen, das hab' ich Ihnen einfach gesagt, wie es mir auf die Zunge gekommen ist. Wenn Sie darüber Klage führen wollen...«

[64] Die stolze Haltung, welche Herr Miguel annahm, war nicht gerade geeignet, den Sergeanten Martial, der die Tugend der Geduld nicht kannte, zu beruhigen. Das veranlaßte Jean von Kermor, selbst das Wort zu ergreifen.

»Ich bitte Sie, meinen Onkel zu entschuldigen, verehrter Herr, sagte er, er hat Sie gewiß nicht beleidigen wollen. Was Sie uns da angeboten haben, zeigt von einer besondern Zuvorkommenheit Ihrerseits, und bei jeder andern Gelegenheit würden wir nicht gezaudert haben, die dargebotene Hand zu ergreifen. Wir wünschen jetzt aber gerade ein Boot für uns allein zu haben, über das uns [65] unter allen Umständen freie Verfügung zusteht, denn es ist möglich, daß die Auskünfte, die wir unterwegs erhalten, uns zwingen, von dem jetzt ins Auge gefaßten Reisewege abzuweichen, in einem oder dem andern Orte Halt zu machen... kurz, wir müssen nothwendig für unsre Bewegungen volle Freiheit haben.


Die beiden Fahrzeuge glitten der Mitte des Stromes zu. (S. 71.)

– Sehr schön, Herr von Kermor, antwortete Herr Miguel, uns liegt es gewiß fern, Sie in irgend einer Weise belästigen zu wollen, und trotz der... der etwas trocknen Antwort Ihres Onkels...

– Der eines alten Soldaten, mein Herr! warf der Sergeant Martial ein.

– Zugegeben! Immerhin, wenn meine Freunde und ich Ihnen während der Fahrt irgendwie von Nutzen sein können...

– Ich danke Ihnen in meines Onkels und in meinem Namen, mein Herr, erklärte der junge Mann, und seien Sie überzeugt, daß wir im Nothfalle nicht zögern werden, Ihre freundliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

– Hören Sie es, Herr Sergeant? fügte Herr Miguel in halb scherzendem, halb ernsthaftem Tone hinzu.

– Ja, ja, ich höre es, Herr Geograph!« gab der Sergeant Martial mürrisch zurück, denn er wollte sich trotz der Anerbietungen des Herrn Miguel – übrigens eines der besten und hilfswilligsten Menschen – nicht entwaffnen lassen.

Herr Miguel bot hierauf Jean von Kermor die Hand, die dieser freundschaftlich drückte, was schon genügte, aus den Augen seines Onkels zwei von Donnergrollen begleitete Blitze hervorschießen zu lassen.

Als der Sergeant Martial und der junge Mann wieder allein waren, begann der erstere:

»Du hast ja gesehen, wie ich ihn empfangen habe, den wunderlichen Kauz da!

– Ja, Du hast ihn schlecht empfangen und daran unrecht gethan.

– Ich hätte unrecht gehabt?

– Unbedingt!

– Es hätte also nur noch gefehlt, das Anerbieten, eine Pirogue mit den drei Bolivaren zu theilen, anzunehmen?

– Nein, daß Du das abgelehnt hast, war ganz in der Ordnung, es hätte nur etwas höflicher geschehen können, lieber Onkel!

– Einem Aufdringling gegenüber brauche ich nicht höflich zu sein.

[66] – Herr Miguel ist nicht aufdringlich gewesen, er hat sich sehr dienstwillig gezeigt, und sein Vorschlag hätte verdient, angenommen zu werden.... wenn das in unserm Falle möglich wäre. Wenn Du ihn ablehntest, mußtest Du gleichzeitig Deinen Dank dafür aussprechen. Wer weiß, ob seine Freunde und er nicht berufen sind, uns unsre Aufgabe zu erleichtern, schon in Folge der Bekanntschaften, die sie in San-Fernando jedenfalls haben und die uns von Nutzen sein könnten, Du Deinen Obersten, mein lieber Martial, und ich meinen Vater wiederzufinden.

– Also ich... ich habe unrecht gehabt?

– Ja, lieber Onkel.

– Ich danke, lieber Neffe!«

Von den Piroguen des Orinoco sind die kleinsten aus einem Baumstamme, gewöhnlich dem Stamme eines Cachicamo ausgehöhlt. Die größeren, aus abgepaßten Planken bestehend, sind an den Seiten abgerundet und vorn etwas zugespitzt.

Die recht solid hergestellten Fahrzeuge widerstehen sehr gut der Beschädigung beim Schleifen über Untiefen und den Erschütterungen, denen sie bei der Beförderung über Land unumgänglich ausgesetzt sind, wenn sie über nicht schiffbare Stromschnellen hinweggeschafft werden müssen.

In ihrer Mitte erhebt sich ein Mast, der von einem Stag und zwei Rüstleinen gehalten wird, die ein viereckiges Segel tragen, das bei Rücken- und selbst bei günstigem Seitenwinde zu gebrauchen ist. Eine Art Pagaie, die gleichzeitig als Steuerruder dient, wird von dem Schiffer gehandhabt.

Der vordere Theil des Fahrzeuges, vom Maste bis zum Bug, ist ganz unbedeckt. Dieser Theil dient als Aufenthaltsraum am Tage und als Schlafraum in der Nacht für die meist aus zehn Indianern, einem Führer und neun Leuten, bestehende Mannschaft.

Der hintere Theil, vom Maste bis zum Achter, ist mit einer Art Deckhaus versehen, mehr einem Dache ähnlich, das mit Palmenblättern, die an aufrechtstehenden Bambusstäben befestigt sind, bedeckt wird.

Dieses Deckhaus dient den Passagieren als Cabine. Es enthält die Lagerstätten – einfache Esteras, die über trocknem Stroh ausgebreitet sind – die Küchen-und Tischgeräthe, den kleinen Kochofen zur Bereitung der Speisen, vielfach der unterwegs erbeuteten Jagdthiere oder der von Bord aus gefangenen Fische. Der Raum kann nur mittelst herablaßbarer Matten in mehrere Theile [67] geschieden werden, denn er nimmt von den zehn bis elf Metern, die das Fahrzeug mißt, nur fünf bis sechs Meter Länge ein.

Die Piroguen des Orinoco werden mit dem Namen Falcas bezeichnet. Bei günstigem Winde fahren sie unter Segel, doch auch dann nur recht langsam, denn sie haben zwischen den zahlreichen Inseln, womit der Strom durchsetzt ist, oft eine sehr mächtige Strömung zu überwinden. Fehlt es an Wind, so fährt man entweder in der Mitte des Flußbettes mit Hilfe der Bootshaken oder dicht am Ufer mit Hilfe von Schleppleinen weiter.

Unter Bootshaken versteht man hier gleichzeitig die Palanca, eine Gabelstange, deren sich die Leute am Vordertheil bedienen, und den Garapato, einen festen Bambusstab mit Haken, den der Schiffer auf dem Hintertheile regiert.

Die Schleppleine, Espilla genannt, ist ein leichtes Kabel aus sehr elastischen Fasern der Chiquichiquipalme gesponnen, gewöhnlich von hundert Fuß Länge und dabei so leicht, daß sie auf dem Wasser schwimmt. Man schafft sie, wo es nöthig erscheint, ans Ufer, befestigt sie an einem Baumstamm oder einer Wurzel und zieht sich vom Boote aus an ihr weiter hin.

Das ist also die Einrichtung einer Falca, die zur Beschiffung des Stromes auf seinem Oberlaufe dient, und der man noch zwecks Benutzung der Espilla, ein kleines Boot anhängt, das in der Indianersprache Curiare heißt.

Mit dem Führer einer solchen Pirogue müssen die Reisenden verhandeln, und der Miethpreis richtet sich hier nicht nach der Länge der zurückzulegenden Strecke, sondern nach der Zeit, die das Fahrzeug benutzt wird. Die zu zahlende Entschädigung wird dabei für den einzelnen Tag festgestellt. Es könnte wohl auch nicht anders sein. Die Fahrt auf dem Orinoco erleidet ziemlich häufig Verzögerungen, entweder durch plötzliches Hochwasser, durch stürmische Winde oder durch Stromschnellen, die das Fahrzeug zurückwerfen, wie durch die Schwierigkeiten des Landtransports, der da, wo man gar nicht weiter fahren kann, nöthig wird. Eine Reise, die vielleicht in drei Wochen zurückzulegen ist, erfordert wohl gleich die doppelte Zeit, wenn gar zu ungünstige Witterungsverhältnisse herrschen. Deshalb würde sich auch kein Schiffer verpflichten, seine Fahrgäste von Caïcara entweder nach der Mündung des Meta oder nach San-Fernando in einer vorausbestimmten Zeit zu befördern. Unter solchen Umständen mußte hier also mit indianischen Banivas verhandelt werden, die den Reisenden denn auch zwei Piroguen zur Verfügung stellten.

[68] Herr Miguel war so glücklich, einen sehr erfahrenen Stromschiffer zu wählen. Es war ein Indianer, namens Martos, ein vierzigjähriger, kräftiger und intelligenter Mann, der für seine Mannschaft, neun tüchtige, mit der Handhabung der Palanca, des Garapato und der Espilla vertraute Eingeborne, mit seinem Worte einstand. Der Tagespreis, den er forderte, mochte wohl hoch erscheinen, wem wäre es indeß in den Sinn gekommen, darum zu feilschen, wo es sich um die Lösung der wichtigen Guaviare-Orinoco-Atabapo-Frage handelte!

Die Wahl Jeans von Kermor und des Sergeanten Martial war jedenfalls auch nicht minder glücklich ausgefallen – neun Banivas unter Führung eines halbindianischen, halbspanischen Mestizen, der recht gute Zeugnisse aufzuweisen hatte. Der Mestize nannte sich Valdez, und wenn die Fahrt seiner Passagiere sich jenseits San-Fernandos auf dem Oberlaufe des Stromes weiter erstrecken sollte, verpflichtete er sich, da er dort auch schon gefahren war, gern zu deren Verfügung zu bleiben. Das war jedoch eine Frage, die erst später entschieden werden konnte, je nach der Auskunft, die in San-Fernando über den Obersten zu erhalten sein würde.

Die beiden Piroguen hatten jede ihren Namen: die der Herren Miguel, Felipe und Varinas hieß »Maripa re«, gleich einer der zahlreichen Inseln des Orinoco; den einer andern Insel, »Gallinetta«, trug das Fahrzeug des Sergeanten Martial und seines Neffen. Beide waren an den obern Theilen weiß, am Rumpfe durchweg schwarz angestrichen.

Es versteht sich von selbst, daß die beiden Piroguen dicht bei einander fahren sollten und keine die andre zu überholen suchen würde. Der Orinoco ist ja nicht der Mississippi, die Falcas sind keine Dampfschiffe, und hier lag kein Grund vor, gegen einander zu wetteifern oder sich den Record an Schnelligkeit zu sichern. Außerdem hat man auch immer Ueberfälle durch Indianer aus den nahen Savannen zu befürchten, und deshalb ist es rathsamer, in größerer Zahl aufzutreten, um dem Raubgesindel Respect einzuflößen.

Die »Maripare« und die »Gallinetta« wären schon an demselben Abend zur Abreise fertig gewesen, wenn nicht erst noch Vorräthe an Lebensmitteln u. s. w. zu besorgen gewesen wären. Bei den Händlern in Caïcara war ja alles zu haben was man zu einer mehrwöchigen Bootsreise bis San-Fernando, wo neue Einkäufe gemacht werden konnten, nöthig hatte. Sie haben alles zu verkaufen: Conserven, Kleidungsstücke, Schießbedarf, Angel- und Jagdgeräthe, und waren ihren Kunden gern zu Diensten, wenn diese nur in schönen Piastern zahlten [69] Reisende auf dem Orinoco können freilich nebenbei darauf rechnen, daß sie Wild an den daran reichen Stromufern erbeuten und Fische in großer Menge fangen können Herr Miguel war nun ein ebenso guter Schütze wie der Sergeant Martial, und auch die leichte Jagdflinte Jeans von Kermor sollte gewiß nicht unthätig und nutzlos bleiben. Man lebt aber doch nicht allein von Jagd und Fischfang. Jedenfalls mußten Thee, Zucker, getrocknetes Fleisch, Dörrgemüse, Cassavenmehl, das aus dem Manioc gewonnen wird und hier die Stelle des Weizen- und Roggenmehls vertritt, und auch einige Tönnchen Tafia und Aguardiente mitgenommen werden. An Brennmaterial würde es den Oefen der Piroguen aus den Uferwäldern nicht fehlen. Zum Schutze gegen die Kälte, oder vielmehr gegen die Feuchtigkeit, konnte man sich leicht wollene Decken besorgen, die in allen venezuolanischen Ortschaften käuflich sind.

Diese Vorbereitungen nahmen immerhin einige Tage in Anspruch, und man hatte übrigens keine Ursache, diese Verzögerung zu bedauern, denn vierundzwanzig Stunden lang herrschte gerade jetzt abscheuliches Wetter. Caïcara wurde von einem der schweren Stürme heimgesucht, die die Indianer als Chubasco bezeichnen. Er kam aus Südwesten und war von so überreichen Regengüssen begleitet, daß eine starke Anschwellung des Stromes eintrat.

Der Sergeant Martial und sein Neffe bekamen hier bei einen Vorgeschmack von den Schwierigkeiten, die die Schifffahrt auf dem Orinoco gelegentlich bietet. Die Falcas hätten jetzt weder gegen die durch die Hochfluth entstandene stärkere Strömung, noch gegen den Sturmwind aufkommen können, der sie von vorn gepackt hätte. Jedenfalls wären sie gezwungen gewesen, unter solchen Umständen nach Caïcara, und vielleicht gar schwer beschädigt, zurückzukehren.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas nahmen diese Widerwärtigkeiten mit philosophischer Ruhe hin; sie hatten ja keine besondre Eile und es kam wenig darauf an, wenn ihre Reise sich auch um einige Wochen verlängerte. Der Sergeant Martial dagegen murrte, schimpfte und wetterte über die Hochfluth und gebrauchte französische und spanische Kraftausdrücke, womit er den Strom belegte, so daß Jean von Kermor Mühe hatte, ihn einigermaßen zu beruhigen.

»Es genügt nicht, den nöthigen Muth zu haben, mein lieber Martial, sagte er wiederholt, man muß sich auch mit tüchtigem Vorrath an Geduld ausrüsten, denn die werden wir gelegentlich brauchen.

– Daran soll es mir zwar nicht fehlen, Jean, doch dieser verwünschte Orinoco, konnte er sich uns wenigstens zu Anfang nicht etwas liebenswürdiger zeigen?

[70] – So bedanke Dich, lieber Onkel; ist es nicht vorzuziehen, wenn er uns seine Liebenswürdigkeiten bis zu Ende bewahrt? Wer weiß denn, ob wir nicht gezwungen sein werden, bis an seine Quellen zu gehen?

– Ja, wer weiß das, brummte der Sergeant Martial, und wer weiß, was uns da unten passiert!«

Im Laufe des 20. August verminderte sich, während der Wind mehr nach Norden umlief, die Heftigkeit des Chubasco zusehends. Hielt sich der Wind in dieser Richtung, so konnten ihn die Piroguen mit Vortheil benutzen. Gleichzeitig fiel auch das Wasser – der Strom trat in sein gewöhnliches Bett zurück. Die beiden Schiffer Martos und Valdez erklärten, daß man am nächsten Tage vormittags abfahren könne.

Das fand denn auch unter den günstigsten Bedingungen statt. Gegen zehn Uhr hatten sich die Bewohner des Orts nach dem Ufer begeben. Die Flagge Venezuelas flatterte an der Mastspitze jeder Pirogue. Auf dem Vordertheile der »Maripare« standen die Herren Miguel, Felipe und Varinas und beantworteten grüßend die Zurufe der Einwohner.

Dann drehte sich Herr Miguel nach der »Gallinetta« um.

»Glückliche Reise, Herr Sergeant! rief er heitern Tones.

– Glückliche Reise, Herr Miguel! erwiderte der Sergeant, denn wenn sie für Sie glücklich verläuft...

– So wird das auch für uns Alle der Fall sein, fuhr Herr Miguel fort, denn wir machen sie ja zusammen!«

Die Palancas stemmten sich gegen die Ufer, die Segel wurden gehißt, und, von günstiger Brise getrieben, glitten die beiden Fahrzeuge unter den letzten Vivats vom Land her der Mitte des Stromes zu.

[71]
6. Capitel
Sechstes Capitel.
Von einer Insel zur andern.

Die Fahrt auf dem mittleren Orinoco hatte also begonnen. Viele eintönige Stunden und Tage sollten nun an Bord der Piroguen dahingehen. Welche Verzögerungen gab es auf diesem Strome, der sich zu einer schnellen Schifffahrt thatsächlich wenig eignet! Für Herrn Miguel und seine Begleiter gab es diese Eintönigkeit freilich kaum. Schon am Zusammenfluß des Guaviare und des Atabapo sollten sie ja ihre geographischen Arbeiten beginnen, die hydrographischen Verhältnisse eingehender erforschen, die Lage der zahlreichen Zuflüsse und Inseln studieren, die Stellen der vielen Raudals bestimmen und überhaupt die Irrthümer berichtigen, an denen es den bisherigen Karten dieses Landestheiles nicht mangelte. Für Gelehrte, die noch immer mehr zu lernen streben, vergeht die Zeit ja im Fluge.

Es war vielleicht zu bedauern, daß der Sergeant Martial so heftig dagegen gestimmt hatte, die Reise in einunddemselben Fahrzeuge zu unternehmen, denn dann wären ihnen die Stunden wohl nicht so endlos lang vorgekommen. In diesem Punkte hatte der Onkel aber hartnäckig seinen Kopf aufgesetzt und der Neffe übrigens nicht den geringsten Einwand erhoben, als ob es eben so sein müsse.

Der junge Mann mußte sich damit begnügen, das Werk seines Landsmannes, das übrigens in Bezug auf alles, was den Orinoco betrifft, höchst zuverlässig ist, immer und immer wieder durchzustudieren, und einen bessern Führer, als jenen französischen Reisenden, hätte er auch gar nicht finden können.

Als die »Maripare« und die »Gallinetta« die Strommitte erreicht hatten, bemerkte man die Cerros (Hügel), die die benachbarten Ebenen unterbrechen. Gegen elf Uhr wurde am linken Ufer ein Haufen von Hütten sichtbar, der am Fuße granitner Anhöhen lagerte. Es war das Dorf Cabruta, das aus etwa fünfzig Strohhütten bestand, und wenn man deren Zahl mit acht multiplicierte, erhielt man annähernd die seiner Einwohner. Hier verdrängten seiner Zeit Mestizen die jetzt thatsächlich zerstreuten Guamos-Indianer, Eingeborne, deren [72] Haut übrigens weißer ist, als die der Mulatten. Da jetzt grade Regenzeit war, konnten der Sergeant Martial und Jean von Kermor doch einzelne der Guamos, die dann auf ihren Baumrindenbooten dem Fischfange obliegen, zuweilen in großer Nähe beobachten.

Der Schiffer der »Gallinetta« sprach spanisch. Der junge Mann richtete häufig verschiedene Fragen an ihn, die Valdez willig beantwortete. Am Abend, als die Falca sich mehr dem rechten Ufer näherte, sagte Valdez zu Jean:


Mehrere solcher ungeschlachter Saurier tummelten... (S. 75.)

»Dort sehen Sie Capuchino, eine alte, aber schon längst verlassene Mission.

[73] – Denken Sie da anzulegen, Valdez? fragte Jean.

– Das ist nicht zu umgehen, da der Wind in der Nacht ganz abflauen wird. Uebrigens befährt man schon aus Vorsicht den Orinoco nur am Tage, denn viele enge Fahrstellen wechseln zu häufig in ihrer Lage und man braucht unbedingt helle Beleuchtung, um sich zurecht zu finden.«

Die Schiffer pflegen in der That jeden Tag an einem der Ufer oder einer Insel anzulegen. Auch die »Maripare« ging jetzt am Strande von Capuchino ans Land. Nach dem Abendessen, bei dem einige von den Fischern von Cabruto erkaufte Fische von der Art der Dorades aufgetragen wurden, verfielen die Passagiere der Piroguen bald in tiefen Schlaf.

Wie der Schiffer Valdez vorausgesagt hatte, legte sich der Wind schon in den ersten Nachtstunden ganz und gar, sprang aber mit Tagesanbruch wieder auf und wehte stetig aus Nordost. Die Segel wurden also gehißt, und mit dem Winde im Rücken trieben die beiden Falcas ohne Unfall den Strom hinaus.

Capuchino gegenüber zeigte sich die Mündung des Apurito, eines Armes des Apure. Das eigentliche Delta dieses mächtigen Nebenflusses wurde erst zwei Stunden später sichtbar. Auf diesem Nebenflusse dampft der »Simon Bolivar«, nachdem er Caïcara verlassen hat, weiter nach den im Westen von den Anden begrenzten Gebieten Columbias.

Mit Bezug hierauf fragte Herr Miguel seine beiden Gefährten, warum denn der Apure nicht weit eher als der Atabapo oder Guaviare der eigentliche Orinoco sein könne.

»Sapperment! fuhr Herr Felipe auf. Kann denn der Apure überhaupt etwas anderes sein, als der Zufluß eines Stromes, der hier fast dreitausend Meter breit ist?

– Und ist sein Wasser nicht trüb und weißlich, rief Herr Varinas, während das hier schon von Ciudad-Bolivar an klar und durchsichtig ist?

– Das geb' ich zu, sagte Herr Miguel lächelnd, wir wollen den Apure also außer Concurs setzen; unterwegs finden sich schon noch andre Mitbewerber.«

Herr Miguel hätte hier wenigstens anführen können, daß der Apure unvergleichlich reichere Ilanos als die des Orinoco befruchtet und daß er ihn wirklich nach Westen fortzusetzen scheint, während letzterer, einen scharfen Winkel bildend, von San-Fernando her aus Süden heranströmt. Auf einer Strecke von fünfhundert Kilometern, fast bis nach Palmirito, folgen die Dampfer, die [74] von seiner Mündung nicht weiter (den Orinoco) hinausfahren können, seinem wasserreichen Laufe. Man hat ihn mit Recht den »Strom der Ilanos« genannt, der weiten, für jede Cultur geeigneten Flächen, die vorzüglich zur Aufzucht von Schlachtvieh dienen und die kräftigste und arbeitsamste Bevölkerung des innern Venezuela aufweisen.

Hier hätte erwähnt werden können – und Jean sollte sich davon mit eignen Augen überzeugen – daß es in dem weniger durchsichtigen Wasser von Kaimans wimmelt, die sich infolge dieser Eigenschaft ihrer Beute weit leichter nähern können. Mehrere solcher ungeschlachter Saurier tummelten sich zuweilen nur wenige Fuß von der »Gallinetta«. Volle sechs Meter lang, kommen diese Riesen vom Krokodilgeschlechte in den Nebenflüssen des Orinoco in großer Menge vor, während die in den Flußläufen, die die Ilanos durchschneiden, von geringerer Größe sind.

Auf eine bezügliche, von dem jungen Manne gestellte Frage antwortete der Schiffer Valdez:

»Wirklich gefährlich sind diese Bestien nicht alle, denn es giebt welche – unter andern die Bavas – die nicht einmal einen Badenden angreifen. Die Cebados freilich, das sind die Burschen, die schon Menschenfleisch gekostet haben, würden nicht zaudern, bis in die Boote zu dringen und Einen mit Haut und Haar zu verzehren!

– Na, sie sollen nur herankommen! rief der Sergeant Martial.

– Nein, sie mögen uns fern bleiben, lieber Onkel!« antwortete Jean, indem er auf eines der ungeheuern Thiere hinwies, dessen mächtige Kiefern sich geräuschvoll öffneten und schlossen.

Krokodile sind es übrigens nicht allein, die die Gewässer des Orinoco und seiner Nebenflüsse unsicher machen; man trifft auch Cariben, das sind Fische von solcher Körperkraft daß sie die stärksten Angelhaken mit einem Schlage zerbrechen, und deren, von dem Worte Caraïba abgeleiteter Name sie als Wasser-Cannibalen kennzeichnet. Außerdem hat man alle Ursache, sich vor den Zitterrochen und Zitteraalen zu hüten, vor jenen Gymnoten, die hier Trembladors (Erschütterer) genannt werden. Mit einem sehr sinnreich zusammengesetzten (elektrischen) Organe ausgerüstet, tödten sie andere Fische mit ihren Entladungsschlägen, die auch ein Mensch nicht ungestraft aushalten würde.

Im Laufe dieses Tages segelten die Falcas an mehreren Inseln vorüber, längs deren Ufer die Strömung sehr stark war, so daß zum Fortkommen wiederholt[75] die an einer dicken Wurzel befestigte Espilla zu Hilfe gezogen werden mußte.

Beim Vorüberfahren an der Insel Verija de Mono, die ein fast undurchdringlicher Urwald bedeckt, krachten an Bord der »Maripare« plötzlich mehrere Schüsse. Ein halbes Dutzend Wildenten fiel auf das Wasser herunter. Herr Miguel und seine Freunde waren es gewesen, die sich hier als treffliche Schützen erwiesen hatten.

Bald darauf näherte sich der Curiare der andern Pirogue der »Gallinetta«.

»Zur Abwechslung im gewohnten Speisezettel!« rief Herr Miguel, der ein Paar der schmackhaften Vögel anbot.

Jean von Kermor dankte Herrn Miguel verbindlich, während der Sergeant Martial nur eine Art Dank brummte.

Nachdem er den jungen Mann gefragt, wie er die beiden ersten Reisetage verlebt hätte, und eine befriedigende Antwort erhalten hatte, wünschte Herr Miguel dem Neffen wie dem Onkel noch eine gute Nacht und fuhr in dem Curiare wieder davon.

Mit Anbruch der Nacht wurden die beiden Falcas an der Insel Pajaral vertäut, da das rechte Ufer des Stromes vielfach mit erratischen Blöcken bedeckt war, auf denen Chaffanjon zahlreiche Inschriften entdeckt hatte, die von den Strom bereisenden Händlern mit dem Messer eingeritzt waren.

Das Abendessen wurde mit gutem Appetit verzehrt. Die Enten – zubereitet von dem Sergeanten Martial, der sich wie der Cantineninhaber eines Regiments auf die Kochkunst verstand – lieferten ein saftiges, herrlich duftendes Fleisch, das denen der europäischen Arten weit überlegen ist. Um neun Uhr ging man zu Bett, oder der junge Mann streckte sich wenigstens auf der Estera in dem ihm als Schlafzimmer dienenden Raume des Deckhauses aus, wo ihn der Onkel, seiner Gewohnheit getreu, mit dem Muskitonetze sorgsam umhüllte.

Das erwies sich als eine sehr nothwendige Vorsicht. Wie viele Muskitos und was für Muskitos schwirrten hier umher! Wenn man dem Sergeanten Martial glauben darf, hatte Chaffanjon gewiß nicht übertrieben, als er behauptete daß diese »vielleicht die größte Schwierigkeit bei einer Bereisung des Orinoco bilden«. Myriaden giftiger Stacheln verletzen den Menschen hier ohne Unterlaß, und jeder Stich erzeugt eine entzündete Stelle, die noch nach vierzehn Tagen Schmerzen verursacht, wenn sie nicht gar ein heftiges Fieber auslöst.

Wie aufmerksam breitete der Onkel aber auch den schützenden Schleier über die Lagerstätte des Neffen! Und dazu qualmte seine Pfeife wie ein Schornstein,[76] um die schrecklichen Insecten für den Augenblick zu vertreiben. Suchten aber einzelne durch schlecht geschlossene Falten des Netzes zu schlüpfen, so tödtete er sie durch einen Schlag mit der Hand.

»Mein lieber Martial, Du wirst Dir noch die Hand verstauchen! So viele Mühe brauchst Du Dir nicht zu machen; mich hindert schon nichts mehr am Schlafen.

– Nein, antwortete der alte Soldat, ich will nicht, daß eine einzige der abscheulichen Bestien Dir um die Ohren summt!«

Und er setzte sein Morden fort, so lange sich noch ein verdächtiges Schwirren vernehmen ließ. Erst als er sah, daß Jean wirklich eingeschlummert war, suchte auch er sein Lager auf. Er selbst machte sich ja nichts aus solchen Angriffen. Obwohl er sich aber für zu »lederhart« hielt, um davon zu leiden, wurde er doch wie jeder Andre tüchtig zerstochen und kratzte sich, daß die ganze Pirogue erzitterte.

Am nächsten Morgen wurden die Haltetaue gelöst, und wieder ging es unter Segel weiter. Der Wind war noch günstig, setzte aber dann und wann aus. Große Haufenwolken hingen niedrig am Himmel. Der Regen stürzte in Strömen herab, und Alle mußten im Deckhause bleiben.

Nun galt es noch obendrein, einige Stromschnellen zu überwinden, die eine Folge der Einengung des Bettes durch mehrere kleine Inseln waren. Schließlich mußte sogar ganz nahe am linken Ufer, wo eine schwächere Strömung stand, hingefahren werden.

Das Uferland hier hatte ein sumpfiges Aussehen mit einem Gewirr von Canälen und Tümpeln. Den gleichen Charakter bewahrt es von der Mündung des Apurito an bis zu der des Arauca auf eine Strecke von hundert Kilometern. Hier ist die Gegend, wo die zahlreichsten Wildenten vorkommen. Wenn sie über die Ebenen hinflatterten, sah es aus, als wäre der Himmel mit schwarzen Flecken übersäet.

»Wenn es deren auch so viele wie Muskitos giebt, so sind sie doch weniger lästig meinte der Sergeant Martial, ganz abgesehen davon, daß man sie essen kann!«

Die Richtigkeit dieses Ausspruchs dürfte wohl niemand bezweifeln.

Sie wurde auch durch ein Vorkommniß erhärtet, das Elisée Reclus nach Carl Sachs berichtet. Man erzählt sich, versichert er, daß ein neben einer Lagune dieser Gegend lagerndes Reiterregiment sich vierzehn Tage lang ausschließlich [77] von solchen Wildenten ernährt habe, ohne daß nur eine Abnahme der Schaaren dieser Vögel bemerkt worden wäre.

Die Jäger von der »Gallinetta« und der »Maripare« verminderten ebensowenig wie das Reiterregiment die Legionen dieses Geflügels. Sie begnügten sich, davon einige Dutzend zu erlegen, die dann mittels der Curiares von der Wasserfläche aufgefischt wurden. Dem jungen Mann gelangen einige recht glückliche Schüsse, zur großen Genugthuung des Sergeanten Martial, und da dieser sich sagte, daß eine Höflichkeit eine andre werth sei, übersandte er Herrn Miguel und seinen Gefährten, die damit schon reichlich genug versehen waren, einen Theil der Jagdbeute. Er wollte gegen die andre Gesellschaft keine Verbindlichkeiten haben.

Am nächsten Tage hatten die Führer der Piroguen öfters Gelegenheit, ihre Gewandtheit in der Vermeidung von Felsenvorsprüngen zu beweisen. Stießen sie gegen einen solchen an, so bedeutete das, bei dem infolge des Regens hohen Wasserstande, den Verlust des ganzen Fahrzeugs. Das Manöver erforderte nicht allein eine ganz sichere Handhabung der Pirogue am Hintertheile, sondern es galt daneben auch, auf abschwimmende Baumstämme zu achten und ihnen aus dem Wege zu gehen. Diese Bäume rührten alle von der Insel Zamuro her, deren stückweiser Zerfall schon vor einigen Jahren begonnen hatte. Die Insassen der Piroguen konnten sich durch den Augenschein überzeugen, daß die genannte, vielfach unterspülte Insel ihrer gänzlichen Zerstörung entgegenging.

Die Falcas lagen die Nacht über an der stromaufwärts gerichteten Spitze der Insel Casimirito fest. Sie fanden hier hinreichenden Schutz gegen einzelne Windstöße, die sich mit ungeheurer Gewalt entfesselten. Einige leere, gewöhnlich von Schildkrötensängern benützte Hütten dienten den Passagieren als sichrerer Schutz, als ihn das Deckhäuschen bot. Hier ist aber nur von den Passagieren der »Maripare« die Rede, denn die von der »Gallinetta« gingen trotz erhaltener Aufforderung nicht mit ans Land.

Uebrigens war es vielleicht nicht einmal klug, die Insel Casimirito zu betreten, die außer von vielen Affen auch von Pumas und Jaguaren bevölkert ist. Zum Glück nöthigte der Sturm die Raubthiere, sich in ihre Schlupfwinkel zu verkriechen, wenigstens wurde das nächtliche Lager nicht angegriffen. Wenn es in der Luft einmal ruhiger war, vernahm man wohl dann und wann ein wildes Brüllen und lärmendes Geschrei einer Affenart, die den Namen Heulaffen, den ihnen die Naturforscher gegeben haben, gründlich verdient.

[78] Am folgenden Morgen zeigte der Himmel ein etwas freundlicheres Gesicht. Die Wolken hatten sich noch mehr gesenkt, und an Stelle des in hohen Luftschichten gebildeten Platzregens rieselte es ganz sein, wie Wasserstaub, hernieder, und auch das hörte mit Tagesanbruch bald auf. Dann und wann blickte die Sonne durch das Gewölk und eine Nordostbrise frischte auf, bei der die Piroguen ihr Segel voll ausnutzen konnten, da der Strom hier und jenseits Buena Vista nach Westen abbiegt, ehe er sich mehr nach Süden wendet.

Das Bett des jetzt sehr breiten Orinoco bot da einen Anblick, über den Jean von Kermor und der Sergeant Martial als Nanteser wohl stutzen mochten. Das veranlaßte den alten Soldaten auch zu der Bemerkung:

»He, lieber Neffe, sieh' Dich doch einmal um, wo wir heute sind...«

Aus dem Deckhause tretend, begab sich der junge Mann nach dem Vordertheile des Fahrzeugs, dessen Segel sich hinter ihm blähte. Die sehr klare Luft ließ überall den entfernten Horizont der Ilanos erkennen.

Da vervollständigte der Sergeant Martial noch seine Worte.

»Sollten wir etwa gar nach unsrer geliebten Bretagne zurück versetzt sein? sagte er.

– Ich verstehe Dich, antwortete Jean, hier gleicht der Orinoco ganz der Loire...

– Ja, Jean, unsrer Loire oberhalb wie unterhalb Nantes'. Siehst Du dort die gelben Sandbänke? Wenn hier ein halbes Dutzend Küstenfahrer mit ihrem großen viereckigen Segel einer im Kielwasser des andern dahinzögen, würd' ich glauben, wir müßten bald in Saint-Florent oder in Mauves ankommen!

– Du hast recht, mein guter Martial, die Aehnlichkeit ist frappierend. Die weiten Ebenen, die sich längs der beiden Ufer ausdehnen, erinnern mich jedoch eher an die Wiesenflächen der untern Loire, wie bei Pellerin oder bei Paimboeuf...

– Richtig, lieber Neffe, mir ist's auch so, als müßte jeden Augenblick der Dampfer von Saint-Nazaire auftauchen – der Pyroscaph, wie man da unten mit einem Worte sagt, das mir aus dem Griechischen, das ich nie begreifen konnte, zu stammen scheint.

– Und wenn der Pyroscaph auch käme, lieber Onkel, antwortete der junge Mann lachend, würden wir uns seiner doch nicht bedienen, sondern ihn vorüberrauschen lassen. Nantes ist jetzt da, wo mein Vater ist... nicht wahr?

[79] – Ja, da wo mein wackrer Oberst weilt; und wenn wir ihn gefunden haben, wenn er erst weiß, daß er auf der Welt nicht allein steht, dann... dann fährt er mit uns den Strom wieder hinunter, erst in einer Pirogue, dann mit dem »Simon Bolivar«... und schließlich besteigen wir den Dampfer von Saint-Nazaire, aber nur, um beglückt nach Frankreich heimzukehren...

– Möge Gott Dich hören!« murmelte Jean.

Und bei diesen Worten irrte sein Blick stromaufwärts hinaus nach den Cerros, deren entfernte Silhouette sich im Südosten zeigte.

Dann kam er wieder auf die übrigens ganz richtige Bemerkung zurück, die der Sergeant Martial über die Aehnlichkeit der Loire und des Orinoco in diesem Theile seines Laufes gemacht hatte.

»Ja, meinte er, was man aber zu gewissen Zeiten auf den Sandstrecken hier beobachten kann, das würde man auf der obern wie auf der untern Loire doch niemals sehen.

– Und was wäre das?

– Das sind Schildkröten, die jedes Jahr hierherkommen, ihre Eier abzulegen und sie in den Sand zu vergraben.

– Ah so... hier giebt es also Schildkröten...

– Zu Tausenden! Der Rio, den Du dort am rechten Ufer siehst, hieß auch Rio Tortuga, ehe er den Namen Rio Chaffanjon erhielt.

– Und wenn er Rio Tortuga hieß, hatte er diesen Namen gewiß verdient. Bisher indeß sah ich keine...

– Nur Geduld, Onkel Martial; obgleich die Legezeit schon lange vorüber ist, wirst Du Schildkröten noch in unglaublicher Menge zu sehen bekommen.

– Wenn sie aber nicht mehr legen, werden wir auch ihre Eier nicht kosten können, die, wie mir gesagt wurde, herrliche Leckerbissen sein sollen.

– Ganz vorzügliche! Das Fleisch des Thieres ist aber ebenso wohlschmeckend. Ich hoffe doch, daß unser Schiffer Valdez einige für unsre Suppenschüssel fangen wird.

– O, eine Schildkrötensuppe! rief der Sergeant Martial, mit der Zunge schnalzend.

– Ja, und hier wird sie nicht wie in Frankreich mit Theilen vom Kalbskopf bereitet.

– Es wäre auch, erwiderte der Sergeant Martial, eine so weite Reise nicht werth, wenn man hier nur ein einfaches Kalbsragout zu essen bekäme!«

[80] [83]Der junge Mann täuschte sich nicht in der Annahme, daß die Piroguen nach den Gegenden kommen würden, wo jene Schildträger die Indianer der Nachbargebiete herbeilocken. Wenn diese Eingebornen jetzt hier nur zur Fangzeit erscheinen, so hausten sie dagegen früher in großer Menge auf dem Uferlande des Stromes. Die Taparitos, die Panares, die Yaruros, die Guamos und die Mapoyos bekriegten einander lange Zeit mit größter Bitterkeit, um sich den Besitz dieser Ländereien zu sichern. Vor den Genannten wohnten hier auch früher jedenfalls die jetzt in alle Winde verstreuten Otomacos.


»Zur Abwechslung im gewohnten Speisezettel!« rief Herr Miguel. (S. 76.)

Nach den Berichten Humboldt's waren diese Indianer, die von steinernen Vorfahren abzustammen behaupteten, unermüdliche Ballspieler und als solche noch gewandter als die nach Venezuela eingewanderten Basken europäischer Abkunft. Man zählte sie ferner den Geophagen zu, das heißt den Völkerschaften, die zur Zeit, wo es an Fischen fehlte, halbfeuchte Kugeln aus Lehm oder reinem Thon verzehrten. Das ist übrigens eine Gewohnheit, die auch heute noch da und dort besteht. Diese Unsitte – von etwas Anderem kann man dabei doch kaum reden – eignen sich die Leute schon in früher Kindheit an und können später unmöglich davon ablassen. Die Geophagen verschlingen Erde, wie die Chinesen Opiumrauchen – beide können dem Verlangen danach nicht widerstehen. Chaffanjon hat mehrere solcher Elenden getroffen, die sogar den Lehm von ihren Strohhütten abnagten.

Am Nachmittage hatten die Falcas mit tausenderlei Schwierigkeiten zu kämpfen, die den Mannschaften viel Mühe bereiteten. Die Strömung war in diesem Theile des von hereinragenden Sandbänken eingeengten Bettes ungemein schnell.

Bei einem mit schweren Wolken bedeckten Himmel und mit Elektricität geschwängerter Luft, hörte man von Süden her das Rollen des Donners, die Brise schwächte sich mehr und mehr ab, und nur dann und wann machte sich ein leichter Windhauch bemerkbar.

Unter diesen Umständen verlangte es die Klugheit, schützendes Unterkommen zu suchen, denn man weiß niemals, wie sich die Unwetter über dem Orinoco gestalten und ob sie nicht die ärgsten atmosphärischen Störungen mitbringen. Die Bootsleute beeilen sich deshalb gern, in eine tiefe Bucht einzulaufen, deren hohe Uferwände sie vor den Angriffen verheerender Windstöße schützt.

Leider zeigte dieser Theil des Stromes keinen derartigen Schlupfwinkel. Auf beiden Seiten dehnten sich die Ilanos bis über Sehweite hinaus aus, ungeheure ganz baumlose Prärien, über die der Sturm, ohne irgend ein Hinderniß zu treffen, hinwegfegen konnte.

[83] Herr Miguel, der sich bei dem Schiffer Martos erkundigen wollte, was dieser zu thun gedenke, fragte ihn, ob er sich nicht genöthigt sehen werde, bis zum nächsten Tage mitten im Strome zu ankern.

»Das wäre gefährlich, antwortete Martos. Unser Anker würde hier keinen Halt finden; wir selbst würden auf den Sand getrieben, umgeworfen und in Stücke geschlagen werden...

– Was ist dann also zu beginnen?

– Wir wollen versuchen, das nächste, stromaufwärts gelegene Dorf zu erreichen; erscheint das unmöglich, so kehren wir nach der Insel Casimirito zurück, an der wir in letzter Nacht gelegen haben.

– An welches Dorf denken Sie?

– An Buena Vista am linken Ufer.«

Dieses Verhalten schien so angezeigt, daß Valdez, ohne sich mit Martos verabredet zu haben, schon die Richtung nach jenem Dorfe einschlug.

Augenblicklich hingen die Segel schlaff an den Masten herunter. Die Bootsleute zogen sie gänzlich ein, um dem erwarteten Wind jeden Angriffspunkt zu nehmen. Vielleicht brach dieser vor Ablauf von einer oder zwei Stunden noch nicht los. Die bleigrauen Wolken schienen am südlichen Horizont wie festgenagelt zu stehen.

»Schlechtes Wetter, sagte der Sergeant Martial, sich an den Schiffer Valdez wendend.

– Freilich, schlechtes Wetter, bestätigte dieser, doch suchen wir darüber Herr zu werden!«

Die beiden Piroguen schwammen etwa fünfzig Fuß, nicht mehr, entfernt von einander dahin. Die langen gabelförmigen Stangen wurden auf den sandigen Grund gestoßen, um die Fahrzeuge vorwärts zu bewegen. Es war eine harte Arbeit mit nur wenig Erfolg, da die Strömung überwunden werden mußte. Auf andre Weise konnte man aber gar nicht vorwärts kommen. Daneben erschien es von Wichtigkeit, immer nahe dem linken Stromufer zu bleiben, um sich nöthigenfalls mittelst Espilla fortlootsen zu können.

Eine gute Stunde dauerte diese Arbeit schon an. Wie oft drängte sich da die Besorgniß auf, daß die Falcas, wenn sie nicht vor Anker gingen, stromabwärts gerissen und vielleicht auf Klippen geschleudert würden. Dank der Geschicklichkeit der Schiffer und der kräftigen Anstrengungen der Mannschaften, denen die Herren Miguel, Felipe und Varinas auf der einen und der Sergeant [84] Martial nebst Jean auf der andern Seite zu helfen sich bemühten, gelang es aber den beiden Fahrzeugen, das linke Ufer zu erreichen, ohne bei der schrägen Fahrt über den Strom besonders an Weg verloren zu haben.

Jetzt konnte und mußte die Espilla zu Hilfe genommen werden, und bei einiger Kraftanstrengung konnte man hoffen, nicht stromabwärts verschlagen zu werden.

Auf den Vorschlag des Schiffers Valdez verband man die Piroguen eine hinter der andern, und die Mannschaften von beiden unterstützten sich nun, sie längs des Ufers hinaufzuschleppen. Wenn die Gestaltung des Ufers es erlaubte, gingen sie gleich ans Land und zogen die Fahrzeuge weiter, die die Pagaie des Steuermanns in gewünschter Richtung hielt. Konnte man zu Fuß auf dem Uferlande nicht weiter so wurde die Espilla etwa vierzig Meter stromaufwärts geschafft und an einem Felsstück oder Baumstumpf befestigt. Darauf kehrten die Leute an Bord der »Maripare« zurück und zogen vereint die Fahrzeuge ein Stück stromauf.

Auf diese Weise kam die Reisegesellschaft an den Inseln Seiba, Cururuporo und Estiliero, die links liegen blieben, und bald nachher an der dem rechten Ufer naheliegenden Insel Posso Redondo vorüber.

Inzwischen stieg das Gewitter bis zum Zenith empor. Ueber den ganzen Horizont zuckten häufig die mächtigsten Blitze. Das Krachen und Rollen des Donners setzte fast keine Secunde aus. Zum Glück befanden sich aber die beiden Piroguen gegen acht Uhr abends, als der mit Hagelschauern gemischte Sturm am schlimmsten wüthete, am linken Ufer des Orinoco vor dem Dorfe Buena Vista in Sicherheit.

7. Capitel
Siebentes Capitel.
Buena Vista und la Urbana.

Die Nacht brachte noch vieles Unglück. Die Verwüstungen durch den Orkan erstreckten sich über fünfzehn Kilometer weit bis zur Mündung des Rio Arauca. Das zeigte sich am nächsten Tage, am 26. August, an den Trümmern [85] jeder Art, die der Strom hinabwälzte, dessen sonst so klares Wasser jetzt ganz lehmgelb geworden war. Hätten die beiden Piroguen nicht im Grunde des kleinen Hafens Schutz gefunden, wären sie mitten auf dem Orinoco von dem schrecklichen Wetter betroffen worden, so wäre von ihnen wohl nichts als formlose Wraks übrig geblieben. Mannschaften und Passagiere wären umgekommen, ohne die Möglichkeit, Hilfe zu finden.

Zum Glück war Buena Vista ziemlich verschont geblieben, da sich der Chubasco etwas weiter nach Westen hinzog.

Buena Vista liegt an der Seite einer Insel, vor der sich in der trocknen Jahreszeit noch lange Sandbänke ausdehnen, die das Hochwasser in der Regenzeit immer bemerkbar abwäscht. Der augenblickliche Wasserstand hatte der »Gallinetta« und der »Maripare« gestattet, ganz nahe vor dem Dorfe anzulegen.

Vor dem Dorfe?... Das bestand ja nur aus einer Gruppe von Hütten, worin etwa hundertfünfzig bis zweihundert Indianer Unterkommen fanden. Auch diese kommen nur hierher zum Einsammeln von Schildkröteneiern, aus denen sie ein auf den Märkten Venezuelas recht begehrtes Oel zu bereiten verstehen. In der Mitte des August ist das Dorf nahezu verlassen, denn die Regenzeit geht in der Hälfte des Mai zu Ende. Jetzt befanden sich in Buena Vista kaum ein halbes Dutzend Indianer, die von der Jagd und vom Fischfang lebten und bei denen sich die Piroguen, wenn das nöthig geworden wäre, nicht hätten frisch verproviantieren können. Deren Vorräthe waren aber nicht erschöpft, sie reichten jedenfalls bis zu dem Flecken la Urbana aus, wo sie leicht erneuert werden konnten.

Von größter Wichtigkeit war hier nur, daß die Piroguen von den Windstößen nicht gelitten hatten.

Auf den Rath der Schiffer hin waren die Passagiere übrigens für die Nacht ans Land gegangen. Eine eingeborne Familie, die eine ziemlich saubre Hütte bewohnte, hatte ihnen Unterkunft gewährt. Diese Indianer gehörten zum Stamme der Yaruros, die man früher zu den ersten des Landes zählte und die, abweichend von ihren Stammesgenossen, auch nach der Legezeit der Schildkröten in Buena Vista zurückgeblieben waren.

Die Familie bestand aus dem Hausvater – einem kräftigen, mit dem Guayaco und dem üblichen Lendenschurz bekleideten Manne – seiner Frau, die das lange indianische Hemd trug, noch ziemlich jung, klein von Gestalt, doch gut gewachsen war, und aus einem zwölfjährigen Kinde, das wie seine [86] Eltern in völliger Wildheit aufgewachsen war. Für Geschenke, die ihre Gäste ihnen anboten, für Tafia und Cigarren für den Mann und Glashalsbänder und Spiegel für die Frau und die Tochter, waren die Leute indeß recht empfänglich. Solche Dinge werden von den Eingebornen Venezuelas noch immer sehr hoch geschätzt.

Die Hütte enthielt an Ausstattung nichts weiter als Hängematten, die an den Bambusstangen des Daches befestigt waren, und drei oder vier jener, von den Indianern Canastos genannten Körbe, worin diese ihre Kleidungsstücke und ihre werthvollsten Geräthe aufheben.

So unangenehm es dem Sergeanten Martial auch sein mochte, jetzt mußte er sich schon dazu bequemen, mit den Insassen der »Maripare« zusammen zu übernachten, denn er und sein Neffe hätten doch in keiner andern Hütte unterkommen können. Herr Miguel zeigte sich den beiden Franzosen gegenüber noch zuvorkommender als seine beiden Collegen. Jean von Kermor, der sich etwas zurückhaltend benahm, wozu die wüthenden Blicke seines Onkels das ihrige beitrugen, hatte dabei dennoch Gelegenheit, mit seinen Reisegesellschaftern nähere Bekanntschaft zu machen. Außerdem wurde er förmlich gekapert – das ist das richtige Wort – von der kleinen Eingebornen, die sich durch sein angenehmes Wesen offenbar sehr angezogen fühlte.

In der Hütte wurde nun geplaudert, während draußen das Unwetter wüthete. Das Gespräch erlitt aber manche Unterbrechung, da es häufig so furchtbar donnerte, daß keiner den andern hätte verstehen können. Weder die Indianer noch das kleine Mädchen zeigten Furcht, selbst wenn Blitz und Donner wie mit einem Schlage erfolgten. Am nächsten Morgen zeigte sich übrigens, daß verschiedene Bäume in der Nähe vom Blitze getroffen und gespalten worden waren.

Die an ähnliche Unwetter auf dem Orinoco gewöhnten Indianer werden davon offenbar weniger beeinflußt, als selbst die Thiere. Ihre Nerven widerstehen einer solchen physischen und seelischen Erschütterung. Nicht ganz so erging es dem jungen Manne, und wenn dieser auch keine »eigentliche Furcht vor dem Donner« wie man sagt, hatte, so empfand er doch jene nervöse Unruhe, von der so häufig auch kräftige Naturen nicht verschont bleiben.

Bis Mitternacht dauerte die Unterhaltung der Gäste des Indianers, und der Sergeant Martial hätte daran gewiß lebhaftes Interesse genommen wenn er die spanische Sprache ebenso gut verstanden hätte, wie sein Neffe.

[87] Das von den Herren Miguel, Felipe und Varinas eingeleitete Gespräch bezog sich in der Hauptsache auf die Beschäftigung, die jedes Jahr, doch drei Monate früher, viele Hunderte Indianer nach diesem Theil des Stromes heranzieht.

Schildkröten giebt es ja auch anderwärts an den Ufern des Orinoco, doch nirgends in so großen Mengen, wie auf den Sandbänken zwischen dem Rio Cabullare und dem Flecken la Urbana. Wie der Indianer erzählte, der, mit den Gewohnheiten des Chelidonier-Geschlechts sehr vertraut, vorzüglich bewandert in der Jagd und im Fischfang – diese Worte ergänzen sich hier zu einer Bedeutung – zu sein schien, tauchen die Schildkröten hier vom Februar an, man übertreibt nicht, wenn man sagt, zu vielen Hunderttausenden auf.

Natürlich konnte der mit der naturwissenschaftlichen Classification nicht vertraute Indianer nicht angeben, zu welcher Art jene Schildkröten gehörten, die sich auf den Geländen längs des Orinoco so ungeheuerlich vermehrt haben. Er begnügte sich damit, sie zu fangen, ganz ebenso wie die Guarahibos, die Otomacos und andre Indianerstämme, denen sich auch die Mestizen von den benachbarten Ilanos anschlossen; er sammelte die Eier der Thiere ein und bereitete daraus das gesuchte Oel auf gleich einfache Weise, wie man das aus den Oliven gewinnt. Als Aufnahmegefäß dient hier gleich das Canot, das man auf den flachen Strand zieht; darin stehen Körbe, in die man die Eier wirst; ein Stock dient noch dazu, sie zu zerbrechen, und dann fließt deren mit Wasser vermengter Inhalt einfach in das Canot aus. Eine Stunde später ist das Oel zur Oberfläche aufgestiegen, das erhitzt man dann, um darin enthaltenes Wasser zu verdampfen und das Oel zu klären – damit ist die Operation beendet.

»Und dieses Oel ist, wie es scheint, von vortrefflicher Art, sagte Jean, der sich in dieser Beziehung auf die Angaben seines geschätzten Führers stützte.

– Gewiß, ganz vortrefflicher Art, versicherte Herr Felipe.

– Zu welcher Familie gehören diese Schildkröten? fragte der junge Mann.

– Zur Cinosternon-Sippe der Scorpioïden, antwortete Herr Miguel, und diese Thiere, deren Rückenschild fast einen Meter mißt, erreichen häufig ein Gewicht von hundertfünfzig Pfund.«

Da Herr Varinas seine Specialkenntnisse von der Ordnung der Chelidonier noch nicht zum Besten gegeben hatte, bemerkte er, daß der richtige wissenschaftliche Name der Scorpioïden seines Freundes Miguel Podocnemis dumerilianus laute, eine Bezeichnung, für die sich der Indianer natürlich nicht im mindesten interessierte.


»Schlechtes Wetter,« sagte der Sergeant Martial. (S. 84.)

»Noch eine Frage, begann da Jean von Kermor, sich an Herrn Miguel wendend.

– Du sprichst zu viel, lieber Neffe, murmelte der Sergeant Martial, während er sich den Schnurrbart drehte.

[88]

– Herr Sergeant, fragte Herr Miguel lächelnd, warum wollen Sie Ihren Neffen hindern, sich belehren zu lassen?

– Weil... nun weil er von solchen Sachen nicht mehr zu wissen braucht, als sein Onkel!

[89] – Ja, ja, Du hast ja recht, geehrter Mentor, erwiderte der junge Mann; ich frage aber doch: können diese Thiere irgendwie gefährlich werden?

– Durch ihre große Zahl, ja, erklärte Herr Miguel; man würde nicht wenig Gefahr laufen, wenn man ihnen, sobald sie so zu Hunderttausenden dahinziehen, in den Weg käme.

– Zu Hunderttausenden!

– Gewiß, Herr Jean, da man nicht weniger als fünfzig Millionen Eier jährlich nur für die zehntausend großen Flaschen sammelt, die mit dem Oel aus den erbeuteten Thieren gefüllt werden. Da nun jede Schildkröte etwa hundert Eier legt und, obgleich Raubthiere eine ansehnliche Menge davon vernichten, doch immer noch genug Schildkröten übrig bleiben, um die Rasse dauernd zu erhalten, schätze ich deren Zahl auf den Sandbänken der Manteca, hier in diesem Theile des Orinoco, wenigstens auf eine Million.«

Die Berechnung des Herrn Miguel war keineswegs übertrieben. Es sind thatsächlich Myriaden dieser Thiere, die eine unbekannte Anziehungskraft hier versammelt – hat E. Reclus gesagt – eine lebendige, langsame, aber auch unwiderstehliche Fluthwelle, die gleich einer Ueberschwemmung oder einer Lawine Alles mit sich fortreißt.

Durch Menschen wird freilich eine ungeheure Menge der Thiere schon in deren Eiern vernichtet, und die Rasse könnte wohl einmal aussterben. Einige frühere Fangstellen haben die Schildkröten, zum großen Schaden für die Indianer, schon ganz verlassen, darunter das Uferland von Cariben, etwas unterhalb der Mündung des Meta.

Der Indianer schilderte im Laufe des Gesprächs noch einige interessante Einzelheiten von dem Verhalten der Thiere in der Legezeit. Sie ziehen dann in dem sandigen Boden lange Furchen, graben darin etwa zwei Fuß tiefe Löcher auf, in die die Eier gelegt werden – das dauert von der Mitte des März an gegen zwanzig Tage – und bedecken schließlich das Loch sorgfältig mit Sand, unter dem die Eier bald von der Sonnenwärme ausgebrütet werden.

Ohne von der erwähnten Ausbeute an Oel zu reden, fangen die Indianer auch Schildkröten selbst zu Nahrungszwecken, denn deren Fleisch wird – mit Recht – hoch geschätzt. Sie unter oder im Wasser abzufangen, ist so gut wie unmöglich. Auf den Sandbänken dagegen bemächtigt man sich ihrer, wenn sie mehr vereinzelt dahinkriechen, einfach mittelst eines Stockes, womit sie auf den [90] Rücken umgewendet werden – für Chelidonier eine höchst kritische Lage, da sie von selbst nicht wieder auf die Füße kommen können.

»O, es giebt auch Menschen, die ihnen darin gleichen, bemerkte Herr Varinas. Wenn diese durch Unglück einmal gestürzt sind, können sie sich auch nicht wieder aufraffen.«

Eine ganz richtige Bemerkung, die in recht unverhoffter Weise das Gespräch über die Schildkröten des Orinoco beendete.

Jetzt wendete sich Herr Miguel an den Indianer mit einer neuen Frage.

»Haben Sie vielleicht, sagte er, die beiden französischen Reisenden, die vor vier oder fünf Wochen den Strom hinausgefahren sind, gesehen, als sie bei Buena Vista vorüberkamen?«

Diese Frage interessierte, da sie Landsleute betraf, vor allem Jean von Kermor, und er wartete deshalb mit gewisser Erregung auf die Antwort des Indianers.

»Zwei Europäer?... fragte dieser.

– Ja, zwei Franzosen.

– Vor fünf Wochen?... Richtig, die hab' ich gesehen, antwortete der Indianer; ihre Falca lag vierundzwanzig Stunden lang an derselben Stelle wie die Ihrige.

– Sie waren damals wohlauf?... fragte der junge Mann.

– Vollkommen... zwei tüchtige Männer in bester Laune. Der eine war ein Jäger, wie ich einer sein, und besaß einen Carabiner, wie ich einen haben möchte. Jaguars und Pumas fielen in Massen von seinem Blei. O, das muß schön sein, mit einer Waffe zu schießen, die ihre Kugel auf fünfhundert Schritt weit einer Tigerkatze oder einem Ameisenbär in den Kopf jagt!«

Das Auge des Indianers leuchtete heller auf, als er so sprach, was bei ihm, einem sichern Schützen und leidenschaftlichen Jäger, ja nicht zu verwundern war. Was konnten aber seine Kinderflinte, sein Bogen und seine Pfeile leisten gegenüber den Präcisionswaffen, die jener Franzose jedenfalls besaß?

»Und sein Begleiter?... fragte Herr Miguel.

– Sein Begleiter? wiederholte der Indianer nachdenkend. Ach ja, der... das war ein Pflanzensucher... ein Kräutersammler...«

Hier fügte die Indianerin noch einige Worte in der Eingebornensprache an die ihre Gäste nicht verstehen konnten, und fast gleichzeitig sagte ihr Gatte:

[91] »Ganz recht... ich habe ihm einen Sauraustengel geschenkt, der ihm viel Vergnügen zu machen schien... eine seltene Pflanze... und er war darüber so erfreut, daß er ein kleines Bild von uns mit einer Maschine herstellen wollte... unser Bild auf einem kleinen Spiegel...

– Jedenfalls eine Photographie, sagte Herr Felipe.

– Würden Sie sie uns zeigen?« fragte Herr Miguel.

Das Mädchen verließ ihren Platz neben ihrem Freunde Jean, öffnete einen der auf der Erde stehenden Canastos und entnahm ihm »das kleine Bild«, das sie dem jungen Manne brachte.

Es war in der That eine Photographie. Der Indianer zeigte darauf seine beliebte Haltung und hatte den Basthut auf dem Kopfe und die Cobija um die Schultern geworfen; rechts von ihm stand seine Frau im langen Hemd, mit Glasperlenschmuck an Armen und Beinen, links das Kind mit einem Lendenschurz und Gesichtszügen wie ein lustiger kleiner Affe.

»Wissen Sie etwa auch, was aus jenen beiden Franzosen geworden ist?... fragte Herr Miguel den Indianer.

– Ich weiß nur, daß sie über den Strom gesetzt sind, um nach la Urbana zu gelangen, wo sie ihre Pirogue zurückgelassen haben, während sie selbst nach der Seite der aufgehenden Sonne zu durch die Ilanos weiter gegangen sind.

– Waren sie allein?

– Nein, sie hatten einen Führer und drei Mapoyos-Indianer mit sich.

– Und seit ihrer Weiterreise haben Sie nichts mehr von ihnen gehört?

– Hierher sind keine Nachrichten über sie gekommen.«

Was mochte nun aus den beiden Reisenden, den Herren Jacques Helloch und Germain Paterne, geworden sein? Lag nicht die Befürchtung nahe, daß sie auf ihrem Wege im Osten des Orinoco umgekommen, vielleicht von den Indianern verrathen worden seien? In jenen wenig bekannten Gebieten waren sie Unfällen gewiß leicht genug ausgesetzt. Jean wußte nur zu gut, welche Gefahren Chaffanjon von Seiten seiner Begleitmannschaft gedroht hatten, als er zur Erforschung des Caura auszog, und daß er sein Leben nur dadurch zu retten vermochte, daß er den verrätherischen Führer durch eine Kugel niederstreckte. Den jungen Mann beunruhigte daher nicht wenig der Gedanke, daß auch seine Landsleute, wie so viele andre Forscher in diesem Theile Südamerikas, den Tod gefunden haben könnten.

Kurz nach Mitternacht beruhigte sich das Unwetter, und unter strömenden Regengüssen klärte sich der Himmel allmählich auf. Einzelne Sterne erglänzten[92] scheinbar ganz feucht, als ob das himmlische Naß das ganze Firmament überschwemmt hätte. Das ganze Meteor nahm dann ein plötzliches Ende – eine Erscheinung, die man in diesen Gegenden nach Entladungen elektrischer Unwetter sehr häufig beobachten kann.

»Das giebt morgen schönes Wetter,« prophezeite der Indianer, als seine Gäste sich zurückzogen.

Jetzt erschien es in der That am rathsamsten, wie der auf die Falcas zu gehen, da die Nacht ruhig und trocken zu bleiben versprach. Auf einer Estera im Deckhause schlief es sich immer noch besser, als auf dem blanken Erdboden der indianischen Strohhütte.

Am andern Tage waren die Passagiere schon frühzeitig bereit, Buena Vista zu verlassen. Die Sonne stieg nicht allein am ganz reinen Horizont auf, auch der Wind wehte in günstiger Richtung aus Nordost, so daß die Segel an Stelle der Palancas benutzt werden konnten.

Bis nach la Urbana war übrigens nur eine kurze Strecke zurückzulegen, und dort sollte vierundzwanzig Stunden Halt gemacht werden. Wenn die Fahrt ohne Unfall abging, konnten die Falcas noch am Nachmittage daselbst eintreffen.

Herr Miguel und seine Freunde, sowie der Sergeant Martial und Jean von Kermor nahmen von dem Indianer und seiner Familie Abschied. Dann drangen die »Gallinetta« und die »Maripare« mit vollen Segeln in die schmalen Wasserstraßen ein, die lange Sandbänke zwischen sich freiließen. Es hätte nur eines wenig stärkeren Wasserwuchses bedurft, um alle diese Bänke zu bedecken und dem Strome eine Breite von mehreren Kilometern zu geben.

An Bord ihrer Pirogue hatten sich der Sergeant Martial und der junge Mann vor dem Deckhause niedergesetzt, um die köstliche, frische Morgenluft zu genießen. Das Segel schützte sie vor den Strahlen der Sonne, die freilich schon wieder recht heiß herniederbrannte.

In Erinnerung an das Gespräch in der letzten Nacht, von dem er doch das und jenes verstanden hatte, begann der Sergeant Martial zu Jean:

»Sage mir einmal offen, ob Du an alle die Geschichten des Indianers glaubst?

– Welche denn?

– Nun, von den Tausenden und Abertausenden von Schildkröten, die hier in der Umgebung umherziehen sollen wie eine Feldarmee.

[93] – Warum sollte das nicht wahr sein?

– Es kommt mir gar zu wunderbar vor. Eine Legion von Ratten – gut, das lass' ich mir gefallen – die hat man gelegentlich gesehen, doch die Legionen jener fast ein Meter langen, großen Thiere...

– Hat man auch schon gesehen.

– Wer denn?

– Nun, in erster Linie jener Indianer selbst.

– Pah! Das dürften Indianerflausen sein!

– Dann sprechen davon auch die Reisenden, die an der andern Seite, von la Urbana aus, den Orinoco hinausgegangen sind...

– Ach was, in Büchern kann gar manches stehen! erwiderte der Sergeant Martial, der Reiseberichten gegenüber nun einmal ein ungläubiger Thomas war.

– Du hast unrecht, lieber Onkel. Die Sache ist nicht nur sehr glaubhaft, sondern sogar gewiß richtig.

– Na, meinetwegen! Wenn es aber wahr ist, glaub' ich doch in keinem Falle, was der Herr Miguel behauptet, daß eine große Gefahr dabei sein kann, noch so vielen Schildkröten unterwegs zu begegnen.

– O, wenn sie nun den Weg gänzlich versperren?...

– Nun, zum Kuckuck, dann geht man eben über die Burschen hin...

– Und setzt sich dabei der Gefahr aus, zerdrückt zu werden, wenn man bei einem unglücklichen Sturze mitten unter die Thiere geräth...

– Das muß ich denn doch erst sehen, um es zu glauben.

– Dazu kommen wir etwas zu spät hierher, antwortete Jean, doch vor vier Monaten, in der Legezeit, hättest Du Dich mit eignen Augen überzeugen können...

– Nein, nein, Jean! Das sind alles Erfindungen von Reisenden, die damit nur Leute, welche es vorziehen, hübsch zu Hause zu bleiben, nasführen wollen...

– Oho, es giebt sehr wahrheitsliebende Reisende, mein guter Martial!

– Wenn es wirklich in der Gegend hier so viele Schildkröten giebt, wie da behauptet wird, ist es doch seltsam, daß wir keine davon zu Gesicht bekommen. Siehst Du denn etwa die Sandbänke da drüben unter ihren Rückenpanzern verschwinden?... So viel will ich indeß gar nicht verlangen, will die Schildkröten gar nicht nach Hunderttausenden zählen... nur so etwa fünfzig... nur ein Dutzend möcht' ich sehen, vorzüglich, weil ihr Fleisch eine so ausgezeichnete Suppe giebt, und ich würde zu meinem Brode einmal mit Vergnügen eine solche Bouillon genießen...

[94] – Die Hälfte von Deiner Schüssel gäbst Du mir doch wohl ab, lieber Onkel?

– Warum wäre das nöthig?... Mit fünf- bis sechstausend dieser Thiere ließe sich, denk' ich, doch Deine und meine Schüssel füllen; doch nicht eine... nicht eine einzige! Wo mögen sie sich versteckt haben?... Jedenfalls im Hirnkasten unsres Indianers!«

Schwerlich hätte einer die Ungläubigkeit weiter treiben können, doch wenn der Sergeant Martial keinen von den nomadisierenden Chelidoniern wahrnahm, so lag das nicht an seinem mangelhaften Sehen, denn er brachte das Fernrohr kaum von den Augen weg.

Unter dem Antriebe des Windes fuhren inzwischen die beiden Piroguen in Gesellschaft weiter. So lange sie dem linken Ufer folgen konnten, war der Wind ihnen günstig und machte die Mithilfe der Palancas unnöthig. In dieser Weise verlief die Fahrt bis zur Mündung des Arauca, eines ziemlich bedeutenden Nebenflusses des Orinoco, dem er einen Theil der vielen, am Abhang der Anden entspringenden Gewässer zuführt, und der ein so schmales Stromgebiet hat, daß er selbst keinen andern Nebenfluß aufnimmt.

Den ganzen Vormittag ging es stromaufwärts weiter; um elf Uhr mußte querüber gefahren werden, da la Urbana am rechten Ufer liegt.

Nun begannen die Schwierigkeiten, die groß genug waren, wiederholt Verzögerungen herbeizuführen. Zwischen den aus seinem Sand bestehenden Bänken, die bei dem augenblicklichen Wasserstande schmäler waren, verlief die Fahrbahn öfters in scharfen Winkeln. Gleichzeitig bekamen die Falcas statt des Rückenwindes jetzt den Wind von vorn, so daß die Segel eingezogen und dafür die Palancas benutzt werden mußten.

Da es nicht selten die Ueberwindung ziemlich starker Strömungen galt, mußten auch Alle, die mit an Bord waren, helfen, um die Fahrzeuge nicht stromabwärts wegtreiben zu lassen.

Die Uhren zeigten die zweite Stunde nachmittags, als die »Gallinetta« und die »Maripare«, die hintereinander fuhren, eine mit dem Flecken gleichnamige Insel erreichten. Diese bot einen ganz andern Anblick, als die benachbarten Ilanos, denn sie war mit Wald bestanden und zeigte auch einige cultivierte Landstrecken. Das ist eine Seltenheit an diesem Theil des Stromes, wo die Indianer kaum eine andre Beschäftigung kennen, als die Jagd, den Fischfang und das Einsammeln der Schildkröteneier, wobei letzteres eine große Menge Arbeiter erfordert, wie der Sergeant Martial auch darüber denken mochte.


»Ach was, in Büchern kann gar manches stehen!« erwiderte der Sergeant Martial. (S. 94.)

Da sich die Mannschaften durch die unter brennender Mittagssonne gehabte Anstrengung sehr erschöpft fühlten, beschlossen die Führer, ihnen eine Stunde [95] Rast zu gönnen, in der erst zu Mittag gegessen und dann ausgeruht werden sollte. La Urbana konnte deshalb doch noch gegen Abend erreicht werden. Sobald man die Insel umschiffte, mußte sich dieser Flecken – oder dieses Dorf – schon den Blicken zeigen.


Dicht belaubte Bäume versprachen ihnen willkommenen Schutz vor der Sonne. (S. 97.)

Es bildet die letzte Ansiedlung am mittleren Orinoco der erst zweihundert Kilometer stromaufwärts, an der Mündung des Meta, die Ortschaft Cariben folgt.

[96] Die Falcas legten also an dem etwas steilen Ufer an und die Passagiere gingen ans Land, wo mehrere dicht belaubte Bäume ihnen willkommenen Schutz vor der Sonne versprachen.

Zum Aerger des Sergeanten Martial begann sich allmählich eine Art Vertraulichkeit zwischen den Insassen der beiden Piroguen zu entwickeln, wie das ja bei einer derartigen Reise nicht mehr als natürlich ist. Eine gegenseitige Absonderung wäre doch die reine Thorheit gewesen. Herr Miguel verheimlichte weniger denn je sein Interesse für den jungen Jean von Kermor, und dieser [97] hätte ja gegen die einfachsten Gesetze der Höflichkeit verstoßen, wenn er solchen Theilnahmebezeugungen gegenüber unempfindlich geblieben wäre. Der Sergeant Martial mußte sich eben in das fügen, was er nicht ändern konnte. Wenn er sich aber äußerlich milder gestimmt und nicht so widerhaarig zeigte, so unterließ er es doch nicht, sich wegen seiner Dummheit und Schwäche die schlimmsten Vorwürfe zu machen.

Wenn diese Insel stellenweise angebaut war, schien es ihr doch an jedem Wild zu fehlen. Nur einzelne Paare von Enten und Holztauben flogen über ihr dahin Die Jäger konnten also nicht daran denken, die Gewehre zu gebrauchen, um in die nächste Mahlzeit eine Abwechslung zu bringen. In la Urbana fanden sie übrigens Alles, was für die Verproviantierung der Falcas irgend erwünscht war.

Die Ruhestunden wurden also plaudernd verbracht, während die Mannschaften sich durch ein Schläfchen im Schatten der Bäume stärkten.

Gegen drei Uhr gab Valdez das Zeichen zur Wiederabfahrt. Sofort stießen die Piroguen vom Lande, doch wurde es nöthig, sich bis zur Südspitze der Insel mittelst der Espilla aufzuholen. Von da aus war nur noch die andre Hälfte des Stromes zu durchfahren.

Diese letzten Strecken wurden ohne jeden Zwischenfall zurückgelegt, und vor Eintritt der Dunkelheit gingen die beiden Piroguen dicht vor la Urbana vor Anker.

8. Capitel
Achtes Capitel.
Eine Staubwolke am Horizont.

Man könnte la Urbana die Hauptstadt des mittleren Orinoco nennen. Es ist der bedeutendste Flecken zwischen Caïcara und San-Fernando de Atabapo, die jedes an den zwei vom Strome gebildeten Ecken liegen – das erste an der Stelle, wo er seine Richtung von Osten nach Westen in eine südliche verwandelt das zweite da, wo er von dieser wieder in die ostwestliche übergeht.

[98] Natürlich bildete diese hydrographische Anordnung noch keine Bestätigung dafür, daß die Ansicht des Herrn Miguel vor der seiner beiden Collegen den Vorzug bezüglich des Verlaufes des eigentlichen Orinoco, wie er auf den Karten eingetragen ist, verdiene.

Nach weiteren sechshundert Kilometern sollten die Geographen ja erst an den dreifachen Zusammenfluß kommen, wo ihre Streitfrage – das hofften sie wenigstens – entschieden werden sollte.

Ein Cerro, ein niedriger Hügel, erhebt sich am rechten Ufer und trägt denselben Namen, wie die Ortschaft an seinem Fuße. Zu jener Zeit zählte la Urbana dreitausendfünfhundertachtzig Einwohner in wenig hundert Häuschen und Hütten, meist Mulatten und spanische oder indianische Mestizen. Sie sind nicht eigentlich Ackerbauer, und nur wenige beschäftigen sich mit der Aufzucht von Vieh. Außer der Einerntung der Sarrapia und dem Sammeln der Schildkröteneier, was ja stets in sehr beschränktem Zeitraume stattfindet, huldigen sie nur dem Fischfang und der Jagd, verrathen im Ganzen aber einen natürlichen Hang zur Trägheit. Sie leben übrigens recht gut, und ihre unter den Bananen des Flusses verstreuten Hütten bieten einen Anblick fröhlichen Gedeihens, wie er in diesen entlegenen Gebieten selten anzutreffen ist.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas, sowie der Sergeant Martial und Jean von Kermor beabsichtigten, nur eine Nacht in la Urbana zu bleiben. Gegen fünf Uhr daselbst eingetroffen, genügte ihnen jedenfalls der Abend zur Erneuerung ihrer Vorräthe an Fleisch und Gemüsen, denn la Urbana ist in der Lage, alles das in reichlichen Mengen zu liefern.

Wichtiger noch erschien es, den ersten Beamten des Ortes aufzusuchen, der sich beeilte, seine Dienste anzubieten und den Reisenden seine Wohnung zur Verfügung zu stellen.

Dieser Beamte war ein fünfzigjähriger Mulatte, dessen Verwaltungsbezirk die benachbarten Ilanos umfaßt und dem auch die Strompolizei untersteht. Er hatte eine Mestizin zur Frau und ein halbes Dutzend Kinder von sechs bis zu achtzehn Jahren, Knaben und Mädchen, die sich alle einer blühenden Gesundheit erfreuten.

Als er erfuhr, daß Herr Miguel und seine beiden Collegen zu den hervorragendsten Persönlichkeiten von Ciudad-Bolivar gehörten, bereitete er ihnen den besten Empfang und lud sie ein, den Abend in seinem Hause zuzubringen.

[99] Die Einladung erstreckte sich auch auf die Fahrgäste der »Gallinetta«. Jean von Kermor nahm sie um so lieber an, weil er dadurch weitere Nachrichten über seine beiden Landsleute, deren Schicksal ihm am Herzen lag, zu erlangen hoffen konnte.

Die Schiffer Valdez und Martos ließen es sich angelegen sein, die Piroguen wieder mit Allem zu versorgen, und kauften Vorräthe an Zucker, Ignames und Maniocmehl, das durch Verreibung der betreffenden Früchte zwischen Steinen hergestellt wird und meist, wenn nicht ganz ausschließlich, in dem mittleren Gebiete des Orinoco zur Brodbereitung dient.

Die beiden Falcas lagen am innern Rand einer kleinen, den Hafen bildenden Bucht, wo auch verschiedene Curiares und viele Fischerboote im Hafen befestigt waren.

Außerdem sah man hier noch eine dritte Falca mit einem eingebornen Fischer.

Das war das Fahrzeug der beiden französischen Forscher, der Herren Jacques Helloch und Germain Paterne. Seit sechs Wochen erwarteten sie ihre Leute schon in la Urbana und waren, da sie keinerlei Nachricht erhalten hatten, wegen des Schicksals der Fremden natürlich nicht wenig beunruhigt.

Nachdem sie an Bord ihrer Falcas gespeist hatten, begaben sich die Passagiere nach der Wohnung des Beamten.

Dessen Familie hielt sich in dem Hauptsaale des Hauses auf, der nur mit einem Tische, einigen mit Hirschleder bezognen Stühlen möbliert und mit verschiednen Jagdattributen geschmückt war.

Mehrere »Notabeln« aus la Urbana, und neben ihnen noch ein Ansiedler aus der Umgebung, waren ebenfalls zu dieser Abendgesellschaft herangezogen worden. Der letztere war Jean von Kermor keineswegs unbekannt, Dank dem Bilde, das Chaffanjon in seinem Reiseberichte von ihm entworfen und bei dem der französische Reisende einen herzlichen Empfang und eine wohlthuende Gastfreundschaft genossen hatte. Er sagt über ihn Folgendes:

»Herr Marchal, ein Venezuolaner in reiferen Jahren, hat sich vor etwa anderthalb Jahrzehnten in la Tigra, stromaufwärts von la Urbana, niedergelassen. Dieser Herr Marchal ist ein wirklich kluger Mann. Er hat sich von der Politik zurückgezogen, um sich der Viehzucht zu widmen, und hat einen Hato begründet, dessen Corral gegen hundert Thiere enthält, die von einigen Bauern und deren Familien gepflegt werden. Rund um den Hato liegen Felder [100] mit Mais, Manioc und Zuckerrohr, schön eingefaßt von herrlichen Bananen, die alle Bedürfnisse dieser glücklichen und stillen Welt befriedigen.«

Dieser Herr Marchal, der sich gerade in Geschäftsangelegenheiten nach la Urbana begeben hatte, befand sich hier also beim Eintreffen der Piroguen. Er war auf seinem eignen, von zwei Leuten bemannten Curiare gekommen und bei dem obersten Beamten abgestiegen, mit dem er befreundet war. Natürlich gehörte er deshalb zu den Personen, die zur heutigen Soirée eingeladen wurden.

In dem kleinen Orte, schon hoch oben in den Ilanos des Orinoco, darf man natürlich nicht an einen Gesellschaftsabend unsrer vornehmen Welt denken. An Stelle seiner Pasteten, köstlichen Zuckerwerks, gewählter Weine und beliebter Liqueure gab es hier Kuchen, den die Hausfrau selbst mit ihren Töchtern gebacken hatte – vor Allem aber einen aufrichtig herzlichen Empfang. Dazu wurden einige Tassen des vortrefflichen Bruquilla-Kaffees aufgetragen, der von einer krautartigen, auf dem Hato des Herrn Marchal selbst angebauten Leguminose gewonnen wird.

Dem bejahrten Herrn machte es ein großes Vergnügen, mit Jean von Kermor in der Landessprache zu plaudern. Er erwähnte auch, daß dessen Landsmann vor fünf Jahren, leider nur gar zu kurze Zeit, sich auf seinem Hato aufgehalten habe.

»Er war aber einmal voller Ungeduld, seine abenteuerliche Fahrt fortzusetzen, fügte Herr Marchal hinzu. Das ist ein kühner Pionier, lieber junger Freund. Jede Gefahr verachtend, hat er unsern Landesstrom selbst mit Lebensgefahr bis an seine Quellen verfolgt. Wahrlich, ein Franzose, der Frankreich Ehre macht!«

Diese mit lebhaftem Ausdrucke gesprochenen Worte zeigten, daß das Herz des ehrwürdigen Venezuolaners seinem einstigen Gast noch ein gutes Andenken bewahrte.

Als die Herren Marchal und der Beamte hörten, welches Ziel die Herren Miguel, Felipe und Varinas verfolgten, glaubte Jean von Kermor zu bemerken, daß sie sich etwas verwundert ansahen. Für sie war ja die Frage wegen des Orinoco, entsprechend der Anschauung des Herrn Miguel, schon zweifellos gelöst.

Obwohl Herr Marchal nun San-Fernando recht gut kannte und sein Urtheil bezüglich des Atabapo und des Guaviare schon lange feststand, unterließ er es doch nicht, die drei Mitglieder der geographischen Gesellschaft dahin [101] anzuregen, daß sie ihre Untersuchungen ja bis zum Zusammenflusse der drei Wasserläufe ausdehnen sollten.

»Die Wissenschaft kann dadurch nur Vortheil haben, sagte er, und wer weiß, meine Herren, ob Sie von dieser Expedition nicht auch noch neue, persönliche Entdeckungen mitbringen.

– Das hoffen wir wenigstens, antwortete Herr Miguel, denn es handelt sich um den Besuch einer noch sehr unbekannten Gegend, und wenn wir selbst über San-Fernando hinausgehen müßten...

– So gehen wir eben... fiel Herr Felipe ein.

– So weit wie es nöthig scheint,« vollendete Herr Varinas den Satz.

Der Sergeant Martial verstand von diesem Gespräch nur sehr wenig, so daß ihm Jean dann und wann als Dolmetscher diente. Es erregte in ihm ein gewisses Erstaunen, daß Menschen – insofern sie nicht ihres Verstandes beraubt waren – eine solche Neugier zeigten, genau auszukundschaften, »aus welchem Loch ein Fluß sprudelt«.

»Nun ja, murmelte er, wenn alle Menschen verständig wären, brauchte man nicht so viel Narrenhäuser zu bauen!«

Das Gespräch wandte sich später den beiden Franzosen zu, deren Rückkehr nach la Urbana man bisher vergebens erwartet hatte. Der erste Beamte des Ortes hatte sie bei ihrem Eintreffen hier empfangen. Herr Marchal kannte sie ebenfalls, denn bei ihrer Abreise hatten sie sich einen Tag lang auf seinem Hato aufgehalten.

»Und seit ihrer Abreise, fragte Herr Miguel, haben Sie nichts wieder von ihnen gehört?

– Nicht das Mindeste, erklärte der Beamte. Die Ilaneros, die von Osten her heimkehrten und die wir wiederholt darum befragten, versichern alle, ihnen nicht begegnet zu sein.

– Hatten sie nicht auch die Absicht, nahm jetzt Jean von Kermor das Wort, den Orinoco hinauszugeben?

– Ja wohl, junger Freund, antwortete Herr Marchal, sie wollten dabei in den verschiedenen Ortschaften am Ufer Halt machen. Wie sie mir sagten, reisten sie ein wenig aufs Geradewohl. Der eine, Herr Germain Paterne, sammelte Pflanzen mit dem Eifer eines Naturforschers, der das Leben daran setzen würde, eine noch unbekannte Art zu entdecken. Der andre, Herr Jacques Helloch, ein Jäger vor dem Herrn, widmete sich leidenschaftlich geographischen [102] Fragen, der Aufnahme einer Gegend oder der Bestimmung eines Flußlaufes. Solche Leidenschaften führen die Leute weit hinaus, oft sehr weit... vielleicht zu weit... und wenn sich's dann um die Rückkehr handelt...

– Nun wir wollen hoffen, ließ sich Herr Varinas vernehmen, daß den beiden Franzosen kein Unfall zugestoßen ist!

– Ja, diese Hoffnung darf man nicht aufgeben, meinte der Beamte, obwohl ihre Abwesenheit nun schon etwas gar zu lange dauert.

– War es bestimmt, fragte Herr Felipe, daß sie nach la Urbana zurückkehren sollten?

– Zweifellos, denn ihre Pirogue erwartet sie ja hier mit den Sammlungen, die sie schon zusammengebracht hatten, und mit allem Lagermaterial.

– Hatten sie bei ihrer Abreise, sagte Jean, einen Führer oder Bedienungsmannschaften mit sich?

»– Ja, einige Yaruros, die ich ihnen selbst besorgt hatte, antwortete der Beamte.

– Und das waren Leute, zu denen Sie Vertrauen haben konnten? fragte Herr Miguel.

– Gewiß, soweit das möglich ist, wenn es sich um Indianer aus dem Innern handelt.

– Weiß man vielleicht auch, fuhr Jean fort, welchen Landestheil sie besuchen wollten?

– So weit ich ihre Absichten kenne, antwortete Herr Marchal, begaben sie sich zunächst nach der Sierra Matapey, im Osten des Orinoco, in nur wenig bekannte Gegenden, wo nur die Yaruros- und die Mapoyos-Indianer umherstreifen. Ihre beiden Landsleute und der Führer der Begleitmannschaften waren zu Pferde, die andern Indianer, etwa ein halbes Dutzend, begleiteten sie als Gepäckträger zu Fuß.

– Ist das Land östlich vom Orinoco wohl Ueberschwemmungen ausgesetzt? fragte Jean von Kermor.

– Nein, erwiderte Herr Miguel, die Ilanos liegen schon ziemlich hoch über der Meeresfläche.

– Das ist wohl richtig, Herr Miguel, erklärte der Beamte, dagegen kommen dort häufig Erderschütterungen vor, und Sie wissen ja, daß solche in Venezuela überhaupt nicht selten sind.

– Das ganze Jahr hindurch? fragte der junge Mann.


Außerdem sah man hier noch eine dritte Falca. (S. 100.)

– O nein, versicherte Herr Marchal, nur zu gewis [103] sen Zeiten; gerade seit einem Monat haben wir aber ziemlich heftige Erdstöße bis zum Hato von la Tigra hinauf verspürt.«

In der That ist es bekannt, daß der Boden von Venezuela häufig von vulcanischen Erschütterungen betroffen wird, obgleich sich in den Bergen daselbst kein thätiger Vulcan vorfindet. Humboldt hat es sogar »das Erdbebenland par excellence« genannt. Diese Bezeichnung erhält eine traurige Bestätigung durch die im sechzehnten Jahrhundert erfolgte Zerstörung der Stadt Cumana, die [104] [107]fünfzig Jahre später noch einmal stark verheert wurde und deren Umgebungen fünfzehn Monate lang nicht zur Ruhe kamen. Noch eine andre Stadt im Gebiete der Anden, Mesida, wurde durch schreckliche Erdbeben hart mitgenommen; ferner wurden 1812 nicht weniger als zwölftausend Bewohner von Caracas unter dessen Ruinen begraben. In den spanisch-amerikanischen Provinzen sind Unfälle, die gleich Tausende von Opfern kosten, stets zu befürchten, und auch jetzt fühlt man den Fußboden im östlichen Theile des Orinoco fast fortwährend erzittern.

Nachdem man sich über Alles, was die beiden Franzosen betraf, hinreichend ausgesprochen hatte, wendete sich Herr Marchal fragend an den Sergeanten Martial und dessen Neffen:


Der Sergeant Martial wurde von seinem Unglauben curiert. (S. 113.)

»Wir wissen nun, zu welchem Zwecke die Herren Miguel, Felipe und Varinas ihre Fahrt auf dem Orinoco unternommen haben. Mit Ihrer Reise verfolgen Sie doch wohl nicht die nämliche Absicht?«

Der Sergeant Martial machte eine deutlich verneinende Bewegung, auf einen Wink Jeans von Kermor mußte er jedoch davon abstehen, seiner Verachtung solcher geographischen Fragen Ausdruck zu geben, die seiner Meinung nach nur für Herausgeber von Lehrbüchern und Atlanten Interesse haben konnten.

Der junge Mann erzählte darauf seine Geschichte, bekannte, warum er sich gedrängt gefühlt habe, Frankreich zu verlassen, und welchem inneren Gefühle er gehorchte, indem er den Orinoco hinauffuhr in der Hoffnung, in San-Fernando einige weitere Auskunft zu erhalten, da der letzte Brief seines Vaters von dort aus abgesandt worden war.

Der alte Herr Marchal konnte die Erregung nicht verbergen, die er bei dieser Antwort empfand. Er ergriff die Hand Jeans, zog ihn in seine Arme und küßte ihn auf die Stirn – wobei der Sergeant natürlich heimlich knurrte. Es schien, als gäbe er ihm seinen Segen zu dem glücklichen Erfolge seiner Pläne.

»Doch weder Sie, Herr Marchal, noch Sie, Herr Gouverneur, haben von dem Oberst von Kermor reden gehört?« fragte der junge Mann.

Beide verneinten diese Frage.

»Vielleicht hat sich der Oberst, fuhr der Beamte fort, in la Urbana gar nicht aufgehalten. Das würde mich übrigens wundern, denn es kommt nur selten vor daß sich die Piroguen hier nicht mit neuem Proviant versorgen. Es war im Jahre 1879, sagen Sie...

[107] – Ja, Herr Gouverneur, antwortete Jean. Wohnten Sie damals auch schon hier?

– Gewiß, ich habe aber kein Wort davon gehört, daß ein Oberst von Kermor hier durchgekommen sei.«

Immer und immer das Incognito, das der Oberst seit seinem Verschwinden streng bewahrt zu haben schien.

»Das hat ja nicht viel zu bedeuten, junger Freund, meinte Herr Miguel, dagegen ist es fast undenkbar, daß sich von dem Aufenthalt Ihres Vaters in San-Fernando keine Spuren nachweisen ließen. Dort werden Sie gewiß Mittheilungen erhalten, die den Erfolg Ihrer Nachsuchungen sichern.«

Die Gäste des Beamten blieben bis zehn Uhr beisammen und kehrten dann, nachdem sie von der freundlichen Familie herzlichen Abschied genommen hatten, an Bord der Piroguen zurück, die morgen mit Tagesanbruch weiter fahren sollten.

Jean streckte sich auf seinem Lager im Hintertheile des Deckhauses aus, und der Sergeant Martial sachte nach wie gewöhnlich vollendeter Muskitojagd auch seine Schlafstätte auf.

Beide schlummerten zwar bald genug ein, wurden aber nach nicht langer Zeit wieder wach.

Schon gegen zwei Uhr erweckte sie ein entfernter, fortdauernder und wachsender Lärm.

Es war ein dumpfes Geräusch, das man hätte mit fernem Donnerrollen verwechseln können. Gleichzeitig gerieth das Wasser des Stromes in eine eigenthümliche Bewegung, bei der die »Gallinetta« zu schwanken anfing.

Der Sergeant Martial und der junge Mann standen auf, traten aus dem Deckhause heraus und stellten sich neben den Mast.

Der Schiffer Valdez und seine Leute befanden sich bereits auf dem Vordertheil und beobachteten den Horizont.

»Was bedeutet denn das? fragte Jean.

– Ich weiß es nicht.

– Ist ein Gewitter im Anzuge?

– Nein, der Himmel ist ganz wolkenlos und es weht eine schwache, östliche Brise.

– Woher rührt denn dieser Aufruhr im Wasser?

– Ich vermag ihn nicht zu erklären,« versicherte Valdez.

[108] Die Erscheinung trotzte in der That jeder Erklärung, wenn nicht etwa stromauf- oder stromabwärts von der Ortschaft eine Fluthwelle heranrauschte, die durch ein plötzliches Steigen des Wassers entstanden war. Auf dem sehr launischen Orinoco war man vor keiner Ueberraschung sicher.

An Bord der »Maripare« herrschte unter den Passagieren wie unter der Mannschaft dasselbe Erstaunen.

Herr Miguel und seine beiden Freunde, die auch herausgetreten waren, versuchten vergeblich, die Ursache der auffallenden Erscheinungen zu ergründen.

Auch als man sich zwischen beiden Piroguen darüber aussprach, gelangte man zu keiner annehmbaren Erklärung.

Wurde die Bewegung des Wassers in den beiden Falcas wahrgenommen, so machte sich auch eine Unruhe auf dem Uferlande bemerkbar.

Fast in derselben Minute stürzten die Einwohner la Urbanas aus ihren Hütten und Häusern und eilten nach dem Ufer hin.

Herr Marchal und der Beamte erschienen auch unter der Volksmenge, der sich ein nicht geringer Schrecken bemächtigt hatte.

Es war jetzt einhalbfünf Uhr früh und der Tag begann allmählich zu grauen.

Die Passagiere der beiden Fahrzeuge gingen ans Land, um den Beamten über die seltsame Erscheinung zu befragen.

»Was geht denn vor? fragte Herr Miguel.

– Offenbar handelt es sich hier um ein Erdbeben in der Sierra Matapey, erwiderte der Beamte, und die Erschütterungen davon pflanzen sich bis unter das Flußbett fort.«

Herr Miguel war derselben Ansicht. Es ließ sich kaum bezweifeln, daß die ganze Gegend unter seismischen Erschütterungen stand, die in den Ilanos ja so überaus häufig vorkommen.

»Es muß indeß noch etwas andres mit im Spiele sein, meinte Herr Miguel. Hören Sie nicht das grollende Geräusch von Osten her?«

Bei scharfem Lauschen bemerkte man in der That eine Art tiefes Grollen, über dessen Natur sich niemand klar werden konnte.

»Trotz alledem, sagte Herr Marchal, glaube ich nicht, daß für la Urbana irgendetwas zu fürchten ist...

– Das meine ich auch, erklärte der Beamte, man könnte ohne Gefahr in die Häuser zurückkehren.«

[109] Das mochte richtig sein, dennoch folgten nur sehr wenige von den Anwesenden diesem Rathe. Uebrigens wurde es jetzt schon heller, und vielleicht konnte man dann mit den Augen die Erklärung einer Erscheinung finden, die mittelst des Gehörs nicht zu erlangen war.

Drei volle Stunden nahm das ferne Geräusch ohne Unterlaß zu. Es schien so, als ob die Bodenschichten übereinander hinglitten. Dumpf und taktmäßig setzte sich das Phänomen auch noch nach dem Stromufer fort, als wäre der Erdboden torfmoorartig elastisch. Daß die Erschütterungen von einem Erdbeben herrührten, dessen Centrum sich in der Sierra Matapey befand, war höchst wahrscheinlich, da die Stadt schon wiederholt unter gleichen Umständen zu leiden gehabt hatte. Was freilich das rollende Geräusch, ähnlich dem Lärmen von einer auf dem Marsch befindlichen Armee, anging, konnte niemand dessen wirkliche Ursache errathen.

Der Beamte und Herr Marchal begaben sich, begleitet von den Passagieren der beiden Falcas, nach den ersten Abhängen des Cerro von la Urbana, um die Umgebung in weiterem Kreise überblicken zu können.

Aehnlich einem mit leuchtendem Gase gefüllten Ballon, der vom Winde nach den Ufern des Orinoco getrieben würde, stieg die Sonne am völlig klaren Himmel empor. Nirgends war eine Wolke, nirgends ein Vorzeichen zu erblicken, daß sich ein Unwetter entwickeln könnte.

Als die Herren etwa dreißig Meter hinauf gelangt waren, richteten sie die Blicke nach Osten hinaus.

Vor ihren Augen lag das ganze grenzenlose Land, die ungeheure grünende Ebene, jenes »schweigsame Gräsermeer., wie die poetische Bezeichnung Elisée Reclus' lautete.

Dieses Meer erschien freilich nicht völlig ruhig, es mußte unter der Oberfläche mächtig erschüttert werden, denn in fünf bis sechs Kilometer Entfernung wälzte sich eine Sandwolke darüber hin.

»Das ist dichter Staub, meinte Herr Marchal, Staub, der vom Erdboden aufsteigt.

– Vom Winde wird er aber nicht aufgewirbelt, erklärte Herr Miguel.

– Nein, denn der ist kaum fühlbar, antwortete Herr Marchal. Sollten nur die Erderschütterungen daran schuld sein?... Nein, eine solche Erklärung wäre nicht annehmbar...

[110] – Und dann, setzte der Beamte hinzu, jenes Geräusch, das wie von schwerfälligen Maschinen herzurühren scheint.

– Ja, was bedeutet das?« rief Herr Felipe.

Da vernahm man, gleich einer an ihn gerichteten Antwort, ein Krachen, das Krachen einer Feuerwaffe, das an dem Cerro von la Urbana und an andern Stellen ein Echo wachrief.

»Flintenschüsse! platzte der Sergeant Martial heraus. Das sind doch Schüsse, oder ich will Hans Taps heißen!

– Da müssen draußen Jäger sein, meinte Jean.

– Jäger, junger Freund? antwortete Herr Marchal. Die würden nicht eine solche Unmasse Staub verursachen, sie müßten denn gleich zu Tausenden sein.«

Immerhin war nicht zu bezweifeln, daß die Knalle von Feuerwaffen, von Revolvern oder Gewehren herrührten. Bald stieg auch wirklicher Dampf über die mehr gelblich gefärbten Sandwolken auf.

Uebrigens vernahm man noch neue Schüsse, und in so weiter Ferne sie auch fielen, genügte doch die leichte Brise, den Schall davon bis zu der Ortschaft zu tragen.

»Ich bin der Ansicht, meine Herren, sagte da Herr Miguel, daß wir uns bemühen sollten, zu sehen, was nach jener Seite hin vorgeht.

– Und Leuten Hilfe bringen, die deren vielleicht nothwendig bedürfen, setzte Herr Varinas hinzu.

– Wer weiß, meinte Jean von Kermor, ob das nicht meine Landsleute sind...

– Dann müßten sie es gerade mit einer ganzen Armee zu thun haben, erwiderte der alte Herr. Nur Tausende von Menschen könnten eine derartige Staubwolke aufwirbeln. Doch, Sie haben recht, Herr Miguel, wir wollen uns nach der Ebene hinunter begeben.

– Aber wohl bewaffnet!« ermahnte Herr Miguel.

Das empfahl sich gewiß, falls die Ahnung Jeans von Kermor diesen nicht betrog, wenn es die beiden Franzosen waren, die sich gegen den Angriff von Indianern der Umgegend mit Gewehrschüssen vertheidigten.

In wenigen Augenblicken hatten die einen ihre Wohnung, die andern ihre Pirogue erreicht. Der Beamte, mehrere Ortsbewohner, die drei Geographen, der Sergeant Martial und sein Neffe begaben sich, mit dem Revolver im Gürtel und dem Gewehr über der Schulter, um den Fuß des Cerro von la Urbana herum, in der Richtung nach den Ilanos hinaus.

[111] Auch Herr Marchal schloß sich ihnen an, da er ungeduldig war, zu erfahren, was draußen vorging.


Zunächst wurden die Raubthiere mit Flintenschüssen empfangen. (S. 116.)

Die kleine Gesellschaft schritt tüchtig darauf los, und da sich die Staubwolke ihnen entgegenwälzte, mußten die drei oder vier Kilometer, die sie jetzt noch davon trennten, bald genug zurückgelegt sein.

Auch in dieser Entfernung hätte man übrigens, wenn der dichte Staub nicht gewesen wäre, menschliche Gestalten erkennen können. Vorläufig sah man nur das Aufblitzen der sich von Zeit zu Zeit wiederholenden Schüsse, die immer deutlicher hörbar wurden.


Jacques Helloch und Germain Paterne.

Auch das dumpfe, rhythmische Geräusch nahm mehr und mehr zu, je mehr sich eine niedrige Masse, die jetzt noch nicht sichtbar war, näherte.

[112]

In der Entfernung von einem Kilometer blieb Herr Miguel, der zur Seite des Beamten voraus marschierte und das Gewehr schußfertig hatte, plötzlich stehen. Ein Ausruf größten Erstaunens entfuhr seinen Lippen...

Wahrlich, wenn je ein Sterblicher Gelegenheit fand, seine Neugierde befriedigt zu sehen, wenn je einer von seiner Ungläubigkeit curiert wurde, so war es der [113] Sergeant Martial. Der alte Soldat hatte an das Vorkommen vieler Tausende Chelidonier nicht glauben wollen, die zur Legezeit die Ebenen am Orinoco, zwischen der Mündung des Auraca und den Sandbänken von Cariben, buchstäblich bedecken.

»Schildkröten!... Das sind Schildkröten!« rief Herr Miguel und täuschte sich damit nicht.

In der That, Schildkröten, wohl hunderttausend, vielleicht noch mehr, kamen auf das rechte Ufer des Stromes zu. Doch warum dieser außergewöhnliche Auszug, der ihren Gewohnheiten widersprach, da jetzt ja nicht die Zeit des Eierlegens war?

Herr Marchal beantwortete die Frage in völlig einleuchtender Weise.

»Ich glaube, die Thiere sind durch die Erdstöße erschreckt worden. Durch die Fluthen des Tortuga oder Suapure, die aus ihrem Bette getreten sein werden, vertrieben, suchen sie jetzt, einem unwiderstehlichen Selbsterhaltungstriebe folgend, Schutz im Orinoco oder noch über diesen hinaus.«

Das war eine recht natürliche und selbst die einzig zulässige Erklärung. Die Sierra Matapey mußte allen Anzeichen nach von heftigen Erdstößen durchschüttert worden sein. Eine ähnliche Massenwanderung der Thiere war unter gleichen Umständen bereits, außer im Februar und im März, wo sie regelmäßig stattfindet, beobachtet worden, und die Uferbewohner konnten darüber eigentlich nicht so sehr erstaunt sein, wenn es sie auch in gewisser Hinsicht etwas beunruhigen mußte.

Ließ sich nun an dem Massenzuge der Schildkröten nicht mehr deuteln, so blieb noch die Frage, woher die Schüsse rührten, übrig. Wer mochte sich gegen die Chelidonier zu wehren haben, und was konnten Gewehrkugeln gegen deren undurchdringlichen Panzer ausrichten?

Bald darauf konnte man das durch einzelne Risse in der Staubwolke erkennen.

Hier bewegten sich Myriaden von Schildkröten, eine an die andre gedrängt, vorwärts. Das Ganze erschien wie eine ungeheure Fläche glänzender Schuppen, die, mehrere Quadratkilometer bedeckend, langsam wogend dahinglitt.

Auf dieser lebenden Fläche sprang eine Anzahl andrer Thiere umher, die sich, um nicht zermalmt zu werden, darauf hatten flüchten müssen.

Ueberrascht durch die Ueberfluthung der Ilanos, liefen und sprangen darauf eine Menge Heulaffen umher, die die Sache »sehr spaßhaft« zu finden [114] schienen – so drückte sich wenigstens der Sergeant Martial aus. Ferner bemerkte man mehrere Paare von Raubthieren, die in Venezuela heimisch sind, nämlich Jaguare, Pumas, Tiger, Ocelote, die alle hier nicht minder gefährlich waren, als wenn sie frei im Walde oder auf der Ebene umherstreiften.

Gegen diese Bestien vertheidigten sich zwei Männer mit Gewehr- und Revolverschüssen.

Schon lagen einige getroffen auf den Rückenschildern, deren auf- und abwogende Bewegungen es Menschen fast unmöglich machten, sich darauf zu halten, während die Vierfüßler und die Affen sich darum wenig kümmerten.

Wer mochten die beiden Männer sein? Weder Herr Marchal noch der Beamte konnten sie, der Entfernung wegen, erkennen. Schon aus ihrer Tracht ging aber hervor, daß es weder Yaruros noch Mapoyos, noch überhaupt Indianer waren, wie sie im Gebiete des mittleren Orinoco vorkommen.

Vielleicht handelte es sich hier also doch um die beiden Franzosen, die nach den Ebenen im Osten hinausgezogen waren, und deren Rückkehr man schon so lange erwartete, vielleicht sollte Jean von Kermor – der ja gleich daran gedacht hatte – die Freude zutheil werden, seine Landsleute wiederzufinden.

Die Herren Marchal, Miguel, Felipe und Varinas, der Beamte und die ihn begleitenden Männer aus dem Orte waren stehen geblieben; es schien ihnen nicht rathsam, noch weiter vorzudringen. Von den ersten Reihen der Schildkröten nicht nur aufgehalten, sondern auch zum Rückzuge genöthigt, hätten sie zu den beiden Fremdlingen, die von den Raubthieren umschwärmt waren, doch nicht gelangen können.

Jean bestand zwar darauf, ihnen zu Hilfe zu eilen, da er gar nicht mehr daran zweifelte, daß die Beiden die halbverschollenen französischen Naturforscher seien.

»Es ist aber unmöglich, erklärte Herr Marchal, unmöglich und nutzlos obendrein! Wir würden uns großen Gefahren aussetzen, ohne ihnen Hilfe bringen zu können. Besser ist es, man läßt die Schildkröten ungestört bis zum Strome ziehen, wo sie sich von selbst zerstreuen werden...

– Gewiß, bestätigte der Beamte, doch wir sind von einer andern schweren Gefahr bedroht.

– Von welcher denn?

[115] – Wenn diese Abertausende von Schildkröten auf ihrem Zuge nach la Urbana eindringen, wenn sie nicht bald nach dem Strome zu ablenken, so ist es um unsern Ort geschehen!«

Leider ließ sich gar nichts thun, eine solche Katastrophe abzuwenden. Nachdem sie um den Fuß des Cerro gezogen war, wälzte sich die langsame, unwiderstehliche Lawine auf la Urbana zu, wovon sie jetzt nur noch zweihundert Meter entfernt war. In der Ortschaft würde dann Alles zertrümmert und vernichtet werden. »Es wächst kein Grashalm wieder, wo die Türken vorübergezogen sind«, hat man früher oft gesagt – es wäre auch kein Haus, keine Hütte, kein Baum oder Strauch unversehrt geblieben, wo sich diese Unmasse riesiger Schildkröten vorüberschob.

»Macht Feuer!... Zündet Feuer an!« rief Herr Marchal.

Feuer... ja, das war die einzige Schranke, die man dieser Ueberfluthung entgegenstellen konnte.

Schon hörte man laute Schreckensschreie von den Bewohnern des Ortes, die die drohende Gefahr erkannten.

Herr Marchal war verstanden worden, und Alle beeilten sich, seiner Aufforderung nachzukommen.

Vor der Ortschaft lagen ausgedehnte Wiesenflächen mit dichtem Grase, das der zweitägige Sonnenbrand stark getrocknet hatte, und auf denen einige Goyaven und andre Bäume mit früchtebeladnen Zweigen aufragten.

Man durfte nicht zögern, diese zu opfern, und man zögerte damit auch nicht.

An zehn, zwölf Stellen, hundert Schritt vor la Urbana, wurde das Gras gleichzeitig in Brand gesetzt. Bald hüpften die Flammen dahin, als ob sie aus dem Erdboden aufschlügen. Ein dichter Rauch mischte sich mit der Staubwolke, die sich nach dem Strome zu hinabsenkte.

Das Heer der Schildkröten bewegte sich vorläufig noch weiter, was gewiß so lange fortdauerte, bis die ersten die Feuerlinie berührten. Wie aber, wenn die übrigen diese vorwärts und ins Feuer drängten, so daß die Flammen erloschen?

Es sollte jedoch anders kommen und das Mittel des Herrn Marchal sich bewähren.

Zunächst wurden die Raubthiere mit den Kugeln des Sergeanten Martial, des Herrn Miguel und seiner Freunde, sowie mit denen der Einwohner, die [116] sich bewaffnet hatten, empfangen, während die beiden Männer auf der sich fortschiebenden Masse ihre letzte Munition erschöpften.

Von beiden Seiten angegriffen, brachen einige von den Raubthieren todt zusammen.

Erschreckt von den züngelnden Flammen, suchten andre nach Osten zu entfliehen, und es gelang ihnen auch, sich zu retten, indem sie den schon vorausgelaufenen Affen, die ein entsetzliches Geheul ausstießen, folgten.

Da sah man die beiden Männer nach der Feuergrenze springen, ehe die ersten Reihen der langsam weiter kriechenden Schildkröten diese erreichten.

Eine Minute später befanden sich Jacques Helloch und Germain Paterne – denn sie waren es – in Sicherheit neben Herrn Marchal, nachdem sie die Rückseite des Cerro ein Stück hinauf erklommen hatten.

Vor dem Flammengürtel, der sich einen halben Kilometer weit hinzog, zurückprallend, wendete sich die gewaltige Masse nach links von der Ortschaft ab und verschwand, sich über das Ufer hinunter wälzend, in den Fluthen des Orinoco.

9. Capitel
Neuntes Capitel.
Drei Piroguen beieinander.

In Folge dieser außergewöhnlichen Invasion, die la Urbana vollständig zu zerstören gedroht hatte, erlitt die Abfahrt der Piroguen eine vierundzwanzigstündige Verzögerung. Wenn die beiden Franzosen die Absicht hatten, die Untersuchung des Verlaufes des Orinoco bis nach San-Fernando weiter fortzusetzen, erschien es am rathsamsten, vereint mit ihnen zu reisen. In diesem Fall mußte man ihnen aber Zeit zur Erholung, sowie zur Vollendung mancher Vorbereitungen gewähren und die Abfahrt also bis zum nächsten Tage verschieben.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas stimmten in ihrer Weisheit mit diesem Vorgehen überein. Man hätte sich wirklich erstaunt fragen müssen, warum der Onkel und der Neffe nicht auch hätten derselben Ansicht sein sollen. Jacques [117] Helloch und Germain Paterne hatten ja ihre eigne Pirogue, konnten also niemand zur Last fallen, und wie der Sergeant Martial auch über die Sache denken mochte, jedenfalls gewährte es den drei Fahrzeugen mehr Sicherheit, wenn sie zusammen weiter fuhren.

»Vergiß außerdem nicht, daß wir es mit Landsleuten zu thun haben, sagte Jean von Kermor.

– Ja, doch mit recht jungen Bürschchen!« murmelte der Sergeant Martial, unwillig den Kopf schüttelnd.

Jedenfalls war es von Interesse, ihre Geschichte kennen zu lernen, und als sie gehört hatten, daß der Onkel und der Neffe Franzosen, ja sogar Bretonen wären, beeilten sie sich, diese zu erzählen.

Der sechsundzwanzigjährige Jacques Helloch stammte aus Brest. Nachdem er einige wissenschaftliche Aufgaben mit Erfolg gelöst hatte, war er vom Minister des öffentlichen Unterrichts mit einer Expedition durch die Nachbargebiete des Orinoco betraut worden und vor sechs Wochen am Delta des Stromes eingetroffen.

Der junge Mann genoß mit Recht den Namen eines verdienstvollen Forschers, der Kühnheit mit Vorsicht vereinte und schon vielfache Proben von Ausdauer und Entschlossenheit abgelegt hatte. Sein schwarzes Haar, seine glänzenden Augen, sein lebhafter Teint und über mittelgroßer Wuchs, seine kräftige Constitution und die natürliche Eleganz seiner Erscheinung nahmen auf den ersten Blick für ihn ein. Er gefiel, ohne sich darum zu bemühen, schon weil ihm jede Ziererei, jedes Bestreben, sich geltend zu machen, völlig fremd war.

Sein Begleiter, der im achtundzwanzigsten Jahre stehende Germain Paterne, den der Minister seiner wissenschaftlichen Mission angegliedert hatte, war ebenfalls Bretone. Er gehörte einer angesehenen Familie von Rennes an. Sein Vater, ein Appellationsgerichtsrath, seine Mutter und seine beiden Schwestern lebten noch, während Jacques Helloch, der einzige Sohn seiner Eltern, diese schon verloren, von ihnen aber ein ansehnliches Vermögen geerbt hatte, das seinen jetzigen und zukünftigen Bedürfnissen zu genügen versprach.

Germain Paterne – nicht minder entschlossen als sein einstiger Schulkamerad, doch von anderm Charakter – ging, wohin Jacques Helloch ihn führte, ohne je dagegen Einspruch zu erheben. Er war leidenschaftlicher Liebhaber der Naturgeschichte, vorzüglich der Botanik, und nicht weniger der Photographie. Er hätte wohl mitten im Kartätschenhagel eine Aufnahme gemacht und dabei [118] den Mund ebensowenig verzogen, wie sein Objectiv. Er war keine Schönheit, aber auch nicht häßlich, und das kann man ja nicht wohl sein mit einem so intelligenten Ausdruck und einem unverwüstlichen Humor, wie er beides besaß. Ein wenig kleiner als sein Gefährte, erfreute er sich einer eisernen Gesundheit, einer Allem gewachsenen Constitution, war ein für Ermüdung unempfindlicher Fußgänger mit einem jener Magen die Kieselsteine verdauen und nicht knurren, wenn das Essen einmal etwas knapp ist oder auf sich warten läßt. Als er hörte, welche Mission Jacques Helloch übertragen worden war, bot er sich sofort als »zweite Kraft« an. Einen besseren, nützlicheren und verläßlicheren Begleiter als diesen, hätte Jacques gar nicht finden können. Die Durchführung der betreffenden Mission sollte so lange dauern, wie das nöthig erschien. Eine bestimmte Frist war dafür nicht festgesetzt. Sie sollte sich nicht allein auf den Lauf des Orinoco, sondern auch auf dessen, auf den Karten nur lückenhaft angegebene Nebenflüsse beziehen, und zwar vorzüglich im mittleren Theile des Stromes bis hinauf nach San-Fernando, das als äußerster, von den Forschern zu besuchender Punkt in Aussicht genommen war.

Hier ist nur noch mitzutheilen, unter welchen Umständen die beiden jungen Gelehrten, nachdem sie den Orinoco von dessen vielfachen Mündungsarmen an bis nach Ciudad-Bolivar und von hier bis la Urbana besucht hatten, auch das Gebiet im Osten des Stromes hatten durchforschen wollen. Ihre Piroguen und das meiste Gepäck in la Urbana zurücklassend, trug der eine seine Instrumente nebst einem Hammerleß-Repetiergewehr mit Greener-Auswerfer, der andre seine mächtige Botanisiertrommel und eine nicht minder vorzügliche Waffe aus der nämlichen Fabrik, ohne von zwei Revolvern zu sprechen, die in Ledertaschen staken.

Von la Urbana aus hatten sich Jacques Helloch und Germain Paterne nach den bisher wenig besuchten Bergen der Sierra Matapey gewendet. Eine Anzahl Yaruros zum Tragen leichter Geräthschaften begleitete sie. Dreihundert Kilometer weit befanden sie sich von den Ufern des Orinoco, als sie den äußersten ins Auge gefaßten Punkt ihrer etwas über drei Wochen dauernden Expedition erreicht hatten. Nachdem sie den Lauf des Snapure im Süden erforscht, und den des Rio Tortuga oder Rio Chaffanjon im Norden untersucht, viele orographische und hydrographische Aufnahmen gemacht und eine Menge Pflanzen gesammelt hatten, die später das Herbarium des Botanikers bereichern sollten, hatten sie, nun vor vierzehn Tagen, den Rückweg angetreten.

[119] Da wurden sie von sehr ernsten und unerwarteten Ereignissen bedroht.

Zunächst sahen sich die beiden jungen Männer von einem Theile der Bravos-Indianer, die im Innern jenes Gebietes hausen, hinterlistig angegriffen. Als sie sich, nicht ohne Gefahr, dieser Ueberfälle erwehrt hatten, mußten sie mit ihrer Bedeckung bis zum Fuße der Sierra Matapey zurückkehren, wo der Führer und seine Leute sie verrätherischerweise verließen. Aller Lagergeräthe beraubt und nur noch im Besitze ihrer Instrumente und Waffen, während sie sich noch sehr weit von la Urbana befanden, beschlossen sie, sich sofort nach dieser Ortschaft zu begeben und sich die tägliche Nahrung durch Jagd zu erwerben, während sie die Nacht über, abwechselnd der eine schlafend und der andre wachend, unter Bäumen lagen.

Vor jetzt achtundvierzig Stunden hatte sie nun in Folge des Erdbebens, das eine weite Strecke erschütterte, jene kaum glaubliche Massenauswanderung von Schildkröten auf ihrer Lagerstätte überrascht. Der sich vorschiebenden Masse konnten sie nicht vorauseilen, weil diese nicht wenige Raubthiere vor sich her trieb.

Es blieb ihnen also nichts andres übrig, als sich von den Chelidoniern, den wandelnden Panzern, die sich nach dem rechten Orinocouser hin bewegten, selbst mit forttragen zu lassen – für sie der beste und förderlichste Ausweg. Bisher hatten ihnen hierin nur die Affen nachgeahmt; einige Lieues von dem Strome entfernt folgten – das war am heutigen Tage gewesen – auch die Raubtiere dem Beispiele jener Vierhänder. Damit wurde die Sachlage noch bedrohlicher. Sie mußten sich gegen die Raubthiere, gegen Tiger, Pumas und Jaguare vertheidigen. Einige wurden mittelst der Hammerleßgewehre erlegt, während die Masse, ähnlich den beweglichen Trottoiren in manchen Großstädten Nordamerikas, sich dem Orinoco weiter näherte. Jacques Helloch und Germain Paterne verfügten nur noch über sehr wenige Patronen, als sie die ersten Häuser von la Urbana hinter der die Ortschaft schützenden Flammenwand erblickten, wo sie unter den uns bekannten Umständen ankamen. Das war das Ende des Studienausflugs der beiden Franzosen gewesen. Die zwei jungen Männer waren aber heil und gesund, und da auch la Urbana der Gefahr, von der lebendigen Lawine zerstört zu werden, entronnen war, hatte sich ja schließlich alles zum Besten gewendet.

So lautete der Bericht, den Jacques Helloch erstattete. An seiner ferneren Reiseroute gedachte er nichts zu ändern. Germain Paterne sollte sich mit ihm [120] [123]wieder einschiffen, um die Untersuchung des Stromes bis San-Fernando de Atabapo fortzusetzen.

»Bis nach San-Fernando? sagte der Sergeant Martial, der schon die Augenbrauen runzelte.

– Doch nicht weiterhin, antwortete Jacques Helloch.

– Nicht weiter?«

Aus dem Munde des Sergeanten Martial bedeutete dieses »Nicht weiter?« jedenfalls weniger einen Ausdruck der Befriedigung, als das Gegentheil.

Offenbar wurde der interimistische Onkel Jean von Kermor's immer unumgänglicher.

Letzterer mußte nun auch seine eigne Geschichte erzählen, und es wird nicht wundernehmen, daß Jacques Helloch sich sehr bald und lebhaft für den siebzehnjährigen Jüngling interessierte, der vor den Gefahren einer solchen Reise nicht zurückschreckte.


Die beiden Männer sahen sich von einem Theile der Bravos-Indianer angegriffen. (S. 120.)

Sein Begleiter und er hatten den Oberst zwar nicht persönlich gekannt, in der Bretagne aber von seinem Verschwinden sprechen hören, und jetzt mußte sie der Zufall auf den Weg des blutjungen Mannes führen, der zur Aufsuchung seines Vaters ausgezogen war. Germain Paterne bewahrte noch einige verblaßte Erinnerungen an die Familie von Kermor und bemühte sich jetzt, diese aufzufrischen.

»Herr von Kermor, sagte Jacques Helloch, als jener seine Mittheilungen beendet hatte, wir sind hocherfreut über den Zufall, der dieses Zusammentreffen auf dem nämlichen Wege herbeiführte, und da es unsre Absicht war, nach San-Fernando zu gehen, so werden wir ja zusammen reisen. Dort dürften Sie, wie ich hoffe, weiteren Aufschluß über den Verbleib des Oberst von Kermor erhalten, und wenn wir Ihnen irgendwie von Nutzen sein können, dürfen Sie auf uns rechnen.«

Der junge Mann dankte seinen Landsleuten, der Sergeant Martial aber brummte grimmig vor sich hin:

»Erst die drei Geographen, und nun auch noch die beiden Franzosen! Alle Schockschwerenoth, das sind zu viele... viel zu viele, die uns beistehen wollen. Achtung, Feldwache!... Scharf aufgepaßt!«

Im Laufe des Nachmittags wurden die Reisevorbereitungen beendigt, d. h. die, die die dritte Pirogue betrafen, denn die beiden andern waren schon seit dem frühen Morgen segelklar. Die dritte Falca hieß die »Moriche«; als Schiffer hatte sie einen Baniva, namens Parchal, und als Besatzung neun [123] Indianer, die alles Lobes werth waren. Nach Erneuerung des Proviants hatte Jacques Helloch nur den Verlust seines Lagermaterials zu beklagen, das ihm auf dem Zuge nach der Sierra Matapey gestohlen worden war. Germain Paterne, dem es dabei ja glückte, seine gefüllte Botanisiertrommel unversehrt zu retten, hatte überhaupt keine Ursache, sich zu beklagen.

Am folgenden Tage, am 28. August, mit Sonnenaufgang nahmen die Passagiere der drei Piroguen Abschied von dem ersten Beamten la Urbanas, von Herrn Marchal und von den Einwohnern, die sie so freundlich empfangen hatten.

Der alte Herr wollte den jungen Mann in seine Arme drücken, den er wiederzusehen hoffte, wenn er mit dem Oberst von Kermor am Hato von la Tigra vorüberkäme, wo sie sich gewiß nicht weigern würden, einige Tage zu verweilen.

»Nur Muth, liebes Kind, sagte er, Jean umarmend, meine Segenswünsche begleiten Sie und Gott wird Ihre Schritte leiten!«

Die drei Falcas stießen eine nach der andern vom Lande ab. Der sich wieder erhebende Wind begünstigte ihr Vorwärtskommen, und da er noch mehr aufzufrischen versprach, konnte man wohl auf eine schnelle Fahrt rechnen. Mit gehißten Segeln glitten die Piroguen, nach einem letzten Abschiedsgruße von la Urbana, längs des rechten Ufers hin, wo die Strömung nicht zu stark war.

Von la Urbana aus verläuft der Orinoco bis San- Fernando in fast gerader, nordsüdlicher Linie. Die beiden Orte liegen an den zwei Hauptbiegungen des Stromes und fast unter demselben Meridian. Wenn der Wind anhielt, war also zu hoffen, daß die Reise ohne unliebsame Verzögerung verlief.

Mit ganz gleicher Geschwindigkeit schwammen die drei Falcas dahin, bald hintereinander, wie die Flußschiffe der Loire, wenn das die geringe Breite des Fahrwassers nöthig machte, bald in einer Front nebeneinander, wenn sie einen genügend weiten Wasserweg vorfanden.

Das Bett des Orinoco ist hier zwar von einem Ufer bis zum andern sehr breit, oberhalb la Urbanas aber von ausgedehnten Sandbänken unterbrochen. Zur Zeit erschienen diese in Folge des ziemlich hohen Wasserstandes wesentlich verkleinert und bildeten ebenso viele Inseln mit einem mittleren, völlig hochfluthfreien und von üppigem Grün bedeckten Theile. Zwischen diesen Inseln mußte man also hindurchdringen und um die vier Durchlässe, die sie [124] bilden, von denen in der trockenen Jahreszeit übrigens nur zwei schiffbar sind, herumsegeln.

Waren die Piroguen nur durch einen Zwischenraum von wenigen Metern von einander getrennt, so unterhielten sich deren Insassen von einem Bord zum andern. Wurde Jean dann angesprochen, so mußte er doch wohl oder übel antworten. Meist drehte sich das Gespräch um die Reise zur Aufsuchung des Oberst von Kermor, um deren Aussichten auf Erfolg, wobei Jacques Helloch stets bestrebt war, den jungen Mann möglichst zu ermuthigen.

Zuweilen machte Germain Paterne, der seinen photographischen Apparat auf dem Vordertheil der »Moriche« aufgestellt hatte, Augenblicksaufnahmen, wenn die Uferlandschaft diese Mühe lohnte.

Die Gespräche fanden übrigens nicht ausschließlich zwischen der »Moriche« und der »Gallinetta« statt, die beiden Franzosen interessierten sich auch lebhaft für die geographische Expedition der Herren Miguel, Felipe und Varinas. Sie hörten diese ja oft genug lebhaft mit einander verhandeln, wenn einer oder der andre aus irgendwelcher sich darbietenden Erscheinung eine Unterstützung seiner Ansicht ableiten zu können glaubte. Die Charakterunterschiede der drei Collegen hatten sie von Anfang an durchschaut, und, wie nicht anders zu erwarten, war es Herr Miguel, der ihnen am meisten Sympathie und Vertrauen einflößte. Im Ganzen stand die kleine Welt zu einander auf recht gutem Fuße, und Jacques Helloch übersah sogar bei dem Sergeanten Martial die brummige Laune des alten Soldaten.

Bald dämmerte in ihm auch ein Gedanke auf, der Herrn Miguel und dessen Freunden nicht gekommen zu sein schien und den er Germain Paterne mittheilte.

»Findest Du es nicht auffällig, daß dieser Murrkopf der Onkel des jungen von Kermor sein soll?

– Warum wäre das auffällig, wenn der Oberst und er Schwäger waren?

– Das ist schon richtig... und doch... sie sind nicht in gleichem Maße vorwärts gekommen. Der eine ist Oberst geworden, während der andre Sergeant geblieben ist.

– Das hat man schon erlebt, Jacques, erlebt es noch heute und wird es auch künftig erleben.

– Zugegeben, Germain. Wenn es ihnen übrigens paßt, als Onkel und Neffe aufzutreten, so geht das niemand etwas an.«

[125] Jacques Helloch hatte allerdings Grund, die Sache etwas seltsam zu finden, und er blieb auch der Meinung, daß es sich hier nur um eine gelegentliche Verwandtschaft handelte, die zur Erleichterung der Reise improvisiert wäre.

Am Morgen kam die Flottille an der Mündung des Capanaparo und bald darauf an der des Indabaro, eines Seitenarmes des ersteren, vorüber.

Natürlich schossen die Hauptjäger der Piroguen, Herr Miguel einer- und Jacques Helloch andrerseits, gern Wasservögel, die ihnen in den Weg kamen. Schmackhaft zubereitete Enten und Holztauben brachten dann in die gewöhnlichen Speisen aus gedörrtem Fleisch und Conserven eine angenehme Abwechslung.

Einen merkwürdigen Anblick bot jetzt die rechte Stromseite mit ihrem fast lothrecht abfallenden Felsenufer, den letzten Ausläufern der Cerros von Baraguan, an deren Fuß der Strom noch eine Breite von achtzehnhundert Metern hat. Weiter oben, nach der Mündung des Mina hin, verengert er sich, und die dort recht stark werdende Strömung drohte die Fortbewegung der Falcas merkbar zu verlangsamen. Zum Glück wehte der Wind recht frisch, so daß die schief stehenden Masten – einfache, kaum entrindete Stämme – sich unter dem Segeldruck nicht wenig bogen. Zu einem Bruche derselben kam es indeß nicht, und nachmittags gegen drei Uhr wurde der Hato von la Tigra, das Besitzthum des Herrn Marchal, erreicht.

Wäre der gastfreundliche alte Herr zu Hause gewesen, so hätten sie gewiß, mit oder ohne, doch wahrscheinlich mit freudiger Zustimmung, sich bei ihm mindestens einen Tag lang aufhalten müssen. Herr Marchal hätte auch ebenso von Jacques Helloch und Germain Paterne verlangt, daß sie ihm, außer dem bei ihrer Rückkehr zugesagten, einen zweiten Besuch abstatteten.

Doch wenn die Piroguen ihre Passagiere nicht ans Land setzten, so wollten diese wenigstens ein hübsches Bild des Hato von la Tigra mitnehmen, von dem Germain Paterne eine recht gelungene Photographie aufnahm.

Von diesem Punkte aus gestaltete sich die Fahrt ziemlich schwierig, und sie wäre das noch mehr geworden, wenn der Wind nicht seine Richtung und Stärke so weit beibehalten hätte, daß er es den Falcas ermöglichte, gegen die Strömung aufzukommen. Die Breite des Orinoco war hier nämlich auf kaum zwölfhundert Meter verringert und zahlreiche Klippen durchsetzten noch sein etwas gewundenes Bett.

Alle diese Schwierigkeiten wurden von der erfahrenen Mannschaft der Piroguen aber glücklich überwunden, und gegen halb sechs Uhr abends lagen [126] die Falcas schon an ihrem für die Nacht gewählten Halteplatze, nahe der Mündung des Sinarneo.

Unsern davon erhob sich, bedeckt mit sehr dicht stehenden Bäumen und einem fast undurchdringlichen Unterholze, die Insel Macupina. Deren Baumbestand bilden zum Theil Palmas Ilaneras, eine Palmenart, die drei bis vier Meter lange Blätter treibt. Diese Blätter dienen zur Bedachung der indianischen Strohhütten, wenn die Eingebornen zur Zeit des Fischfanges nur ein vorübergehendes Obdach brauchen.

Hier befanden sich augenblicklich grade einige Mapoyos-Familien, mit denen Herr Miguel und Jacques Helloch in Verkehr traten. Sobald die Piroguen angelegt hatten, stiegen sie aus, um sich auf die Jagd zu begeben, von der sie eine reiche Beute heimzubringen hofften.

Wie man es hier immer beobachtet, entflohen die Frauen zunächst bei der Annäherung der Fremden und erschienen nicht eher wieder, als bis sie das lange Hemd übergeworfen hatten, das sie in beinahe decenter Weise einhüllt. Wenige Minuten vorher trugen sie nur den Guayneo, ganz wie die Männer, und hatten als weitere Bedeckung nur noch ihr langes Haar. Diese Indianer verdienen unter den Stämmen, die die Bevölkerung des südlichen Venezuelas bilden, besonders hervorgehoben zu werden. Kräftig, musculös und gut gewachsen, bieten sie ein Bild von strotzender Gesundheit.

Mit ihrer Unterstützung vermochten die Jäger in das dichte Gehölz einzudringen, das sich an der Mündung des Sinarneo zusammendrängt.

Zwei Gewehrschüsse brachten zwei voll ausgewachsene Bisamschweine zur Strecke, andre wurden im Verlauf der Jagd auf eine Gesellschaft Kapuziner 1 abgegeben – eine Affenart, die diesen Namen eines Mönchsordens mit Recht trägt – von der aber kein Exemplar erlegt werden konnte.

»Von den Burschen da, bemerkte Jacques Helloch, kann man nicht grade sagen, daß sie so leicht fallen wie Kartenhäuser! 2

– An diese Vierhänder kann man sich in der That nur schwer heranschleichen, sagte Herr Miguel. Wie viel Pulver und Blei hab' ich schon an sie verschwendet, ohne je einen solchen Kerl getroffen zu haben!

– O, das ist bedauerlich, Herr Miguel, denn diese Thiere bieten, richtig zubereitet, dem Feinschmecker einen köstlichen Leckerbissen!«

[127] Das war auch, wie Jean erklärte, Chaffanjon's Meinung: ein ausgenommener, abgesengter und nach Indianerbrauch bei mäßigem Feuer gebratener Affe, der dann eine verführerische goldgelbe Farbe annimmt, ist ein Gericht, wie man ein schmackhafteres schwerlich finden kann.

An diesem Abend mußte man sich mit den Bisamschweinen genügen lassen, die unter die drei Piroguen vertheilt wurden. Auch der Sergeant Martial hätte wohl kaum den Antheil, den ihm Jacques Helloch überbrachte, zurückweisen mögen; eine Aufmerksamkeit, wofür Jean diesem seinen Dank aussprach.

»Wenn unser Landsmann den am Spieße gebratenen Affen rühmt, so betont er nicht minder die guten Seiten das Bisamschweines und versichert sogar, bei seiner Expedition nie etwas Besseres gegessen zu haben...

– Damit hat er völlig recht, lieber Jean, erwiderte Jacques Helloch, und wenn man solche Affen nicht hat...

– Dann verzehrt man zur Noth auch Spatzen!« fiel Sergeant Martial ein, der diese Worte gleich einem Danke erachtete.

Die Bisamschweine, in der Indianersprache Boquiros genannt, sind in der That höchst schmackhaft, selbst der Sergeant Martial mußte das zugeben. Trotzdem erklärte er Jean, er werde fernerhin nur noch von solchen essen, die er mit eigner Hand erlegt habe.

»Man kann ein derartiges Anerbieten aber doch nicht abschlagen, lieber Onkel... Herr Helloch ist so zuvorkommend...

– Ja wohl, gar zu zuvorkommend, lieber Neffe! Sapperment, ich bin doch auch noch da! Es mag mir nur ein Bisamschwein in Schußweite kommen, das treffe ich gewiß ebensogut, wie der Herr Helloch!«

Der junge Mann mußte unwillkürlich lächeln, als er seinem wackern Gefährten die Hand entgegenstreckte.

»Na, zum Glück, brummte dieser, werden alle diese Höflichkeiten, die mir ganz und gar nicht passen, in San-Fernando aufhören, und ich meine, das ist auch gar nicht zu zeitig«

Am nächsten Morgen ging es mit Tagesanbruch weiter, als die Passagiere noch unter ihrem Deckhause schliefen. Da der Wind noch immer von Norden her wehte, hofften die Schiffer Valdez, Martos und Parchal, wenn sie frühzeitig aufbrachen, noch denselben Abend in Cariben, etwa vierzig Kilometer unterhalb der Mündung des Meta, anzukommmen.


Zwischen den Franzosen und den Venezuolanern herrschte das beste Einvernehmen. (S. 133)

Der Tag verlief ohne jeden Zwischenfall. Der Wasserstand war noch ziemlich hoch, so daß die Piroguen ohne Schwierigkeiten die oft winkligen Angosturas zwischen den Klippen passieren konnten, die vorzüglich am stromaufgelegenen Ende der Insel Paraguay [128] schroff aufragten. Nach dieser Insel ist auch ein Nebenfluß des rechten Ufers benannt.

Die Fahrtlinie bildet hier eine Art Raudal (Stromschnelle), wogegen in der trocknen Jahreszeit nicht leicht aufzukommen war. In ihrer Länge steht es jedoch weit hinter den andern Raudals zurück, die die Falcas in der Nähe von [129] Atures, etwa dreißig Lieues vom Anfang des oberen Orinoco an, überwinden sollten. Jetzt brauchte also nichts ausgeladen, nichts zu Fuß weiter befördert zu werden, was so viele Beschwerden und Verzögerungen veranlaßt.

Das Land am rechten Stromufer bot jetzt einen gegen den früheren so verschiedenen Anblick, wo ungeheure Ebenen sich bis zum Horizont ausdehnten, an dem man gerade noch das Profil von Gebirgszügen erkannte.

Zwischen deutlich abgegrenzten und eng nebeneinander liegenden Bodenwellen strebten hier isolierte rundliche Hügel empor, Bancos von seltsamem Aufbau – eine orographische Gestaltung, die nach Osten zu in wirkliche Bergketten überging.

Man glaubte eine Art Ufercordilleren vor sich zu haben, die mit den Ilanos der linken Seite scharf abschnitten. Zwischen jenen Cerros konnte man auch noch die von Carichana unterscheiden, die sich aus dicht bewaldetem, üppig grün erscheinendem Boden erhoben.

Am Nachmittag – das rechte Ufer erschien jetzt abgeflacht – mußten die Piroguen nach dem linken hinübersteuern, um durch das Raudal von Cariben, die einzige Fahrstraße, die der Strom hier bietet, hinauszusegeln.

Im Osten dehnten sich die weiten Sandgründe aus, wo früher ein ebenso ergiebiger Schildkrötenfang wie bei la Urbana betrieben worden war. Die ungeregelte, ohne jede Rücksicht fortgesetzte Jagd auf die Chelidonier, von denen die Eingebornen nie genug erlegen konnten, führte aber nach und nach zur völligen Ausrottung der Thiere, mindestens haben sie die Strandgebiete dieses Theiles des Strombeckens gänzlich verlassen. In Folge dessen hat auch das in geringer Entfernung vom Meta, einem der größeren Zuflüsse des Hauptstromes, recht lieblich gelegne Cariben seine einstige Bedeutung verloren. Statt zu einem Flecken auszuwachsen, ist es jetzt kaum noch ein Dorf und wird schließlich noch zu einem der kleinsten Weiler am mittleren Orinoco herabsinken.

Als sie an den granitnen Abhängen einer Insel, namens Piedra del Tigre, vorüberfuhren, befanden sich die Reisenden gegenüber einer Gruppe tönender Felsen, die in Venezuela weit berühmt sind.

Hier erklang eine Reihenfolge deutlich hörbarer musikalischer Töne, die zusammen eine wunderbare Harmonie bildeten. Da die Falcas eine neben der an dern fuhren, konnten Alle den Sergeanten Martial vom Vordertheil der »Gallinetta« rufen hören: »Alle Wetter, wer ist denn der Capellmeister, der uns, mit diesem Ständchen überrascht?«

[130] Es handelte sich hier freilich um kein Ständchen, obgleich in weiter Umgebung spanische Sitten und Gebräuche ebenso herrschen, wie in Castilien oder Andalusien. Die Reisenden hätten eher glauben können, sich in Theben und in der Nähe der Memnonssäulen zu befinden.

Herr Miguel klärte die Andern bald über die merkwürdige akustische Erscheinung auf, die übrigens Venezuela keineswegs eigenthümlich ist.

»Zur Zeit des Sonnenaufgangs, sagte er, würde die Musik, die wir jetzt vernehmen, noch weit deutlicher hörbar gewesen sein, und das hat folgende Ursache: Die Felsen enthalten eine große Menge seiner Glimmerblättchen, von denen die unter den Sonnenstrahlen ausgedehnte Luft aus den Gesteinsspalten entweicht, und dann die tönenden Blättchen zum Erzittern bringt...

– Man sieht, rief Jacques Helloch, daß die Sonne doch ein tüchtiger Capellmeister ist...

– Na, dem Leierkasten in unsrer Bretagne kommt die Geschichte doch nicht gleich, sagte der Sergeant Martial.

– Nein, gewiß nicht, stimmte ihm Germain Paterne zu. Eine natürliche Orgel ist für das platte Land aber etwas Herrliches...

– Mag sein, brummte der Sergeant Martial, es hören ihr nur gar zu Viele zu!«

Fußnoten

1 Unübersetzbares Wortspiel, da capucins die Kapuzinermönche, c. de cartes aber als Unterhaltung aufgestellte Kartenhäuser bedeutet.

Der Uebers.

2 Unübersetzbares Wortspiel, da capucins die Kapuzinermönche, c. de cartes aber als Unterhaltung aufgestellte Kartenhäuser bedeutet.

Der Uebers.

10. Capitel
Zehntes Capitel.
An der Mündung des Meta.

Nachdem sie das linke Ufer erreicht hatten, gelang es den drei Piroguen, auch über das Raudal von Cariben hinauszukommen, ohne selbst einen Theil ihrer Ladung ausladen zu müssen, und gegen sechs Uhr legten sie eine nach der andern im Hintergrunde eines kleinen Hafens an.

Früher hätten die Reisenden hier einen von einer thätigen Bevölkerung belebten Flecken mit regem Handelsverkehr, der noch im weiteren Aufblühen zu sein schien, vorgefunden. Jetzt war derselbe aus den uns schon bekannten [131] Ursachen verfallen, und Cariben bestand eigentlich nur noch aus fünf Indianerhütten – wenigstens zur Zeit, als Chaffanjon mit dem General Oublion hierherkam.

Bei den wenigen Yaruros, die jene Hütten bewohnten, um Aufnahme nachzusuchen, wäre ganz zwecklos gewesen. In dem so weit heruntergekommenen Orte war an eine Neubeschaffung von Nahrungsmitteln und andern Dingen gar nicht zu denken. Das war übrigens in la Urbana ausreichend geschehen, und man hoffte an Proviant bis Atures genug Vorrath zu haben, zumal da die Jäger unterwegs gewiß noch manches Stück Wild für die Küche lieferten.

Am nächsten Tage, am 31. August, erfolgte die Abfahrt schon kurz vor Tagesanbruch, begünstigt von dem noch immer bestehenden Nordwind, den man sich für die Fahrt nach Süden, in der Richtung, die der Orinoco von la Urbana bis San-Fernando beibehält, gar nicht besser wünschen konnte. Cariben liegt ziemlich in der Mitte zwischen jenen zwei Punkten.

Leider wehte der Nordwind aber nicht stetig, sondern mehr stoßweise, so daß nicht viel auf die Segel zu rechnen war, die einmal einige Minuten lang straff gespannt waren und dann wieder längere Zeit an den Masten schlaff herabhingen. Man mußte also zu den Palancas und den Garapatos greifen, denn an dieser Stelle ist die durch den Zufluß des Meta verstärkte Strömung mächtig genug, ein Fahrzeug leicht zurückzutreiben.

Der Orinoco zeigte sich hier übrigens verhältnißmäßig belebt, da nicht wenige Boote der Eingebornen den Strom hinauf und hinunter fuhren. Keines davon schien aber die eine oder die andre Pirogue anlaufen zu wollen.

Diese Curiares waren von Quivas besetzt, welche sich mit Vorliebe in der Nähe des wichtigen Nebenflusses des Stromes aufhalten. Man hatte es übrigens nicht zu bedauern, mit ihnen nicht in Verbindung getreten zu sein, denn gerade diese Indianer stehen – und zwar mit Recht – in gar schlechtem Rufe.

Gegen elf Uhr, als der Wind sich fast ganz gelegt hatte, ließen Valdez und die beiden andern Schiffer die Segel einholen. Nun galt es, mittelst der Palaucas weiter vorwärts zu kommen, wobei die eine geringere Strömung aufweisenden Wasserwirbel längs des Ufers als Fahrweg gewählt wurden.

An diesem übrigens recht unfreundlichen und regnerischen Tage brachten die Piroguen nur eine geringe Strecke hinter sich; um fünf Uhr nachmittags ankerten sie jedoch in der Mündung des Meta, hinter einem Vorsprung des rechten Ufers, wo sie in stillem Wasser lagen.

[132] Der Himmel hatte sich später am Abend wieder aufgeklärt; es herrschte jetzt völlige Windstille. Durch eine freie Stelle in den Wolken am westlichen Horizont sandte die Sonne ihre letzten Strahlen auf die Fluthen des Meta, die sich in leuchtendem Rauschen mit denen des Orinoco zu mischen schienen.

Die Falcas legten sich Bord an Bord, die »Gallinetta« zwischen die beiden andern. Es sah aus, als bewohnten die drei Reisenden drei Zimmer ein und desselben Hauses und obendrein Zimmer, deren Thüren offen standen.

Es war schon erklärlich, daß Alle, nachdem sie bei schlechtem Wetter so viele Stunden in den Deckhäusern zugebracht hatten, jetzt das Verlangen empfanden, die schöne Abendluft zu athmen, auch zusammen zu speisen und miteinander wie Freunde an der nämlichen Tafel ein wenig zu plaudern. So bärbeißig der Sergeant Martial auch sein mochte, jetzt durfte er es doch nicht wagen, sich über dieses gesellige Beisammensein zu beklagen.

Zwischen den vier Franzosen und den drei Venezuolanern herrschte also das beste Einvernehmen. Jeder betheiligte sich an dem Gespräche, das von Jacques Helloch anfänglich auf ein Gebiet hinübergespielt wurde, wo die alten Gegner ins Handgemenge geriethen – auf das Gebiet der Geographie.

Er begann nämlich, boshaft genug, eine kleine Streitigkeit zu entfesseln:

»Da wären wir nun an der Mündung des Meta, Herr Miguel...

– Ganz recht, Herr Helloch.

– Das ist doch einer der Nebenflüsse des Orinoco?

– Ja, und zwar einer der bedeutendsten, da er ihm viertausend Cubikmeter Wasser in der Secunde zuführt.

– Kommt er nicht von den obern Cordilleren der columbischen Republik?

– Wie Sie sagen, antwortete jetzt Herr Felipe, der sehr wohl durchschaute, worauf diese Fragen hinausliefen.

– Nimmt er nicht auch eine große Anzahl Nebenflüsse in sich auf?

– Gewiß, sehr viele, bestätigte Herr Miguel. Die wichtigsten darunter sind die Upia und die Humadea, an deren Vereinigung er erst seinen Namen annimmt, ferner der Casanare, der den seinigen auf eine ungeheure Fläche von Ilanos übertragen hat.

– Mein lieber Jean, sagte da Jacques Helloch, wenn es mir gestattet ist, Sie so zu nennen...«

Der junge Mann erröthete leicht, und der Sergeant Martial sprang auf, als würde er von einer Feder emporgeschnellt.

[133] »Was fehlt Ihnen denn, Herr Sergeant? fragte Herr Miguel.

– O, nichts, nichts,« antwortete der alte Soldat sich wieder niedersetzend

Jaques Helloch fuhr also in seiner Rede fort.

»Mein lieber Jean, ich glaube, wir werden nie wieder eine so passende Gelegenheit finden, über den Meta zu sprechen, da dieser jetzt vor unsern Augen dahinströmt...

– Und Du kannst auch hinzusetzen, fiel Germain Paterne ein, daß wir nie wieder bessre Lehrmeister haben werden, uns über ihn zu unterrichten.

– Sie thun uns viel Ehre an, meine Herren, erklärte Herr Varinas und doch wissen wir über den Meta nicht so viel, wie Sie anzunehmen scheinen. Ja, wenn es sich um den Guaviare handelte...

– Oder um den Atabapo! fiel Herr Felipe ein.

– Dahin werden wir auch noch kommen, meine Herren, fuhr Jacques Helloch unbeirrt fort. Da ich aber voraussetze, daß Herr Miguel in der Hydrographie des Meta sehr bewandert ist, gestatte ich mir an ihn die Frage, ob dieser Nebenfluß des Orinoco nicht manchmal eine sehr große Breite annimmt...

– Ja freilich... er erreicht stellenweise die Breite von zweitausend Metern, antwortete Herr Miguel.

– Und seine Tiefe?

– Jetzt, wo die Fahrstraße mit Baken bezeichnet ist, können Fahrzeuge mit sechs Fuß Tiefgang in der Regenzeit bis zur Einmündung der Upia, und in der trocknen Jahreszeit noch den dritten Theil dieser Strecke hinausgelangen.

– Das beweist also, meinte Jacques Helloch, daß der Meta eine natürliche Verbindung zwischen dem Atlantischen Ocean und Columbien darstellt...

– Ganz recht, erwiderte Herr Miguel, ja einzelne Geographen haben sogar behauptet, daß der Meta den kürzesten Weg von Bogota nach Paris bilde.

– Ja, meine Herren, warum sollte der Meta dann nur ein Nebenfluß des Orinoco und nicht der Orinoco selbst sein? Und warum könnten die Herren Felipe und Varinas zu seinen Gunsten nicht ihre unzulänglich begründeten Ansichten bezüglich des Guaviare und das Atabapo aufgeben?«

Darauf zielte der Franzose also hinaus!

Man wird sich leicht denken können, daß er kaum dazu kam, seine Rede zu vollenden, ohne daß die beiden Vertreter des Atabapo und des Guaviare dagegen mit Handbewegungen an Stelle von Worten Einspruch erhoben.

[134] Jetzt platzten die Geister auf einander und es regnete Beweisgründe für die eine und die andre Ansicht über den tollkühnen jungen Mann, der die Frage über den Lauf des Orinoco angezweifelt hatte. Nicht etwa, daß er sich dafür besonders interessierte, denn ihm schien die Wahrheit auf Seiten des Herrn Miguel und der meisten Geographen zu liegen, es machte ihm aber Vergnügen, die streitsüchtigen Brüder aneinander zu hetzen. Was er für seine hingeworfene Ansicht ins Treffen geführt hatte, war mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr werth, als die Gründe der Herren Varinas und Felipe, denn bezüglich der geographischen Wichtigkeit übertrifft der Meta zweifellos ebenso den Guaviare wie den Atabapo. Die beiden gelehrten Herren wollten aber einer dem andern nicht nachgeben, und die Verhandlung hätte sich gewiß bis weit in die Nacht hinein fortgesetzt, wenn Jean von Kermor ihr nicht dadurch eine andre Richtung gab, daß er an Herrn Miguel eine andre, nicht minder ernste Frage stellte.

Nach den Angaben seines Reiseführers machten sehr zu fürchtende Indianer die Ufer des Meta unsicher. Er fragte deshalb, was Herr Miguel ihnen wohl darüber sagen könne.

»Das hat sicher für uns mehr Interesse,« antwortete dieser, dem es ganz lieb war, das Thema des Gespräches gewechselt zu sehen.

Die beiden Collegen waren sich bereits, bildlich zu verstehen, »arg in die Haare gefahren«, was ja nichts Seltnes war, und wie mußte das erst werden, wenn sie sich an der Vereinigungsstelle der drei Flüsse befanden.

»Diese Quivas, fuhr Herr Miguel fort, sind allen Reisenden, die sich nach San-Fernando begeben, als ein sehr wilder Stamm bekannt. Man spricht sogar davon, daß eine Bande derselben über den Strom gesetzt und nach den östlichen Gebieten eingedrungen sei, wo sie Räubereien und Mordthaten ausüben.

– Ist der Anführer der Bande jetzt nicht schon todt? fragte Jacques Helloch, der auch von den Unthaten des Raubgesindels gehört hatte.

– Ganz recht, antwortete Herr Miguel, schon seit etwa zwei Jahren.

– Und wer war das?

– Ein Neger namens Sarapia, den sich die Bande zum Anführer gewählt hatte und an dessen Stelle später ein entwichner Sträfling getreten ist.

– Und die Quivas aber, fragte Jacques weiter, die auf dem rechten Ufer zurückblieben?...

– Die sind nicht weniger zu fürchten, antwortete Herr Miguel. Die meisten der Boote, denen wir von Cariben aus begegnet sind, gehören ihnen, [135] und wir werden gut thun, so lange wir durch diese Gegend fahren, wo das jeder Schandthat fähige, noch sehr zahlreiche Raubgesindel haust, stets auf unsrer Hut zu sein.«

Daß diese Warnung berechtigt war, bewiesen die Ueberfälle, deren Opfer erst unlängst verschiedene Händler aus San-Fernando geworden waren. Der Präsident von Venezuela und der Congreß planten auch, wie man sagte, eine Expedition zur Vernichtung dieser Banden am Alto-Orinoco. Erst aus Columbia vertrieben, sollten die Quivas nun aus Venezuela verjagt werden, und wenn sie dabei nicht bis auf den letzten Mann ausgerottet wurden, würde dann Brasilien zum Schauplatz ihrer verbrecherischen Thätigkeit werden. Grade weil ihnen jene Expedition drohte, überfielen die Quivas viele Reisende mit desto grimmigerer Wuth, vorzüglich seitdem sie als Anführer einen aus Cayenne entflohenen Sträfling hatten. Die Insassen der drei Piroguen mußten also im Laufe der Fahrt hier jeden Augenblick ein wachsames Auge auf ihre Umgebung haben.

»Wir sind ja ziemlich zahlreich, wenigstens unter Einrechnung der Besatzmannschaft, auf die wir doch wohl zählen können, erklärte Jacques Helloch, und an Waffen und Munition fehlt es uns auch nicht. Diese Nacht, lieber Jean, werden Sie ruhig in Ihrem Deckhause schlafen, wir werden schon über Sie wachen...

– Das ist doch wohl meine Sache, warf der Sergeant Martial trocken ein.

– Nein, das geht uns Alle an, mein wackrer Sergeant, erwiderte Jacques Helloch, und es ist wichtig, daß Ihr Neffe nicht des in seinem Alter so nöthigen Schlafes beraubt werde.

– Ich danke Ihnen, Herr Helloch, erwiderte der junge Mann lächelnd, es ist aber doch wohl richtiger, daß wir Alle abwechselnd Wache halten.

– Jeder eine bestimmte Zeit lang,« setzte der Sergeant Martial hinzu.

Was ihn selbst freilich anging, unterließ er es, wenn die Stunde für den jungen Mann herangekommen war, natürlich, diesen aus dem Schlafe zu wecken, um allein draußen Wache zu stehen.

Dieser Verabredung entsprechend, wurde die Wache von acht bis elf Uhr den beiden Franzosen anvertraut; von elf bis zwei Uhr morgens sollte Herr Miguel mit seinen Collegen sie ablösen, dann fiel es Jean von Kermor und dem Sergant Martial zu, bis Tagesanbruch an deren Stelle zu treten.

[136] Die Passagiere der »Gallinetta« und der »Maripare« streckten sich also auf ihren Estrillas aus, und andrerseits überließen sich die Mannschaften einer nach den vorausgegangenen Anstrengungen wohlverdienten Ruhe.


»Ich sehe nichts. Und doch...« (S. 139.)

Jacques Helloch und Germain Paterne bezogen ihren Posten auf dem Hintertheile der Pirogue. Von da aus konnten sie den Strom nach auf- und nach abwärts überblicken und auch die Mündung des Meta beobachten. Vom Ufer selbst her war nichts zu fürchten, denn längs desselben dehnte sich ein ganz unpassierbares Sumpfland aus.

[137] Nebeneinander sitzend, plauderten die beiden Freunde von dem und jenem. Der eine rauchte von den Cigarren, mit denen er sich reichlich versehen hatte, denn Tabak bildet bei allen Uferbewohnern ein stets verwerthbares Tauschmittel. Der Wind hatte sich fast ganz gelegt, nur dann und wann strich ein Lufthauch über die beiden Männer hin. Wenige Grade über dem Horizont funkelte das Südliche Kreuz am Himmel. Bei der allgemein herrschenden Stille mußte das geringste Geräusch, das Durchschneiden des Wassers durch ein Boot, der vorsichtigste Ruderschlag schon von weitem her vernehmbar sein, und es genügte, das Uferland zu beobachten, um jeder irgendwie verdächtigen Annäherung entgegentreten zu können.

Dieser Aufgabe widmeten sich also die beiden jungen Leute, während sie die Zeit vertraulich verplauderten.

Offenbar flößte Jean von Kermor dem hübschen Jacques Helloch ein lebhaftes Interesse ein. Nicht ohne ängstliche Befürchtung sah er den jungen Mann seine gefährliche Reise unternehmen. So hoch er dessen edelmüthigen Beweggrund auch schätzte, erschrak er doch vor den Gefahren, denen jener sich bei diesem Wagniß aussetzte, wenn er weit, weit – er wußte nicht, wie weit – hinauszog.

Schon wiederholt hatte er sich mit Germain Paterne über die Familie des Oberst von Kermor unterhalten, und dieser bemühte sich, seine Erinnerungen an diese, von der er vor fünfzehn Jahren manchmal reden gehört hatte, aufzufrischen.

»Weißt Du, Germain, sagte am heutigen Abend Jacques Helloch, ich kann es mir gar nicht recht vorstellen, daß dieses Kind – denn es ist ja noch ein Kind – in die Gebiete des obern Orinoco vordringen will! Und unter wessen Führung? Unter der des wackren Alten, der gewiß das beste Herz in sich trägt, der mir aber doch nicht der passende Führer seines Neffen zu sein scheint, wenn Beiden größere Schwierigkeiten begegnen sollten.

– Ja, ist er überhaupt sein Onkel? unterbrach ihn Germain Paterne. Mir will's nicht ganz so scheinen.

– Ob der Sergeant Martial nun Jean von Kermor's Onkel ist oder nicht, fuhr Jacques Helloch fort, würde ja wenig bedeuten, wenn er nur noch ein Mann in den Jahren vollster Kraft und an solche gefährliche Fahrten gewöhnt wäre. Ich frage mich immer, wie er hat zustimmen können...

– Zustimmen, ja, das ist das richtige Wort, Jacques, fiel Germain Paterne ein, indem er die Asche aus seiner Pfeife klopfte. Ja wohl, zustimmen, [138] denn es liegt auf der Hand, daß der junge Mann den Gedanken an diese Reise angeregt und daß er seinen Onkel dazu verführt hat. Doch nein, der Brummbär ist sein Onkel gar nicht, denn ich glaube mich zu erinnern, daß der Oberst von Kermor, als er aus Nantes verschwand, gar kein Kind hatte.

– Als er Nantes wohin verließ?

– Darüber hat man nie etwas gehört.

– Außer daß sein Sohn uns von dem letzten, in San-Fernando geschriebenen Briefe gesprochen hat. Wenn sie freilich auf eine so unzuverlässige Andeutung hin abgereist sind...

– Nun, sie hoffen ja in San-Fernando weitere Nachrichten erhalten zu können, der Oberst hat sich daselbst vor zwölf bis dreizehn Jahren doch bestimmt einmal aufgehalten.

– Das ist es eben, was mir Sorge macht, Germain. Erhält der junge Mann in San-Fernando weitere Mittheilungen, so wird er wahrscheinlich noch weiter... sehr weit... entweder nach Columbien oder durch die Flußgebiete des Atabapo oder des Guaviare, vielleicht auch bis nach den Quellen des Orinoco hinausgehen wollen. Ein solches Wagniß müßte doch zu einem sichern Untergange führen.«

Da unterbrach Germain Paterne seinen Genossen und sagte halblaut:

»Hörst Du nichts, Jacques?«

Dieser erhob sich, ging lautlos nach dem Vordertheil der Pirogue und lauschte, während er die Wasserfläche vom jenseitigen Ufer bis zur Mündung des Meta überblickte.

»Ich sehe nichts, sagte er zu Germain, der ihm gefolgt war. Und doch... ja, setzte er nach nochmaligem scharfen Aufpassen hinzu, mir scheint ein Geräusch vom Wasser her zu kommen.

– Sollten wir nicht die Schiffsleute wecken?

– Warte noch!... Das scheint mir gar nicht das Geräusch von einem sich nähernden Boote zu sein. Vielleicht sind es nur die Fluthen des Meta und des Orinoco, die an ihrer Vereinigungsstelle einen gurgelnden Ton erzeugen.

– Achtung! Sieh da... da draußen!« fügte Germain Paterne hinzu.

Er wies dabei nach einigen schwarzen Punkten hin, die sich wenige Schritte flußabwärts von den Falcas bewegten.

Jacques Helloch ergriff das Gewehr, das am Deckhaus lehnte, und beugte sich über den Bordrand hinaus.

[139] »Ein Boot ist es nicht, sagte er, und doch, mir scheint, ich sehe...«

Er legte schon die Waffe an, als Germain Paterne ihn zurückhielt.

»Schieße nicht!... Schieße nicht! raunte er ihm zu. Hier ist von keinen auf Raub ausziehenden Quivas die Rede!... Das sind nur ehrliche Amphibien, die an der Wasseroberfläche Luft schnappen wollen.

– Amphibien?

– Ja, drei oder vier von den Lamantins und Toninos, die im Orinoco so häufig vorkommen!«

Germain Paterne täuschte sich hiermit nicht. Es handelte sich hier nur um einige Pärchen von Lamantins (Wasserkühen) und Toninos (Wasserschweinen), die sich in den größeren und kleineren Flüssen Venezuelas aufhalten.

Die völlig harmlosen Amphibien näherten sich langsam den Piroguen, verschwanden aber, wahrscheinlich erschreckt, als sie fast heran waren.

Die beiden jungen Leute nahmen ihren Platz auf dem Hintertheile wieder ein, und dann ging das kurze Zeit unterbrochene Gespräch wieder weiter, nachdem Germain Paterne seine Pfeife nochmals in Brand gesetzt hatte.

»Du sagtest eben, begann Jacques Helloch, daß der Oberst von Kermor, wenn Du Dich recht erinnerst, keine weitere Familie gehabt habe.

– Das glaub' ich versichern zu können... Doch halt, da kommt mir etwas in den Sinn. Es schwebte einmal ein Proceß, der von einem Verwandten seiner Gattin angestrengt war, ein Proceß, den der Oberst beim Appellationsgericht in Rennes gewann, nachdem er ihn in unterer Instanz in Nantes verloren hatte. Ja, ja, dessen erinnre ich mich jetzt. Vier bis fünf Jahre später war Frau von Kermor, eine Kreolin von Martinique, auf der Rückkehr von den französischen Colonien bei einem Schiffbruche umgekommen... und zwar mit ihrer einzigen Tochter. Das war ein harter Schlag für den Oberst. Nach langer Krankheit, nach dem Verluste Aller, die seinem Herzen am theuersten waren – seiner Gattin und seines Kindes – und nun ohne weitere Familie, nahm er, wie ich Dir schon sagte, seinen Abschied. Kurze Zeit darauf verbreitete sich das Gerücht, daß er Frankreich verlassen habe. Niemals war dann etwas davon laut geworden, nach welchem Lande er sich gewendet haben mochte, bis der an einen seiner Freunde gerichtete Brief aus San-Fernando eintraf. Ja, so war es; ich wundre mich, daß ich mich nicht eher darauf besonnen habe. Wenn wir den Sergeanten Martial und den jungen Kermor darüber fragten, würden sie das jedenfalls bestätigen.

[140] – Die wollen wir nicht darum befragen, antwortete Jacques Helloch, das sind Privatangelegenheiten, und es wäre von uns indiscret, sich da hineinmischen zu wollen.

– Du magst recht haben, Jacques, Du wirst aber zugeben, daß ich auch recht hatte mit der Behauptung, daß der Sergeant Martial der Onkel Jean von Kermor's nicht sein könne, da der Oberst von Kermor nach dem Ableben seiner Frau keine näheren Verwandten hatte.«

Mit gesenktem Kopfe und gekreuzten Armen dachte Jacques Helloch über das nach, was sein Genosse ihm mitgetheilt hatte. Dieser konnte damit gar keinem Irrthum verfallen sein. Er wohnte ja in Rennes, als der Proceß des Oberst von Kermor am dortigen Appellationsgerichte verhandelt wurde, und die im Vorhergehenden erwähnten Thatsachen waren im Laufe des Processes an den Tag gekommen.

Da kam ihm ein Gedanke, der wohl unsern freundlichen Lesern auch schon aufgestiegen sein mochte.

»Wenn der Sergeant Martial kein Verwandter ist, sagte er, so kann Jean auch nicht der Sohn des Oberst von Kermor sein, da dieser nur eine Tochter hatte, die noch ganz klein bei dem Schiffbruche mit umgekommen war, der ihrer Mutter das Leben kostete.

– Das liegt auf der Hand, erklärte Germain Paterne, es ist unmöglich, daß der junge Mann der Sohn des Oberst wäre...

– Und doch behauptet er das,« setzte Jacques Helloch hinzu.

Hier lag offenbar ein dunkler, ja ein geheimnißvoller Punkt vor. Konnte man annehmen, daß der junge Mann selbst das Opfer einer Täuschung wäre – einer Täuschung, die ihn in so ein gefahrvolles Unternehmen gestürzt hätte?... Nein, das gewiß nicht. Der Sergeant Martial und sein angeblicher Neffe mußten sich, bezüglich des Oberst von Kermor und der Bande, die Jean mit diesem verknüpften, auf Grundlagen stützen, die mit dem, was Germain Paterne wußte, in Widerspruch standen.

Das Interesse Jacques Helloch's nahm übrigens noch mehr zu, je mehr er sich hier einer unaufgeklärten Sache gegenüber sah.

Die beiden Freunde unterhielten sich über dieses Thema bis zu dem Augenblicke wo die Herren Miguel und Felipe, die den hartköpfigen Vertreter des Guaviare schlafen ließen, zur Uebernahme des Wachpostens erschienen.

[141] »Sie haben nichts Verdächtiges bemerkt? fragte Herr Miguel, der auf dem Hintertheil der »Maripare« stand.

– Nicht das Geringste, Herr Miguel, antwortete Jacques Helloch. Strom und Ufer sind vollkommen ruhig...

– Und voraussichtlich wird Ihre Wache ebensowenig gestört werden, wie die unsre, fügte Germain Paterne hinzu.

– Dann also, gute Nacht, meine Herren!« erwiderte Herr Felipe, indem er ihnen von Bord zu Bord die Hände drückte.

Wenn Herr Miguel und sein College die wenigen Stunden, die sie jetzt vor sich hatten, gleichfalls verplauderten, so bezog sich ihr Gespräch doch gewiß nicht auf denselben Gegenstand, wie das der beiden Franzosen. Herr Felipe benutzte jedenfalls die Nichtanwesenheit des Herrn Varinas, um die Bedeutung der Argumente, die dieser für seine Anschauungen betonte, in ihrer Leerheit zu zeigen, und Herr Miguel hörte ihm jedenfalls mit gewohnter Gutmüthigkeit zu.

Kurz, es ereignete sich auch nichts Besonderes bis zur Zeit, wo sie um zwei Uhr nach dem Deckhause der »Maripare« zurückkehrten, als der Sergeant Martial zum Antritt seiner Wache erschienen war.

Das Gewehr an der Seite, machte sich dieser einen Platz auf dem Hintertheil der Pirogue zurecht und begann über mancherlei nachzudenken. Niemals war er bis jetzt von so großer Unruhe erfüllt gewesen – nicht um seiner selbst, sondern um des Kindes willen, das da im Deckhause schlummerte. Er vergegenwärtigte sich noch einmal alle Einzelheiten dieser von Jean unternommenen Reise, bei der er dessen Wunsche hatte nachgeben müssen, die Abreise von Europa, die Ueberfahrt über den Atlantischen Ocean, die verschiedenen Zufälle, die sich ereigneten, seit sie Ciudad-Bolivar verlassen hatten... Er überdachte, wohin sie jetzt gingen und wie weit ihre Nachforschungen sie noch führen könnten, welche Nachrichten sie vielleicht in San-Fernando erhielten, an welchem weltfernen Orte der Oberst von Kermor sich befinden möge, um ein Leben abzuschließen, das so glückverheißend begonnen hatte und durch so schreckliche Schicksalsschläge zerstört worden war. Welchen Gefahren würde das einzige Wesen, das ihm auf Erden noch gehörte, ausgesetzt sein? Bisher war die Sache auch gar nicht nach dem Wunsche des Sergeanten Martial gegangen, der immer erwartet hatte, daß sie auf der Reise allein bleiben und mit keinem Fremden in nähere Berührung kommen würden. Jetzt waren zuerst die »Maripare« und die »Gallinetta« zusammengefahren. Die Passagiere der ersteren waren mit seinem angeblichen [142] Neffen in näheren Verkehr getreten, wie das ja unter Leuten, die unter denselben Verhältnissen reisen, kaum zu umgehen ist. Zweitens, und das konnte noch ernstere Folgen und Gründe haben, die nur ihm bekannt waren, hatte ihnen das Mißgeschick auch noch die beiden Franzosen in den Weg geführt. Wie hätte er da alle sich entwickelnden näheren Beziehungen zwischen Landsleuten verhindern, ihnen das lebhafte Interesse für die von Jean verfolgte Absicht nehmen und ihre Dienste ablehnen sollen? Obendrein waren es ja Bretonen wie sie selbst. Wahrlich, der Zufall ist merkwürdig indiscret und mischt sich oft in Dinge ein, die ihn gar nichts angehen.

Da ließ sich von Osten her ein leichtes rhythmisches Geräusch vernehmen, das allmählich deutlich hörbar wurde.

Der in Gedanken versunkene Sergeant Martial bemerkte anfänglich gar nichts, ebensowenig sah er viel kleine Boote, die in der Strömung des Meta am rechten Ufer dahinglitten. Von Pagaien angetrieben, konnten sie sich auch stromaufwärts den Falcas nähern.

Von etwa zwanzig Quivas bemannt, waren die Curiares nur noch zweihundert Meter von den Piroguen entfernt, und wenn deren Passagiere im Schlafe überfallen wurden, konnten sie niedergemacht werden, ohne überhaupt Zeit zur Vertheidigung zu finden, da der Sergeant Martial in seiner Zerstreutheit nichts hörte, nichts sah.

Plötzlich, als die Falcas und die Curiares nur noch durch einen Zwischenraum von höchstens sechzig Fuß von einander getrennt waren, krachte ein Schuß.

Gleich darauf vernahm man einen Aufschrei vom Bord des nächsten Bootes.

Jacques Helloch war es gewesen, der Feuer gegeben hatte, und sofort blitzte auch ein Schuß aus dem Gewehre Germain Paterne's.

Die beiden jungen Männer waren – es war gegen fünf Uhr und der Tag begann zu grauen – wieder erwacht, als das Geräusch von Pagaien an ihr Ohr schlug. Nach dem Hintertheil der »Moriche« schlüpfend, erkannten sie den ihnen drohenden Angriff und hatten ihre Gewehre auf die Curiares abgefeuert.

Auf den Knall der Schüsse hin waren die Passagiere und die Mannschaften sofort aufgesprungen.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas stürzten mit dem Gewehre in der Hand aus dem Deckhause der »Maripare«.

[143] Jean tauchte zur Seite des Sergeanten Martial auf, der jetzt ebenfalls auf die Boote schoß und verzweifelt rief:

»Ueber das Unglück... das Unglück... mich überraschen zu lassen!«

Die Quivas blieben zunächst die Antwort nicht schuldig, und gegen zwanzig Pfeile schwirrten über die Piroguen hin. Einige bohrten sich in das Dach der Deckhäuser ein, Personen wurden aber nicht davon getroffen.

Herr Miguel und die Uebrigen gaben eine zweite Salve ab, und die ihr Ziel besser als die Pfeile erreichenden Kugeln richteten unter den Quivas nicht geringes Unheil an.

»Gehen Sie ins Haus zurück, Jean, zurück ins Deckhaus! rief da Jacques Helloch, der es für zwecklos fand, daß der junge Mann sich diesem Angriffe aussetzte.

Da flog eine weitere Anzahl Pfeile heran, wovon einer den Sergeanten Martial an der Schulter verletzte.

»Gut gemacht!... Habt Eure Sache gut gemacht, rief er... ein Soldat... und während seiner Wache... es geschieht mir ganz recht!«

Jetzt krachte eine dritte Salve aus Gewehren und Revolvern gegen die Curiares, die den Piroguen gegenüber vorbeiglitten.

Den Quivas, denen es nicht gelungen war, die Passagiere und die Mannschaften zu überrumpeln, blieb nichts anders übrig, als eilig zu entfliehen. Mehrere von ihnen waren tödlich getroffen, und andre hatten wenigstens schwere Verwundungen erhalten.

Der Ueberfall war fehlgeschlagen und die Curiares verschwanden flußabwärts auf dem Orinoco.

11. Capitel
Elftes Capitel.
Rast im Dorfe Atures.

Am ersten September um sechs Uhr morgens verließen die Falcas diese gefährlichen Gegenden. Passagiere und Mannschaft waren einem Gemetzel entgangen, wie bei einem solchen schon so viele andre Reisende jenen blutdürstigen Stämmen zum Opfer gefallen waren.

[144] [147]Herr Miguel meinte, nachdem der Congreß einmal beschlossen habe, dem schrecklichen Unwesen der Quivas zu steuern, sei es auch hohe Zeit, mit ernsten Maßregeln dagegen vorzugehen.

»Es geschieht mir ganz recht,« hatte der Sergeant Martial gerufen, als er den Pfeil, der ihm in der Schulter saß, herauszog.

Weit mehr als die Wunde schmerzten ihn die Vorwürfe, die er sich machte, während seiner Wache mehr an die Vergangenheit als, was weit nothwendiger gewesen wäre, an die Gegenwart gedacht zu haben.

Zum Glück hatte seine Nachlässigkeit niemand das Leben gekostet, nur er, der Soldat, der sich hatte überraschen lassen, trug bei dem Scharmützel eine Wunde davon, doch auch diese – so hofften Alle – würde ja keine tödliche sein.


Herr Miguel und die Uebrigen gaben eine zweite Salve ab. (S. 144.)

Sobald die Boote der Quivas außer Sehweite waren, erhielt der Sergeant Martial, der nun auf seinem Nachtlager im Deckhause ausgestreckt lag, von Jean die erste Hilfe. Es genügt aber nicht, der Neffe seines Onkels zu sein und sich die möglichste Mühe zu geben, um in solchem Falle wirksam eingreifen zu können. Dazu gehören auch einige medicinische Kenntnisse, und die besaß der junge Mann leider nicht.

Es traf sich daher recht glücklich, daß Germain Paterne bei seinen naturwissenschaftlichen Studien sich auch etwas mit Heilkunde beschäftigt hatte, und daß sich auf der »Moriche« eine Reiseapotheke vorfand. Germain Paterne beeilte sich also, dem Sergeanten Martial die so nöthige sachverständige Hilfe zu bringen, und es wird niemand wundern, daß Jacques Helloch es sich nicht nehmen ließ, ihn dabei eifrig zu unterstützen.

In Folge dessen zählte die »Gallinetta« in den ersten Stunden der weiteren Fahrt zwei Passagiere mehr als vorher, und diese beobachteten mit aufrichtiger Rührung, wie liebevoll Jean von Kermor den alten Soldaten pflegte.

Bei genauerer Untersuchung der Wunde erkannte Jean Paterne, daß die Pfeilspitze drei Centimeter tief, doch so schräg in die Schulter eingedrungen war, daß sie keinen Muskel und keinen größeren Nerven getroffen und nur die Haut und das Unterhautzellgewebe verletzt hatte. Allem Anscheine nach war also nicht zu fürchten, daß die Wunde ernsthaftere Folgen haben könne, vorausgesetzt freilich, daß der Pfeil nicht vergiftet war.

Die Indianer des Orinoco benetzen die Spitze ihrer Pfeile aber sehr häufig mit dem unter dem Namen Curare bekannten Safte. Dieser besteht aus [147] einer Mischung des Saftes der Mavacare, einer Liane aus der Familie der Strychnosarten, mit einigen Tropfen Schlangengift. Die schwärzliche, wie eingedickter Süßholzsaft glänzende Flüssigkeit ist bei den Eingebornen vielfach in Gebrauch. Humboldt hat sogar berichtet, daß die Otomaken (-Indianer) sich früher den Nagel des Zeigefingers damit einrieben und schon durch einen kräftigen Händedruck einen Andern vergiften konnten.

War der Sergeant Martial nun von einem mit Curare vergifteten Pfeile getroffen worden, so mußte sich das bald genug zeigen. Der Verwundete wurde dann zuerst die Stimme und darauf jede Beweglichkeit der Glieder, des Gesichts und des Brustkastens verlieren – ein Zustand, bei dem das klare Bewußtsein bis zu dem nicht abwendbaren tödlichen Ausgange bestehen bliebe.

Jetzt galt es also zu beobachten, ob sich solche Erscheinungen im Laufe der nächsten Stunden einstellten.

Der Sergeant mußte Germain Paterne, der ihn verbunden hatte, wohl oder übel seinen Dank aussprechen, obwohl er innerlich grollte bei dem Gedanken, daß nun erst recht vertrautere Beziehungen zwischen den beiden Piroguen entstehen würden. Dann versank er in eine Art lethargischer Betäubung, die seine Reisegefährten nicht wenig beunruhigte.

Da wendete sich der junge Mann an Germain Paterne.

»Erscheint Ihnen sein Zustand bedenklich oder nicht? fragte er.

– Darüber kann ich mir noch nicht schlüssig werden, antwortete dieser. Es handelt sich ja eigentlich nur um eine unbedeutende Wunde, die sich wohl ganz von selbst wieder geschlossen hätte, wenn... ja, wenn sie nicht etwa von einem vergifteten Pfeile herrührt. Zunächst heißt es: abwarten; wir werden uns bald in dieser Hinsicht klar sein.

– Mein lieber Jean, mischte jetzt Jacques Helloch sich ein, hoffen Sie das Beste! Der Sergeant Martial wird wieder und wird auch bald genesen. Wäre hier Curare mit im Spiel, so glaub' ich, würde der Fall schon ganz anders aussehen.

– Das ist auch meine Meinung, bestätigte Germain Paterne. Sobald ich den Verband wechsle, werden wir wissen, woran wir sind, und Ihr Onkel... der Sergeant Martial, wollt' ich sagen...

– O, Gott schütze und erhalte ihn! flüsterte der junge Mann, dem eine Thräne aus den Augen perlte.

[148] – Ja, lieber Jean, sagte Jacques Helloch tröstend, Gott wird ihn erhalten! Die Pflege, die Sie und wir ihm angedeihen lassen wird den alten Soldaten heilen. Ich wiederhole Ihnen, hoffen Sie das Beste!«

Damit drückte er Jean von Kermor die Hand, die in der seinen zitterte.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas erhielten, da die drei Falcas bei frischer Nordostbrise in gleicher Frontlinie dahinsegelten, bald Mittheilungen über den Verletzten und hegten auch die Hoffnung, daß er wieder aufkommen werde.

Die Quivas benutzten allerdings häufig Curare zur Vergiftung ihrer Pfeile und der Bolzen ihrer Sarbacanes (Blaserohre), eine beständige Gewohnheit war das aber immerhin nicht. Die Bereitung dieses Giftes kann nur durch »Specialisten« erfolgen – wenn diese Bezeichnung, wo es sich um wilde Eingeborne handelt, gestattet ist – und es ist nicht immer leicht, sich dieser »Praktiker« der Savannen zu bedienen. Es lag hier also die Wahrscheinlichkeit vor, daß die Sache keinen übeln Ausgang nähme.

Sollte der Zustand des Sergeanten Martial aber wider Erwarten mehrtägige Ruhe und diese unter günstigeren Umständen erheischen, als sich solche an Bord der »Gallinetta« fanden, so war es leicht, beim Dorfe Atures, sechzig Kilometer oberhalb der Mündung des Meta, Aufenthalt zu nehmen.

Dort mußten die Reisenden so wie so eine Woche still liegen, bis ihre Piroguen, die sie verlassen mußten, die zahlreichen Stromschnellen in diesem Theile des Orinoco überwunden hatten. Da der Wind noch immer günstig blieb, durften sie wohl erwarten, das Dorf Atures im Laufe des nächsten Tages zu erreichen.

Die Segel wurden so eingestellt, daß sie die Kraft des Windes am vortheilhaftesten ausnutzten, und wenn dieser in gleicher Weise anhielt, mußten die Falcas gegen Abend die größere Hälfte des Weges zurückgelegt haben.

Am Vormittage kamen Jacques Helloch und Germain Paterne noch drei- oder viermal, um den Zustand des Sergeanten Martial zu beobachten.

Die Athmung des Verwundeten war gut, sein Schlaf tief und ruhig.

Nachmittag gegen ein Uhr, als der Sergeant erwachte, erkannte er sogleich den jungen Mann und begrüßte ihn mit freundlichem Lächeln. Als er freilich die beiden Franzosen neben ihm sah, konnte er nicht umhin, das Gesicht etwas zu verziehen.

»Haben Sie noch viel zu leiden? fragte ihn Germain Paterne.

[149] – Ich... Herr Paterne, erwiderte der Sergeant Martial, als ob er sich durch eine solche Frage gekränkt fühlte, nicht im mindesten! Pah, eine einfache Rißwunde... eine Schramme! Denken Sie denn, ich hätte die Haut eines kleinen Mädchens?... Morgen ist gar nichts mehr davon zu sehen, und ich könnte Sie bequem wieder auf der Schulter forttragen. Uebrigens möcht' ich aufstehen...

– Nein, Sie bleiben noch ruhig liegen, Sergeant, erklärte Jacques Helloch, das ist vom Arzte verordnet.

– Lieber Onkel, redete auch der junge Mann dem Verletzten zu, Du mußt der Anordnung schon nachkommen, und binnen kurzem wirst Du den Herren hier für Ihre freundliche Hilfe nur danken können.

– Schon gut, schon gut!« murmelte der Sergeant Martial knurrend, wie eine Dogge, die von einem Kläffer angebellt wird.

Germain Paterne legte nun einen frischen Verband an und erklärte bestimmt, daß keine Wundvergiftung vorliege. Im andern Falle hätte das Gift seine Wirkung bereits äußern müssen. Körperlich, wenn auch nicht geistig, wäre der Verletzte jetzt schon einer weitverbreiteten Lähmung verfallen gewesen.

»Na, Sergeant, die Sache geht ja nach Wunsch, versicherte Germain Paterne.

– Und in ein paar Tagen wird Alles vorüber sein!« setzte Jacques Helloch hinzu.

Als Beide dann nach ihrer Bord an Bord mit der »Gallinetta« segelnden Pirogue zurückgekehrt waren, machte der Sergeant Martial seinem verhaltenen Ingrimm Luft.

»Das hat mir blos noch gefehlt! brummte er. Nun haben wir sie gleich immer hier auf dem Halse... die beiden Franzosen...

– Ja, bester Onkel, antwortete Jean, um ihn zu beruhigen, da hättest Du Dich freilich nicht verwunden lassen dürfen.

– Nein, alle Wetter, das wäre nicht nöthig gewesen... an der ganzen dummen Geschichte bin ich nur schuld... ich, ein Recrut von acht Tagen... ein Nichtsnutz... der nicht einmal seinen Wachdienst ordentlich zu thun weiß!«

Als die Dämmerung anfing, die Ufer des Stromes zu verhüllen, langten die Piroguen an der Barre von Vivoral an, wo sie für die Nacht Schutz suchen sollten. Schon vernahm man von ferne das verschwommene Rauschen der Raudals von Atures.

[150] Da noch immer ein Ueberfall durch Quivas zu befürchten war, wurden die schärfsten Vorsichtsmaßregeln getroffen. Der Schiffer Valdez ließ seine Leute ihr Lager nicht aufsuchen, ohne vorher einige davon bezeichnet zu haben, die während der ersten Nachtstunden wachen sollten. Dasselbe wurde von Martos und Parchal auf den beiden andern Falcas angeordnet. Außerdem besichtigte man die Waffen, die Gewehre und die Revolver und lud sie von neuem.

Die Stille der Nacht wurde indeß durch keinen Alarm unterbrochen, und der Sergeant Martial konnte ungestört bis früh schlafen. Beim Verbandwechsel am Morgen konnte Germain Paterne die Erklärung abgeben, daß die Wunde in der Heilung begriffen sei und nach wenigen Tagen vernarbt sein werde. Irgendwelche Folgen von Curare waren nicht mehr zu fürchten.

Das Wetter blieb klar, die Brise frisch und günstig. In der Ferne erhoben sich längs beider Ufer die Berge, die durch die Stromverengerung die Raudals von Atures erzeugen.

Hier theilte die Insel Vivoral den Strom in zwei Arme, durch die wüthende Stromschnellen herabbrausten. Gewöhnlich, bei niedrigerem Wasserstande, starren Felsblöcke in dem Bette hervor, und man kommt unmöglich hindurch, ohne Fracht und Gepäck bis zum Ende der Insel über Land hinschaffen zu lassen.

Dieses langwierige Verfahren war diesmal nicht nöthig, und die Piroguen konnten, mittelst Espilla längs des Uferrandes hingetrieben, bis zur stromaufwärts weisenden Spitze der Insel gelangen. Hiermit waren mehrere Stunden gewonnen und die Segelfahrt konnte in gewohnter Weise fortgesetzt werden, als die Sonne am Horizont um wenige Grade über den Cerros des Cataniapo am rechten Ufer aufgestiegen war.

Am Vormittage konnte man sich bequem längs des Steilufers am Fuße der Cerros halten, und gegen Mittag legten die Falcas an dem kleinen Dorfe Puerto Real an. Ein etwas zu vornehmer Name für einen Flußhafen, um den nur wenige, kaum bewohnte Strohhütten verstreut sind.


Die Pfeilspitze war in die Schulter eingedrungen. (S. 147.)

Hier beginnt nun gewöhnlich der Landtransport aller Frachtstücke der Fahrzeuge bis zu dem fünf Kilometer weiter oben gelegenen Dorfe Atures. Die Guaharibos erspähten auch eifrig die Gelegenheit, einige Piaster zu verdienen. Als man mit ihnen handelseins geworden war, nahmen sie die Gepäckstücke auf den Rücken, die Passagiere aber folgten ihnen und überließen den Schiffsleuten [151] die schwere Aufgabe, ihre Piroguen am Zugseile über die Stromschnellen hinwegzuschaffen.

Das Raudal hier bildet einen schluchtartigen Gang von zehn Kilometer Länge, der aus den terrassenförmig abfallenden Uferfelsen ausgebrochen zu sein scheint. Die starke Neigung seines Grundes vermehrt neben der Beschränktheit des Bettes das Herabtosen der Fluthen nur noch weiter, und außerdem hat ihnen die Natur keinen freien Durchfluß gewährt. Das nach Humboldt's Ausspruch »treppenförmige« Bett des Stromes ist von quer verlaufenden Erhöhungen [152] unterbrochen, die den Stromschnellen fast den Charakter von Wasserfällen verleihen. Ueberall tauchen darin mit Grün bedeckte Klippen auf, Felsblöcke, die fast Kugelgestalt aufweisen und sich nur unter Aufhebung der Gesetze des Gleichgewichts an ihrer Stelle halten zu können scheinen. Der Niveauunterschied des Wassers vor und nach diesem Hinderniß beträgt volle neun Meter. Ueber die von einer Stufe zur andern brodelnden Fälle, zwischen den da und dort verstreuten Felsblöcken hindurch und über die Untiefen, die gelegentlich auch ihre Stelle wechseln, müssen also die Fahrzeuge aufgeholt werden.


Bisweilen erweckte eine Pflanze sein besondres Interesse. (S. 155.)

Es giebt hier [153] einen wirklichen Schleppzug auf granitnem Leinpfade, und wenn die Arbeit nicht durch die Witterungsverhältnisse unterstützt wird, erfordert sie viele Zeit und große Anstrengung.

Natürlich macht es sich dabei in erster Linie nöthig, die Fahrzeuge möglichst zu entlasten. Die Randals hier könnte sonst niemand passieren, ohne sich dem Verlust seiner gesammten Ladung auszusetzen. Es ist schon überraschend genug, daß die Fahrzeuge leer über diese gefährlichen Stellen hinwegkommen, und sicherlich würden die meisten sinken oder zerstört werden, wenn die Schiffsleute, die hier »zu Hause« sind, sie nicht mit erstaunlicher Gewandtheit durch die schäumenden Wirbel zu leiten verständen.

Die drei Piroguen wurden also entladen und gleichzeitig die Verhandlungen mit den Guaharibos wegen des Ueberlandtransportes der Colli bis zum Dorfe Atures fortgeführt. Die Entlohnung, die diese verlangen, wird gewöhnlich mit Stoffen, allerlei Kurzwaaren, Cigarren, Branntwein und dergleichen bezahlt. Sie nehmen aber ebenso gern baare Zahlung in Piastern an, und im vorliegenden Falle schienen sie mit dem gewährten Preise recht zufrieden zu sein.

Es versteht sich von selbst, daß Passagiere ihr Reisegepäck diesen Indianern niemals allein überlassen, um es erst im Dorfe Atures wieder in Empfang zu nehmen. Die Guaharibos verdienen ein so weit gehendes Vertrauen keineswegs, und es empfiehlt sich immer, ihre Ehrlichkeit nicht erst auf die Probe zu stellen. Deshalb marschieren sie also, wie auch im vorliegenden Falle, meist zugleich mit den Reisenden am Ufer dahin.

Da die Entfernung von Puerto Real bis zum Dorfe Atures nur fünf Kilometer beträgt, hätte die Strecke binnen wenigen Stunden zurückgelegt werden können, selbst mit dem umfänglichen Material, mit den Geräthen, Decken, Reisesäcken, Kleidern, Waffen, der Munition, den Beobachtungsinstrumenten Jacques Helloch's, den Herbarien und photographischen Apparaten Germain Paterne's. Das Alles machte keine eigentlichen Schwierigkeiten; es fragte sich aber, ob der Sergeant Martial werde die Wegstrecke zu Fuß zurücklegen können, oder ob er nicht etwa auf einer Tragbahre bis zum Dorfe geschafft werden müßte.

Doch nein, der alte Soldat war ja kein kleines Mädchen, wie er wiederholt aussprach, und ein Verband an der Schulter hinderte ihn noch lange nicht, einen Fuß vor den andern zu setzen. Schmerzen verursachte ihm seine Verletzung gar nicht mehr, und als Jacques Helloch ihm den Arm anbot, antwortete er:

[154] »Ich danke sehr, Herr Helloch, ich werde schon mit Schritt halten und brauche niemand zur Hilfe«

Ein Blick des jungen Mannes auf Jacques Helloch belehrte diesen, daß es besser sei, dem Sergeanten Martial nicht zu widersprechen, auch nicht dadurch, daß man ihm andre Gefälligkeiten anbot.

Die kleine Gesellschaft verabschiedete sich also von den Schiffsleuten, die die Falcas durch die Wirbel der Stromschnellen bugsieren sollten. Die Schiffer Valdez, Martos und Parchal versicherten, daß sie sich der größten Eile befleißigen würden, und auf ihr Wort war wohl zu bauen.

So verließen die Passagiere Puerto Real gegen elfeinhalb Uhr morgens.

Es war nicht nöthig, zu scharf auszuschreiten, wenn der Sergeant Martial sich auch dazu bereit erklärt hatte. Da Jacques Helloch und seine Gefährten schon gefrühstückt hatten, konnten sie gemächlich bis zum Dorfe Atures wandern und trafen dann noch immer zur Zeit des Mittagessens ein.

Die Straße, oder vielmehr der Fußpfad, verlief am rechten Ufer des Stromes, was ein Uebersetzen des letzteren ersparte, da das Dorf auf dem gleichen Ufer lag. Zur Linken erhob sich der schroffe Abhang der Cerros, deren Kette sich bis oberhalb der Raudals fortsetzt. Zuweilen war der Weg so schmal, daß nur eine Person darauf Platz hatte und die kleine Truppe hintereinander marschieren mußte.

Die Guaharibos gingen einige Schritte den Uebrigen voran. Nach ihnen kam Herr Miguel und seine beiden Collegen und darauf Jacques Helloch, Jean von Kermor und der Sergeant Martal. Germain Paterne bildete den Nachtrab.

Wenn die Breite des Pfades es gestattete, ging man auch zu Zweien oder Dreien nebeneinander, und dann marschierten der junge Mann, der Sergeant Martial und Jacques Helloch miteinander hin.

Offenbar waren Jacques Helloch und Jean ein Paar Freunde geworden, und wer hätte das, außer wenn er ein alter Querkopf war, mit scheelen Augen ansehen können?

Bisweilen blieb Germain Paterne, der seine kostbare Botanisiertrommel auf dem Rücken trug, stehen, wenn eine Pflanze sein besondres Interesse erregte. Die Andern kamen ihm dann ein Stück voraus und riefen ihm oft laut genug zu, sich mehr zu beeilen, was ihn aber nicht hinderte, seiner Lieblingsbeschäftigung weiter nachzugehen.

[155] An Ausübung der Jagd war unter vorliegenden Umständen kaum zu denken, wenn sich nicht etwa die Möglichkeit bot, in einzelnen Schluchten der Cerros ein Stück hinaufklimmen zu können.

Das war thatsächlich einmal der Fall... zur großen Befriedigung des Herrn Miguel, doch zum großen Nachtheil eines Heulaffen, des ersten, der von ihm erlegt wurde.

»Alle Achtung, Herr Miguel, und meinen aufrichtigen Glückwunsch! rief Jacques Helloch, als einer der Guaharibos das geschossne Thier geholt hatte.

– Ich danke Ihnen, Herr Helloch, und verspreche gleichzeitig, daß das Fell dieses Affen bei meiner Rückkehr einen Platz im naturhistorischen Museum finden und mit der Aufschrift: »Erlegt von Herrn Miguel, Mitglied der geographischen Gesellschaft von Ciudad-Bolivar« versehen werden wird.

– Das ist auch nicht mehr als Recht, meinte Felipe.

– Armes Thier! rief Jean, als er den Affen, der mit der Schußwunde im Herzen auf der Erde lag, betrachtete.

- Arm... aber vortrefflich zum Verspeisen... sagt man, erwiderte Germain Paterne.

– Gewiß, mein Herr, versicherte Varinas, und heute Abend, wenn wir in Atures sind, werden Sie sich selbst davon überzeugen können; dieser Affe wird das beste Gericht unsrer Mahlzeit bilden.

– Grenzt das bei seiner Menschenähnlichkeit nicht bald an Anthropophagie? fragte Jacques Helloch scherzend.

– O, Herr Helloch! antwortete Jean. Zwischen einem Affen und einem Menschen...

– Ist der Unterschied gar nicht allzu groß! Nicht wahr, Sergeant?

– Ganz recht, Beide verstehen sich auf Grimassen!« antwortete Martial, der dafür gleichzeitig den Beweis lieferte.

Reichlich vertreten war hier auch das Federwild, wie Enten, Holztauben, nebst verschiedenen Wasservögeln, vorzüglich Pavas, einer Art Hühner von großer Flügelspannweite. Doch wenn es auch leicht gewesen wäre, davon viele zu erlegen, so hätte man sie doch nicht erlangen können, da sie in den Stromwirbel gefallen wären.

Er bietet wirklich einen merkwürdigen Anblick, dieser Orinoco, wenn seine schäumenden Fluthen sich durch das Raudal von Atures, vielleicht das längste und ungangbarste seines ganzen Verlaufs, hinabstürzen. Man vergegenwärtige [156] sich nur das betäubende Donnern der Katarakte, die Wasserstaubwolken über ihnen, die fortgerissenen Baumstämme, die die Strömung vom Ufer weggeschwemmt hat und die da und dort an die Felsblöcke anprallen, sowie das stellenweise überhängende Ufer, das jeden Augenblick herabzubrechen und den engen Fußpfad ganz zu versperren droht. Es erscheint wirklich wunderbar, wie die Piroguen hier durchkommen konnten, ohne sich die Seiten- oder Grundplanken abzureißen. Die Passagiere der »Gallinetta«, der »Moriche« und der »Maripare« konnten auch nur dann erst über das Schicksal ihrer Fahrzeuge beruhigt sein, wenn diese in den Hafen von Atures einliefen.

Die kleine Gesellschaft, deren Marsch weder durch einen sonstigen Zwischenfall, noch durch einen Unfall unterbrochen worden war, traf ein wenig nach zwei Uhr in dem Dorfe ein.

Zur Zeit war Atures noch dasselbe, wie es der französische Reisende fünf Jahre vorher gefunden hatte, und wie es ohne Zweifel bleiben wird, wenn man den Aussagen des Elisée Reclus über die Dörfer am mittleren Orinoco vertrauen darf. Ehe die Insassen der drei Piroguen nicht nach San-Fernando kamen, sollten sie überhaupt auf keine Ortschaft von einiger Bedeutung treffen. Weiter hinaus erstreckte sich dann eine halbe Wüstenei, selbst in dem ausgedehnten Becken des Rio Negro und des Amazonenstromes.

Sieben bis acht Hütten – das war ganz Atures, etwa dreißig Indianer seine ganze Bevölkerung. Hier widmen sich die Eingebornen noch der Viehzucht; stromaufwärts würde man dagegen vergebens Ilaneros suchen, die sich damit abgeben. Dort beobachtet man wohl noch Züge von Hornvieh, doch nur zur Zeit, wo die Herden von einem Weideplatz zum andern getrieben werden.

Herr Miguel und seine beiden Begleiter, der Sergeant Martial und Jean von Kermor, sowie Jacques Helloch und Germain Paterne mußten sich also die am wenigsten verfallenen Hütten aussuchen und sich darin so gut wie möglich einrichten.

Wenn das Dorf nun keinerlei Bequemlichkeiten bot und man die Deckhäuser der Piroguen hier recht schmerzlich vermißte, so hatte es doch einen höchst schätzenswerthen Vorzug... es gab hier keinen einzigen Muskito. Warum die unerträglichen Thiere fern blieben, wußte niemand und auch Germain Paterne vermochte es nicht zu erklären. Jedenfalls war der Sergeant Martial für diese Nacht aber seiner Aufgabe, den Neffen mit dem gewohnten Toldo zu umhüllen, seit längerer Zeit zum erstenmale enthoben.

[157] An Stelle der Muskitos gab es hier freilich viele Niguas oder Sandflöhe, von denen die Indianer am rechten Stromufer arg zu leiden haben.

Diese Eingebornen gehen ja stets barfuß, und die Stiche der Sandflöhe sind recht schmerzhaft. Die Insecten bohren sich unter die Haut ein und erregen eine starke Anschwellung der befallenen Theile. Man kann sie nur mittels einer seinen Spitze herausziehen, eine Operation, die immerhin ziemlich schwierig und schmerzhaft ist.

Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß beim gemeinschaftlichen Abendessen, das unter einer Baumgruppe eingenommen wurde, der von Herrn Miguel erlegte und saftig gedämpfte Heulasse als Hauptstück der Tafel figurierte.

»Nun, rief Herr Felipe, ist er nicht wie vom besten Koch zubereitet?

– Der Vierhänder ist ausgezeichnet, bestätigte Herr Miguel, er verdiente den Ehrenplatz auf einer europäischen Tafel.

– Das mein' ich auch, sagte Jacques Helloch, und wir sollten einige Dutzend solcher Burschen eigentlich an ein Pariser Restaurant schicken.

– Ja, warum sollten diese Thiere denn nicht so gut sein wie Kalb-, Rind- und Hammelfleisch, bemerkte Germain Paterne, da sie sich von den duftreichsten Pflanzen ernähren?

– Es ist nur sehr schwierig, ließ Herr Varinas sich vernehmen, ihnen auf bequeme Schußweite nahe zu kommen.

– Ja, davon können wir erzählen, antwortete Herr Miguel, denn dieser hier ist der erste...

– Der möglichst bald einen Nachfolger verdient, fiel Jacques Helloch ein. Da wir nun einmal einige Tage in diesem elenden Dorfe zubringen müssen, halt' ich es fürs Beste, auf die Affenjagd zu gehen. Sie schließen sich doch uns an, lieber Jean?

– Ich halte mich nicht für würdig, Sie zu begleiten, erwiderte der junge Mann mit einer dankenden Bewegung. Uebrigens würde es mein Onkel kaum zugeben... wenigstens nicht ohne ihn...

– Ganz gewiß werde ich es nicht erlauben, erklärte der Sergeant Martial, erfreut, durch die Antwort seines Neffen einer abschlägigen Erklärung gegenüber seinem Landsmann enthoben zu sein.

– Ja, warum aber, fragte Jacques Helloch, eine solche Jagd ist doch mit keiner Gefahr verknüpft?

[158] – Es ist immer gefährlich, sich in die Wälder hier zu wagen, die, wie ich annehme, nicht ausschließlich von Affen bevölkert sind, erwiderte der Sergeant Martial.

– Freilich, bestätigte Herr Felipe, zuweilen trifft man darin auf Bären...

– O, nur auf ganz sanftmüthige Bären, versicherte Germain Paterne, nur Ameisenbären, die keinem Menschen etwas zu Leide thun und sich schlecht und recht von Honig und von Fischen nähren.

– Und die Tiger... die Löwen... die Ocelote... verzehren die auch nur Honig? erwiderte der Sergeant Martial, entschlossen, sich von seiner Anschauung der Sache nicht abbringen zu lassen.

– Diese Raubthiere sind selten und in der Nähe von Dörfern kaum anzutreffen, während die Affen gern in der Umgebung von Wohnstätten umherschweifen, erklärte Herr Miguel.

– Uebrigens, ließ sich da Herr Varinas vernehmen, giebt es ein sehr einfaches Mittel, das vorzüglich in den Ansiedlungen am Orinoco benutzt wird, um Affen zu erbeuten, ohne sie zu verfolgen, ja ohne die eigne Hütte zu verlassen...

– Und das wäre? fragte Jean.

– Man stellt am Saume eines Waldes einige, am Erdboden gut befestigte Flaschenkürbisse mit einem Loche darin auf, das so groß ist, daß der Affe mit der offenen Hand gerade noch hindurch kann, nicht aber, wenn er sie geschlossen hat. In jeden Flaschenkürbis bringt man eine den Thieren besonders willkommene Frucht. Der Affe sieht sie oder wittert sie, sein Verlangen verlockt ihn, er steckt die Hand durch das Loch, ergreift die Frucht und ist, da er einerseits die Beute nicht wieder los lassen will und andrerseits die Hand doch nicht wieder herausziehen kann, einfach gefangen.

– Was, rief der Sergeant Martial, da käme ihm nicht der Gedanke, die Frucht fallen zu lassen?

– Nein, antwortete Herr Varinas, der Gedanke kommt ihm nicht!

– Und da sagt man noch, daß die Affen intelligente und schlaue Burschen wären!

– Gewiß, doch ihre Naschhaftigkeit trägt den Sieg über ihre Intelligenz davon, erklärte Herr Felipe.

– Diese lächerlichen Kerle!«

[159] Die Vierhänder, die sich in einer solchen Falle fangen lassen, verdienen gewiß diese Bezeichnung, und doch wird das von Herrn Varinas geschilderte Mittel in den Wäldern am Orinoco oft mit bestem Erfolge angewendet.

Jedenfalls handelte es sich hier darum, die Tage des Aufenthalts in Atures bis zum Eintreffen der Piroguen bestens auszunutzen. Der junge Mann konnte sogar mittheilen, daß sein Landsmann vor sechs Jahren hier hatte elf Tage lang warten müssen, ehe seine Falca das Raudal von Atures passieren konnte. Bei dem jetzigen ziemlich hohen Wasserstande erforderte das aber vielleicht weniger Zeit für die Piroguen, die am nämlichen Morgen von Puerto Real abgegangen waren.

Während ihres Verweilens hier begleiteten Jean von Kermor und der Sergeant Martial jedoch die drei Venezuolaner und die beiden Franzosen nicht, als diese die Umgebungen des Dorfes absuchten. Raubthiere zu erlegen, fanden die Jäger keine Gelegenheit, und die wenigen, die sie überhaupt sahen, machten keine Miene, sie anzugreifen. Nur ein Tapir wurde durch eine Kugel Jacques Helloch's verwundet, konnte aber noch flüchten, ehe ihn eine zweite erreichte, die ihn jedenfalls zu Boden gestreckt hätte.

Als Ersatz dafür konnten die Jäger Hirsche, Fluß-und Bisamschweine nach Belieben erlegen, um ihren Proviant zu vermehren. Was nicht frisch aufgezehrt wurde, ließ man dörren oder nach Indianermanier räuchern, um für den Rest der Fahrt hinreichenden Fleischvorrath zu haben.

Gelegentlich dehnten die Herren Miguel, Varinas und Felipe, in Gesellschaft Jacques Helloch's und Germain Paterne's, ihre Ausflüge auch weiter aus, so bis zu den noch auf dem Gebiete von Atures liegenden berühmten Grotten bei Punta Cerro, nach der Insel Cucuritale, die noch Spuren von der Anwesenheit des unglücklichen Doctor Crevaux aufweist, oder nach dem Cerro von Los Muertos, dessen Höhlen den Piaroa-Indianern als Begräbnißplätze dienen. Herr Miguel und seine Gefährten drangen sogar gegen zwölf Kilometer nach Südosten vor, um den Cerro Pintado zu besuchen. Dieser besteht aus einem zweihundertfünfzig Meter hohen Porphyrblocke, den die Indianer etwa in der Mitte mit riesenhaften Inschriften und mit Zeichnungen, die einen Scotopender (Tausendfuß), einen Menschen, einen großen Vogel und eine fast dreihundert Meter lange Schlange darstellen, gewiß in recht mühseliger Weise verziert haben.

Germain Paterne hätte gewiß lieber einige seltene Pflanzen am Fuße des »Bemalten Berges« – es sollte richtiger »Gravierten Berges« heißen – [160] gesammelt, zu seinem großen Leidwesen blieb aber alles Suchen danach vergeblich.

Natürlich kehrten die Herren nach solchen langen Ausflügen in etwas erschöpftem Zustande zurück. Stets herrschte eine sehr starke Hitze, die auch von häufig auftretenden Gewitterstürmen nicht merklich gemildert wurde.

So verlief die Zeit im Dorfe Atures. Die beiden täglichen Mahlzeiten versammelten die ganze Gesellschaft an gemeinschaftlichem Tische, wo man einander die Erlebnisse des Tages erzählte. Jean interessierte sich lebhaft für die [161] Jagdberichte Jacques Helloch's, der sich immer bemühte, den jungen Mann von trüben Ahnungen bezüglich der Zukunft abzulenken. Und wie innig wünschte er, daß Jean in San-Fernando genaue Auskunft über den Oberst von Kermor erhielte und nicht gezwungen wäre, lange andauernden Abenteuern entgegenzugehen!


Die Fahrt über das Raudal von Maipures. (S. 166)

Am Abend las der junge Mann dann mit lauter Stimme einige Seiten aus seinem beliebten »Führer« vor, vorzüglich solche Stellen, die auf Atures und seine Umgebung Bezug hatten. Herr Miguel und seine Collegen erstaunten dabei nicht wenig über die Verläßlichkeit und bis ins Einzelne gehende Genauigkeit des französischen Forschers bezüglich des Laufes des Orinoco, der Sitten und Gebräuche der verschiedenen Indianerstämme, der Gestaltung ihrer Gebiete und der Lebensgewohnheiten der Ilaneros, mit denen er in Berührung gekommen war.

War Jean von Kermor wirklich genöthigt, seinen Zug bis zu den Quellen des Stromes auszudehnen, so konnte er aus den gewissenhaften Schilderungen seines Landsmannes sicherlich den größten Nutzen ziehen.

Gegen Mittag am 9. September endlich kam Germain Paterne, der ans Ufer botanisieren gegangen war, seine Begleiter anrufend, zurück.

Da für diesen Tag kein Ausflug geplant war, befanden sich Alle, auf die Mittagsmahlzeit wartend, in der größten Strohhütte des Dorfes.

Als Jacques Helloch die Rufe vernahm, stürmte er sofort hinaus. Die Andern folgten ihm, da es ja möglich war, daß Germain Paterne Hilfe begehrte, ob er nun von einem Raubthiere angefallen worden oder in der Nachbarschaft von Atures mit einer Bande Quivas zusammengestoßen war.

Germain Paterne kam, die Botanisierbüchse auf dem Rücken, allein zurück und machte lebhafte Bewegungen mit den Armen.

»He, was ist denn geschehen? rief Jacques Helloch ihm zu.

– Unsre Piroguen sind in Sicht!

– Unsre Piroguen?... antwortete Herr Miguel zweifelnd.

– Schon jetzt? fragte Felipe.

– Sie sind kaum noch einen halben Kilometer entfernt.«

Spornstreichs liefen Alle nach dem linken Ufer hinunter, und bei einer Biegung desselben bemerkten sie die Falcas, die von den Mannschaften mittelst der Estrilla längs des Wasserrandes hin geschleppt wurden. Bald konnten die Passagiere mit den Schiffern sich verständigen, die auf dem Hintertheile stehend, [162] die Fahrzeuge gegen die Abweichung durch den Zug der Leine in ihrer gewünschten Richtung hielten.

»Sie... Valdez! fragte der Sergeant Martial.

– Ja, ich selbst, Sergeant; und wie Sie sehen, kommen meine Collegen gleich hinter mir.

– Sie haben keine Havarien erlitten? erkundigte sich Herr Miguel.

– Havarien zwar nicht, erwiderte Valdez, zum Besten ist es uns aber auch nicht ergangen.

– Nun, Sie sind ja glücklich eingetroffen, sagte Jacques Helloch zum Schiffer der »Moriche«.

– Ja, in sieben Tagen, und das will etwas heißen, wenn es gilt über die Stromschnellen von Atures hinwegzukommen.«

Parchal hatte damit völlig recht; die Banivas sind aber, das muß man gerechterweise anerkennen, vortreffliche Schiffsleute. Ihre Gewandtheit und ihr Eifer verdienten alles Lob, und die wackern Leute erwiesen sich umso empfänglicher für die Anerkennung der Passagiere, als diese noch mit einem Trinkgeld von verschiedenen Piastern begleitet war.

12. Capitel
Zwölftes Capitel.
Einige Bemerkungen Germain Paterne's.

Die Abfahrt der drei Piroguen erfolgte am nächsten Tage mit den ersten Strahlen der Morgensonne. Am vorhergehenden Nachmittage war alles Gepäck bereits wieder verladen worden, und da die Ueberschiffung des Raudals ohne Havarien abgelaufen war, erlitt die Weiterreise keine Verzögerung.

Zwischen Atures und dem Städtchen San-Fernando sollten die Reisenden allerdings nicht mehr wie bisher durch alle Nebenumstände begünstigt werden. Der Wind, der Neigung zum Abflauen zeigte, reichte da jedenfalls nicht hin, die Falcas gegen die Strömung des Orinoco fortzutreiben, höchstens genügte [163] er, die Fahrzeuge davon nicht zurückführen zu lassen. Da die Brise aber immer noch der Hauptrichtung nach aus Norden stand und nach Westen zu nur unwesentlich abwich, wurden die Segel dennoch gehißt, wenn man auch erwartete, daß Estrilla oder Palancas zu Hilfe genommen werden müßten.

Wir brauchen wohl kaum zu erwähnen, daß jede Gruppe in ihrer eigenen Pirogue wieder Platz genommen hatte – der Sergeant Martial und Jean von Kermor auf der »Gallinetta«, die Herren Miguel, Felipe und Varinas an Bord der »Maripare«, und Jacques Helloch nebst Germain Paterne auf der »Moriche«.

Wo immer möglich, segelte man in einer Front, und meist – der Sergeant Martial bemerkte es mit heimlichem Grollen – glitt die »Moriche« dicht neben der »Gallinetta« hin, was den Passagieren erlaubte, miteinander zu plaudern, und woran diese es auch nicht fehlen ließen.

Im Laufe des Vormittags legten die Falcas nicht mehr als fünf Kilometer stromaufwärts zurück. Zuerst mußten sie sich nämlich durch die Unmasse von Eilanden und Rissen winden, die im Strombette oberhalb Atures aufragen. Auch die Segelstellung konnte dabei natürlich nicht gleichmäßig beibehalten werden. Durch die engen Wasserstraßen rauschten die Fluthen rasend schnell herab, und die Palancas mußten hier ebenso geschickt wie kraftvoll gehandhabt werden.

Als die Flottille sich gegenüber dem Cerro Pintado befand, wurde das Bett des Orinoco freier, und nachdem die Falcas mehr nach dem rechten Ufer gesteuert waren, konnten sie, da hier eine schwächere Strömung stand, die Brise mit einigem Vortheil benutzen.

Ein gutes Stück hinter dem gegenüberliegenden Ufer erhob sich der Cerro Pintado, den Herr Miguel und seine Collegen besucht hatten und dessen merkwürdig gestaltete Steinmasse, die weiten, von Guahibo-Indianern bewohnten Ebenen der Nachbarschaft beherrschend, noch recht deutlich erkennbar war.

Je mehr sich die Sonne dem Horizonte zuneigte, desto mehr räumte der schwächer werdende Wind nach Nordosten, und gegen fünf Uhr am Nachmittage legte er sich ganz.

Die Piroguen befanden sich jetzt in der Höhe des Raudals von Garcita. Auf den Rath des Schiffers Valdez hin richteten sich die Passagiere ein, an dieser Stelle, die ihnen für die Nacht passenden Schutz bot, Halt zu machen.

Die heute zurückgelegte Strecke maß nur fünfzehn Kilometer, und am nächsten Morgen brach man mit Tagesgrauen wieder auf.

[164] Die Ueberwindung des Raudals von Garcita bot keine besondern Schwierigkeiten. Dasselbe ist das ganze Jahr über befahrbar, ohne daß die Fahrzeuge entlastet werden müßten. Im laufenden Monat hatte der Orinoco übrigens so vollschiffiges Wasser, daß er, vorzüglich für flachbodige Stromschiffe, überall tief genug war.

Mit der jetzt herangekommenen Mitte des September begann freilich das Fallen des Wassers, und die bald eintretende trockne Jahreszeit mußte das stark beschleunigen.

Noch gab es indeß häufige und ergiebige Regengüsse. Solche hatten die Reisenden überhaupt seit der Abfahrt nicht verschont, und diese sollten bis zur Ankunft in San-Fernando noch so manches himmlische Sturzbad bekommen. Grade heute zwangen endlose Platzregen Alle, in den Deckhäusern Schutz zu suchen. Dabei frischte aber die Brise aufs neue etwas mehr auf, worüber sich gewiß niemand zu beklagen hatte.

Am Abend gingen die Piroguen an einer nach Osten verlaufenden Krümmung des Stromes vor Anker, und zwar an geschützter Stelle zwischen dem rechten Ufer und der nicht fern gelegenen Insel Rabo Pelado.

Zwischen sechs und sieben Uhr suchten die Jäger den von fast undurchdringlichem Unterholz bedeckten Rand der Insel ab und erlegten dabei ein halbes Dutzend Gabiotas, eine Art kleiner, etwa taubengroßer Schwimmvögel, die beim Abendessen verzehrt wurden.

Auf dem Rückwege gelang es Jacques Helloch noch, einen der jungen Kaimans zu schießen, die von den Indianern Babas genannt und für einen Leckerbissen erklärt werden.

Die daraus bereitete Speise, hier zu Lande Sancocho genannt, wurde von den Tischgenossen indeß verschmäht und gern den Mannschaften überlassen.

Nur Germain Paterne wollte davon kosten, weil es einem Naturforscher zusteht, nicht wählerisch zu sein und im Interesse der Wissenschaft auch Opfer zu bringen.

»Na... wie schmeckts? fragte ihn Jacques Helloch.

– Ei nun, antwortete Germain Paterne, der erste Bissen mundet ja nicht sonderlich, der zweite aber...

– Der... der...

– Der schmeckt ganz abscheulich!«

Der Sancocho war damit ohne Widerspruch abgeurtheilt.

[165] Am nächsten Tage Abfahrt von der Insel Rabo Pelado und Fortsetzung der Schifffahrt nach Südwesten – in der Richtung, die der Orinoco bis zum Raudal der Guahibos beibehält. Heute unausgesetzter Regen. Intermittierende Brise aus Nordosten. Die Segel der Piroguen hängen einmal schlaff am Maste herab und werden dann wieder wie die Hülle eines Luftballons aufgebläht.

Am Abend legte Valdez stromabwärts an der Insel Guayabo an, nachdem nur zwölf Kilometer zurückgelegt waren, da die Kraft des Windes die Macht der Strömung nicht überwinden konnte.

Am nächsten Tage erreichten die Piroguen nach anstrengender Fahrt das Raudal der Guahibos und ankerten an der Mündung des Stromarmes von Carestia, der mit dem rechten Ufer eine lange Insel da umschließt, wo diese den Lauf des Orinoco theilt.

Dem Abendessen, das mit einem Paare Huccos, einer Art von Wasservögeln, die am Inselufer erlegt wurden, gewürzt war, folgte eine friedlich stille Nacht.

Hier bildet der Strom viele Windungen, ist zwar recht breit, doch mit Inseln und Eilanden übersäet. Außerdem durchschneidet ihn eine Barre, über die die Fluthen in schäumendem Falle herabrauschen. Die romantische wilde Scenerie der Umgebung ist wohl eine der schönsten, die man längs des mittleren Orinoco antrifft.

Die Reisenden hatten Zeit genug, sie zu bewundern, denn sie brauchten einige Stunden, um über das Raudal der Guahibos hinauszukommen. Die Piroguen fuhren darüber hin, ohne daß eine Entlastung nöthig war, obgleich es in der Regel mehr Schwierigkeiten bietet, als das von Garcita.

Gegen drei Uhr des Nachmittags langte die Gesellschaft, die dem Stromarme des linken Ufers gefolgt war, bei dem Dorfe Carestia an, wo wieder Alles ausgeschifft werden sollte, um den Piroguen die Fahrt über das Raudal von Maipures zu erleichtern.

Hier war also dasselbe Verfahren wie in Puerto-Real zu befolgen. Indianer übernahmen es, das Gepäck auf dem Rücken weiterzuschaffen und begleiteten die Reisenden nach Maipures, wo diese noch vor fünf Uhr Halt machten.

Die Entfernung zwischen Carestia und Maipures beträgt übrigens nur zehn Kilometer, und der Pfad längs des Ufers erwies sich recht gut gangbar.

Hier sollten nun die »Gallinetta«, die »Maripare« und die »Moriche«, die zu derselben Strecke drei bis vier Tage brauchten, abgewartet werden.

[166] Wenn das Raudal von Maipures nämlich auch weniger lang ist als das von Atures, so setzt es der Fahrt darüberhin doch vielleicht noch ernstere Hindernisse entgegen. Der Niveauunterschied des Wassers beträgt hier nämlich mehr... zwölf Meter auf eine Strecke von sechs Kilometern. Auf den Eifer und die Geschicklichkeit der Führer und ihrer Leute konnte man sich indeß verlassen, sie würden gewiß alles Mögliche thun, um Zeit zu gewinnen.

Uebrigens hatte es ja kaum fünf voller Tage bedurft, um die sechzig Kilometer, die die beiden bedeutendsten Raudals dieses Theiles des Orinoco trennen, zurückzulegen.

Die Maipures-Indianer, die dem Dorfe den Namen gaben, bildeten einen alten Stamm, der jetzt freilich auf wenige Familien zusammengeschmolzen und in seinem Typus durch Blutkreuzung stark verändert war. Das am Fuße eines steil abfallenden, imposanten Granitufers gelegene Dorf zählt höchstens noch zehn Hütten.

Hier sollte sich also die kleine Truppe für einige Tage und unter Verhältnissen, die denen im Dorfe Atures auffallend glichen, einquartieren.

Das war übrigens das letztemal, wo die Reisenden, ehe sie in San-Fernando eintrafen, die Piroguen würden verlassen müssen. Bis zu der genannten Ortschaft hin ist der Orinoco nicht mehr durch Stromschnellen unterbrochen, die einerseits die Ausschiffung der Passagiere nebst allem Gepäck und andrerseits das Schleppen der Fahrzeuge über den felsigen, von schäumendem Wasser übertosten Grund nöthig gemacht hätten. Das Beste war es demnach, sich in Geduld zu fassen und nicht über diesen Zustand der Dinge unmuthig zu werden; so fügte man sich denn geduldig in diese neue Verzögerung, was der Sergeant Martial, der die Ankunft in San-Fernando mit brennendem Verlangen erwartete, auch sagen und brummen mochte.

Maipures war nicht der Ort, wo man sich hätte mit Ausflügen die Zeit vertreiben können, wie das auf den Ebenen um den Cerro Pintado der Fall gewesen war. Hier beschränkte man sich darauf, zu jagen und zu botanisieren. Der junge Mann, den der Sergeant Martial stets begleitete, bekundete ein lebhaftes Interesse an den wissenschaftlichen Spaziergängen Germain Paterne's, während die Jäger für die täglichen Lebensbedürfnisse sorgten.

Das letztere war nützlich, sogar nothwendig, denn die in la Urbana und bei den früheren Jagden gesammelten Vorräthe gingen jedenfalls zu Ende, ohne daß sie hätten erneuert werden können, wenn noch eine unerwartete Verzögerung eintrat.

[167] Von Maipures bis San-Fernando waren aber in Folge des unregelmäßigen Stromverlaufes wenigstens noch hundertdreißig bis hundertvierzig Kilometer zu rechnen.

Am Nachmittage des 18. Septembers kamen die drei Falcas endlich vor dem Dorfe an; sie hatten sich am linken Flußufer gehalten, wo auch dessen wenige Hütten standen. Seiner Lage nach gehört es nicht zu Venezuela, sondern zu Columbia. Nur der Leinpfad dieses Ufers bleibt vertragsmäßig bis 1911 neutraler Boden und wird erst von da ab columbisches Gebiet werden.

Man sieht, daß Valdez und seine Gefährten tüchtig bei der Arbeit gewesen waren, da sie das Raudal binnen fünf Tagen hatten überwinden können. Ohne den nächsten Tag abzuwarten, wurden die Piroguen wieder beladen und nahmen am frühen Morgen des 19. ihre Fahrt von neuem auf.

Den ganzen, sehr regnerischen Tag lang mußte sich die Flottille noch durch ein endloses Gewirr von Eilanden und Rissen, die die Wasserfläche überragten, hindurchwinden. Da jetzt der Wind von Westen wehte, unterstützte er auch nicht die Fortbewegung der Falcas, doch selbst ein Nordwind hätte diesen kaum genützt, da sie bei den gewundenen Fahrstraßen ihre Richtung so sehr häufig wechseln mußten.

Jenseits der Mündung des Sipopo befindet sich noch ein kleines Raudal, das von Sijuaumi, dessen Passage nur wenige Stunden erforderte, ohne daß eine Umladung nothwendig war.

In Folge der verschiedenen Hemmnisse der Fahrt konnten die Piroguen jedoch nicht bis über die Mündung des Rio Vichada hinauskommen, wo sie für die Nacht anlegten.

Die beiden Ufer des Stromes bieten hier einen auffallenden Contrast. Im Osten ist das Land mit schwachen Bodenwellen, regelmäßigen Bancos oder mäßigen Hügeln bedeckt, die sich an entfernter liegende Bergzüge anschließen, deren Kämme von der dem Untergange nahen Sonne die letzten Strahlen erhielten. Im Westen dagegen dehnen sich endlos scheinende Ebenen aus, bewässert von den dunkeln Fluthen des Vichada, der, aus den columbischen Ilanos hervorbrechend, dem Bette des Orinoco beträchtliche Wassermengen zuführt.

Vielleicht erwartete Jacques Helloch, daß die Herren Felipe und Varinas in einen Meinungsaustausch bezüglich des Vichada eintreten würden, denn dieser konnte mit demselben Rechte wie der Guaviare und der Atabapo als [168] [171]ein Hauptarm des Stromes betrachtet werden. Das geschah aber nicht. Die beiden Gegner waren nicht mehr weit entfernt von der Stelle, wo die von ihnen mit Vorliebe vertretenen Zuflüsse mündeten.


Jean hatte Alles mit angehört. (S. 173.)

An Ort und Stelle und vom Augenschein unterstützt, konnten sie dann ja noch genug streiten.

Der nächste Tag brachte sie ihrem Ziele um zwanzig Kilometer näher. Auf dem jetzt von Rissen freien Strome gestaltete sich die Schifffahrt leichter. Die Schiffer konnten auch einige Stunden lang die Segel benutzen und sich bei geringerer Anstrengung dem auf dem linken Ufer gelegenen Dorfe Mataweni, neben dem gleichnamigen Rio, nähern.

Hier sah man nur ein Dutzend Hütten von Guahibos-Indianern, die in den Gebieten am Orinoco und vorzüglich auf dessen linkem Ufer hausen. Hätten die Reisenden Zeit gehabt, den Mataweni ein Stück hinauf zu fahren, so würden sie noch mehrere Dörfer angetroffen haben, die von jenen sanftmüthigen, fleißigen und intelligenten Indianern, welche mit den Kaufleuten in San-Fernando vorzüglich Maniochandel treiben, bewohnt sind.

Wären Jacques Helloch und Germain Paterne hier allein gewesen, so hätten sie an der Mündung dieses Nebenflusses für einige Zeit ebenso, wie vor einigen Wochen in la Urbana, Halt gemacht. Freilich war ihr Zug durch die Sierra Matapey nahe daran gewesen, schlecht abzulaufen. Als die »Moriche« aber, Bord an Bord mit der »Gallinetta«, am Ufer bei Mataweni verankert lag, glaubte Germain Paterne doch, den ihn beherrschenden Gedanken Ausdruck geben zu müssen.

»Mein lieber Jacques, begann er, wir sind vom Minister für öffentliche Aufklärung mit einer wissenschaftlichen Mission zur näheren Erforschung des Orinoco betraut worden, und wenn ich nicht irre...

– Worauf zielst Du hinaus? fragte Jacques Helloch, erstaunt über diese Einleitung.

– Sehr einfach, Jacques; bezieht sich diese Mission denn ausschließlich auf den Orinoco?

– Auf den Orinoco und seine Nebenflüsse.

– Nun, um es gerade heraus zu sagen, mir scheint, wir vernachlässigen, wenigstens von la Urbana aus, die Zuflüsse des stolzen Stromes etwas gar zu sehr.

– Meinst Du?

[171] – Gewiß, lieber Freund! Haben wir etwa den Suapure, den Pararuma und den Paraguaza am rechten Ufer näher erforscht?

– Ich denke nicht.

– Sind wir mit unsrer Pirogue zwischen den Ufern des Meta am linken Stromufer eingedrungen, jenes Meta, der einen der bedeutendsten Nebenflüsse der großen venezuolanischen Wasserader bildet?

– Nein, wir sind an der Mündung des Meta vorübergekommen, ohne ihr weitere Aufmerksamkeit zu schenken.

– Und wie steht's mit dem Sipopo?

– Den Sipopo haben wir außer Acht gelassen.

– Und den Rio Vichada?

– Wir haben unsre Verpflichtungen bezüglich des Rio Vichada in greulichster Weise verletzt.

– Und Du bist noch zum Scherzen aufgelegt, Jacques?

– Natürlich, mein guter Germain, denn eigentlich müßtest Du Dir doch sagen, daß wir das, was wir auf der Hinreise nicht gethan haben, auf der Rückreise bequem nachholen können. Ich denke, jene Nebenflüsse werden noch nicht von der Bildfläche verschwinden, werden auch in der heißen Jahreszeit nicht austrocknen, und wir finden sie bestimmt an ihren gewohnten Plätzen, wenn wir auf dem stolzen Hauptstrome zurückschwimmen...

– Jacques, Jacques... wenn uns die Ehre zutheil wird, vom Minister für öffentliche Aufklärung empfangen zu werden...

– Nun, da werden wir dem hohen Herrn einfach sagen: Wären wir allein gewesen, Eure Excellenz, so hätten wir diese Untersuchung gewiß bei der Bergfahrt auf dem Orinoco ausgeführt; wir befanden uns aber in Gesellschaft – in guter Gesellschaft – und es erschien uns rathsamer, mit dieser vereint bis San-Fernando zu gehen...

– Wo wir uns, wie ich annehme, einige Zeit aufhalten werden, fiel Germain Paterne ein.

– Jedenfalls so lange, bis die Frage bezüglich des Guaviare und des Atabapo endgiltig entschieden ist, antwortete Jacques Helloch, obgleich mir die Entscheidung zu Gunsten des Herrn Miguel schon im voraus sicher zu sein scheint. Uebrigens wird das eine vortreffliche Gelegenheit bieten, die beiden Zuflüsse in Gesellschaft der Herren Felipe und Varinas eingehend zu besichtigen. Du kannst Dich darauf verlassen, daß unsre Mission dabei nur gewinnen und [172] daß der Minister der öffentlichen Aufklärung mit seinen officiellen Lobsprüchen dafür nicht zurückhalten wird!«

Wir flechten hier ein, daß Jean von Kermor, der sich an Bord der »Gallinetta« gerade allein befand, dieses Zwiegespräch mit angehört hatte. Das war ja keine Indiscretion seinerseits, denn das Thema, worüber die beiden Freunde sich aussprachen, verlangte gewiß keine Geheimhaltung.

Unleugbar und trotz aller Hindernisse, die der Sergeant Martial erfinden mochte, hatte Jacques Helloch seit dem Zusammentreffen mit ihm keine Gelegenheit versäumt, Jean von Kermor seine lebhafteste Antheilnahme zu beweisen Letzterer mußte das auf jeden Fall bemerkt haben, es fragte sich nur, wie er dieses Interesse erwiderte. Etwa mit gleichem Entgegenkommen, wie man es von einem jungen Manne seines Alters gegenüber einem so dienstwilligen Landsmanne erwartet hätte, der so viele Theilnahme für ihn an den Tag legte, für den Erfolg seines Unternehmens so aufrichtige Wünsche aussprach und sich, soweit es die Umstände zuließen, vollständig zu seiner Verfügung stellte?

Nein, das nicht, und zwar so sehr, daß es auffallend erscheinen konnte. So geschmeichelt sich Jean davon fühlen, so dankbar erkenntlich er sich gegen Jacques Helloch zeigen mochte – stets bewahrte er ihm gegenüber die strengste Zurückhaltung, nicht weil der Sergeant Martial über das Gegentheil gemurrt hätte, sondern in Folge seines etwas schüchternen Charakters, der immer eine gewisse Furchtsamkeit verrieth.

Wenn später der Augenblick der Trennung kam, wenn Jean San-Fernando verließ, weil er seine Nachsuchungen weiter fortsetzen mußte, und wenn Jacques Helloch den Rückweg antrat, da würde diese Trennung Jean gewiß nahe gehen. Vielleicht sagte er sich dann, daß er sein Ziel besser erreicht hätte, wenn Jacques Helloch sein Führer gewesen wäre.

Er empfand schon eine tiefe Erregung, als er am Ende jenes Gespräches, dem er ein gar zu williges Ohr lieh, Jacques Helloch zu seinem Kameraden sagen hörte:

»Ueberdies, Germain, ist auch der junge Mann da, den der Zufall uns in den Weg geführt hat und für den ich mich nun einmal interessiere. Flößt er Dir denn nicht auch eine tiefere Theilnahme ein?

– Gewiß, Jacques!

– Je mehr ich darüber nachdenke, Germain, ob er recht daran gethan hat, dem kindlichen Gefühle zu folgen, das ihn auf diese Reise trieb, desto [173] mehr beschleicht mich die Furcht, ihn bald so großen Schwierigkeiten und Gefahren begegnen zu sehen, daß er sie nicht wird besiegen können. Erhält er in San-Fernando weitere Auskunft, so wird er sich ohne Zweifel auch noch in die Gebiete des oberen Orinoco oder selbst in die des Rio Negro hinauswagen... gewiß, sobald er sich sagt: Dort weilt mein Vater!... wird er dahin gehen wollen. O, es wohnt eine mannhafte Seele in der Hülle dieses Kindes! Man braucht ihn nur zu beobachten, nur zu hören, so erkennt man, daß sein Pflichtgefühl sich bis zur Heldenmüthigkeit gesteigert hat. Meinst Du nicht auch, Germain?

– Ich theile ganz Deine Ansichten über den jungen Kermor, Jacques, und gewiß erschrickst Du mit Recht...

– Und wen hat er, ihn zu berathen, zu vertheidigen? fuhr Jacques Helloch fort. Einen alten Soldaten, der sicherlich für ihn in den Tod ginge. Doch ist das der Begleiter, dessen er bedarf?... Nein, Germain; und willst Du, daß ich rein von der Leber weg spreche?... Nun, es wäre wohl besser, daß das arme Kind in San-Fernando keinerlei Auskunft über seinen Vater erhielte.«

Hätte Jacques Helloch, als er so sprach, Jean beobachten können, so würde er gesehen haben, wie dieser emporschnellte, den Kopf in die Höhe warf, wie seine Augen erglühten und er darauf zusammenbrach, erdrückt von dem Gedanken, daß er seinen Zweck vielleicht doch verfehlte, daß er verurtheilt wäre, ohne den ersehnten Erfolg heimzukehren.

Nach dieser augenblicklichen Schwäche schöpfte er jedoch wieder Muth, als er Jacques Helloch hinzusetzen hörte:

»Doch nein... nein! Das wäre zu grausam für den armen Jean, und ich will immer noch lieber glauben, daß seine Nachforschungen von Erfolg gekrönt sein werden. Durch San-Fernando ist der Oberst von Kermor vor dreizehn Jahren zweifellos gekommen, dort wird Jean erfahren, was aus seinem Vater geworden ist. O, ich würde ihn herzlich gern begleiten!

– Ich begreife Dich, Jacques, ein Führer so wie Du wäre ihm vonnöthen gewesen, und nicht jener alte Brummbär, der ebensowenig sein Onkel ist, wie ich seine Tante bin. Bedenke jedoch, unsre Reiseroute kann nicht die seinige sein, und ohne von Nebenflüssen zu reden, die wir bei der Rückfahrt noch zu besuchen haben...

– Giebt es solche nicht auch oberhalb San-Fernandos? warf Jacques Helloch ein.

[174] – Das wohl, ich kann Dir sogar einige recht sehenswerthe nennen, wie den Cunucunuma, den Cassiquiare, den Mavaca... damit würde uns unsre Fahrt aber bis zu den Quellen des Orinoco führen.

– Was schadete das, Germain? Die Untersuchung würde nur vollständiger werden, das wäre Alles, und der Minister der öffentlichen Aufklärung hätte gewiß keine Ursache, sich darüber zu beklagen.

– Der Minister... der Minister, Jacques! Du springst mit dem Großherrn der Universität um, wie es Dir grade paßt! Wenn nun Jean von Kermor seine Nachsuchungen nicht nach der Seite des Orinoco hin fortzusetzen hätte, wenn er sich durch die Ilanos von Columbia wagte, oder wenn er gar nach dem Becken des Rio Negro oder des Amazonenstromes hinunterginge, was dann?«...

Jacques Helloch antwortete hierauf nicht, weil er nichts antworten konnte. Seine Reise bis zu den Quellen des Orinoco auszudehnen, das lag ja, streng genommen, noch innerhalb des Kreises seiner Mission, anders aber, wenn er das Becken des Stromes und Venezuela selbst verließ, um dem jungen Manne durch die Gebiete Columbias oder Brasiliens zu folgen.

Auf der Nachbarpirogue hatte Jean, im Deckhause auf den Knien liegend, Alles mit angehört. Er wußte, welch innige Theilnahme er den beiden Reisegenossen einflößte, wußte aber auch, daß weder Jacques Helloch noch Germain Paterne an seine angebliche Verwandtschaft mit dem Sergeanten Martial glaubten. Worauf gründete sich dieser Zweifel und was würde sein alter Freund denken, wenn er es erführe?

Und ohne sich zu fragen, was die Zukunft ihm in ihrem Schoße bewahrte und ob die Opferfreudigkeit Jacques Helloch's ihm je zur Stütze und Hilfe werden würde, dankte er inbrünstig dem Himmel, daß er ihn diesen wackern und edelmüthigen Landsmann hatte treffen lassen.

[175]
13. Capitel
Dreizehntes Capitel.
Achtung vor dem Tapir.

Als die Reisenden am folgenden Morgen – am 21. September – den kleinen Hafen von Mataweni verließen, befanden sie sich nur noch dreiundeinhalb Tagereisen von San-Fernando entfernt. Erlitten sie keine außergewöhnliche Verzögerung, so mußten sie – selbst bei minder günstiger Witterung – ihr nächstes Ziel in jener kurzen Zeit erreicht haben.

Die Fahrt wurde unter den gewöhnlichen Umständen wieder aufgenommen, unter Benutzung der Segel, wenn der Wind das zuließ, der Palancas und des Garapato, wenn die Piroguen sich das an den Strombiegungen vorhandene Stauwasser zunutze machten, oder endlich der Espilla, wenn die Stangen nicht ausreichten, die starke Strömung zu überwinden.

Die Temperatur hielt sich immer sehr hoch. Langsam zogen gewitterhafte Wolken am Himmel hin und lösten sich wiederholt in lauwarme Regengüsse auf. Dann folgte meist ein so brennender Sonnenschein, daß man unter den Deckhäusern Schutz suchen mußte. Im Ganzen blieb der Wind schwach, unstät und genügte nicht, die Gluth des Luftmeeres zu mildern.

Zahlreiche Rios ergossen sich, namentlich am linken Ufer, in den Strom – unbekannte Rios, deren Bett in der heißen Jahreszeit meist ganz trocken lag. Germain Paterne ließ sie übrigens ganz unbeachtet, und sie verdienten auch wirklich gar keinen Besuch der Geographen.

Wiederholt begegnete man indianischen Canots, bemannt mit Piaroas, die gewöhnlich am rechten Ufer dieses Theiles des Orinoco umherschweifen.

Die Indianer fuhren zutraulich an die Piroguen heran und boten ihre Dienste bei der ermüdenden Benutzung der Espilla an. Diese wurden ohne Zögern angenommen, und die Leute begnügten sich willig mit einer Abfindung in Gestalt von Stoffstücken, werthlosen Glaswaaren und Cigarren. Auch sie sind gewandte Stromschiffer, die bei der Fahrt über Stromschnellen gern herangezogen werden.

In Begleitung eines halben Dutzend von Curiares legte die kleine Flottille bei dem Dorfe Augustino am rechten Ufer an. Chaffanjon erwähnt des Dorfes [176] nicht, aus dem einfachen Grunde, weil es zu seiner Zeit überhaupt nicht bestand.

Die genannten Indianer sind eigentlich nicht seßhaft. So wie ihr Rindenboot, in dem sie über den Strom gesetzt sind, ebenso verlassen sie auch die Hütten wieder, die sie in Zeltform für einige Tage errichtet hatten.


Es war der Capitan, der Häuptling des Dorfes. (S. 178.)

Es hatte jedoch den Anschein, als hätte das Dorf Augustino etwas mehr Aussicht auf längeren Bestand, wenn es auch erst unlängst erbaut war. Es nahm zunächst eine recht glücklich gewählte Stelle an einer Biegung des Orinoco [177] ein. Vor ihm am Strande und hinter ihm bis zu mittelhohen, belaubten Cerros hin erhoben sich Hunderte von prächtigen Baumriesen. Links dehnte sich ein Kautschukbaumwald aus, aus dem die Gomeras große Mengen des werthvollen Federharzes gewannen.

Das Dorf umfaßte etwa vierzig cylindrische oder cylindrisch-konische Strohhütten und seine Bewohnerschaft mochte zweihundert Köpfe zahlen.

Bei ihrer Landung hätten Herr Miguel und seine Gefährten glauben können, daß es in Augustino weder Frauen noch Kinder gäbe.

Das erklärte sich indeß damit, daß Frauen und Kinder, sobald sich die Nachricht von der Annäherung fremder Männer verbreitete, entsetzt nach den Wäldern entflohen waren.

Dagegen erschien ein gut gewachsener Piaroa von etwa vierzig Jahren, kräftigem Körperbau, großer Schulterbreite und bekleidet mit dem üblichen Guayneo, das Haar, das ihm rückwärts auf die Schulter fiel, an der Stirn schon zur Kindeszeit abgesengt mit Ringen und Stricken unter den Knien und über den Knöcheln. Der Mann wandelte längs des Uferrandes hin und ihn begleiteten gegen zehn Indianer, die ihm einen gewissen Respect zu erweisen schienen.

Es war der Capitan, der Häuptling des Dorfes, der den Platz für dessen Anlage an recht gesunder Stelle bestimmt hatte, wo Augustino von der gewöhnlichen Geißel des Uferlandes, den verwünschten, unerträglichen Muskitos frei blieb.

Herr Miguel, dem die andern Passagiere folgten, ging auf den Capitan, der der venezuolanischen Sprache mächtig war, zu.

»Ihr seid hier willkommen, Deine Freunde und Du, begann der Indianer, ihm die Hand bietend.

– Wir sind nur für wenige Stunden hierher gekommen, antwortete Herr Miguel, und gedenken schon morgen mit Tagesanbruch weiter zu reisen.

– Bis dahin, sagte der Piaroa, kannst Du in unsern Hütten, die Dir zur Verfügung stehen, ausruhen.

– Nimm unsern Dank, Capitan, erwiderte Herr Miguel, wir werden Dir einen Besuch abstatten. Für eine einzige Nacht ist es für uns aber vortheilhafter, gleich an Bord der Falcas zu bleiben.

– Wie es Dir beliebt!

– Du bist der Häuptling dieses hübschen Dorfes? fuhr Herr Miguel, das Uferland hinansteigend, fort.

[178] – Ja... es ist zwar erst im Entstehen, doch es wird weiter gedeihen, wenn es den Schutz des Gouverneurs von San-Fernando findet. Ich glaube, es wird dem Präsidenten der Republik angenehm sein, am Orinoco noch ein Dorf mehr zu besitzen.

– Wir werden ihm bei unsrer Rückkehr mittheilen, erklärte Herr Miguel, daß der Capitan...

– Caribal, nannte der Indianer seinen Namen, und zwar mit demselben Stolz, als wenn es der eines Städtegründers oder Simon Bolivar's selbst gewesen wäre.

– Der Capitan Caribal, fuhr Herr Miguel fort, kann in San-Fernando gegenüber dem Gouverneur, wie in Caracas gegenüber dem Präsidenten, auf unsre guten Dienste rechnen.«

In glücklicherer Weise und in freundlicherem Tone hätte man zu diesen Piaroas gar nicht in Beziehung treten können.

Herr Miguel und seine Begleiter folgten den Indianern bis zu dem in Büchsenschußweite entfernten Dorfe.

Jacques Helloch und sein Freund Jean gingen nebeneinander vor dem Sergeanten Martial her.

»Ihr gewohnter Führer, das Buch unsers Landsmanns, lieber Jean, sagte Jacques, giebt Ihnen ohne Zweifel genaue Auskunft über diese Piaroas, so daß Sie von den Leuten jedenfalls mehr wissen, als wir.

– Ich ersehe daraus, antwortete der junge Mann, daß diese Indianer sanften Charakters und dem Kriege abhold sein sollen. Die meiste Zeit leben sie in den entlegensten Wäldern des Orinocobeckens. Man möchte glauben, daß die Sippe hier eine neue Lebensweise am Stromufer zu beginnen beabsichtige.

– Höchst wahrscheinlich, lieber Jean, und ihr geistig offenbar geweckter Capitan wird sie bestimmt haben, das Dorf an dieser Stelle zu gründen. Der venezuolanische Gouverneur hätte alle Ursache, derartige Unternehmungen zu unterstützen, und wenn einige Missionäre nach Augustino kämen, würden sich die Piaroas hier gewiß bald bis zur Stufe der civilisierten Indianer, der »Racionales«, wie man sie gewöhnlich nennt, erheben.

– Missionäre, Herr Helloch, antwortete Jean, ja, solche muthige, opferbereite Männer würden unter diesen Indianerstämmen gewiß Erfolge erzielen. Ich habe mir immer vorgestellt, daß diese Apostel, die das sorglose Leben, dessen sie sich erfreuen könnten, aufgeben, auf die Freuden der Familie verzichten, die[179] die Hingabe an ihren Beruf bis zur Aufopferung des Lebens treiben... daß gerade sie die edelste Mission zu Ehren der Menschheit erfüllen. Bedenken Sie, welche Erfolge – den Berichten nach – der Pater Esperante in Santa-Juana erzielt hat und wie sein Beispiel zur Nacheiferung mahnt!

– Ja, gewiß, gewiß,« stimmte Jacques Helloch zu.

Er war immer höchst erstaunt, bei dem jungen Mann so ernste, edelsinnige Gedanken zu finden. Offenbar war dieser geistig seinen Jahren voraus. So fuhr Jacques Helloch fort:

»Mein lieber Jean, das sind doch Dinge, an die man kaum denkt, so lange man noch so jung ist...

– O, ich bin schon alt, Herr Helloch, erwiderte Jean, leicht erröthend.

– Alt... ja freilich... ganze siebzehn Jahre!

– Siebzehn Jahre weniger zwei Monate und neun Tage, bestätigte der Sergeant Martial, der jetzt in das Gespräch eingriff, und ich begreife nicht, warum Du Dich als alt hinstellen willst, lieber Neffe...

– Bitte um Verzeihung, Onkelchen, es soll nicht wieder vorkommen,« gelobte Jean, der ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Darauf wandte er sich wieder Jacques Helloch zu.

»Um übrigens auf die Missionäre zurückzukommen, fuhr er fort, würden die, die sich in Augustino niederließen, gar arg gegen die Vorurtheile und den Aberglauben dieser Indianer anzukämpfen haben, denn meinem Führer nach zeichnen gerade die hiesigen Stämme sich in dieser Beziehung ganz besonders aus!«

Die Passagiere der Falcas sollten auch bald genug erfahren, wie begründet das Urtheil des frühern französischen Reisenden war.

Die Hütte (Case) des Capitan stand geschützt unter einer Gruppe prächtiger Bäume. Ein Dach von Palmenblättern bedeckte sie, und darüber erhob sich eine Art cylindrischer Krone, die wiederum von einem Büschel Blumen überragt war. Eine einzige Thür bildete den Eingang nach dem freien Innenraume, der fünfzehn Fuß im Durchmesser haben mochte. Die auf das unumgänglich Nöthige beschränkte Ausstattung bestand aus Bastkörben, Decken, einem Tische, einigen Sitzen von sehr grober Arbeit und den höchst einfachen Wirthschaftsgegenständen des Indianers, nebst seinen Bogen, Pfeilen und Ackergeräthen.

Diese Hütte war ganz eben erst fertig geworden und gestern mit einer Feierlichkeit eingeweiht worden – einer Feierlichkeit, die die Austreibung des bösen Geistes bezweckte.

[180] Der böse Geist verschwindet nun – dem Indianerglauben nach – nicht wie ein Dunst, und zerstreut sich nicht, wie etwa ein Nebel. Ein Klopfen und Schlagen an die Strohwände, wie es eine abergläubische europäische Hausfrau thun würde, genügte hier eben nicht. Der Geist gleicht nicht einem Staube, den man mit dem Besen ausfegen kann. Er ist ein körperloses Wesen, daß erst von einem lebenden Thiere eingeathmet und dann von diesem in die Luft hinausgetragen werden muß. Die Erledigung dieser Aufgabe muß also einem beliebigen Vogel überlassen werden.

Gewöhnlich bevorzugt man hierbei einen Tucan (Pfefferfresser), der sich stets bestens bewährt. Während er umherflattert, pflegt die in der Hütte versammelte, mit ihrer besten Tracht geschmückte Familie Gesänge anzustimmen, Tänze aufzuführen, Opfer zu bringen und dazu unzählige Tassen Bruquilla-Kaffee zu trinken, dem ein gutes Theil Aguardiente oder Tafia zugesetzt ist.

Da man sich am Vorabend einen Tucan nicht hatte beschaffen können, war ein Papagei als »Reiniger« verwendet worden.

Nachdem dieser im Innern gehörig hin und her geflogen war, hatte man ihn nach dem Walde zu freigelassen, und nun konnte das Strohhaus in aller Ruhe und Sicherheit bewohnt werden. Der Capitan zögerte selbst keinen Augenblick, Fremde da hineinzuführen, und diese waren sicher, nicht von dem bösen Geiste belästigt zu werden.

Beim Verlassen der Hütte des Capitan Caribal fanden die Reisenden die Bewohner Augustinos zahlreicher, vielleicht vollzählig versammelt. Die jetzt beruhigten, von ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern zurückgerufenen Frauen und Kinder hatten das Dorf wieder zu betreten gewagt. Sie liefen von einer Hütte zur andern, schlenderten unter den Bäumen umher und begaben sich sogar nach dem Strande, wo die Falcas angebunden lagen.

Germain Paterne konnte bemerken, daß die kleinen, wohlgebauten Frauen mit regelmäßigen Zügen doch auf niedrigerer Stufe standen als die Männer.

Alle Piaroas versuchten nun, einen kleinen Handel anzufangen, wie sie das von jeher gewöhnt sind, wenn Reisende, Touristen oder Kaufleute, auf dem Orinoco hierherkommen. Sie boten dabei frische Gemüse, Zuckerrohr oder eine Art Bananen, die unter dem Namen Plantanos bekannt sind, an, eine Frucht, die, getrocknet oder eingemacht, den Indianern bei ihren Zügen vielfach als alleinige Nahrung dient.

[181] Dafür erhielten sie einige Päckchen Cigarren, wonach sie sehr lüstern sind, Messer, Beile, Glasperlen-Halsbänder u. dgl., und schienen über ihren Tauschhandel mit den Fremden sehr befriedigt zu sein.

Das Hinundherlaufen und Abschließen der Geschäfte hatte nur eine Stunde beansprucht. Ehe die Sonne unter den Horizont versank, blieb den Jägern noch genug Zeit, in den Wäldern der Nachbarschaft von Augustino ihr Glück zu versuchen.

Als ein solcher Vorschlag laut wurde, stimmten ihm Herr Miguel und Jacques Helloch natürlich im Augenblicke zu. Ihre Gefährten überließen es ihnen gern, Wasser- und Bisamschweine, Hirsche, Pavas, Huccos, Tauben und Enten zu erlegen, die dem Personal der Piroguen ja jeder Zeit willkommen waren.

Die Herren Varinas und Felipe, Jean von Kermor und der Sergeant Martial blieben demnach zurück, die einen in den Fahrzeugen, die andern auf dem Strande oder im Dorfe, während Jacques Helloch und Herr Miguel, denen Germain Paterne mit der von ihm unzertrennlichen Botanisiertrommel auf dem Rücken sich anschloß, in das Dickicht von Palmen, Flaschenkürbisbäumen, Coloraditos und unzähligen Morichals, das sich jenseits der Zuckerrohr- und Maniocfelder erhob, erwartungsvoll eindrangen.

Ein Verirren war dabei nicht zu befürchten, denn die Jagd sollte nicht über die nächste Umgebung von Augustino ausgedehnt werden, wenn sich die Jäger von ihrem cynegetischen Eifer nicht zu weit verleiten ließen.

Dazu lag übrigens gar keine Veranlassung vor. Schon in der ersten Stunde hatte Herr Miguel ein Bisamschwein erlegt und Jacques Helloch einen Hirsch zu Boden gestreckt. Mit diesen zwei Thieren hätten sie schon genug Beute nach den Falcas mitgebracht. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie einen oder zwei Indianer mit zur Jagd genommen hätten; da sich beim Aufbruch aber keiner zu ihrer Begleitung anbot, hatten sie auf eine solche Hilfe verzichtet. Da sie auch die mit kleinen Reparaturen an den Piroguen beschäftigten Schiffsleute nicht hatten abhalten wollen, waren sie eben allein gegangen, um allein nach dem Dorfe zurückzukehren.

Nachdem sie zwischen zwei und drei Kilometer weit hinausgezogen waren, befanden sie sich bereits, Herr Miguel das Bisamschwein auf der Schulter, Jacques Helloch und Germain Paterne den Hirsch tragend, auf dem Rückwege und nur noch fünf bis sechs Flintenschuß weit von Augustino, als sie einmal stehen blieben, um sich ein wenig zu erholen.

[182] Es war sehr warm und der Luftwechsel unter dem dichten Blätterdome obendrein noch besonders erschwert.

Da, als sie sich eben am Fuße eines mächtigen Palmenstammes niedergesetzt hatten, begann sich das Unterholz in einem Dickicht zu ihrer Rechten heftig zu bewegen. Es sah aus, als wollte eine gewaltige Masse durch das Gezweig des Buschwerks dringen.

»Achtung! rief Jacques Helloch seinen Begleitern zu. Da drin ist ein Raubthier!

– Ich habe zwei Kugelpatronen im Gewehre, antwortete Herr Miguel.

– Nun, so halten Sie sich schußfertig, während ich meine Flinte lade,« erwiderte Jacques Helloch.

Es bedurfte für ihn nur weniger Secunden, um auch mit seinem Hammerleßgewehre schußbereit zu sein.

Augenblicklich bewegten sich die Zweige des Gebüsches nicht. Bei scharfem Hinhorchen konnten die Jäger aber ein keuchendes Schnaufen und auch einen knurrenden Ton vernehmen, über dessen Natur kein Irrthum möglich war.

»Das muß ein sehr großes Thier sein, sagte Germain Paterne, auf das Dickicht zugehend.

– Bleib' hier... bleib' zurück! rief ihm Jacques Helloch zu. Wir haben es wahrscheinlich mit einem Jaguar oder einem Puma zu thun. Doch bei vier Kugeln, die den Burschen erwarten...

– Vorsicht!... Vorsicht! mahnte Herr Miguel. Mir scheint, ich sehe einen langen Rüssel, der sich durch die Zweige vorschiebt.

– Na, wer denn auch der Inhaber dieses Rüssels sein mag...« antwortete Jacques Helloch, und damit blitzten schon zwei Schüsse aus seinem Gewehre auf.

Jetzt theilte sich das Dickicht, einem mächtigen Drucke nachgebend, ein wüthendes Geheul scholl daraus hervor und eine gewaltige Masse brach durch das Gezweig.

Sofort krachten zwei weitere Schüsse.

Herr Miguel hatte dem Thiere seine Kugeln entgegengejagt.

Fast augenblicklich stürzte dieses mit lautem Todesschrei zusammen.

»Ah... das ist ja nur ein Tapir! rief Germain Paterne, der war eigentlich keine vier Ladungen Pulver und keine vier Kugeln werth!«

[183] Das war ja richtig, so weit die von dem harmlosen Thiere drohende Gefahr in Betracht kam, nicht aber, wenn man dessen Werth als Nahrungsmittel veranschlagte.

Statt mit einem Puma oder einem Jaguar, den gefährlichsten Raubthieren Mittelamerikas, hatten es die Jäger also nur mit einem Tapir zu thun gehabt. Es war ein ziemlich großes Exemplar mit braunem, auf dem Kopfe und an der Kehle mehr grauem Felle von spärlicher Behaarung, doch mit einer Art Mähne, dem Zeichen des männlichen Geschlechts. Dieses Thier, das mehr in der Nacht als am Tage umherschweift, bewohnt die Urwalddickichte und auch die Sümpfe des Landes. Seine Nase, ein kleiner Rüssel, verleiht ihm Aehnlichkeit mit dem Eber, auch mit einem Schweine von der Größe eines Esels.

Ein Angriff ist von dieser Art Dickhäutern nie zu befürchten. Das Thier frißt nur Pflanzen und Früchte und wäre höchstens imstande, einen Jäger über den Haufen zu rennen.

Die vier Gewehrschüsse waren indeß nicht als vergeudet anzusehen, wenn es gelang, den Tapir nach den Piroguen zu schaffen, wo die Mannschaften ihn gewiß auszunutzen verstanden.

Als das Thier aber zu Boden gestürzt war, hatten Herr Miguel und seine Begleiter nichts von dem Aufschrei eines Indianers gehört, der sie links von dem Dickicht her belauschte, und hatten den Mann auch nicht in größter Eile nach dem Dorfe zu fortlaufen sehen. Sie beluden sich arglos wieder mit dem Bisamschweine und dem Hirsche und setzten den Rückweg fort mit der Absicht, den Tapir durch einige Schiffsleute aus dem Walde holen zu lassen.

In Augustino angelangt, fanden sie die ganze Bevölkerung aber in wüthender Aufregung. Männer und Frauen drängten sich um den Capitan. Der Herr Caribal erschien nicht minder erregt, als seine getreuen Unterthanen, und als Germain Paterne, Herr Miguel und Jacques Helloch auf der Bildfläche erschienen, wurden sie mit schrecklichem Geschrei, mit Ausbrüchen des Hasses und der Rachsucht empfangen.

Was mochte hier vorgegangen sein?... Woher diese Veränderung des Benehmens?... Hatten die Piaroas etwa Feindseligkeiten gegen die Piroguen im Sinne?...

Darüber konnten sie sich bald beruhigen, als sie den jungen Mann, den Sergeanten Martial und die Herren Felipe und Varinas auf sich zukommen sahen.

»Was in aller Welt giebt es denn hier? fragten sie.

[184] [187]– Valdez, der sich noch im Dorfe aufhielt, erklärte Jean, daß er einen Indianer aus dem Walde hervorstürzen, auf den Capitan zueilen gesehen und auch gehört habe, wie jener meldete, Sie hätten mit den Gewehren..

– Ein Bisamschwein und einen Hirsch erlegt, die wir hier mitbringen fiel Herr Miguel ein.

– Nicht auch einen Tapir?

– Gewiß, auch einen Tapir, antwortete Jacques Helloch. Was ist denn so Schlimmes dabei, einen Tapir zu tödten?

– Nach den Piroguen!... Schnell nach den Piroguen!« rief der Sergeant Martial.

In der That schienen die Dorfbewohner jetzt auf dem Punkte, zu Gewaltthätigkeiten überzugehen. Die so friedlichen, entgegenkommenden, dienstwilligen Indianer schäumten sichtlich vor Wuth. Einige davon waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Ihr Schreien und Toben wurde immer lauter.


»Vorsicht!... Vorsicht!« mahnte Herr Miguel. (S. 183.)

Sie drohten über die Fremdlinge herzufallen. Dem Capitan Caribal gelang es offenbar nur schwierig, sie noch ein wenig im Zaume zu halten – wenn er sich überhaupt darum bemühte – und die Gefahr wuchs jetzt mit jeder Secunde.

War der Grund hierfür wirklich nur der Umstand, daß die Jäger einen Tapir erlegt hatten?

Ja, das einzig und allein, und es war zu bedauern, daß Jean sie vor ihrem Aufbruche nicht nach den Angaben seines Führers darüber unterrichtet hatte, daß sie einer solchen Pachyderme auf keinen Fall auch nur ein Haar krümmen dürften. In den Augen dieser Indianer ist der Tapir ein geheiligtes Thier, verehrt von den dem schlimmsten Aberglauben huldigenden Wilden, die auch noch auf eine Seelenwanderung schwören.

Sie glauben nicht allein an gute und böse Geister, sondern betrachten den Tapir auch als einen ihrer ehrwürdigsten und von ihren Vorfahren schon heilig verehrten Ahnen. In den Leib eines Tapirs zieht, ihrer Annahme nach, die Seele jedes verstorbenen Indianers ein. Ein Tapir weniger bedeutet demnach eine Wohnstätte weniger für diese Seelen, die aus Mangel an Unterkommen dann Gefahr liefen, in Ewigkeit durch das Weltall zu irren. Daher das strenge Verbot die Tage eines Thieres zu verkürzen, das die ehrenwerthe Bestimmung hat, als Hauswirth zu fungieren, und daher, wenn eines doch getödtet worden ist, die Wuth der Piaroas, die sie zu der furchtbarsten Wiedervergeltung treiben kann.

[187] Weder Herr Miguel noch Jacques Helloch wollten jedoch den Hirsch und das Bisamschwein, deren Erlegung keiner Beschränkung unterlag, im Stiche lassen. Die Schiffsleute, die inzwischen ebenfalls herbeigelaufen waren, ergriffen die Jagdbeute und Alle zogen sich eiligst nach den Piroguen zurück.

Mit wüthenden Geberden folgten ihnen die Insassen des Dorfes. Der Capitan suchte sie gar nicht mehr zu besänftigen... im Gegentheil, er marschierte jetzt, seinen Bogen schwingend, an ihrer Spitze, und die Aufregung der Eingebornen erreichte ihren Gipfel, als der von vier Mann auf einer Tragbahre herbeigeschaffte Tapir sichtbar wurde.

Im gleichen Augenblick waren die Passagiere auf ihren Falcas angelangt, wo das Dach der Deckhäuser sie gegen die Pfeile der noch nicht mit Feuerwaffen ausgerüsteten Indianer schützen mußte.

Jacques Helloch brachte Jean eiligst in der »Gallinetta« in Sicherheit, ehe noch der Sergeant Martial sich dieser Verpflichtung erledigen konnte, und empfahl ihm, sich unter dem Deckhause zu halten. Dann kletterte er, und Germain Paterne mit ihm, schleunigst nach der »Moriche« hinüber.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas hatten schon auf der »Maripare« Schutz gefunden.

Die Mannschaften eilten auf ihren Posten und trafen Anstalt, nach der Strommitte zu fahren.

Die Haltetaue waren eben losgeworfen, als ein Hagel von Pfeilen auf die Piroguen niederprasselte, die mittelst der Palaucas fortgestoßen wurden, um aus dem Wirbel zu kommen, der sich an der Rückseite der Landspitze befand. Ehe die regelmäßige Strömung erreicht wurde, ging die Bewegung der Fahrzeuge deshalb recht langsam vor sich, und sie mußten noch eine zweite Salve der am Ufer stehenden Eingebornen über sich ergehen lassen.

Die erste hatte niemand verletzt. Die meisten Pfeile flatterten über die Fahrzeuge hinaus und nur vereinzelte bohrten sich in das Dach der Deckhäuser ein.

Da sie nun ihre Gewehre wieder geladen hatten, begaben sich Herr Miguel und seine Collegen, Jacques Helloch, Germain Paterne und der Sergeant Martial theils nach dem Vorder- und theils nach dem Hintertheile der Piroguen hinaus.

Jetzt knatterten fünf Schüsse, denen nach ganz kurzer Zeit fünf andre folgten.

[188] Sieben bis acht Eingeborne stürzten mehr oder weniger verletzt zur Erde und zwei von den Piaroas, die dabei den Uferabhang hinunter kollerten, verschwanden im Wasser des kleinen Hafens.

Mehr bedurfte es nicht, um die bestürzte Bevölkerung zum Rückzug zu bringen, der bald in eine wilde Flucht ausartete, welche sich unter Geschrei und Geheul bis nach Augustino fortsetzte.

Jetzt außer Gefahr, weiter belästigt zu werden, segelten die Falcas um die Landspitze und dann mit Hilfe der Brise schräg über den Strom.

Es war sechs Uhr abends, als die »Moriche«, die »Maripare« und die »Gallinetta« am linken Ufer für die Nacht anlegten, die durch nichts gestört werden sollte.

Schon wollte sich der Schlaf auf die ermüdeten Lider senken, da richtete, anknüpfend an das eben Erlebte, Germain Paterne an seinen Freund noch eine Frage.

»Was meinst Du, Jacques, was werden jene Piaroas denn nun mit ihrem Tapir anfangen?

– O, den begraben sie mit allen einem so heiligen Thiere zustehenden Ehrungen!

– Ich dächte gar, Jacques!... Willst Du mit mir wetten, daß sie ihn aufessen und damit gar nicht Unrecht haben, denn es geht wirklich nichts über eine gut geröstete Tapirlende!«

14. Capitel
Vierzehntes Capitel.
Der Chubasco.

Mit Tagesanbruch, als die letzten Sterne noch am Westhimmel flimmerten, wurden die Passagiere durch die Vorbereitungen zur Weiterfahrt geweckt. Alles ließ erwarten, daß dies der letzte Reisetag sein werde. San-Fernando lag jetzt nur noch fünfzehn Kilometer weit entfernt. Der Gedanke, heute Abend in einem wirklichen Zimmer und in einem leibhaftigen Bette zu schlafen, [189] berührte Alle natürlich höchst angenehm. Von Caïcara aus gerechnet, dauerte die Stromfahrt bereits einunddreißig Tage und folglich ebenso viele Nächte, während der man sich hatte mit den sehr primitiven Esteras der Deckhäuschen begnügen müssen.

Was den Aufenthalt in la Urbana, wie in den Dörfern Maipures und Atures betrifft, wo man in Strohhütten und auf indianischen Lagerstätten übernachtet hatte, so verschwand diese fragliche Annehmlichkeit doch ganz gegen den Comfort eines in europäischer Weise ausgestatteten einfachen Gasthauses, von dem eines eigentlichen Hôtels ganz zu schweigen. Ohne Zweifel würde ja San-Fernando nach dieser Seite alle Wünsche befriedigen.

Als die Herren Miguel und seine Gefährten aus den Deckhäusern hervortraten, schwammen die Falcas schon in der Mitte des Strombettes. Bei frischem Nordostwinde kamen sie jetzt ziemlich schnell vorwärts. Leider ließen gewisse Vorzeichen, über die sich Stromschiffer des Orinoco nicht wohl täuschen konnten, befürchten, daß die günstige Brise nicht lange genug anhalten werde, um fünfzehn Kilometer zurückzulegen.

Die Piroguen segelten wieder so nebeneinander hin, daß Jacques Helloch bequem nach der »Gallinetta« hinübersprechen konnte.

»Sie befinden sich doch heute Morgen wohl, lieber Jean? fragte er, mit der Hand grüßend.

– Ich danke Ihnen, Herr Helloch, erwiderte der junge Mann.

– Und Sie, Sergeant Martial?

– Mir scheint, ich befinde mich nicht schlechter als gewöhnlich, begnügte sich der alte Soldat zu antworten.

– Das sieht man... sieht man freilich auf den ersten Blick, versetzte Jacques Helloch froh gelaunt. Ich hoffe, wir werden heute Abend Alle bei vortrefflicher Gesundheit in San-Fernando ankommen.

– Heute Abend? wiederholte der Schiffer Valdez mit ungläubigem Kopfschütteln. Wer kann das wissen?«

Da mischte sich noch Herr Miguel, der den Himmel betrachtet hatte, in das Gespräch.

»Sind Sie nicht zufrieden mit dem Wetter, Valdez? fragte er.

– Nicht so ganz, Herr Miguel. Da oben ziehen Wolken aus dem Süden herauf, und die haben nichts Gutes zu bedeuten.

– Wird der Wind sie nicht vertreiben?

[190] – Wenn er aushält... vielleicht... doch wenn er, wie ich fürchte, abflaut oder sich ganz legt... Was da unten heraufsteigt, sind Gewitterwolken, und es ist ja nicht selten, daß solche dem Winde entgegen ziehen.«

Jacques Helloch ließ die Blicke über den Horizont schweifen und schien die Ansicht des Schiffers Valdez zu theilen.

»Nun, inzwischen, sagte er, wollen wir die Brise ausnutzen und so viel wie möglich Weg zurückzulegen suchen.

– Daran soll es nicht fehlen, Herr Helloch!« versicherte der Führer der »Gallinetta«.

Im Laufe des Vormittags erlitten die Piroguen keine nennenswerthe Verzögerung. Immer genügten die prall geschwellten Segel zur Ueberwindung der Strömung, hier übrigens einer recht schnellen, zwischen den von weiten Ilanos begrenzten Ufern und dem da und dort von einzelnen Mesas, das sind grünbedeckte Erdhaufen, durchsetzten Orinoco. Mehrere Rios, die von den letzten Regengüssen her noch reichliche Wassermassen führten, nach fünf bis sechs Wochen aber ganz versiegt sein würden, mündeten hier in den Hauptstrom ein.

Dank der Brise konnten die Fahrzeuge nach Umschiffung der Risse von Nericawa, wenn auch unter mancher Schwierigkeit und großer Anstrengung, das kleine Raudal von Aji überwinden, dessen Durchlässe zur Zeit überall noch Wassertiefe genug hatten, zwischen ihren Felsblöcken hindurchzulavieren. Eine Gefahr lag dabei nur darin, daß eine unerwarteterweise von der Strömung gepackte Pirogue gegen eine solche Klippe geschleudert würde, an der sie unfehlbar zertrümmert werden mußte.

Ein solcher Unfall wäre der »Moriche« beinahe zugestoßen. Mit ungeheurer Gewalt fortgerissen, war sie nahe daran, an die Kante eines mächtigen Felsblocks geworfen zu werden. Wäre dieses Unglück eingetroffen, so hätten die »Gallinetta« und die »Maripare« jedenfalls die Insassen und das Material der »Moriche« noch retten können. In diesem Falle hätten Jacques Helloch und sein Begleiter wohl oder übel nach einer andern Falca übersiedeln müssen, und es lag ja auf der Hand, daß dann die »Gallinetta« die beiden Landsleute an Bord aufnahm.

Das war ein möglicher Fall, der dem Sergeanten Martial – um nicht mehr zu sagen – gewiß arg gegen den Strich gegangen wäre, obwohl die den beiden Franzosen zu gewährende Gastfreundschaft voraussichtlich nur wenige Stunden dauern konnte.


»Nach den Piroguen!... Schnell nach den Piroguen!« (S. 187.)

Nachdem die Schiffsleute den Gefahren des Raudals von Aji entgangen waren, gelang ihnen ebenso die Passage des Raudals von Castillito, des letzten, das stromabwärts von San-Fernando die Schifffahrt erschwerte.

[191]

Nach eingenommenem Frühstück, d.h. um die Mittagszeit, erschien Jacques Helloch auf dem Vordertheil der »Moriche«, um eine Cigarre zu rauchen.

Mit lebhaftem Bedauern mußte er sich überzeugen, daß Valdez sich in seiner Voraussicht nicht getäuscht hatte.


»Da oben ziehen Wolken aus dem Süden heraus.« (S. 190.)

Die Brise wurde schwächer und die schlaffen Segel vermochten kaum noch die Strömung überwinden zu helfen. Nur [192] zuweilen noch spannte sie ein kurzer Windstoß stärker an, wobei die Piroguen ein paar Kabellängen weiter hinausgelangten.

Es lag auf der Hand, daß der Zustand der Atmosphäre in kurzer Zeit eine starke Veränderung erfahren werde. Im Süden thürmten sich bleigraue, von dunkleren Streifen wie das Fell mancher Raubthiere durchzogene Wolkenmassen auf. In der Ferne flogen auch zerfaserte Dunstsetzen schnell über den Himmel. Die Sonne, die zur Zeit ihrer Culmination im Zenith stand, mußte bald hinter dem dichten Dunstwall verschwinden.

[193] »Desto besser! rief Germain Paterne, über dessen gebräunte Wangen große Schweißtropfen hinabrieselten.

– Nein, desto schlimmer! entgegnete Jacques Helloch. Es wäre angenehmer, sich zu Wasser aufzulösen, als auf diesem Theile des Stromes, wo ich keinen Schlupfwinkel sehe, von einem Unwetter überrascht zu werden.«

Herr Felipe äußerte eben zu seinen Collegen:

»Man kann kaum noch athmen, und wenn sich der Wind ganz legt, müssen wir ersticken.

– Wissen Sie, wieviel das Thermometer im Innern des Deckhauses zeigt? erwiderte Herr Varinas. Siebenunddreißig Centigrade, und wenn es nur noch ein wenig steigt, sind wir in Gefahr, gesotten zu werden.

– Eine solche Hitze hab' ich auch noch nicht erlebt!« sagte Herr Miguel einfach und wischte sich gemüthsruhig die Stirn ab.

In den Deckhäusern Schutz zu suchen, war ganz unmöglich geworden. Auf dem Hintertheile der Piroguen konnte man wenigstens ein wenig Luft »schnappen« – freilich eine glühende Luft, die dem Schachte eines Hochofens zu entströmen schien. Zum weitern Unglück bewegten sich die Falcas ja mit der Brise, so daß man von dieser kaum etwas und bei dem bedrohlich zunehmenden Aussetzen derselben gar nichts verspürte.

Der »Gallinetta«, der »Maripare« und der »Moriche« gelang es indeß, gegen drei Uhr eine größere Insel anzulaufen, die man auf den Karten unter dem Namen Amananemi verzeichnet findet, eine bewaldete Insel mit dichtem Gestrüpp und steil abfallenden Ufern. Indem sie den Arm des Stromes hinausgingen, wo nur eine mäßigere Strömung stand, und sich mittelst der Espilla weiter fortarbeiteten, erreichten die Schiffsleute noch glücklich die Südspitze dieser Insel.

Die Sonne war jetzt hinter den angehäuften Dunstmassen, die sich eine über die andre hinwegzuwälzen schienen, verschwunden. Lang andauerndes Donnerrollen ertönte von Süden her. Schon zerrissen die er sten Blitze die Wolkenhaufen, die fast zu zerspringen drohten. Von Norden her wehte kein Lufthauch mehr. Das Gewitter zog herauf und breitete seine elektricitätsschwangern Fittige von Osten bis nach Westen hin aus. Daß die großartige Naturerscheinung ohne furchtbaren Aufruhr der Elemente vorübergehen könnte, war zwar nicht ausgeschlossen, doch auch der vertrauensseligste Meteorolog hätte es hier nicht zu hoffen gewagt.

[194] Aus Vorsicht wurden die jetzt doch ganz nutzlosen Segel der Piroguen eingezogen. Die Schiffsleute legten aus demselben Grunde auch die Masten nieder und banden sie auf den Schiffen fest. Sobald die Falcas zurückzuweichen begannen, erfaßte jeder die Palaucas und arbeitete sich, mit so viel Kraft, wie ihm die erstickende Atmosphäre gerade noch übrig gelassen hatte, gegen den Strom hinaus.

Nach der Insel Amanameni erreichte man die nicht kleinere Insel Guayartivari, wo es möglich war, sich längs des abschüssigen Ufers hinzuschleppen. Die Piroguen kamen dabei schneller als durch die Palancas vorwärts und konnten unter diesen Umständen über die stromaufwärts gelegene Spitze hinausgelangen.

Während die Mannschaften, die so schwer zu schleppen gehabt hatten, ein wenig ausruhten, um nachher die Palancas mit neuer Kraft zu handhaben' näherte sich Herr Miguel der »Moriche«.

»Wie weit sind wir noch von San-Fernando? fragte er.

– Drei Kilometer, erklärte Jacques Helloch, der eben die Stromkarte eingesehen hatte.

– Nun, diese drei Kilometer müssen wir im Laufe des Nachmittags noch hinter uns bringen,« sagte Herr Miguel sehr bestimmt.

Dann wendete er sich an die Schiffsmannschaften.

»Auf, liebe Freunde, rief er mit lauter Stimme, noch eine letzte Anstrengung! Ihr sollt es nicht zu bereuen haben und werdet für Eure Mühe reichlich belohnt werden. Zwei Piaster für jeden Mann, wenn wir noch heute Abend am Quai von San-Fernando liegen!«

Die Gefährten des Herrn Miguel verpfändeten ebenfalls ihr Wort für diese Zusage. Angefeuert durch den versprochenen Preis, schienen die Mannschaften der drei Piroguen bereit, auch das Unmögliche möglich zu machen, um die Belohnung einzuheimsen. Unter den Verhältnissen freilich, unter denen man ihnen diesen Mehraufwand von Energie zumuthete, waren die zwei Piaster gewiß redlich verdient.

Die Fahrzeuge befanden sich jetzt dem Guaviare gegenüber, dessen Mündung das linke Ufer des Orinoco tief einbuchtet, wenn es nicht der Orinoco ist, der tief in das rechte Ufer des Guaviare einschneidet, im Falle daß Herr Varinas gegen die Herren Miguel und Felipe Recht behielt.

Es darf wohl nicht wundernehmen, daß der Vertheidiger des Guaviare, das Fernrohr vor den Augen, die Blicke über den weiten Einschnitt schweifen [195] ließ, durch den der von ihm bevorzugte Fluß sein thoniges, gelbliches Wasser entleerte. Freilich darf man sich auch nicht mehr wundern, daß Herr Felipe, der die vollkommenste Nichtachtung heuchelte, als die Pirogue vor der weiten Bucht vorüberglitt, obgleich er recht wohl wußte, um was es sich handelte, ironischen Tones fragte:

»Welcher Bach ist denn das?«

Ein Bach, dieser Guaviare, den Fahrzeuge noch tausend Kilometer hinaufsegeln können; ein Bach, dessen Zuflüsse das Gebiet bis zum Fuße der Anden bewässern; ein Bach, der in der Secunde eine Wassermasse von dreihundertzweitausend Cubikmetern in den andern Strom ergießt!

Auf die verächtliche, spöttische Frage des Herrn Felipe erfolgte jedoch keine Antwort, denn niemand fand Zeit zu einer solchen, oder sie bestand doch nur in dem einen Worte, das die Mannschaften der drei Falcas gleichzeitig hervorstießen:

»Chubasco!... Chubasco!«

Das ist der indianische Name für den furchtbaren kurzen Sturm, der jetzt am fernen Horizonte losbrach. Einer Lawine gleich wühlte sich der Chubasco in das Bett des Orinoco ein. Seltsam ist dabei und unerklärlich für jeden, der mit diesen, den venezuolanischen Ilanos eigenthümlichen Erscheinungen nicht vertraut ist, daß er von Nordwesten her über deren Ebenen dahinbraust.

Noch einen Augenblick vorher war die Luft ruhig... mehr als ruhig, schwer, dick, fast zum festen Körper erstarrt. Die von Elektricität übersättigten Wolken verbreiteten sich mehr und mehr über den Himmel, der Sturm aber, statt ebenfalls von Süden herzukommen, raste von der entgegengesetzten Seite heran. Nahe dem Zenith prallte er auf jene Dunstmassen, zerstreute die einen und wälzte dafür andre zu Haufen an, die, vom Winde gebläht, von Regen- und Hagelmassen belastet, sich über die Stromecke entluden, an der sich die Fluthen eines mächtigen Stromes mit denen seiner zwei großen Zuflüsse mischten.

Die erste Wirkung des Chubasco bestand darin, daß er die Fahrzeuge von der Mündung des Guaviare entfernte, die zweite aber darin, daß er sie, ohne Mithilfe der Palancas, nicht nur gegen die Strömung festhielt, sondern sie sogar in schräger Richtung auf San-Fernando zutrieb. Brachte der wilde Sturm sie selbst nicht in Gefahr, so hatten die Passagiere sich nicht über die Richtung zu beklagen, die er den drei Piroguen aufzwang.

Leider sind diese Chubascos aber gewöhnlich von zahlreichen Unfällen begleitet. Wer nicht selbst davon Zeuge gewesen ist, kann sich von ihrem Ungestüm[196] gar keine Vorstellung machen. Sie erzeugen alles zerreißende, mit Hagelschauern verbundene Böen, denen man sich nicht ungestraft aussetzen könnte, einen Kartätschenhagel, der auch die Strohdächer der Deckhäuser durchlöchert.

Auf den Ruf »Chubasco! Chubasco!« hatten die Passagiere sofort Unterschlups gesucht. In richtiger Voraussicht dieses »Hundewetters«, wie es die Stromschiffer nennen, waren schon die Segel eingezogen und die Masten niedergelegt worden, und so konnten die »Maripare«, die »Moriche« und die »Gallinetta« dem ersten Anprall des Orkans widerstehen.

Jene Vorsichtsmaßregeln hatten jedoch noch keineswegs alle Gefahren beseitigt; es drohten auch noch andre, außer der des Kenterns. Vom wüthenden Winde getrieben und von schäumenden, denen des Oceans ähnlichen Wellen überspült, schwankten die Falcas eine auf die andre zu, stießen gegeneinander und drohten dadurch leck zu werden oder an den Felsen des rechten Ufers in Trümmer zu gehen. Selbst wenn die Passagiere sich dann noch ans Land zu retten vermochten, mußte doch ihr Gepäck und alles Schiffsmaterial dabei verloren gehen.

Jetzt taumelten die Fahrzeuge auf dem auf- und abwogenden Strome hilflos umher. Es war den Schiffern ganz unmöglich, sie mittelst der Palancas am Achter in bestimmter Richtung hinzusteuern. Sie drehten sich völlig um sich selbst, wenn sie auf eine riesige Woge stießen, die einen furchtbaren Wasserschwall über ihren Bordrand ergoß. Durch diese Ueberlastung tiefer eingedrückt, wären sie zweifellos gesunken, wenn die Schiffsleute nicht ununterbrochen bemüht gewesen wären, das Wasser auszuschöpfen, und die Passagiere ihnen dabei nicht redlich geholfen hätten.

Die flachbodigen Fahrzeuge, nur bestimmt, auf ruhigen Wasserflächen zu segeln, sind weder der Größe, noch der Gestalt nach geeignet, einen derartigen Sturm auszuhalten, und groß ist die Zahl derer, die bei den in der warmen Jahreszeit so häufigen Chubascos zwischen den Ufern des mittleren Orinoco zugrundegehen.

Der Strom ist an dieser Stelle grade sehr breit. Er erweiterte sich schon von der Südspitze der großen Insel Guayartivari an. Man könnte ihn für einen großen Binnensee halten, der, im Osten und gegenüber der Mündung des Guaviare abgerundet, sich nach Süden in Trichterform fortsetzt. Hier können die Stürme unbehindert ihre Wuth entfalten, denn die Ilanos am Ufer haben weder Cerros noch Waldmassen, die ihre Kraft brechen könnten. Ein von solchem Unwetter überraschtes Fahrzeug hat nicht einmal, wie auf dem Meere, die [197] Möglichkeit, sich ihm durch Flucht zu entziehen, sondern muß als einziges Rettungsmittel auf gut Glück auf das Ufer laufen.

Die Mannschaften wußten das recht gut und vermochten doch nichts zu thun, um einer solchen Katastrophe vorzubeugen. Schon dachten sie daran, ehe sie gegen die Felsen stießen, ihre Personen zu retten, und das war nur dadurch möglich, daß sie sich in die schaumige Brandung stürzten und schwimmend das Ufer zu erreichen suchten.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas hatten, trotz des Wüthens der Böe, das Deckhaus der »Maripare« verlassen, die durch überschlagende Wellen halb angefüllt war. Jetzt hielten sie sich für jede Möglichkeit bereit.

Der eine von ihnen sagte nur beiläufig:

»Das nennt man: im Hafen scheitern!«

An Bord der »Gallinetta« bemühte sich der Sergeant Martial, nach Kräften ruhig und gefaßt zu bleiben. Wäre er allein gewesen und hätte er nur für sich selbst zu fürchten gehabt, so würde er wohl bald die Resignation des alten Soldaten gefunden haben, der ganz andern Gefahren ins Auge geblickt hat. Doch Jean... den Sohn seines Obersten... das Kind, das er bei dieser abenteuerlichen Reise zu begleiten und zu schützen übernommen hatte, wie konnte er es retten, wenn die Pirogue entfernt vom Ufer unterging? –

Der Sergeant Martial konnte nicht schwimmen, doch wenn er es auch gekonnt hätte, was hätte er in den aufgeregten Fluthen, deren Wogen blitzgeschwind dahintrieben, auszurichten vermocht? Immerhin würde er sich im Nothfalle hineinstürzen, und wenn es ihm nicht gelang, Jean zu retten, so wollte er wenigstens mit ihm sterben.

Der junge Mann hatte übrigens seinen Gleichmuth bewahrt, während der Sergeant Martial ihn mehr und mehr zu verlieren schien. Aus dem Deckhause heraustretend, klammerte er sich fest an einen Balken auf dem Hintertheile des Fahrzeugs an. Er sah wohl die Gefahr, wendete die Augen aber nicht davon ab, und seine Lippen murmelten den Namen seines Vaters.

Einer wachte jedoch über ihn, ohne daß er es bemerkte, während die steuerlosen Piroguen nach der gleichen Seite dahintrieben und bald dicht nebeneinander, bald, durch eine überbrechende Woge getrennt, schaukelnd umhergeworfen wurden. Jacques Helloch verlor ihn nicht aus dem Auge, und wenn die Falcas dicht und nahe daran, eine die andre zu zerstören, aneinander dahinliefen, dachte er nur daran, ihm Muth zuzusprechen. Der junge [198] Mann, der auch vor der drohenden Todesgefahr nicht erzitterte, bedurfte dessen freilich nicht.

»Noch zwei Minuten, und wir sind am Strande, sagte Germain Paterne, der auf dem Vordertheile der »Moriche« stand.

– Aufgepaßt, rief Jacques Helloch, jeder sei bereit, den andern zu retten!«

In Folge der Krümmung, die der Strom da beschreibt, wo er sich mit der Mündung des Guaviare verbindet, war das linke Ufer des Orinoco jetzt nur noch zweihundert Meter weit entfernt. Durch die vom Regen und Hagel gebildeten Streifen sah man es, von den Dunstmassen, die seine Klippen umwogten, ganz weiß vor sich liegen. In wenigen Augenblicken mußte es erreicht sein, denn die Gewalt des Chubasco nahm noch immer weiter zu, und die von der Seite gepackten Piroguen tauchten zwischen den Wogenfurchen, immer Wasser übernehmend, auf und nieder.

Da erfolgte ein heftiger Stoß.

Die »Moriche« hatte die »Gallinetta« angerannt.

Der Stoß war so stark und die »Gallinetta« neigte sich dadurch so weit über, daß das Wasser über das Schandeck hereinfluthete.

Dennoch kenterte sie nicht.

Ein entsetzlicher Schrei übertönte aber das betäubende Geheul des Sturmes.

Der Sergeant Martial war es, der ihn ausgestoßen hatte.

Im Augenblicke der Collision war Jean in die gurgelnde Fluth gestürzt.

»Mein Kind!... Mein Kind!« wiederholte der alte Soldat, der den Kopf ganz verloren hatte und dessen Glieder jetzt gelähmt schienen.

Dennoch versuchte er, in den Strom nachzuspringen, und was hätte er da zu thun vermocht?

Jacques Helloch packte ihn mit kräftigem Arme und drängte ihn nach der Mitte der Pirogue zurück.


Die Fahrzeuge taumelten auf dem auf- und abwogenden Strome hilflos umher. (S. 197.)

Wenn Jacques Helloch jetzt unmittelbar bei der Hand war, kam das daher, daß er kurz vorher nach der »Gallinetta« hinübersprang, um dem jungen Manne näher und sofort zu etwaiger Hilfeleistung bereit zu sein.

Und im Augenblicke, wo Jean verschwand, hatte er den Sergeanten Martial einen Namen... freilich einen andern und nicht den Namen Jean rufen gehört.

»Ueberlassen Sie Alles mir! sagte er zu dem alten Soldaten.

[199] – Sie werden mich nicht abhalten wollen... entgegnete dieser.

– O, Sie können nicht schwimmen... Sie kämen nur Beide ums Leben. Ich... ich werde Ihr Kind schon retten!«

Ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten, war Jacques Helloch kopfüber ins Wasser gesprungen.

Der ganze Auftritt hatte nur wenige Secunden gewährt.

Mit fünf bis sechs Armbewegungen gelang es Jacques Helloch, sich zu Jean hinzuarbeiten, der nach mehrfachem Wiederauftauchen jetzt dem Versinken[200] [203] nahe war. Er faßte ihn mitten um den Leib, stützte seinen Kopf, um diesen über Wasser zu halten, und ließ sich nach dem Ufer hintreiben.

»Muth, nur Muth!« raunte er ihm wiederholt zu.

Jean, der mit geschlossenen Augen und halb bewußtlos in seinen Armen lag, konnte ihn nicht hören, nicht verstehen.


Jean war in die gurgelnde Fluth gestürzt (S. 199.)

Die Piroguen waren kaum um zwanzig Meter zurück. Während Valdez den ganz verzweifelten Sergeanten Martial zurückhielt, konnte man sehen, wie Jacques Helloch den jungen Mann fest hielt. Die Oberwasserströmung trug Beide nach dem Ufer hin.

Auch die Falcas erreichten es endlich und wurden durch einen glücklichen, Zufall, statt gegen die Klippen geschleudert zu werden, durch eine Grundwelle hoch emporgehoben und auf eine sandige Strandstelle getragen, wo sie ohne ernstere Beschädigung liegen blieben.

Im nämlichen Augenblick erhob sich Jacques Helloch aus dem Wasser und kam auf die Füße zu stehen.

Jean, der das Bewußtsein jetzt ganz verloren hatte, hing in seinen Armen. Nachdem er ihn mit leicht erhobenem Kopfe neben einen Felsblock niedergelegt hatte, versuchte er, ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen.

Bei dem tollen Sturme hatte niemand das Leben eingebüßt, weder als die Piroguen wiederholt gegeneinanderstießen, noch als sie am Ufer strandeten.

Herr Miguel und seine Genossen, die sofort aus der »Maripare« sprangen, eilten auf den neben dem jungen Manne knieenden Jacques Helloch zu.

Heil und gesund kam auch Germain Paterne herbei, während die Mannschaften die Fahrzeuge bis über die Linie der Brandung hinauszogen.

Der Sergeant Martial erschien gerade zur Zeit, wo Jean die Augen aufschlug und den Blick auf seinen Lebensretter richtete.

»Mein Kind... mein Kind! rief er schluchzend.

– Martial... mein guter Martial!« flüsterte Jean.

Dann schlossen sich seine Augen wieder, nachdem er noch mit einem Blicke dem gedankt, der um seinetwillen drohender Todesgefahr getrotzt hatte.

Fünfhundert Schritt weit zur Linken erhoben sich die ersten Häuser von San-Fernando, wohin man sich nun ohne Säumen begeben mußte.

Jacques Helloch wollte den jungen Mann wieder aufheben und stützen da erhob aber der Sergeant Martial Einspruch mit den Worten:

[203] »Wenn ich auch nicht schwimmen kann, mein Herr, so kann ich doch gehen, und an Kraft, mein Kind zu tragen, wird mir's auch nicht fehlen!«

Das war der ganze Dank, den er dem muthigen jungen Manne zollte.

Jean in den Armen haltend und begleitet von Herrn Miguel nebst seinen zwei Collegen, von Jacques Helloch und Germain Paterne, schritt der Sergeant Martial dann auf dem Uferpfade hin, der nach der nahen Ortschaft führte.

15. Capitel
Fünfzehntes Capitel.
San-Fernando.

Der Atabapo und der Guaviare sind an der Stelle, wo sie sich in den Orinoco ergießen – der freundliche Leser verzeihe diese Hypothese bis zur weiteren Klarlegung der Sache – durch eine Art Halbinsel von einander getrennt. Die Betten beider Nebenflüsse begrenzen, der erste an der Ost-, der zweite an der Westseite, diese Halbinsel, deren Spitze nach Norden zu hervortritt.

Hier erblickt man also den »Platz am Kreuzwege« den M. E. Reclus mit Recht das »wahre hydrographische Centrum der ganzen Landstrecke zwischen den Antillen und dem Amazonenstrome« genannt hat.

San-Fernando nimmt den westlichen Theil der genannten, gleichzeitig vom rechten Ufer des Atabapo begrenzten Halbinsel ein. Ob dieser Zufluß unmittelbar in den Orinoco einmündet oder nur einen Nebenarm des Guaviare bildet, war zur Zeit noch eine dunkle Frage, die die bevorstehenden Untersuchungen der Herren Miguel, Felipe und Varinas vielleicht aufhellen sollten.

Die kleine Ortschaft selbst, die Solano 1757 gründete, liegt zweihundertsiebenunddreißig Meter über der Meeresfläche. Wenn je ein Flecken begründete Aussicht hatte, sich in Zukunft zu großer Bedeutung zu entwickeln, trifft das gewiß für San-Fernando zu. Um diesen geographischen Punkt verzweigen sich fünf schiffbare Wasserstraßen: Der Atabapo führt an Gavita vorüber und durch die Becken des Rio Negro und des Amazonenstromes nach Brasilien; der obere Orinoco nach den östlichen Theilen Venezuelas und der mittlere Orinoco nach [204] dessen westlichen Gebieten; der Yrinida vermittelt den Verkehr mit dem Südwesten, und der Guaviare verläuft durch die Gebiete von Columbia.

Obgleich von San-Fernando aber ein richtiger Stern von Verkehrswegen ausstrahlt, scheint es davon, was den Ort selbst betrifft, doch noch keinen besonderen Nutzen gehabt zu haben. Im Jahre 1887, als Chaffanjon daselbst verweilte, ehe er seinen Zug nach den Orinocoquellen antrat, war es immer noch weiter nichts, als ein großes Dorf. Jetzt hatte sich die Zahl seiner Häuser sowohl, als auch die seiner Einwohner in dem Zeitraume von sieben Jahren, aber doch nur in bescheidener Weise, vermehrt.

San-Fernando wird im höchsten Falle fünf- bis sechshundert Einwohner haben. Sie beschäftigen sich mit dem Bau kleinerer Fahrzeuge, die hier viel gebraucht werden, oder treiben Handel mit Kautschuk, Gummi und Früchten, von letzteren vorzüglich mit denen der Piriguaopalme.

Von diesem Dorfe aus ging im Jahre 1882 der von Lejeanne begleitete Doctor Crevaux zu seinem Zuge den Guaviare aufwärts aus – zu jener Erforschungsfahrt, die dem Nekrologe der Entdecker unsers Zeitalters ein weiteres Opfer hinzufügen sollte.

Die Bevölkerung von San-Fernando umfaßt einige Familien von Weißen, eine gewisse Zahl Neger und außerdem Indianer, die zum größten Theile dem Stamme der Banivas angehören. Die Autorität des Präsidenten der Republik und des Congresses wird hier durch einen Gouverneur vertreten, der nur über eine sehr kleine Zahl von Soldaten verfügt. Diese Miliz versieht hauptsächlich den Polizeidienst im Gebiete der Provinz und wird durch Heranziehung weiterer Leute verstärkt, wenn es einmal gilt, die Banden, die das Uferland des Orinoco und seiner Zuflüsse unsicher machen, zur Vernunft zu bringen.

Die Banivas verdienen unter den autochthonen Rassen Venezuelas besondre Erwähnung. Ihre physische Constitution stellt sie über die Zugehörigen andrer Stämme. Sie zeigen einen kräftigen Körperbau mit muskulösen Gliedern, intelligentes Gesicht, sozusagen edles Blut, das unter ihrer röthlichen Haut dahinfließt, und glänzende Augen, die ein wenig schief stehen. Auch vom moralischen Gesichtspunkte aus betrachtet überragen sie die übrigen Eingebornen, denn sie sind erwerbsthätig, ob sie nun als Ruderer dienen oder Hängematten oder Estrillas verfertigen, welch letztere zum Schleppen der Flußschiffe dienen. Die Gutmüthigkeit und Ehrenhaftigkeit dieser Indianer empfehlen sie den Reisenden, die ihrer Dienste bedürfen. Sie sind Fischer, Jäger und verstehen sich ebenso[205] auf den Anbau und die Ernte des Kautschuks. Im Vergleich zu den Piaroas sind sie nicht einmal abergläubisch zu nennen. Doch obwohl Anhänger der katholischen Religion, zu der sie durch glaubenseifrige Missionäre bekehrt wurden, haben sie einzelne alte, örtliche Gebräuche beibehalten, die, wie es scheint, nur sehr schwer auszurotten sind.

Obgleich die Wohnstätten in San-Fernando meist auch nur den Namen Hütten oder Strohhäuschen verdienen, finden sich darunter doch einige, die einen gewissen Comfort bieten.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas fanden Unterkommen beim Gouverneur. Der hochangesehene Mann bestand darauf, die drei Gelehrten aus Ciudad-Bolivar als Gäste aufzunehmen. Wahrscheinlich wurde die Behausung Seiner Excellenz also noch der Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen, die sie nahezu unbewohnbar machten. Auf diesem Punkte waren Herr Miguel und seine beiden Collegen indeß noch nicht angelangt. Ehe man in ernste Verhandlungen eintreten konnte, mußten die in Frage kommenden Oertlichkeiten besichtigt, näher erforscht und jedes Für und Wider zur Formulierung eines Urtheils gegeneinander abgewogen werden. Die Streitfrage erheischte also eine sorgsame Untersuchung der Mündung der drei Flüsse, längeren Aufenthalt an der Vereinigung des Atabapo und des Guaviare, vielleicht auch auf die Strecke von so und so viel Kilometern die Besichtigung ihres Laufes. Vorläufig hatten indeß die Vertreter und Vertheidiger der drei Wasseradern gründlich auszuruhen, um sich von den Mühsalen einer über sechswöchigen Reise auf dem unteren und mittleren Orinoco zu erholen.

Der Sergeant Martial und Jean von Kermor konnten sich in einer Art leidlichen Gasthauses einmiethen, das unweit des Hafens lag und wo sie weitere Auskunft abzuwarten gedachten, um danach ihre Nachsuchungen in dieser oder jener Richtung fortzusetzen.

Jacques Helloch und Germain Paterne zogen es vor, gleich auf ihrer Pirogue zu bleiben. Einmal an diese schwimmende Wohnstätte gewöhnt, glaubten sie sich hier besser untergebracht, als irgend wo anders. Die »Moriche« hatte sie nach San-Fernando gebracht, und die »Moriche« sollte sie nach Caïcara zurückführen, sobald ihre wissenschaftliche Mission erledigt wäre.

Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß die Schiffsleute, gleich nachdem die Wuth des Chubasco gebrochen war, sich beeilt hatten, die drei Falcas nach dem Hafen von San-Fernando zu schaffen. Das gelang noch am [206] nämlichen Abend, denn jene heftigen Stürme pflegen sich meist schon binnen zwei bis drei Stunden auszutoben. Ganz ohne Beschädigung waren die Piroguen bei den wiederholten Zusammenstößen auf dem Strome und bei dem schließlichen Auflaufen am Ufer freilich nicht davongekommen; die erlittenen Havarien waren aber so leichter Natur, daß sie schnell ausgebessert werden konnten. An Zeit jedoch fehlte es weder der »Maripare«, noch der »Moriche«, da ihre Passagiere jedenfalls in San-Fernando verweilen sollten. Mit der »Gallinetta« lag das nur insofern anders, als Jean, ohne einen Tag zu verlieren, weiter fahren wollte, sobald ihn irgendwelche Aufschlüsse auf die Spuren des Oberst von Kermor hinwiesen.

Seine Reisegenossen, die sich für das Unternehmen des jungen Mannes ja so lebhaft interessierten, wollten auch nichts unversucht lassen, weitere Nachrichten zu erlangen. Durch Herrn Miguel und seine beiden Collegen war ferner die Mitwirkung des Gouverneurs von San-Fernando so gut wie gesichert, und kein Besserer als er hätte ja eine genaue Umfrage in die Hand nehmen können. Jacques Helloch und Germain Paterne wollten ebenfalls ihr Möglichstes thun, um ihre Landsleute zu unterstützen. Sie besaßen Empfehlungsbriefe an einen hervorragenden und sehr gefälligen weißen Bewohner des Ortes, an einen jetzt achtundsechzigjährigen Herrn Mirabal, dessen schon Chaffanjon in dem Berichte über seinen Zug nach den Quellen des Orinoco mit dankbarer Anerkennung Erwähnung thut. Die beiden – oder vielmehr die vier – Franzosen fanden bei dessen hochachtbaren, liebenswürdigen Familie gewiß den besten Empfang.

Ehe wir jedoch von den Schritten erzählen, die die Reisenden nach ihrem Eintreffen in San-Fernando unternahmen, sei noch kurz geschildert, wie sie nach der Strandung der Piroguen den Weg nach der Ortschaft zurücklegten.

Wie erwähnt, trug der Sergeant Martial Jean in den Armen, die Herren Miguel, Felipe und Varinas gingen den Beiden voraus, und Jacques Helloch nebst Germain Paterne folgten ihnen nach. Letzterer hatte versichert, daß eine ruhige Nacht dem jungen Manne alle früheren Kräfte wiedergeben werde. Vorsorglicherweise hatte er gleich seine Reiseapotheke mitgenommen, an Hilfe und Pflege konnte es dem jungen Manne also nicht fehlen. Es war freilich ebenso verletzend wie unbegreiflich, daß der Sergeant Martial Germain Paterne immer in gewisser Entfernung zu halten suchte, wenn dieser sich einmal theilnehmend nähern wollte.

[207] »Es ist schon gut... schon gut! knurrte er dann. Mein Neffe athmet ebenso frei wie Sie und ich, und sobald die »Gallinetta« im Hafen liegt, wird es uns an nichts mangeln.

– In einigen Stunden wird sie da sein, erklärte Jacques Helloch, der von Valdez und Parchal wußte, daß die Piroguen noch am Abend eintreffen sollten.

– Das ist ja recht schön, erwiderte der Sergeant Martial, doch wenn wir in San-Fernando nur ein gutes Bett finden... Ah, Herr Helloch, ich danke Ihnen auch noch, daß Sie den Kleinen gerettet haben!«

Offenbar hatte er sich schließlich gesagt, daß er jenem diesen einfachen und kurzen Dank schuldig sei, und dennoch brachte er ihn nur sehr trocknen Tones hervor und musterte dabei Jaques Helloch mit recht verdächtigem Blicke.

Dieser antwortete nur mit einem Neigen des Kopfes und blieb einige Schritte zurück.

In dieser Weise erreichten die »Schiffbrüchigen« die Ortschaft, wo der Sergeant Martial, dem Herr Miguel den Weg angab, zwei Zimmer erhalten konnte, in deren einem Jean jedenfalls besser als unter dem Deckhause der »Gallinetta« aufgehoben war.

Germain Paterne kam, ohne daß sein Gefährte sich ihm angeschlossen hätte, im Laufe des Abends mehreremale, um sich nach dem Befinden des jungen Mannes zu erkundigen. Als Antwort wurde ihm versichert, daß Alles zum besten gehe und man seiner Dienste, für die er einen kargen Dank erhielt, jetzt entrathen könne.

Das Erste verhielt sich auch so; der junge von Kermor schlummerte friedlich, und sobald die Pirogue im Hafen angelegt hatte, brachte Valdez einen Reisesack mit Kleidungsstücken, die der Sergeant Martial für den nächsten Morgen bereit legte.

Und als da Germain Paterne in seiner Doppeleigenschaft als Arzt und Freund wieder vorsprach, wurde ihm, trotz alles Murmelns des Onkels, von Jean der freudigste Empfang nur als Freund zutheil. Der junge Mann spürte nichts mehr von dem Unfalle am Tage vorher und dankte ihm herzlichst für seine dienstwillige Hilfe.

»Ich hatte Ihnen ja gesagt, daß die ganze Sache keine Bedeutung hätte, ließ sich da der Sergeant Martial vernehmen.

– Damit haben Sie wohl recht gehabt, Sergeant; sie hätte aber auch eine sehr ernste Wendung nehmen können, und ohne meinen Freund Jacques...

[208] – Ja, ihm, dem Herrn Helloch verdanke ich's ja, heute noch zu leben, fiel Jean ein, und wenn ich ihn wiedersehe, weiß ich gar nicht, wie ich ihm..

– O, er hat nur seine Pflicht gethan, schnitt ihm Germain Paterne das Wort ab, und selbst wenn Sie nicht unser Landsmann gewesen wären...

– Na ja, es ist schon gut, brummte der Sergeant Martial, und wenn wir Herrn Helloch treffen...«


Der Sergeant Martial trug Jean in den Armen. (S. 207)

Sie trafen ihn indeß nicht, wenigstens nicht an diesem Vormittag, ob er sich nun absichtlich beiseite hielt, oder es ihm nur widerstrebte, einen Dank [209] für das, was er gethan hatte, entgegenzunehmen. Nur Eines ist gewiß, daß er nämlich sehr nachdenklich und schweigsam an Bord der »Moriche« zurückblieb, so daß Germain Paterne, nachdem er ihm von dem Befinden des jungen Mannes Mittheilung gemacht hatte, ihm kaum vier Worte zu entlocken vermochte.

Jacques Helloch und Jean sahen sich jedoch am Nachmittage wieder Etwas verlegen – der Sergeant Martial biß sich dabei grimmig in den Schnurrbart – ergriff er die ihm entgegengestreckte Hand, drückte sie aber nicht so warm wie gewöhnlich.

Dieses Zusammentreffen fand bei Herrn Mirabal statt. Jacques Helloch befand sich hier mit dem Empfehlungsschreiben, das an den alten Herrn gerichtet war. Der Sergeant Martial und Jean hatten auch den Gedanken gehabt, sich an ihn zu wenden, um vielleicht etwas Näheres über den Oberst von Kermor zu erfahren.

Herr Mirabal verhehlte den Franzosen, die an ihn gewiesen waren oder sich aus eigenem Antrieb an ihn gewendet hatten, in keiner Weise seine Befriedigung, sie zu empfangen. Er erklärte, ganz zu ihrer Verfügung zu stehen und nichts unversucht lassen zu wollen, was ihnen von Vortheil sein könnte. Die Theilnahme, die er für die Reisenden, deren Sprache er beherrschte, sofort empfand, verrieth sich deutlich in seiner Haltung, in seinen Vorschlägen und in dem Eifer, womit er sie über alle hiesigen Verhältnisse unterrichtete. Den Doctor Crevaux hatte er gesehen, als er durch San-Fernando kam; er erinnerte sich auch des Herrn Chaffanjon, dem einige Dienste zu leisten er sich so glücklich gefühlt hatte... er werde – so versicherte er – nicht weniger für Jacques Helloch und Germain, für den Sergeant Martial und dessen Neffen thun, die auf ihn unter allen Umständen rechnen dürften.

Der junge Mann erklärte ihm hierauf, aus welchem Grunde er nach Venezuela gekommen sei, und das konnte die Theilnahme, die Herr Mirabal für ihn hegte, natürlich nur noch steigern.

Nun erhob sich zuerst die Frage, ob der bejahrte Herr sich entsinnen könne, daß der Oberst von Kermor vor dreizehn Jahren einmal in San-Fernando verweilt habe.

Die Antwort fiel für den jungen Mann nicht gerade befriedigend aus. Auch nach längerem Nachdenken erinnerte sich Herr Mirabal nicht, daß sich hier ein Oberst dieses Namens aufgehalten hätte.

[210] Jeans Gesicht bekam einen kummervollen Ausdruck, und seinen Augen entquollen einige Thränen.

»Sind Sie, Herr Mirabal, fragte Jacques Helloch, hier schon lange Zeit ansässig?

– Ueber vierzig Jahre, antwortete der alte Herr, und ich habe San-Fernando auch nur selten, und dann nur auf kurze Zeit verlassen. Hätte sich ein Reisender, wie der Oberst von Kermor, hier einige Tage aufgehalten, so hätte ich ihn gewiß gesehen und wäre mit ihm in Beziehung getreten. Unser Ort ist nicht so groß und nicht so volkreich, daß ein Fremder nicht von Allen bemerkt worden wäre und ich nicht von ihm gehört hätte.

– Ja... wenn er aber sein Incognito zu bewahren suchte?

– Darauf fehlt mir die Antwort, erklärte Herr Mirabal; sollte er dazu Veranlassung gehabt haben?...

– Herr Mirabal, sagte Jean, mein Vater hat Frankreich vor dreizehn Jahren verlassen, und seine Freunde haben von seiner Abreise erst weit später Kunde bekommen. Selbst mein Onkel, der Sergeant Martial, war damals nicht über das Vorhaben seines Oberst unterrichtet.

– Nein, gewiß nicht! rief der alte Soldat. Ich würde ihn schon davon zurückgehalten haben!

– Doch Sie, mein liebes Kind? fragte Herr Mirabal.

– Ich befand mich zu jener Zeit nicht im Hause meines Vaters, antwortete Jean, sichtlich etwas zögernd. Meine Mutter und ich, wir verweilten einige Zeit in den Colonien, und bei der Rückfahrt nach Frankreich kam meine Mutter durch einen Schiffbruch ums Leben. Ich wurde damals gerettet, und als ich, wieder viele Jahre später, nach der Bretagne heimkam, hatte mein Vater Nantes schon verlassen – seit dieser Zeit wissen wir nichts mehr von ihm.«

Offenbar lag in dem Leben dieses jungen Mannes ein Geheimniß verborgen, wie das Jacques Helloch schon geahnt hatte. Da es ihm aber nicht zukam, es zu entschleiern, bewahrte er nach dieser Seite stets die strengste Zurückhaltung. Jedenfalls unterlag es keinem Zweifel, daß der Oberst von Kermor die Heimat bereits verlassen hatte, als sein Sohn daselbst eintraf, und daß der Sergeant Martial – mochte dieser nun mit ihm verwandt sein oder nicht – unbedingt nicht wußte, wohin er gegangen war.

»Und doch haben Sie, liebes Kind, fuhr Herr Mirabal fort, stichhaltige Gründe, zu glauben, daß Ihr Vater nach San-Fernando gekommen wäre?

[211] – Nicht allein stichhaltige, Herr Mirabal, sondern ganz beweiskräftige Gründe.

– Und die wären?...

– Ein von meinem Vater geschriebener und unterzeichneter Brief, der aus San-Fernando eintraf, ist im Laufe des Jahres 1879 einem seiner Freunde zugegangen.

– Das ist allerdings ein Beweis für... ja, wenn nicht etwa... erwiderte Herr Mirabal in abgebrochenen Sätzen. Es giebt in Venezuela nämlich noch eine andre Ortschaft dieses Namens, an der Ostseite des Orinoco... San-Fernando des Apures.

– Nein, nein, der Brief kam aus San-Fernando de Atabapo, und der Poststempel trägt das Datum des 5. Juni 1879.

– Warum, liebes Kind, haben Sie sich aber nicht damals gleich zu Nachsuchungen entschlossen?

– Weil wir Beide, mein Onkel und ich, von diesem Briefe erst vor drei Monaten Kenntniß erhielten. Der Freund, an den er gerichtet war, durfte niemand davon Mittheilung machen, und erst nach dessen Ableben hat seine Familie ihn uns zugestellt. Ach, wäre ich nicht in weiter Ferne gewesen, als mein Vater das Heimatland verließ... er wäre gewiß nicht fortgegangen!«

Tief bewegt zog Herr Mirabal Jean an sich und umarmte ihn zärtlich. Er fragte sich, was er wohl thun könnte, um ihm zu helfen. Eine Thatsache überwog ja Alles, die, wonach ein vom Oberst von Kermor geschriebener und vom 5. Juni 1879 datierter Brief aus San-Fernando de Atabapo abgegangen war.

»Und doch, äußerte Herr Mirabal, versagt hier meine Erinnerung... nein... ich weiß von nichts, obwohl ich jener Zeit sicherlich in San-Fernando gewesen bin.

– Es ist aber doch kaum glaublich, rief der junge Mann, daß mein Vater hier durchgereist, ja sich sogar, wenigstens kurze Zeit, hier aufgehalten hätte, ohne daß davon irgend etwas nachzuweisen wäre!«

Dazu entrang sich ihm ein schwerer Seufzer, als ob ihm die so bestimmte und niederschmetternde Aussage des Herrn Mirabal die letzte Hoffnung geraubt hätte.

»Verzweifeln Sie nur nicht, Jean – er sagte diesmal nicht »mein lieber Jean« – erwiderte Jacques Helloch, der seine Erregung übrigens kaum [212] selbst bemeistern konnte. Jedenfalls ist der Oberst von Kermor in San-Fernando gewesen, ohne daß Herr Mirabal davon Kenntniß erhielt.«

Der Herr des Hauses erhob den Kopf.

»Andre Personen haben ihn vielleicht kennen gelernt, fuhr Jacques Helloch fort. Wir werden danach Umschau und Nachfrage halten. Drum noch einmal, Jean, nicht gleich auf jeden Erfolg verzichten!«

Der Sergeant Martial sah den jungen Mann nur an, verhielt sich aber schweigend. Er schien diesem immer wieder zu sagen, was er schon seit der Abreise oft genug wiederholt hatte: »Du wirst sehen, mein armes Kind, daß wir eine ganz nutzlose Fahrt unternehmen!«

»Da es ja nicht ausgeschlossen ist, nahm Herr Mirabal wieder das Wort, daß ich von der Anwesenheit des Oberst von Kermor nichts erfahren hätte, werde ich Nachforschungen anstellen, mich bei hiesigen Einwohnern erkundigen. Auch ich möchte Sie bitten, nicht vorschnell zu verzweifeln. Daß Ihr Herr Vater nach San-Fernando gekommen ist, steht ja fest. Doch trat er auch unter seinem wahren Namen auf? Reiste er vielleicht nicht in seiner Eigenschaft als Oberst? Wer mag das wissen?«

Diese Hypothese erschien ja annehmbar, wenn man sich auch kaum erklären konnte, warum der Oberst seinen Namen und seinen Stand verheimlicht haben sollte.

»Wenn Herr von Kermor, bemerkte Jacques Helloch dazu, nicht gerade bei seiner Fahrt durch San-Fernando unerkannt bleiben wollte.

– Weshalb aber eine solche Verheimlichung? fragte Herr Mirabal.

– Mein Vater hatte gar schweren Kummer erlitten, antwortete der junge Mann, dessen Herz immer heftiger zu pochen anfing. Nach dem Tode meiner armen Mutter glaubte er, in der Welt ganz verlassen dazustehen...

– Doch Sie, mein armes Kind?

– Mich hielt er ebenfalls für todt,« erwiderte Jean, während der Sergeant Martial in seiner Ecke heimlich brummte.

Offenbar paßte es ihm keineswegs, seinen Neffen in dieser Weise ausgefragt zu sehen. Dabei wurden verschiedene Einzelheiten ans Licht gezogen, die er immer gern, wenigstens so weit sie mit der Vergangenheit seines angeblichen Neffen zusammenhingen, im Dunkeln gelassen hätte.

Weder Herr Mirabal, noch Jacques Helloch stellten übrigens weitere Fragen. Der von schwerem Unglück geprüfte Oberst von Kermor hatte geglaubt, im Geheimen abreisen zu müssen... so geheim, daß auch sein alter Waffengefährte [213] nichts von seiner Absicht erfuhr. Es war demnach nicht unwahrscheinlich, daß er seinen Namen in der Hoffnung vertauscht hatte, niemals an dem Orte entdeckt zu werden, wohin er sich mit seinem von so harten Schlägen zerstörten Leben geflüchtet hatte.

Nach ihrer Rückkehr in den Gasthof gingen der Sergeant Martial und Jean an diesem Tage nicht wieder aus.

Am nächsten Tage hatte Jean eine Unterredung mit dem Gouverneur der Provinz des Orinoco, dem Herr Miguel ihn vorgestellt hatte.

Seine Excellenz konnte ihm freilich nichts auf seinen Vater Bezügliches mittheilen. Der Gouverneur nahm seine Stelle in San-Fernando erst seit fünf Jahren ein. Doch wenn er dem jungen Manne auch keine Auskunft geben konnte, so wollte er sich wenigstens Herrn Mirabal bei den Nachforschungen anschließen die dieser anzustellen übernommen hatte.

Der zweite Tag verstrich, ohne daß die Angelegenheit einen Schritt weiter gekommen wäre. Der Sergeant Martial wüthete gegen sich selbst. So weit gekommen zu sein, so viele Gefahren ausgestanden zu haben, und Alles... Alles rein vergeblich! Wie hatte er nur so schwach sein können, einer solchen Reise zuzustimmen, so schwach, sie zu unternehmen! Jedenfalls gelobte er sich, seinen Unmuth nicht vor dem unglücklichen Jean laut werden zu lassen, denn das hätte den Schmerz des jungen Mannes, der ja schon allein so bestürzt, so verzweifelt war, noch weiter verschlimmert.

Jacques Helloch bemühte sich inzwischen, Erkundigungen einzuziehen, was sich zunächst leider erfolglos erwies. An Bord der »Moriche« zurückgekehrt, verfiel er einer so traurigen Stimmung, daß Germain Paterne darüber ordentlich erschrak. Sein Freund, der sonst so gern plauderte, so gleichmäßig heiter und mittheilsam war, antwortete kaum noch auf seine Fragen.

»Was hast Du denn? redete Germain Paterne ihn an.

– O... nichts.

– Nichts... das bedeutet zuweilen Alles. Ich gebe ja gern zu, daß die Lage des armen jungen Mannes recht betrübend ist; das ist für Dich aber doch kein Grund, Deine Mission gänzlich aus dem Auge zu verlieren.

– Meine Mission?

– Allerdings. Du bist doch nicht, ich mag das wenigstens nimmermehr glauben, von dem Minister der öffentlichen Aufklärung nach dem Orinoco geschickt worden, um hier nur den Oberst von Kermor wiederzufinden?

[214] – Ja, warum denn nicht?

– Ich bitte Dich, Jacques, laß uns ernsthaft sprechen! Du bist so glücklich gewesen, den Sohn des Oberst retten zu können...

– Den Sohn! rief Jacques Helloch lebhafter. Ach ja... den Sohn!... Nun, Germain, vielleicht... ja, es wäre wohl besser gewesen, daß Jean umkam, wenn er seinen Vater doch nicht wiederfinden soll.

– Ich begreife Dich nicht, Jacques.

– Weil das Dinge sind, von denen Du nichts verstehst... von denen Du nichts verstehen kannst.

– Ich danke bestens!«

Germain Paterne nahm sich vor, seinen Gefährten nicht weiter auszuforschen, er fragte sich nur, was dessen immer wachsende Zuneigung zu dem jungen von Kermor eigentlich für Sinn habe.

Am folgenden Tage, als Jean mit dem Sergeanten Martial bei Herrn Mirabal erschien, wollte dieser in Begleitung Jacques Helloch's ihn grade aufsuchen.

Nach gehaltener Umfrage bei den Bewohnern von San-Fernando hatte sich ergeben, daß ein Fremder vor einem Dutzend Jahren thatsächlich in dem Orte verweilt habe. Doch ob das ein Franzose gewesen war, konnte niemand sagen; auf jeden Fall schien er aber Ursache gehabt zu haben, ein strenges Incognito zu bewahren.

Jean glaubte hiermit in das Dunkel der geheimnißvollen Angelegenheit einen ersten Lichtstrahl fallen zu sehen. Ob man nun auf Ahnungen Gewicht legen darf oder nicht, ihm kam der Gedanke, daß dieser Fremde sein Vater gewesen sei... sein Vater gewesen sein müsse.

»Und weiß man auch, Herr Mirabal, fragte er, wohin sich jener Reisende bei seinem Weggange von hier gewendet hatte?

– Ja, mein Kind; er ist nach der Gegend des obern Orinoco weitergezogen.

– Und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört?

– Niemand weiß, was aus ihm geworden ist.

– Das ließe sich vielleicht auskundschaften, meinte Jacques Helloch, wenn man auf diesem Theile des Stromes Nachforschungen anstellte.

– Ja freilich, doch das wäre wohl ein zu gefahrvolles Unternehmen, bemerkte Herr Mirabal, und sich auf so schwachfüßige Anzeichen hin dem auszusetzen...«

[215] Der Sergeant Martial gab durch eine Handbewegung zu erkennen, daß er die Anschauung des Herrn Mirabal theilte.

Jean selbst schwieg zwar dazu, doch in seiner entschlossenen Haltung, in dem Feuer, das aus seinen Augen strahlte, erkannte man den festen Entschluß, keine Hindernisse zu achten, die Reise, und wenn sie auch noch so gefahrvoll wäre, fortzusetzen und seine Pläne nicht aufzugeben, sondern bis zum Ende zu verfolgen.

Herr Mirabal verstand ihn sehr gut, als Jean zu ihm sagte:

»Ich danke Ihnen, Herr Mirabal, und auch Ihnen, Herr Helloch, für das, was Sie gethan haben. Ein Fremder ist hier zu der Zeit gesehen worden, wo mein Vater sich in San-Fernando befand, wo er einen Brief von hier abschickte...

– Gewiß; doch daraus schon schließen zu wollen, daß das der Oberst von Kermor gewesen sei... wendete der alte Herr ein.

– Warum das nicht? rief Jacques Helloch. Liegt nicht die Wahrscheinlichkeit vor, daß er es gewesen wäre?

– Kurz, da jener Fremde sich nach dem obern Orinoco begeben hat, erklärte Jean, werde ich ebenfalls dahin gehen!

– Jean... Jean! rief der Sergeant Martial, indem er auf den jungen Mann zueilte.

– Ich werde dahin gehen!« wiederholte Jean in einem Tone, der seinen unerschütterlichen Entschluß erkennen ließ.

Dann wandte er sich wieder an den Herrn des Hauses.

»Giebt es wohl am obern Orinoco Flecken oder Dörfer, wohin ich mich begeben könnte, um noch weitere Aufklärung zu erlangen, Herr Mirabal?

– Dörfer... ja... mehrere; zum Beispiel Guachapana, la Esmeralda und noch andre. Wenn es aber möglich ist, die Spuren Ihres Vaters wieder zu entdecken, liebes Kind, so wird das jenseits der Quellen, in der Mission von Santa-Juana der Fall sein.

– Wir haben von dieser Mission schon reden hören, sagte Jacques Helloch. Ist sie erst neueren Ursprungs?

– Sie wurde schon vor mehreren Jahren gegründet, antwortete Herr Mirabal, und erfreut sich, soviel ich weiß, glücklichen Gedeihens.

– Eine spanische Mission?...

– Ja, sie wird von einem spanischen Missionär, dem Pater Esperante, geleitet.

[216] [219]– Sobald unsre nöthigen Vorbereitungen zur Weiterreise beendet sind, erklärte Jean, brechen wir nach Santa-Juana auf.

– Mein liebes Kind, sagte der alte Herr, ich darf Sie nicht in Unwissenheit darüber lassen, daß die Gefahren am obern Orinoco sehr groß sind. Abgesehen von Anstrengungen und Entbehrungen, laufen Sie auch Gefahr, Indianerhorden in die Hand zu fallen, die wegen ihrer Grausamkeit sehr berüchtigt sind, in die der wilden Quivas, welche jetzt von einem aus Cayenne entwichenen Sträfling angeführt werden.


»Herr Helloch, ich hätte einige Worte mit Ihnen zu sprechen.« (S. 220.)

– Gefahren, denen mein Vater ins Auge gesehen hat, erwiderte Jean, werde ich auch nicht scheuen, um ihn wiederzufinden!«

Die Unterredung endigte mit dieser Antwort des jungen Mannes. Herr Mirabal sah ein, daß ihn nichts zurückhalten werde. Er würde auf jeden Fall, wie er sich ausgedrückt hatte, »bis ans Ende« gehen.

Voller Verzweiflung folgte der Sergeant Martial Jean nach, der sich nach der »Gallinetta« begab, um verschiedene Kleidungsstücke zu holen.

Als Jacques Helloch mit Herrn Mirabal allein war, konnte dieser ihm nur noch einmal wiederholen, welch großen Gefahren der Sohn des Oberst von Kermor, der nur den alten Soldaten zum Führer hatte, sich aussetzte.

»Wenn Sie einigen Einfluß auf ihn haben, Herr Helloch, fügte er hinzu, so suchen Sie ihn von diesem, auf so unsichern Voraussetzungen aufgebauten Plane abzubringen. Verhindern Sie seine Weiterreise.

– Zurückhalten wird ihn doch nichts, Herr Mirabal; dazu kenne ich ihn zu gut!«

Jacques Helloch kehrte an Bord der »Moriche« zurück. Er war jetzt sorgenvoller als je und antwortete auf die Worte, die sein Gefährte an ihn richtete, überhaupt gar nicht mehr.

Auf dem Hintertheile seiner Pirogue sitzend, beobachtete Jacques Helloch den Schiffer Valdez und zwei seiner Leute, wie diese die »Gallinetta« offenbar für eine weite Reise in Stand setzten. Dazu mußte sie vollständig entladen werden, um ihren Boden genau zu besichtigen und sie durchweg frisch zu kalfatern, was die oft so schwierige letzte Fahrt und die Strandung am Ufer von San-Fernando unbedingt nöthig machten.

Jacques Helloch beobachtete dabei auch Jean, der diese Arbeiten überwachte. Vielleicht erwartete der junge Mann, daß Jacques Helloch ihn ansprechen, ihn wegen der Kühnheit seiner Pläne verwarnen oder abhalten sollte, sie auszuführen.

[219] Dieser blieb jedoch stumm und regungslos auf seinem Platze. In Nachdenken versanken, schien er von einer fixen Idee besessen zu sein, einer jener Ideen, die sich tief ins Gehirn eingraben... es verzehren...

Der Abend kam heran.

Gegen acht Uhr erhob sich Jean, um nach dem Gasthause zurückzukehren und der Ruhe zu pflegen.

»Guten Abend, Herr Helloch! rief er zu diesem hinüber.

– Guten Abend, Jean!« antwortete Jacques Helloch, sich erhebend, als beabsichtige er, dem jungen Manne zu folgen.

Jean schritt indeß, ohne jemals nur den Kopf zu wenden, dahin und verschwand in hundert Schritt Entfernung zwischen den Strohhütten.

Der Sergeant Martial war noch am Ufer etwas zurückgeblieben, stark erregt durch den Gedanken an einen Schritt, den zu thun er sich jetzt entschlossen hatte. So kehrte er noch einmal nach der »Moriche« um.

»Herr Helloch, begann er zögernd, ich hätte einige Worte mit Ihnen zu sprechen.«

Jacques Helloch verließ sofort die Pirogue und trat auf den alten Soldaten zu.

»Was steht Ihnen zu Diensten, Sergeant? fragte er.

– Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten... darum, daß Sie meinen Neffen, der auf Ihre Worte, gerade auf Ihre, vielleicht am ersten hört, dazu bewegen, daß er die geplante Weiterreise aufgiebt.«

Jacques Helloch sah dem Sergeant Martial gerade ins Gesicht. Nach einigem Zögern antwortete er endlich:

»Ich werde ihn nicht zu überreden suchen, denn das wäre unnütz, das wissen auch Sie recht gut, dagegen bin ich, vorausgesetzt, daß es Ihnen paßt, zu einem Entschlusse gekommen...

– Zu welchem denn?

– Nun, zu dem, Jean auch ferner zu begleiten.

– Sie... Sie wollen ihn begleiten... meinen Neffen?...

– Der gar nicht Ihr Neffe ist, Sergeant!

– Ihn, den Sohn des Oberst...

– Der gar nicht sein Sohn ist... sondern seine Tochter... die einzige Tochter des Oberst von Kermor!«

Ende des ersten Bandes. [220]

2. Band

1. Capitel
Erstes Capitel.
Etwas aus früherer Zeit.

Am Morgen des 2. October gegen acht Uhr glitten die Piroguen »Gallinetta« und »Moriche« erst den die rechte Seite der Halbinsel des Atabapo begleitenden Flußarm hinunter und dann bei günstigem Nordwestwinde den Oberlauf des Orinoco hinauf [221] Nach dem Gespräch zwischen dem Sergeanten Martial und Jacques Helloch am Abend vorher konnte der Erstere dem Zweiten nicht länger die Erlaubniß, sie – »seinen Neffen und ihn« – bis zur Mission von Santa-Juana zu begleiten, verweigern. Jetzt war das Geheimniß Jeanne von Kermor's dem, der sie gerettet hatte, bekannt, und jedenfalls würde es – daran war kein Zweifel – auch Germain Paterne bald nicht mehr unbekannt sein. Offenbar mußte es schwierig werden, diese Mittheilung zu unterdrücken, ja es erschien sogar bei den Umständen, unter denen der zweite Theil der Reise vor sich gehen sollte, vortheilhafter, den Schleier zu lüften. Das bisher so sorgsam behütete Geheimniß würden die beiden jungen Männer den Herren Miguel, Felipe, Varinas und Mirabal gewiß ebenso wie dem Gouverneur der Provinz gegenüber zu bewahren wissen. Waren ihre Nachforschungen von Erfolg gekrönt, so blieb dem Oberst von Kermor die Freude vorbehalten, jenen seine Tochter vorzustellen.

Es wurde auch beschlossen, weder Valdez oder Parchal, noch einen von den Schiffsleuten über die letzten Vorgänge und Enthüllungen aufzuklären, und man konnte es nur billigen, daß der Sergeant Martial Jeanne für seinen Neffen Jean ausgegeben hatte in der Hoffnung, dadurch manche Schwierigkeiten eines solchen Zuges aus dem Wege zu räumen. Es war jedenfalls rathsam, von diesem klugen Verhalten nicht abzuweichen.

Nun male man sich die Verblüffung, die Niedergeschlagenheit und darauf den Ingrimm des alten Soldaten aus, als Jacques Helloch ihm eröffnete, daß er das Geheimniß durchschaut habe, daß er wisse, in Jean von Kermor Jeanne von Kermor vor sich zu haben! Doch nein, ein solcher Versuch wäre mindestens nutzlos, denn man würde das Richtige dabei doch nicht treffen.

Ebensowenig brauchen wir wohl die sehr natürliche Verlegenheit hervorzuheben, die sich des jungen Mädchens bemächtigte, als Jacques Helloch und Germain Paterne zum erstenmale wieder vor ihr standen. Beide wollten ihr ihre Hochachtung, ihre Ergebenheit zu erkennen geben und sie ihrer Verschwiegenheit versichern. Ihr entschlossener Charakter, der der gewöhnlichen Scheu ihres Geschlechtes überlegen war, gewann in ihr aber sehr bald wieder die Oberhand.

»Für Sie bleib' ich Jean... immer nur Jean, sagte sie, den beiden Landsleuten die Hände entgegenstreckend.

– Stets, mein Fräulein, antwortete Germain Paterne mit einer Verbeugung.

[222] – Jawohl... Jean... mein lieber Jean... versicherte Jacques Helloch, und bis zu dem Tage, wo wir Fräulein Jeanne von Kermor den Armen ihres Vaters wieder zugeführt haben!«

Es versteht sich von selbst, daß jetzt Germain Paterne keinen weiteren Einspruch gegen die Reise erheben zu dürfen glaubte, die bis zu den Quellen des Orinoco und vielleicht noch darüber hinaus ausgedehnt werden sollte.

Ihm persönlich kam das ja ganz gelegen; er bekam dadurch vielfache Gelegenheit, seine Sammlungen zu bereichern, daß er die Pflanzenwelt des obern Orinoco durchforschte. Das gestattete ihm auch, seine Mission als Naturforscher besser zu erfüllen, und der Minister der öffentlichen Aufklärung hätte sicherlich keine Ursache gehabt, sich über die Verlängerung der Reise mißbilligend zu äußern.

Was Jeanne von Kermor anging, konnte diese nur herzlich dankbar dafür sein, daß die beiden jungen Männer ihre Bemühungen mit den ihrigen vereinigen, sie bis zur Mission von Santa-Juana begleiten wollten und daß sie bereit waren, in ihrem Interesse allen Zufälligkeiten eines solchen Zuges die Stirn zu bieten, dadurch aber ihre Aussichten auf Erfolg zu vermehren. Ihr Herz floß auch über vor Erkenntlichkeit gegen den, der sie dem Tode entrissen hatte und während der ganzen Reise an ihrer Seite bleiben wollte.

»Mein alter, lieber Freund, sagte sie zu dem Sergeanten Martial, Gottes Wille geschehe!... Er weiß ja, was er thut...

– Eh' ich ihm dafür danke, möcht' ich freilich erst das Ende abwarten,« begnügte sich der alte Soldat zu antworten.

Dann brummte er in seiner Ecke vor sich hin und schämte sich wie ein Onkel, der seinen Neffen verloren hat.

Jacques Helloch hielt es für ganz selbstverständlich, Germain Paterne zu erklären:

»Du begreifst wohl, daß wir Fräulein von Kermor nicht verlassen konnten.

– Ich begreife Alles, lieber Jacques, sogar die Dinge, von denen Du schlankweg behauptest, daß ich sie nicht verstände. Einen jungen Mann hast Du zu retten geglaubt, und ein junges Mädchen hast Du dem Tode entrissen; da liegt es ja auf der Hand, daß es uns rein unmöglich ist, eine so interessante Persönlichkeit zu verlassen.

– Das hätt' ich auch einem Jean von Kermor gegenüber nicht gethan! versicherte Jacques Helloch. Nein, ich hätte nie zugegeben, daß er sich solchen [223] Gefahren aussetzte, ohne daß ich sie mit ihm theilte. Es war meine Pflicht... unser Beider Pflicht, Germain, ihm bis zum Ziele behilflich zu sein...

– Sapperment!« rief Germain Paterne scheinbar in größtem Ernst.

Wir fügen hier ein, was Fräulein von Kermor ihren Landsleuten in kurzen Worten mitgetheilt hatte.

Der 1829 geborne, jetzt also im dreiundsechzigsten Jahre stehende Oberst von Kermor hatte 1859 eine Kreolin aus Martinique geheiratet. Die beiden ersten Kinder dieser Ehe waren schon in sehr zartem Alter verstorben. Jeanne hatte sie niemals kennen gelernt, und Herr und Frau von Kermor waren schon über diesen Verlust untröstlich gewesen.

Herr von Kermor, ein ausgezeichneter Officier, verdankte seinem Muthe, seinen Kenntnissen und andern besondern Eigenschaften ein glänzendes, schnelles Avancement. Mit vierzig Jahren war er bereits Oberst. Der Soldat, später Corporal und Sergeant Martial hatte sich mit Leib und Seele diesem Officier ergeben, der ihm auf dem Schlachtfelde von Solferino das Leben gerettet hatte. Beide kämpften später auch zusammen in dem unglücklichen Feldzug gegen die deutschen Heere.

Zwei bis drei Wochen vor der 1870 er Kriegserklärung hatten Familienverhältnisse Frau von Kermor genöthigt, nach Martinique zu reisen. Hier erblickte Jeanne das Licht der Welt. Trotz des Kummers, der ihn über den Verlauf des Feldzuges bedrückte, freute sich der Oberst doch herzlich über die Geburt dieses Kindes. Hätte ihn die Pflicht nicht zurückgehalten, so wäre er zu Gattin und Kind nach den Antillen geeilt, um beide nach Frankreich heimzuholen.

Unter den gegebenen Verhältnissen wollte Frau von Kermor aber nicht warten, bis das Ende des Krieges ihrem Manne erlaubte, sie abzuholen. Es drängte sie, an seiner Seite zu weilen, und im Mai 1871 schiffte sie sich in Saint-Pierre-Martinique auf einem nach Liverpool bestimmten englischen Packetboote, dem »Norton«, ein.

Frau von Kermor hatte noch eine Kreolin bei sich, die Amme ihres Töchterchens, das erst wenige Monate alt war. Sie wollte diese Frau in ihrem Dienst behalten, wenn sie in die Bretagne und nach Nantes, wo sie vor ihrer Abreise gewohnt hatte, zurückgekehrt wäre.

In der Nacht vom 23. zum 24. Mai wurde der »Norton« aber bei dichtem Nebel durch den Dampfer »Vigo« von Santander angefahren. In Folge dieses Zusammenstoßes versank der »Norton« fast auf der Stelle mit allen [224] Passagieren, bis auf fünf, mit der ganzen Besatzung, bis auf zwei Mann, ohne daß das andre Schiff noch mehr Menschenleben hätte retten können.

Frau von Kermor hatte nicht Zeit gefunden, ihre Cabine zu verlassen, die an der Seite lag, wo der Zusammenstoß erfolgte; die Amme kam ebenfalls ums Leben, obgleich es ihr gelungen war, mit dem Kinde das Deck zu erreichen.

Wie durch ein Wunder gehörte das Kind nicht zu den Opfern des Unfalls, dank dem hilfbereiten Muthe eines der zwei Matrosen vom »Norton«, denen es gelang, den »Vigo« zu erreichen.

[225] Nach dem Versinken des »Norton« blieb der »Vigo«, der zwar am Bug beschädigt war, dessen Maschinen von der Collision aber nicht gelitten hatten, noch am Ort der Katastrophe liegen und ließ seine Boote aufs Meer. Alles bis zum hellen Tage fortgesetzte Suchen nach noch lebenden Verunglückten hatte leider keinen Erfolg, und das Schiff mußte nun der nächstgelegenen Antilleninsel zusteuern, wo es acht Tage darauf eintraf.


Nun male man sich die Gemüthsstimmung des alten Soldaten aus... (S. 229.)

Von hier aus wurden die wenigen Geretteten, die auf dem »Vigo« Zuflucht gefunden hatten, nach ihrem Bestimmungsorte befördert.

Unter den Passagieren dieses Dampfers befand sich eine spanische Familie, die aus Havanna stammende Familie Eridia, und diese erbot sich, die kleine Jeanne aufzunehmen. Ob das Kind jetzt in der Welt ganz allein dastand, konnte vorläufig niemand wissen. Einer der geretteten Matrosen erklärte zwar, die Mutter des kleinen Mädchens sei eine auf dem »Norton« eingeschiffte Französin gewesen, deren Name ihm aber unbekannt geblieben wäre. Den Namen konnte man auch nur nachträglich erfahren, wenn er bei dem Commissionär des englischen Dampfers vor dessen Abgang eingeschrieben wäre. Das war aber nicht der Fall, wie es sich bei der über den Zusammenstoß der beiden Schiffe eingeleiteten Untersuchung herausstellte.

Von den Eridia's an Kindesstatt angenommen, folgte Jeanne diesen nach Havanna. Hier sorgten jene für ihre Erziehung, nachdem sie sich vergeblich bemüht hatten, zu erkunden, wem und welcher Familie sie eigentlich angehörte. Man gab der Kleinen hier den Namen Juana. Von Natur gut veranlagt, lernte sie eifrig und entwickelte sich geistig recht vortheilhaft bis zu ihrem vierzehnten Jahre, wo sie die französische Sprache ebenso vollkommen wie die spanische beherrschte. Die Geschichte ihres Lebens war Juana nicht verheimlicht worden. In Folge dessen fühlte sie sich immer nach Frankreich hingezogen, wo vielleicht ihr Vater lebte, der sie beweinte und sie wohl niemals zu sehen fürchtete.

Leicht wird man sich den Schmerz vorstellen können, den der Oberst von Kermor bei dem doppelten Schlage empfand, welcher ihn seiner Gattin und seines Kindes beraubte, das er noch nicht einmal kannte. Im Kriegsgetümmel des Jahres 1871 hatte er ja gar nicht erfahren, daß Frau von Kermor sich entschlossen hatte. Martinique zu verlassen, um zu ihm zu kommen. Er wußte also auch nicht, daß sie an Bord des »Norton« gegangen war. Und als er es erfuhr, ging ihm gleichzeitig die Nachricht von dem schrecklichen Schiffsunfälle zu. Vergeblich ließ er überall Nachfragen anstellen. Sie ergaben nichts andres [226] als die Gewißheit, daß seine Gattin und sein Töchterchen mit der Mehrzahl der Passagiere und Mannschaften des Packetbootes zugrunde gegangen wären.

Die Trauer des Oberst von Kermor kannte keine Grenzen. Er verlor ja gleichzeitig die angebetete Lebensgefährtin und ein Kind, das von ihm noch nicht den ersten Kuß bekommen hatte. Die Wirkung dieses zweifachen Unglücks auf ihn war so mächtig, daß er den Verstand zu verlieren fürchtete; er erkrankte auch so schwer, daß die Familie von Kermor ohne die sorgsame Pflege seines alten Soldaten, des Sergeanten Martial, vielleicht mit ihm ausgestorben wäre.

Der Oberst überstand zwar die Krankheit, seine Genesung zog sich aber sehr lange hin. Da er sich jedoch einmal entschlossen hatte, auf seinen Beruf, der der Ehrgeiz seines ganzen Lebens gewesen war und ihm noch eine glänzende Zukunft in Aussicht stellte, zu verzichten, erbat er sich 1873, als er nur vierundvierzig Jahre zählte und in der Vollkraft des Lebens stand, seine endgiltige Entlassung.

Seit er diese erhalten hatte, lebte der Oberst von Kermor höchst zurückgezogen in einem bescheidenen Landhause von Chantenay-sur-Loire, in der Nähe von Nantes. Er empfing keinen Freund mehr und hatte als einzigen Gesellschafter den Sergeanten Martial, der gleichzeitig mit ihm den Dienst im Heere aufgab. Er war nur noch ein unglücklicher Verlassener nach einem Schiffbruche an menschenleerer Küste – nach einem Schiffbruche, der ihm alle irdischen Beziehungen geraubt hatte.

Zwei Jahre später verschwand der Oberst von Kermor gänzlich. Eine Reise vorschützend, verließ er Nantes, und ohne Nachricht über ihn erhalten zu können, wartete der Sergeant Martial vergebens auf seine Rückkehr. Zehntausend Francs Renten, die Hälfte seines Vermögens, hatte er dem ergebenen Waffengefährten zurückgelassen, und dieser bekam sie von dem Notar der Familie pünktlich ausgezahlt. Die andre Hälfte hatte der Oberst von Kermor flüssig gemacht und mitgenommen... wohin?... das sollte vorläufig ein undurchdringliches Geheimniß bleiben.

Die Schenkungsurkunde zu Gunsten des Sergeanten Martial war von einem Schreiben folgenden Wortlautes begleitet:

»Ich sage hiermit ein letztes Lebewohl meinem braven Soldaten, mit dem ich, was mir noch gehört, theilen will. Er suche nicht, mich aufzufinden – es würde verlorene Mühe sein. Ich bin todt für ihn, für meine Freunde, [227] todt für die Welt, so wie alle die Wesen, die ich auf Erden am innigsten geliebt habe.«

Weiter enthielt das Schreiben nichts.

Der Sergeant Martial wollte indeß nicht daran glauben, daß er seinen Oberst niemals wiedersehen sollte. Er veranlaßte mehrfache Schritte, um zu entdecken, in welchem Lande, fern von Allen, die ihn gekannt und denen er ein Lebewohl für immer gesagt hatte, er seine verzweifelte Existenz wohl begraben hätte.

Inzwischen wuchs das kleine Mädchen in der Familie ihrer Adoptiveltern heran. Ein Dutzend Jahre verliefen, ehe es den Eridia's gelang. einige Aufklärung über die Angehörigen des Kindes zu erhalten. Endlich erfuhren sie aber, daß eine Frau von Kermor, die sich damals unter den Passagieren an Bord des »Norton« befunden hatte, die Mutter Jeannes gewesen sei, und daß deren Gatte, der Oberst gleichen Namens, noch lebe.

Das Kind war jetzt zu einem Mädchen von vierzehn Jahren geworden, das sich zu einer reizenden Erscheinung zu entwickeln versprach. Gut unterrichtet, ernsthaft und von lebhaftem Pflichtgefühl beseelt, verrieth sie eine für ihr Alter und Geschlecht ungewöhnliche Willenskraft.

Die Eridia's glaubten sich nicht berechtigt, ihr die zuletzt erhaltenen Nachrichten zu verheimlichen, und von diesem Tage an schien es, als ob eine wirkliche Offenbarung über sie gekommen wäre. Sie hielt sich für berufen, ihren Vater wiederzufinden. Dieser Glaube beherrschte alle ihre Gedanken, er nahm sie so sehr gefangen, daß er eine sichtbare Veränderung ihres ganzen Wesens hervorbrachte. So glücklich sie sich sonst auch fühlte, so liebevoll sie in dem Hause, worin sie ihre Kindheit verbracht hatte, behandelt worden war, lebte sie doch nur noch in dem Gedanken, den Oberst von Kermor aufzusuchen. Bekannt war bisher nur, daß dieser sich in der Bretagne in die Nähe seiner Vaterstadt Nantes zurückgezogen hatte. Nun schrieb man dahin, ob er auch jetzt noch daselbst weile. Wie niederschmetternd lautete für das junge Mädchen aber die Antwort, die sie belehrte, daß ihr Vater schon seit einer Reihe von Jahren spurlos verschwunden sei.

Da erbat sich Fräulein von Kermor von ihren Adoptiveltern die Erlaubniß, nach Europa zu reisen. Sie wollte nach Frankreich, nach Nantes gehen, dort werde es ihr gelingen, die angeblich verloren gegangenen Spuren ihres Vaters zu entdecken. Wo die Bemühungen fremder Personen scheiterten, konnte ja eine [228] Tochter, die sich mehr durch natürlichen Instinct leiten ließ, immer noch Erfolg haben.

Kurz, die Eridia's stimmten, wenn auch ohne einen Funken von Hoffnung, ihrer Abreise zu und verpflichteten sie nur, zurückzukehren, wenn sich ihre Nachforschungen als vergeblich erwiesen. Fräulein von Kermor verließ also Havanna und traf nach glücklicher Ueberfahrt in Nantes ein, wo sie nur den Sergeanten Martial fand, der über das Schicksal seines Oberst noch ebenso im Unklaren war, wie früher.

Nun male man sich die Gemüthsstimmung des alten Soldaten aus, als dieses Kind, das man bei dem Unfalle des »Norton« mit umgekommen glaubte, die Schwelle des Hauses in Chantenay überschritt. Er wollte es erst nicht für wahr halten und mußte es schließlich doch glauben. Die Gesichtszüge Jeannes erinnerten ihn an die ihres Vaters, an seine Augen, an den ganzen Gesichtsausdruck, kurz, an Alles, was man an Aehnlichkeiten durch Bluterbschaft zu sehen gewöhnt ist. So nahm er denn das junge Mädchen gleich einem Engel auf, den ihm sein Oberst aus jener Welt geschickt habe.

Zu jener Zeit hatte er freilich schon jede Hoffnung aufgegeben, zu erfahren, nach welchem Lande sich der Oberst von Kermor in seiner verzweifelnden Trauer geflüchtet hätte.

Jeanne entschloß sich sofort, das väterliche Haus nicht gleich wieder zu verlassen. Das Vermögen, das der Sergeant erhalten hatte und das er ohne Bedenken bereit war, ihr wieder abzutreten, wollten Beide dazu verwenden, erneute Nachforschungen anzustellen.

Vergeblich bemühte sich die Familie Eridia, Fräulein von Kermor zur Rückkehr zu ihr zu bewegen; sie mußte sich schließlich in die Trennung von ihrer Adoptivtochter fügen. Jeanne dankte ihren Wohlthätern für Alles, was diese für sie gethan hatten, und bewahrte die wärmste Erkenntlichkeit für die, die sie vor Ablauf einer langen Zeit voraussichtlich nicht wiedersehen sollte. Für sie war aber der Oberst von Kermor noch am Leben, und das ließ sich vielleicht auch annehmen, da eine Nachricht von seinem Ableben weder dem Sergeanten Martial, noch einem seiner in der Bretagne zurückgelassenen persönlichen Freunde zugegangen war. Sie wollte ihn suchen, wollte ihn auf jeden Fall finden. Der Liebe des Vaters entsprach ganz die Liebe der Tochter, obgleich Beide einander noch niemals gesehen hatten. Es verknüpfte sie das Band der Natur, ein so festes Band, daß nichts es sprengen konnte.

[229] Das junge Mädchen blieb mit dem Sergeanten Martial also in Chantenay. Letzterer hörte, daß sie wenige Tage nach ihrer Geburt in Martinique auf den Namen Jeanne getauft worden war, und er setzte diesen Namen wieder an die Stelle dessen, den sie bei der Familie Eridia geführt hatte. Jeanne lebte bei ihm, stets bemüht, die leisesten Anzeichen zu beachten, die es gestattet hätten, den Spuren des Oberst von Kermor nachzugehen.

An wen sollte sie sich aber wenden, um über den Abwesenden die geringste Nachricht zu erhalten? Der Sergeant Martial hatte ja schon alle Mittel erschöpft, in gleichem Sinne Erkundigungen einzuziehen. Und nun war der Oberst von Kermor obendrein ausgewandert, weil er in der Welt ganz allein dazustehen glaubte. Ach, wenn er hätte wissen können, daß seine aus dem Schiffbruche gerettete Tochter im Vaterhause auf ihn wartete!

Mehrere Jahre vergingen. Kein Lichtstrahl hatte das bisherige Dunkel unterbrochen. Ohne Zweifel hätte den Oberst von Kermor auch ein unergründliches Geheimniß noch weiter verhüllt, wenn es nicht unter folgenden Umständen zu einer unerwarteten Offenbarung gekommen wäre.

Der Leser erinnert sich des Briefes, der, vom Oberst unterzeichnet, 1879 in Nantes eingetroffen war. Dieser Brief kam aus San-Fernando de Atabapo in Venezuela, Südamerika. An den Rechtsanwalt, einen Freund der Familie von Kermor gerichtet, bezog er sich nur auf eine rein persönliche Angelegenheit, die dieser regeln sollte. Gleichzeitig empfahl ihm der Absender darin ernstlich, über das Vorhandensein des Briefes unverbrüchliches Stillschweigen zu bewahren. Der Anwalt schied bereits aus dem Leben, als Jeanne von Kermor sich noch in Martinique befand und als noch niemand wußte, daß sie die Tochter des Oberst war. Erst sieben Jahre darauf wurde der Brief, damals schon dreizehn Jahre alt, unter den Papieren des Verstorbenen gefunden. Da beeilten sich seine Erben, die die Geschichte Jeanne von Kermor's kannten und ebenso wußten, daß sie sich bei dem Sergeanten Martial aufhielt, wie daß sie Alles versucht hatte, auf ihren Vater bezügliche Schriftstücke zu entdecken – ihr von dem Briefe Kenntniß zu geben.

Jeanne von Kermor war inzwischen mündig geworden. Seitdem sie, man könnte sagen, »unter den Mutterflügeln« des alten Waffengefährten ihres Vaters gelebt, hatte sich ihre bei der Familie Eridia erhaltene Ausbildung unter dem sachlichen und ernsten Unterricht, den die neuere Pädagogik bietet, noch wesentlich vervollkommnet.

[230] Da kann man sich wohl vorstellen, von welch unwiderstehlichem Drange sie erfaßt wurde, als jenes Schriftstück in ihre Hände kam – erbrachte es doch den Beweis. daß der Oberst von Kermor 1879 in San-Fernando geweilt hatte. Und wußte man deshalb auch noch nicht, was später aus ihm geworden wäre, so war es doch eine Andeutung, der so ersehnte Hinweis, auf Grund dessen die ersten Schritte zu seiner Aufsuchung unternommen werden konnten Jetzt gingen wiederholt Briefe an den Gouverneur von San-Fernando ab... die Antworten lauteten immer gleichmäßig, daß niemand einen Oberst von Kermor kenne oder sich erinnern könne, daß ein solcher nach dem Orte gekommen sei. Und doch war an der Echtheit des Briefes gar nicht zu deuteln.

Unter diesen Umständen erschien es natürlich am rathsamsten, selbst nach San-Fernando zu gehen, und Jeanne faßte ohne Bedenken den Entschluß, nach jener Gegend am obern Orinoco zu reisen.

Fräulein von Kermor war mit der Familie Eridia in ununterbrochenem Briefwechsel geblieben. So theilte sie den Adoptiveltern auch ihre Absicht mit, sich dahin zu begeben, wo es ihr vielleicht möglich wäre, die ersten Spuren von ihrem Vater wieder zu entdecken, und jene konnten sie, trotz der Schwierigkeiten einer solchen Reise, in ihrem Entschlusse nur bestärken.

Doch wenn Jeanne von Kermor diesen offenbar weitaussehenden Plan entworfen hatte, war damit noch gar nicht gesagt, daß auch der Sergeant Martial ihm zustimmen müßte. Er verwarf ihn vielleicht von Anfang an, widersetzte sich der Ausführung dessen, was Jeanne als Pflicht betrachtete, und erhob Widerspruch schon aus Besorgniß vor den Anstrengungen und Gefahren, denen sie sich in den weltfernen Gebieten Venezuelas aussetzte... Viele Tausend Kilometer zurückzulegen!... Ein junges Mädchen, das sich in ein so abenteuerliches Wagniß stürzte... nur geführt von einem alten Haudegen... denn eines wußte er: wenn sie abreiste, würde er sie selbstverständlich begleiten.

»Und doch hat mein guter Martial zuletzt nachgeben müssen, sagte Jeanne, ihre Mittheilungen beendigend, worin sie den zwei jungen Männern das Geheimniß ihrer Vergangenheit offenbart hatte. Ja, er hat nun zugestimmt, und das mußte er wohl; nicht wahr, mein alter Freund?

– Leider hab' ich genügende Ursache, es zu bereuen, antwortete der Sergeant Martial, da trotz aller Vorsicht...

– Unser Geheimniß entdeckt worden ist! setzte das junge Mädchen lachend hinzu. Nun da bin ich eben nicht mehr Dein Neffe und Du bist nicht [231] mehr mein Onkel. Herr Helloch und Herr Paterne werden davon aber keinem Menschen ein Wort sagen; nicht wahr, Herr Helloch?

– Keinem Menschen, geehrtes Fräulein!

– O, nicht Fräulein, Herr Helloch, beeilte sich Jeanne von Kermor zu widersprechen; die gefährliche Gewohnheit, mich so zu nennen, dürfen Sie gar nicht annehmen. Sie würden mich dabei zuletzt verrathen. Nein... Jean... nur Jean!

– Ja wohl... Jean... ganz kurz, höchstens der Abwechslung wegen: unser lieber Jean, sagte Germain Paterne.

– Und jetzt, Herr Helloch, werden Sie sich auch erklären können, was der gute Martial mir angesonnen hatte. Er wurde mein Onkel, ich sein Neffe. Ich habe mir das Aussehen eines jungen Mannes gegeben, mir das Haar abgeschnitten, und in dieser Weise verändert hab ich mich in Saint-Nazaire nach Caracas eingeschifft. Das Spanische war mir so geläufig wie meine Muttersprache – was im Verlauf der Reise von großem Nutzen sein mußte – und nun bin ich hier in San-Fernando! Wenn ich aber meinen Vater wiedergefunden habe, kehren wir über Havanna nach Europa zurück. Er muß jedenfalls einen Besuch der edelmüthigen Familie abstatten, die so lange seine Stelle an mir vertreten hat und der wir Beide so unendlichen Dank schulden!«

In Jeanne von Kermor's Augen glänzte eine Thräne; sie faßte sich jedoch schnell und fuhr in ihrer Rede fort.

»Nein, lieber Onkel, nein, darüber ist nicht zu klagen, daß unser Geheimniß enthüllt worden ist. Gott hat es gewollt, ebenso wie es sein Wille war, daß wir zwei Landsleute, zwei wohlwollende und ergebene Freunde, unterwegs treffen sollten. Im Namen meines Vaters, meine Herren, danke ich Ihnen aus ganzer Seele für das, was Sie für mich bereits gethan haben und noch zu thun willens sind!«

Das junge Mädchen streckte die Hände Jacques Helloch und Germain Paterne entgegen, die sie mit freundschaftlicher Wärme drückten.

Am nächsten Tage nahmen die jungen Leute, der Sergeant Martial und Jean – diesen Namen legen wir ihm auch ferner für alle erforderlichen Fälle bei – Abschied von den Herren Miguel, Felipe und Varinas, die bereits ihre Vorbereitungen trafen, um die beiden Nebenflüsse, den Guaviare und den Atabapo, mit kritischer Brille zu besichtigen. Die beiden Collegen sahen den jungen [232] [235]Mann nicht ohne lebhafte

Besorgnisse, trotz der schützenden Begleitung seiner Landsleute, nach dem Bett des obern Orinoco weiterziehen. Herr Miguel wünschte ihm indessen von Herzen Glück zu dem Erfolg seiner Fahrt.

»Vielleicht finden Sie, liebes Kind, sagte er, uns bei Ihrer Rückkehr hier noch wieder, wenn wir, meine Collegen und ich, über unsre Streitfrage nicht haben einig werden können.«


Sie wurde von unwiderstehlichem Drange erfaßt... (S. 231)

Zuletzt verabschiedete sich auch der Gouverneur von San-Fernando und gab den Reisenden Briefe an die Vorstände der wichtigsten, stromaufwärts gelegenen Ortschaften mit; auch Herr Mirabal hatte sich eingestellt, um Jean noch einmal väterlich zu umarmen – und dann schiffte sich die kleine Gesellschaft auf ihren zur Abfahrt bereit liegenden Piroguen ein.

Selbst viele Einwohner des Ortes strömten herbei, der Abreise beizuwohnen. Hochrufe und Glückwünsche begrüßten die beiden Falcas, als sie vom linken Stromufer abstießen. Nachdem sie um die Felsmassen herumgekommen waren, die sich an der Stelle erheben, wo der Atabapo und der Guaviare ihre Fluthen mischen, steuerten sie nach dem Orinoco hinaus und verschwanden bald in der Richtung nach Osten.

2. Capitel
Zweites Capitel.
Erste Etappe.

Die »Gallinetta« und die »Moriche« wurden wie seit der Abfahrt von Caïcara von den Schiffern Parchal und Valdez befehligt. Mit Parchal und dessen Leuten hatten Jacques Helloch und Germain Paterne wegen der Verlängerung der Fahrt keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Für eine Reise von unbestimmter Dauer angeworben, kümmerten sich die wackern Leute sehr wenig darum, ob dabei der Orinoco bis zu seinen Quellen oder irgend einer seiner Nebenflüsse untersucht werden sollte, wenn sie nur gute Bezahlung erhielten.

Was dagegen Valdez betraf, so mußten mit diesem neue Bedingungen vereinbart werden. Der Indianer sollte ja den Sergeanten Martial und [235] dessen Neffen zunächst nur nach San-Fernando befördern, denn diese hatten nur einen dahin lautenden Vertrag mit ihm abschließen können, da alles Weitere von den Nachrichten abhing, die sie in dem genannten Orte einziehen konnten. Valdez stammte, wie wir wissen, aus San-Fernando, wo er auch seinen Wohnsitz hatte, und nach Verabschiedung vom Sergeanten Martial hatte er darauf gerechnet, mit andern Passagieren, Reisenden oder Händlern, den Strom wieder hinabzufahren.

Der Sergeant Martial und Jean waren nun aber mit der Geschicklichkeit und dem Eifer des Valdez ganz zufrieden gewesen und hätten es herzlich bedauert, sich für den zweiten und gleichzeitig schwierigsten Theil der Fahrt von ihm trennen zu müssen. Sie machten ihm deshalb den Vorschlag, bei der Reise über den obern Orinoco auch ferner auf seiner Pirogue, der »Gallinetta«, zu bleiben.

Valdez ging gern darauf ein. Von den neun Leuten seiner Mannschaft konnte er freilich nur fünf behalten, während die andern sich für die Kautschukernte verdingen wollten, bei der sie recht hohen Lohn bezogen. Der Führer konnte sie aber glücklicherweise ersetzen, indem er drei Mariquitarer und einen Spanier anwarb, um die Besatzung der »Gallinetta« zu vervollständigen.

Die Mariquitarer, die dem gleichnamigen, in den Gebieten des Ostens hausenden Stamme angehörten, sind vortreffliche Ruderer. Sie kennen auch den Strom gründlich bis einige Hundert Kilometer aufwärts von San-Fernando.

Was den Spanier, namens Jorres betrifft, der erst vor vierzehn Tagen im Orte eingetroffen war, so sachte dieser gerade Gelegenheit, nach Santa-Juana zu kommen, wo der Pater Esperante, wie er sagte, es nicht abschlagen würde, ihn in den Dienst der Mission aufzunehmen. Da er nun gehört hatte, daß der Sohn des Oberst von Kermor und in welcher Absicht dieser sich auch nach Santa-Juana begeben wollte, bot sich Jorres sofort als Ruderer und Bootsgehilfe an. Valdez, dem ja noch ein Mann fehlte, ging auf das Anerbieten ein. Der Spanier schien recht geweckter Natur zu sein, obwohl seine harten Züge und ein fast unheimlicher Glanz seiner Augen nicht gerade zu Gunsten des Mannes sprachen. Uebrigens sprach er nur das Nöthigste und war jedenfalls nicht mittheilsamer Art.

Hier sei eingeschaltet, daß die Schiffer Valdez und Parchal den Strom schon bis zum Rio Mavaca, einem linksseitigen Nebenflusse, hinausgefahren waren, d. h. etwa bis dreihundertundfünfzig Kilometer unterhalb des Gebirgsstockes der Parima, von dem die ersten Wasseradern des großen Stromes entspringen.

[236] Die Piroguen, die zur Vermittlung des Verkehrs auf dem obern Orinoco dienen, sind gewöhnlich von leichterer Bauart, als die auf dem Mittellaufe. Die »Gallinetta« und die »Moriche« schienen indeß bei ihren an und für sich beschränkten Abmessungen zu dieser Art Schifffahrt nicht ungeeignet. Sie waren auch sorgfältig untersucht, am Boden frisch kalfatert und überhaupt so gut wie möglich in Stand gesetzt worden. Im October hat die trockne Jahreszeit noch nicht den größten Tiefstand des Stromes herbeigeführt; er hatte für die beiden Falcas daher immer noch genug Wasser, und da die Reisenden sich auf diesen schon seit zwei Monaten sozusagen eingewohnt hatten, würde sie Keiner gern gegen andre vertauscht haben.

Zur Zeit, als Chaffanjon seine berühmt gewordene Reise ausführte, gab es von Stromkarten nur die im ganzen wenig zuverlässige von Codazzi, deren vielfach falsche Angaben der französische Reisende erst berichtigen mußte. So sollte denn jetzt die von Chaffanjon entworfene Karte bei dem zweiten Theile der Fahrt benutzt werden.

Der Wind, eine ziemlich steife Brise, war günstig. Die beiden Piroguen mit ihren festgestellten Segeln glitten, fast in gleicher Linie, schnell dahin. Die Mannschaft, die auf den Vordertheilen in Gruppen zusammenstand, brauchte ihre Arme nicht anzustrengen. Es war schönes Wetter mit leichten, von Westen heranziehenden Wolken am Himmel.

In San-Fernando waren die Falcas frisch verproviantiert worden, und zwar mit gedörrtem Fleisch, Gemüsen, Cassavebrod, Conserven, Tabak, Tafia und Aguardiente, ferner mit Tauschartikeln, wie mit Messern, Aexten, Glaswaaren, Spiegeln, Stoffen, doch auch mit Kleidungsstücken, Decken und einem reichlichen Vorrath an Munition. Das war eine weise Vorsicht, denn weiter stromaufwärts wurde es, von den nöthigsten Nahrungsmitteln abgesehen, gewiß sehr schwierig, sich derartige Gegenstände zu beschaffen. Was übrigens die Ernährung der Mannschaften betraf, durfte man erwarten, daß die Hammerleßbüchse Jacques Helloch's und die Jagdflinte des Sergeanten Martial dazu genügende Beiträge liefern würden. Auch auf ergiebigen Fischfang war jedenfalls zu rechnen, denn an den Mündungen der zahlreichen Rios, die sich in den Oberlauf des Stromes ergießen, wimmelt es überall von schmackhaften Wasserbewohnern.

Abends gegen fünf Uhr legten die von der Brise getriebenen Piroguen an der äußersten Spitze der Insel Mina fast gegenüber dem Mawa an. Hier wurde ein Wasserschweinspärchen erlegt, und so brauchte weder für die Passagiere, [237] noch für die Mannschaften auf den vorhandenen Mundvorrath zurückgegriffen zu werden.

Am nächsten Tage, am 4. October, ging die Fahrt unter ganz gleichen Verhältnissen weiter. Nach Zurücklegung einer fast ganz geraden, zwanzig Kilometer langen Strecke des Orinoco, der die Indianer den Namen Canon Nube gegeben haben, ankerten die »Moriche« und die »Gallinetta« am Fuße der merkwürdigen Felsen der Piedra Pintada.

Diese bilden den »Bemalten Stein«, dessen Inschriften Germain Paterne vergebens zu entziffern suchte, und die übrigens auch zum Theil überfluthet wurden. Die reichlichen Niederschläge der Regenzeit erhielten hier noch immer einen die normale Höhe übersteigenden Wasserstand. Jenseits der Mündung des Cassiquiare trifft man noch auf eine andre »Piedra Pintada« mit ganz ähnlichen hieroglyphischen Zeichen – eine Erinnerung an uralte Indianerrassen – die der Zahn der Zeit verschont hat.

Die Reisenden auf dem Alto Orinoco bringen die Nacht mit Vorliebe auf dem Lande zu. Sobald da unter Bäumen eine Art Lagerplatz hergestellt ist, bringen sie ihre Hängematten an niedrigeren Zweigen an und schlafen ruhig unter dem sternenbesäeten Himmel, wenn gerade Sterne flimmern, die dann aber am venezuolanischen Firmament immer schön sind. Die Passagiere hatten sich bisher freilich mit dem Obdach, das die Deckhäuser boten, begnügt und hielten es nicht für nothwendig, ihre Piroguen zu verlassen.

Wer unter freiem Himmel schläft, ist hier übrigens plötzlichen und heftigen, gerade in dieser Gegend häufigen Regenschauern ausgesetzt und auch noch andern Zufälligkeiten preisgegeben, die ebensowenig angenehmer Art sind.

Die beiden Schiffer Valdez und Parchal sprachen gerade an diesem Abend darüber.

»Wenn man dadurch von den Muskitos verschont bliebe, meinte der Erstere, dann wäre ja ein Nachtlager am Lande vorzuziehen. Die Quälgeister sind am Ufer aber ebenso zudringlich, wie auf dem Strome.

– Außerdem, ergänzte Parchal seines Collegen Rede, wird man dort noch von Ameisen überfallen, deren Bisse einen fieberhaften Zustand erzeugen können.

– Sind das nicht die, die man »Veinte y cuatro« nennt? fragte Jean, der sich durch fleißiges Studium seines Führers vielseitig unterrichtet hatte.

– Ganz recht, bestätigte Valdez, und zu jenen gesellen sich noch die Chipitas, kleine Insecten, die man mit bloßem Auge kaum sehen kann und [238] die einen vom Kopf bis zu den Füßen zerstechen; ferner die Termiten, die so unerträglich sind, daß die Indianer vor ihnen nicht selten aus ihren Hütten entfliehen...

– Ohne von den Sandflöhen zu reden, setzte Parchal hinzu, und von den Vampyren, die ihrem Opfer das Blut bis zum letzten Tropfen absaugen...

– Und die Schlangen nicht zu vergessen, vervollständigte Germain Paterne diese Liste, die über sechs Meter lange Culebra mapanare und andre. Gegen sie sind mir die Muskitos doch noch lieber...

– Und ich mag weder von den einen, noch von den andern etwas wissen!« erklärte Jacques Helloch.

Dieser Ansicht schlossen sich Alle an. Das Nachtlager an Bord sollte also beibehalten werden, so lange kein Unwetter, wie etwa ein plötzlicher Chubasco, die Passagiere nöthigte, am Ufer Schutz zu suchen.

Im Laufe des Nachmittags gelang es noch, die Mündung des Rio Ventuari, eines bedeutenden rechtsseitigen Nebenflusses, zu erreichen. Es war kaum um fünf Uhr, und blieb also noch zwei Stunden lang tageshell. Auf Anrathen des Schiffers Valdez wurde jedoch schon hier Halt gemacht, denn oberhalb des Ventuari bietet das von Felsen durchsetzte Flußbett der Schifffahrt ernste Schwierigkeiten, und es wäre unklug gewesen, sich diesen bei Annäherung der Dunkelheit auszusetzen.

Das Abendessen wurde gemeinschaftlich verzehrt. Der Sergeant konnte jetzt, wo Jeans Geheimniß seinen beiden Landsleuten bekannt war, dagegen nichts mehr einwenden. Jacques Helloch und Germain Paterne bewahrten in ihrem Auftreten dem jungen Mädchen gegenüber auch die äußerste Zurückhaltung. Sie hätten sich, vorzüglich Jacques Helloch, ernste Selbstvorwürfe gemacht, wenn sie sich zu sehr aufgedrängt hätten. Bei dem Genannten war das nicht etwa die Folge von Verlegenheit, sondern die einer eigenthümlichen Empfindung, die sich in Gegenwart des Fräuleins von Kermor seiner stets bemächtigte. Letzterer konnte das gar nicht entgehen, sie wollte aber darauf nicht besonders achten und benahm sich ebenso ungezwungen und offenherzig wie bisher. Wenn der Abend kam, lud sie die beiden jungen Männer ein, nach ihrer Pirogue herüberzukommen. Dann plauderte die kleine Gesellschaft von den Erlebnissen während der Fahrt, von den Möglichkeiten, die ihnen die nächste Zeit noch bieten könnte, von den Aussichten auf endlichen Erfolg und von den Aufklärungen, die in der Mission von Santa-Juana jedenfalls zu erhalten sein würden.

[239] »Der Name ist schon von guter Vorbedeutung, bemerkte Jacques Helloch. Ja gewiß, von guter Vorbedeutung, weil er auch der Ihrige ist... Fräulein.

– Herr Jean, wenn ich bitten darf, Herr Jean! unterbrach ihn das junge Mädchen, während der Sergeant Martial die Brauen drohend zusammenzog.

– Jawohl, Herr Jean!« antwortete Jacques Helloch, nachdem er noch durch eine Handbewegung angedeutet hatte, daß ihn keiner von der Mannschaft der Falca habe hören können.

Am laufenden Abend drehte sich das Gespräch um den Nebenfluß, an dessen Mündung die Piroguen sich für die Nacht festgelegt hatten.

Es ist das einer der bedeutendsten Zuflüsse des Orinoco. An einer der stärksten Biegungen seines ganzen hydrographischen Systems, einem fast spitzen, weit vorspringenden Winkel, führt er diesem durch sieben, ein Delta bildende Arme eine ungeheure Wassermasse zu. Der Ventuari kommt aus den von Nordost bis Südwest sich ausdehnenden Gebieten her, wird von den unerschöpflichen Quellen der guyanesischen Anden gespeist und bewässert die Landstrecken, die in der Hauptsache von den Macos- und den Mariquitare-Indianern bevölkert sind. Sein Wasserzufluß ist also weit mächtiger als der der linksufrigen Nebenflüsse, die sich nur langsam durch ebene Savannen winden.

Das veranlaßte Germain Paterne, der dabei leicht mit den Schultern zuckte, zu der Bemerkung:

»Nun wahrlich, hier hätten die Herren Miguel, Felipe und Varinas ein würdiges Streitobject! Der Ventuari machte ihrem Atabapo und ihrem Guaviare gewiß mit Erfolg den Rang streitig, und wären die Herren hier, so hätten wir zweifellos die Beweisgründe, die sie mit dem Brustton der Ueberzeugung anzuführen lieben, die ganze Nacht über mit anzuhören.

– Höchst wahrscheinlich, stimmte Jean ein, denn dieser Wasserlauf ist der bedeutendste der ganzen Gegend.

– Wahrhaftig, rief Germain Paterne, ich fühle schon, daß der Dämon der Hydrographie in mein armes Gehirn einzieht. Warum sollte denn der Ventuari nicht der eigentliche Orinoco sein?

– Wenn Du glaubst, daß ich mich auf eine Erörterung dieser Frage einlassen sollte... erwiderte Jacques Helloch.

– Und warum nicht? – Sie verdient das ebenso gut, wie die der Herren Felipe und Varinas...

– Sage lieber, sie verdient das ebenso wenig...


Valdez ging auf das Anerbieten ein. (S. 236.)

– Ja warum denn?

– Weil der Orinoco eben der Orinoco ist und bleibt!

– Eine hübsche Beweisführung, Jacques!

– Ihre Anschauung, Herr Helloch, fragte Jean, [240] deckt sich also mit der des Herrn Miguel?

– Vollständig, lieber Jean.

– Armer Ventuari! stieß Germain Paterne lachend hervor. Ich sehe, daß Dir keine Aussichten blühen und gebe Dich also auf!«

[241] Die drei Tage des 4., 5. und 6. October erforderten von Seiten der Mannschaften eine ganz außerordentliche Anstrengung, entweder beim Schleppen und Aufholen der Fahrzeuge oder bei der Handhabung der Pagaien und der Palancas. Nach der Piedra Pintada mußten die Piroguen sieben bis acht Kilometer weit durch ein Labyrinth von Inseln und Felsblöcken bugsiert werden, was das Fortkommen sehr verlangsamte und erschwerte. Obgleich noch immer eine westliche Brise wehte, konnten die Segel durch diese Irrgänge doch unmöglich benutzt werden. Außerdem stürzte wiederholt ein gewaltiger Regen herab, und die Passagiere mußten daher lange Stunden unter den Deckhäusern aushalten.

Oberhalb jener Felsen folgten sogleich die Stromschnellen von San-Barbara, die die Piroguen aber ohne vorherige Entlastung überwinden konnten. An dieser Stelle sah man nichts von den Ruinen eines alten, von Chaffanjon erwähnten Dorfes, ja es sah aus, als ob dieser Theil des linken Stromufers niemals von seßhaften Indianern besiedelt gewesen wäre.

Erst jenseits der Flußenge von Cangreo konnte die Schifffahrt unter normalen Verhältnissen wieder aufgenommen werden, was den Falcas gestattete, am Nachmittage des 6. October das Dorf Guachapana zu erreichen, wo sie ans Ufer gingen.

Wenn die Schiffer Valdez und Parchal schon hier Halt machten, so geschah es nur, um den Mannschaften einen halben Tag und eine Nacht zum gründlichen Ausruhen zu gönnen.

Guachapana besteht nämlich einzig aus einem halben Dutzend längst verlassener Strohhütten. Das kommt daher, daß die den Platz umgebende Savanne geradezu verpestet ist von Termiten, deren Bauten bis zu zwei Meter hoch sind. Gegen einen solchen Ueberfall durch jene »Holzläuse« giebt es keine andre Rettung, als ihnen den Platz zu überlassen, und das hatten die Indianer auch gethan.

»Das offenbart, bemerkte Germain Paterne, die Macht des unendlich Kleinen. Nichts widersteht den winzigen Bestien, wenn sie zu Myriaden auftreten. Eine Bande Tiger oder Jaguare kann man schließlich zurücktreiben, man kann das Land von ihnen säubern, wandert wegen des Raubgesindels aber nicht aus...

– Wenigstens, wenn man kein Piaroa-Indianer ist, flocht Jean ein, denn nach dem, was ich gelesen habe...

[242] – Ja, ja; doch ergreifen die Piaroas unter solchen Umständen die Flucht mehr aus Aberglauben, als aus Furcht, setzte Germain Paterne hinzu, während jene Ameisen, jene Termiten ein Land ganz unbewohnbar machen.«

Gegen fünf Uhr glückte es den Leuten von der »Moriche«, eine Schildkröte von der Terecaïe genannten Art zu fangen. Dieser Chelonier diente zur Bereitung einer vortrefflichen Suppe und eines ebenso schmackhaften Fleischgerichts, das die Indianer als »Sancoco« zu bezeichnen pflegen. Außerdem – und das erlaubte, an den mitgeführten Vorräthen der Falcas zu sparen – warteten am Saume der nahegelegenen Wälder Affen, Wasser- und Bisamschweine nur auf einen Flintenschuß, um auf der Tafel der Passagiere zu erscheinen. Ananas und Bananen konnte man überall pflücken. Ueber das Uferland flatterten geräuschvoll Schwärme von Wildenten, Hoccos (Baumhühner) mit weißlichem Bauche und schwarze wilde Hühner dahin. Das Wasser wimmelte von Fischen, die hier so zahlreich sind, daß die Indianer sie mit Pfeilen tödten. Binnen einer Stunde hätten die Boote der Piroguen damit gefüllt werden können.

Nahrungssorgen brauchen sich Reisende auf dem obern Orinoco also niemals zu machen.

Oberhalb Guachapanas beträgt die Breite des Stromes überall nicht mehr als fünfhundert Meter. Trotzdem ist sein Bett häufig von Inseln unterbrochen, die dann »Chorros« erzeugen, heftige Stromschnellen, deren Wellen sich mit belästigendem Ungestüm hinabwälzen. Die »Moriche« und die »Gallinetta« kamen an diesem Tage nicht weiter, als bis zur Insel Perro de Agua, wo sie aber auch erst mit einbrechender Nacht eintrafen.

Vierundzwanzig Stunden später, nach einem sehr regnerischen Tage und häufigen Störungen durch Umspringen des Windes – wodurch es oberhalb der Insel Camucapi sich mittelst der Palancas fortzuarbeiten galt – erreichten die Reisenden die Lagune von Carida.

Früher lag an dieser Stelle ein Dorf, das aber verlassen worden war, als ein Piaroa unter dem Zahne eines Tigers umgekommen war, wie das auch von Chaffanjon bestätigt wird. Der französische Reisende fand in diesem Dorfe übrigens nur wenige Hütten, die damals ein Baré-Indianer bezogen hatte, der minder abergläubisch und auch kein so lächerlicher Prahlhans war, wie seine Stammesverwandten. Dieser Baré legte einen Rancho an, den Jacques Helloch und seine Begleiter jetzt in gedeihlichstem Zustande fanden. Der Rancho umfaßte Felder mit Mais, Manioc, nebst Anpflanzungen von Bananen, Tabak [243] und Ananas. Im Dienste des Indianers und seiner Frau standen wohl ein Dutzend Bauern, die in Carida mit jenen im besten Einvernehmen lebten.

Die Einladung des wackern Mannes, sein Anwesen zu besichtigen, konnte man nicht wohl abschlagen. Er kam an Bord der Piroguen, als diese kaum erst angelegt hatten. Als ihm ein Gläschen Aguardiente angeboten wurde, nahm er es nur unter der Bedingung an, daß die Fremden in seiner Hütte ein Glas Tafia trinken und Cigaretten von seinem »Tabori« rauchen würden. Es hätte doch einen schlechten Eindruck gemacht, diese Einladung nicht anzunehmen, und die Passagiere versprachen deshalb, nach dem Mittagsmahle den Rancho aufzusuchen.

Da ereignete sich noch ein kleiner Zwischenfall, dem indeß niemand weder besondere Bedeutung beilegte, noch solche beilegen konnte.

Eben als er die »Gallinetta« wieder verlassen wollte, blieb der Blick des Baré auf einem von der Mannschaft haften, auf jenem Jorres, den der Schiffer in San-Fernando angeworben hatte.

Der Leser erinnert sich, daß der Spanier dort seine Dienste nur anbot, weil er sich nach der Mission von Santa-Juana begeben wollte.

Nachdem der Baré ihn mit einer gewissen Neugierde betrachtet hatte, sprach er den Mann direct an.

»Sagen Sie, guter Freund, hab ich Sie nicht schon irgendwo gesehen?«

Jorres runzelte ein wenig die Stirn.

»Hier wenigstens nicht, Indianer, antwortete er hastig, denn ich bin noch nie nach Euerm Rancho ge kommen.

– Das ist merkwürdig! Bei Carida kommen doch nur wenige Fremde vorbei, und man vergißt ihr Gesicht nicht so leicht, wenn man's auch nur ein einzigesmal gesehen hatte.

– Vielleicht haben Sie mich in San-Fernando getroffen, erwiderte der Spanier.

– Seit wie lange waren Sie da?

– Seit... seit drei Wochen.

– Dann ist das unmöglich, denn ich bin seit reichlich zwei Jahren nicht in San-Fernando gewesen.

– Dann täuscht Ihr Euch, Indianer; Ihr habt mich noch nie gesehen, erklärte der Spanier in schroffem Tone, und ich befahre jetzt zum erstenmale den obern Orinoco.

[244] – Ich will Ihnen ja glauben, antwortete der Baré, und doch...«

Hiermit endete das Gespräch, und wenn Jacques Helloch auch dessen Schlußworte hörte, machte er sich doch keinerlei Gedanken darüber. Warum sollte Jorres denn zu verleugnen haben, daß er schon einmal nach Carida gekommen sei, wenn das wirklich der Fall gewesen war?

Valdez konnte den Mann obendrein nur loben, der vor keiner Arbeit, so anstrengend sie auch sein mochte, zurückschreckte und überall ebensoviel Kraft wie Behendigkeit entwickelte. Höchstens konnte man beobachten – ohne ihm daraus einen Vorwurf zu machen – daß er sich von den Andern etwas abgesondert hielt, wenig sprach und dafür mehr auf Alles lauschte, was zwischen den Passagieren oder den Mannschaften gesprochen wurde.

In Folge jenes Austausches von Worten zwischen dem Baré und Jorres kam Jacques Helloch indeß auf den Gedanken, letzteren zu fragen, aus welchem Grunde er gerade nach Santa-Juana zu gehen beabsichtigte.

Jean, der sich ja lebhaft für Alles interessierte, was diese Mission anging, erwartete gespannt die Antwort des Spaniers.

Dieser sagte da sehr einfach und ohne eine Spur von Verlegenheit zu verrathen:

»Ich war von Kindheit an für die Kirche bestimmt und bin auch Novize im Kloster der Mercedes in Cadix gewesen. Da packte mich jedoch das Reisefieber; ich habe mehrere Jahre auf Schiffen des Staates gedient. Mit der Zeit wurde ich dessen aber überdrüssig, mein erster Beruf erschien mir wieder verlockender und deshalb gedachte ich, in eine Mission einzutreten. Vor sechs Monaten befand ich mich in Caracas noch auf einem Handelsschiffe, als ich von der vor mehreren Jahren vom Pater Esperante gegründeten Mission Santa-Juana reden hörte. Da kam mir der Gedanke, in diese einzutreten, denn ich zweifelte keinen Augenblick, in dieser blühenden Anstalt Aufnahme zu finden. So verließ ich denn Caracas und vermiethete mich als Ruderer, bald auf der einen, bald auf der andern Falca, bis ich in dieser Weise nach San-Fernando gelangte. Hier wartete ich auf eine Gelegenheit, den obern Orinoco hinauf zu fahren, und meine Hilfsmittel, das heißt, was ich während der Reise gespart hatte, waren nahezu erschöpft, als Ihre Piroguen dort am Orte vor Anker gingen. Schnell hatte sich in San-Fernando die Nachricht verbreitet, daß der Sohn des Oberst von Kermor, in der Hoffnung, seinen Vater wiederzufinden, im Begriff stehe, nach Santa-Juana aufzubrechen. Da ich nun auch gehört hatte, daß der[245] Schiffer Valdez einige Leute zur Vervollständigung seiner Mannschaft sachte, bot ich mich ihm an, und so bin ich nun auf der »Gallinetta«. Mit Sicherheit kann ich aber behaupten, daß jener Indianer mich noch niemals gesehen hat, denn ich bin zum erstenmale nach Carida gekommen.«

Jacques Helloch und Jean waren verwundert über den wahrhaftigen Ton, mit dem der Spanier sprach; das konnte sie aber nicht überraschen, da sie aus seiner Antwort erfuhren, daß dieser Mann in seiner Jugend eine bessere Erziehung genossen hatte. Sie erklärten sich deshalb bereit, einen Indianer an seiner Stelle zur Hilfeleistung auf der »Gallinetta« anzustellen, ihn aber auf einer der Piroguen als Passagier an Bord zu behalten.

Jorres sprach den beiden Franzosen dafür seinen Dank aus. Einmal jedoch an der Arbeit als Ruderer, die er nun bis zum Rancho von Carida versehen hatte, wollte er diese Stellung auch bis zu den Quellen des Stromes beibehalten.

»Und, fügte er hinzu, sollte ich dann nicht in das Personal der Mission eintreten können, so würde ich Sie, meine Herren, bitten, mich in Ihre Dienste und bis San-Fernando wieder mit zurückzunehmen – ja am liebsten bis nach Europa, wenn Sie einst dahin zurückkehren.«

Der Spanier sprach mit ruhiger, doch ziemlich scharfer Stimme, obgleich er diese zu mildern bemüht schien. Der Ton paßte aber zu seinen etwas groben Zügen, zu dem entschlossenen Gesichtsausdruck, dem großen Kopfe mit schwarzen Haaren, dem dunkeln Teint und zu seinem Munde, dessen schmale Lippen kaum die sehr weißen Zähne bedeckten.

Er zeigte jedoch auch noch eine andre Eigenthümlichkeit, die bisher Allen entgangen war und die von diesem Tage an von Jacques Helloch vielfach beobachtet wurde: einen ganz seltsamen Blick nämlich, den er zeitweilig auf den jungen Mann richtete. Das legte die Frage nahe, ob er vielleicht das Geheimniß Jeanne von Kermor's, von dem doch weder Valdez und Parchal, noch einer von den Leuten der Besatzung das Geringste ahnten, entdeckt haben könnte.

Dieser Gedanke machte Jacques Helloch recht unruhig und veranlaßte ihn, den Spanier scharf im Auge zu behalten, obgleich weder das junge Mädchen, noch der Sergeant Martial irgend welchen Verdacht geschöpft hatte. Wenn der Verdacht Jacques Helloch's zur Gewißheit werden sollte, würde es ja Zeit sein, entschieden einzugreifen und sich von Jorres zu befreien, der in einem beliebigen Dorfe, etwa bei la Esmeralda, wenn die Piroguen daselbst landeten, ausgesetzt [246] werden konnte. Dafür brauchte ihm auch gar kein Grund angegeben zu werden; Valdez hatte einfach seine Rechnung mit ihm zu begleichen, und jener konnte sich dann nach der Mission Santa-Juana durchschlagen, wie es ihm beliebte.

Bezüglich dieser Mission drängte es Jean jedoch, den Spanier über das auszuforschen, was er etwa davon wissen könnte, und so fragte er ihn, ob er wohl den Pater Esperante, bei dem er sich niederlassen wollte, schon kenne.

»Jawohl, Herr von Kermor, antwortete Jorres nach leichtem Zögern.

– Haben Sie ihn gesehen?

– Gewiß, in Caracas.

– Zu welcher Zeit?

– Im Jahre 1879, wo ich mich an Bord eines Kauffahrers befand.

– War das das erste Mal, daß der Pater Esperante nach Caracas kam?

– Ja... das erste Mal... und von da zog er weiter, um die Mission Santa-Juana zu errichten.

– Was für ein Mann ist er wohl, mischte sich hier Jacques Helloch ein, oder vielmehr, was für ein Mann war er damals?

– Ein Mann in den fünfziger Jahren, von hohem Wuchs, großer Körperkraft und mit schon ergrauendem Vollbart, der jetzt ganz weiß sein dürfte. Man sah es ihm an, daß er ein entschlossener, energischer Charakter war, wie es im allgemeinen die Missionäre sind, die ihr Leben daran wagen, die Indianer zu bekehren...

– Ein edler Beruf, sagte Jean.

– Der schönste, den ich kenne!« erwiderte der Spanier.

Das Gespräch fand mit dieser Antwort sein Ende, auch war die Zeit zum Besuche des Rancho herangekommen. Der Sergeant Martial und Jean, sowie Jacques Helloch und Germain Paterne begaben sich ans Ufer und wanderten dann durch die Mais- und Maniocselder hin nach der Wohnstätte, die der Indianer mit seiner Frau einnahm.

Diese Hütte war sorgfältiger gebaut, als man es sonst bei den Strohhütten der Indianer der Umgegend beobachtet. Sie enthielt einige Möbel, Hängematten, Geräthe für den Ackerbau und die Küche, einen Tisch, mehrere als Schrank dienende Körbe und ein halbes Dutzend Schemel.

Der Baré begrüßte seine Gäste, denn seine Frau war des Spanischen nicht mächtig, das er ganz geläufig sprach.


»Hab ich Sie nicht schon einmal gesehen?« (S. 244.)

Die Frau war eine eigentlich noch halbwilde Indianerin, die offenbar tief unter ihrem Mann stand.

[247] Letzterer, der auf sein Besitzthum etwas stolz zu sein schien, plauderte ausführlich über seinen Betrieb und seine Zukunft und drückte dabei auch sein lebhaftes Bedauern aus, daß seine Gäste den Rancho nicht in dessen ganzer Ausdehnung besichtigen könnten.

Das sollte indeß nur aufgeschoben sein, denn er erwartete, daß die Piroguen bei der Rückfahrt hier etwas länger liegen bleiben würden.

Maniockuchen, vorzügliche Ananasfrüchte, Tafia, den der Baré aus seinem Zuckerrohr selbst bereitete, Cigaretten aus Tabak eigner Ernte, bestehend aus [248] zusammengerollten Tabakblättern mit einer Tabariumhüllung, alles das wurde freundlichst angeboten und ebenso angenommen.

Nur Jean allein lehnte trotz des Drängens des Indianers die Cigaretten ab und kostete von dem Tafia nicht mehr, als daß er sich mit einigen Tropfen die Lippen benetzte. Das war recht klug und weise von ihm, denn der Liqueur brannte wie höllisches Feuer. Wenn Jacques Helloch und der Sergeant Martial dabei auch keine Miene verzogen, so konnte Germain Paterne dagegen gleich beim ersten Schluck eine Grimasse nicht unterdrücken, um die ihn die Affenwelt des [249] Orinoco beneidet hätte – was dem Indianer eine angenehme Genugthuung zu bereiten schien.


Am östlichen Horizonte zeigten sich die Umrisse eines Berges. (S. 250.)

Die Gäste zogen sich gegen zehn Uhr zurück, und der Baré, dem einige seiner Feldarbeiter folgten, begleitete sie nach den Falcas, deren Mannschaften schon in tiefem Schlafe lagen.

Als sich die Gesellschaft eben trennen wollte, konnte der Indianer es nicht unterlassen, im Hinblick auf Jorres zu sagen:

»Und ich bleibe doch dabei, den Spanier in der Umgebung des Rancho schon früher einmal gesehen zu haben!

– Warum sollte er das aber nicht zugestehen? fragte Jean.

– Es wird sich nur um eine auffallende Aehnlichkeit handel, mein braver Indianer!« begnügte sich Jacques Helloch zu erwidern.

3. Capitel
Drittes Capitel.
Zweitägiger Aufenthalt in Danaco.

Schon seit achtundvierzig Stunden zeigten sich am östlichen Horizont die Umrisse eines Berges, den die beiden Schiffer Valdez und Parchal für den Cerro Yapacana erklärten. Sie fügten dem auch hinzu, daß dieser Berg von Geistern bewohnt sei, die alljährlich, im Februar und März, auf seinem Gipfel ein mächtiges Feuer auflodern ließen, dessen Widerschein die ganze Gegend erhellt und bis zum Himmel hinanreicht.

Am Abend des 11. October hatten die Piroguen die Stelle erreicht, von wo aus jener vier Kilometer lange, anderthalb Kilometer breite und etwa zwölfhundert Meter hohe Cerro sich am besten überblicken läßt.

In den drei Tagen nach der Abreise von Carida war die von einer beständigen Brise unterstützte Fahrt der Falcas ziemlich schnell und unbehindert verlaufen. Die Reisenden waren dabei an der Insel Luna vorübergekommen und den von dicht mit Palmenhainen bedeckten Ufern eingefaßten Strom hinausgefahren, ohne jede andre Schwierigkeit, als die der Passage eines unbedeutenden [250] Raudal, das die »Teufelsbarre« genannt wird – obwohl sich der Teufel hier keineswegs quer vor den Weg gelegt hat.

Der Cerro von Yapacana steigt aus der Ebene empor, die sich an der rechten Seite des Orinoco hinzieht. Wie bereits Chaffanjon bemerkt hat, zeigt er sich in der Gestalt eines riesenhaften Sarkophags.

»Das erklärt es ja, bemerkte Germain Paterne, daß allerlei Feld- und Waldgeister, Gespenster, Hexen und andre Fabelwesen mythologischen Ursprungs sich mit Vorliebe dahin zurückziehen.«

Am linken Ufer, gegenüber dem Cerro und oberhalb der Insel Mavilla, befand sich die Niederlassung eines venezuolanischen Handelscommissars, eines Mestizen, namens Manuel Assomption. Der Mann lebte hier mit seiner Gattin, ebenfalls einer Mestizin, und mehreren Kindern – im Ganzen eine recht interessante Familie.

Als die Falcas vor Danaco anhielten, was erst in der Dunkelheit erfolgte, war die Fahrt durch eine der »Gallinetta« zugestoßene Havarie etwas verzögert gewesen. Trotz seiner Gewandtheit hatte Valdez es nicht verhindern können daß seine von einem Wasserwirbel erfaßte Pirogue an einen Felsblock anprallte. Durch den Stoß war ein zum Glück nur kleines Leck entstanden, das schon mit einer mäßigen Menge trocknen Grases wenigstens nothdürftig geschlossen werden konnte. Für die weitere Reise mußte die beschädigte Stelle freilich gründlich ausgebessert werden, und dazu bot sich in Danaco günstige Gelegenheit.

Die Passagiere blieben die Nacht über am Fuße des Uferrandes an der Südseite der Insel Mavilla, ohne daß ihre Ankunft dem Commissar sofort gemeldet worden wäre.

Am nächsten Tage steuerten die Piroguen mit dem ersten Frühroth über den schmäleren Arm des Stromes und legten sich an einer Art Schiffbrücke fest, die jedenfalls zur Beladung und Löschung von Fahrzeugen diente.

Danaco war jetzt ein Dorf, nicht mehr ein einfacher Rancho, als welchen es der französische Reisende (Chaffanjon) noch verzeichnet hatte.

Dank der verständnißvollen Thätigkeit Manuel Assomption's war die Ansiedlung in einigen Jahren auffallend gewachsen und versprach bei ihrem blühenden Zustande noch weiter zuzunehmen. Es war von dem Mestizen ein glücklicher Gedanke gewesen, seinen früheren »Sitio« in Guachapana aufzugeben, wo er wegen der geringeren Entfernung San-Fernandos von dem Gouverneur daselbst ärgerlichen Vexationen leicht ausgesetzt war. In Danaco war er nahezu [251] ganz frei, konnte sich seinen Handelsgeschäften nach Belieben widmen, und diese Ungebundenheit hatte denn auch zu recht glücklichen Ergebnissen geführt.

Frühzeitig am Morgen erhielt Manuel Kenntniß von dem Eintreffen der Piroguen. Von einigen seiner Leute begleitet, kam er jetzt herbei, um die Reisenden zu begrüßen.

Auch diese gingen ihm ein Stück entgegen, und Jean hielt es für angezeigt, ihm eines der Empfehlungsschreiben zu überreichen, die der Gouverneur von San-Fernando dem jungen Mann für die Commissare am obern Orinoco eingehändigt hatte.

Manuel Assomption nahm den Brief, durchlas ihn, sagte darauf aber mit einigem Selbstbewußtsein:

»Es hätte für mich dieses Briefes nicht bedurft, um Fremden, die in Danaco Halt machen, einen wohlwollenden Empfang zu bereiten. Reisende, und vor allem Franzosen, können stets darauf rechnen, in unsern venezuolanischen Dörfern willkommen zu sein.

– Nehmen Sie dafür unsern Dank, Herr Manuel, antwortete ihm Jacques Helloch. Die Ausbesserung einer Havarie, die eine unsrer Falcas erlitten hat, wird uns aber nöthigen, achtundvierzig Stunden lang hier liegen zu bleiben...

– O, gern acht Tage lang, mein Herr, wenn Sie es wünschen. Danaco steht immer den Landsleuten des Franzosen Truchon offen, dem die Pflanzer am obern Orinoco so viel Dank schuldig sind.

– Wir wußten im voraus, daß wir hier gute Aufnahme finden würden, Herr Manuel, bemerkte Jean.

– Und woher wußten Sie das, junger Freund?

– Weil Sie die Gastfreundschaft, die Sie uns anbieten, schon vor fünf Jahren einem unsrer Landsleute, der bis zu den Quellen des Orinoco vordrang, in gleich freundlicher Art erwiesen haben.

– Ah, Sie sprechen von Herrn Chaffanjon! rief der Commissar. Ja, das war ein kühner Forscher, den ich ebenso wie seinen Begleiter Moussot im besten Andenken habe...

– Und der sich Ihrer, Herr Manuel, mit aller Wärme erinnert, fiel Jean ihm ins Wort, ebenso wie der Dienste, die Sie ihm geleistet haben, wie er sich in seinem Reiseberichte darüber äußert.

– Besitzen Sie vielleicht dieses Buch? fragte Manuel mit lebhafter Neugier.

[252] – Gewiß, antwortete Jean, und wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen gern die betreffenden Stellen übersetzen.

– Das würde mir viel Vergnügen machen,« versicherte der Commissar, indem er den Passagieren der Falcas die Hände entgegenstreckte.

In dem betreffenden Berichte wird nicht nur des Herrn Manuel Assomption und seines Anwesens in Danaco rühmlichst gedacht, sondern auch des Herrn Truchon, dem es die Franzosen zu verdanken haben, daß sie am Oberlaufe des Orinoco in so gutem Ansehen stehen.

Der genannte Truchon hatte nämlich vor einigen vierzig Jahren im Gebiete des obern Orinoco eine Ansiedlung gegründet. Vorher verstanden sich die Indianer nun noch gar nicht auf die Gewinnung des Kautschuks; durch das Verfahren, das er einführte, wurde die sehr ausgiebige Ausbeute der betreffenden Bäume dagegen zum reichen Segen für diese entlegenen Landestheile. Daher rührt die gerechtfertigte Beliebtheit des französischen Namens in allen Provinzen, wo jene Cultur die Hauptindustrie bildet.

Manuel Assomption zählte jetzt sechzig Jahre. Er bot das Bild eines noch kraftvollen Mannes mit stark gebräunter Haut, intelligenten Zügen und lebhaften Augen, eines Mannes, der sich, weil er zu befehlen verstand, Gehorsam zu erzwingen wußte, der aber andrerseits gütig, aufmerksam, ja zuvorkommend gegen die in seinem Rancho beschäftigten Indianer war.

Diese gehörten zu den Mariquitarern, zu einer der besten angestammten Rassen Venezuelas, und das Dorf, das er rings um seinen Rancho hatte entstehen lassen, barg eine ausschließlich mariquitarische Bevölkerung.

Nachdem die Passagiere die ihnen von dem Commissar angebotene Gastfreundschaft angenommen hatten, wurde sofort Auftrag gegeben, mit Ausbesserung der Beschädigungen der »Gallinetta« zu beginnen. Hierzu war es nöthig, Alles, was sich darauf befand, auszuladen, sie auf das Ufer zu ziehen und umzulegen, um den Boden frisch kalfatern zu können. Mit den Arbeitskräften, die der Commissar dem Schiffer Valdez dazu zur Verfügung zu stellen versprach, mußte das binnen zwei Tagen beendigt sein.

Es war jetzt um sieben Uhr morgens. Dazu herrschte ein bedeckter Himmel mit hochziehenden, keinen Regen verkündenden Wolken und eine erträgliche Temperatur, die siebenundzwanzig Centigrade nicht überstieg.

Alle brachen also in der Richtung nach dem unter dichten Baumkronen versteckten Dorfe auf, das etwa fünfhundert Meter vom linken Ufer entfernt lag.

[253] Manuel Assomption, Jacques Helloch und Jean gingen auf einem ziemlich breiten, geschickt angelegten und gut unterhaltenen Fußwege voraus, und der Sergeant Martial folgte ihnen mit Germain Paterne nach.

Unterwegs erweckte der Commissar schon die Bewunderung der Reisenden über die vielfältigen Erzeugnisse seines Rancho, dessen Culturen fast bis zum Strome herabreichten und die starke Bestände von Mango- und Citronenbäumen, von Bananen, Cacaostauden und Macanillepalmen aufwiesen. Weiter draußen sah man noch höchst fruchtbare Bananengärten, Mais- und Maniocfelder, sowie Anpflanzungen von Zuckerrohr und Tabak. Eigentlich lieferten aber die zu den Euphorbiaceen gehörenden Kautschukbäume und Tonkabohnensträuche, die die auch unter dem Namen Sarrapia vorkommenden länglichen Schoten tragen, die wichtigste Ernte der ganzen Besitzung.

»Wenn Ihr Landsmann jetzt wieder zu uns kommen könnte, wiederholte Manuel öfters, wie verändert würde er den Rancho von Danaco finden, ganz abgesehen von dem Dorfe, das in weiter Umgebung schon eines der bedeutendsten ist!

– Auch bedeutender als la Esmeralda? fragte Jacques Helloch, der damit ein weiter stromaufwärts liegendes Dorf nannte.

– Gewiß, denn diese kleine Ortschaft ist jetzt verlassen, antwortete der Commissar, während Danaco in erfreulicher Weise aufblüht. Sie werden selbst ebenso urtheilen, wenn Sie an la Esmeralda vorüberkommen. Dazu sind die Mariquitarer anstellige und fleißige Arbeiter, und Sie können sich durch den Augenschein überzeugen, daß ihre Wohnstätten weit besser hergestellt und eingerichtet sind, als die der Mapoyos und der Piaroas des mittleren Orinoco.

– Nun, wandte Jacques Helloch ein, wir haben indeß in la Urbana einen Herrn Mirabal kennen gelernt...

– Ich weiß... ich weiß schon, fiel ihm Manuel Assomption ins Wort, den Besitzer des Hato von Tigra. Das ist ohne Zweifel ein intelligenter Mann, ich hab' ihn schon mehrfach rühmen hören. Sein Hato wird sich jedoch niemals zu einem Flecken entwickeln, zu einem solchen erhebt sich aber bald unser Dorf Danaco, bei dem wir in diesem Augenblick angelangt sind.«

Vielleicht war der Commissar etwas eifersüchtig auf die Erfolge des Herrn Mirabal.

»Und wo sich einmal die Eifersucht einnistet...« dachte Jacques Helloch recht zur Zeit für sich. Manuel Assomption hatte bezüglich des Dorfes, von dem er mit berechtigtem Stolze sprach, übrigens nur die Wahrheit gesagt.

[254] Zur Zeit bestand Danaco aus etwa fünfzig Wohnstätten, worauf man die Bezeichnung Strohhütten nicht wohl anwenden konnte.

Die kleinen Baulichkeiten bestehen aus einem cylindrisch-konischen Theile, der ein mit Palmenblättern bedecktes Dach trägt, woraus noch eine, an ihrem Fuße mit Pflanzenbüscheln verzierte Spitze hervorragt. Die Wände sind aus fest mit einander verbundenen Zweigen gebildet und mit einer Art Mörtel aus fetter Erde berappt, dem vertiefte Linien das Aussehen von Backsteinmauerwerk verleihen.

Zwei einander gegenüberliegende Thüren vermitteln den Eintritt ins Innere, das, statt wie gewöhnlich einen Raum, zwei getrennte Stuben für den Gebrauch ein und derselben Familie bildet und noch ein gemeinschaftliches Zimmer zwischen diesen aufweist. Ein bemerkenswerther Fortschritt gegenüber den gebräuchlichen Indianerhütten, der jede Gemeinsamkeit ausschließt; daneben zeigen die Wohnungen einen gleichen Fortschritt in der, wenn auch auf das Nöthigste beschränkten Ausstattung, die mit ihren Truhen, Tischen, Schemeln, Bastkörben, Hängematten u. s. w. den Anspruch auf eine gewisse Behaglichkeit verräth.

Bei dem Gange durch das Dorf konnten die Reisenden die männliche und die weibliche Bewohnerschaft von Danaco sehen, denn weder Frauen noch Kinder suchten bei ihrer Annäherung zu entfliehen.

Die gut gebauten, kräftig und gesund aussehenden Männer ließen jetzt vielleicht weniger von einer »Localfärbung« erkennen, als zur Zeit, wo ihre Bekleidung nur aus dem durch einen Gürtel zusammengehaltenen Guayneo bestand. Dasselbe galt für die Frauen, die sich früher mit einer einfachen, großen, mit aus Glasperlen bestehendem Muster verzierten Schürze begnügten, welche über den Hüften durch einen Gürtel aus Perlen befestigt war. Jetzt näherte sich ihre Tracht mehr der der Mestizen oder civilisierten Indianer und verstieß in keiner Weise gegen die Regeln der Schicklichkeit. Bei den Männern fand man übrigens ein Aequivalent für den mexikanischen Poncho, und die Frauen würden doch ihr Geschlecht gänzlich verleugnet haben, wenn sie nicht um Hand und Fußgelenk zahlreiche Spangen oder Armbänder getragen hätten.

Nach etwa hundert Schritten durch das Dorf führte der Commissar seine Gäste nach links hin, und zwei Minuten darauf standen sie vor der Hauptwohnung Danacos. Vergegenwärtige man sich darunter ein Doppelh aus oder vielmehr zwei aneinandergefügte, doch im Innern verbundene Wohnstätten, [255] die sich auf ihrem Unterbau ziemlich hoch erhoben und deren Mauern Fenster und Thüren hatten. Sie waren von einem Gehege aus Flechtwerk umgeben, durch Pallisaden noch weiter geschützt, und hatten an der Front einen geräumigen Vorhof. Kräftige Bäume spendeten ihnen Schatten, und auf beiden Seiten derselben standen besondere Schuppen, worin die Ackergeräthe untergebracht wurden, oder Ställe zur Aufnahme der Hausthiere.

Der Empfang fand im ersten Raume einer der beiden Wohnhäuser statt, worin sich schon die Gattin Manuel Assomption's mit ihren zwei Söhnen aufhielt, sie eine Mestizin von einem Indianer und einer Brasilianerin, die Söhne ein Paar kräftige Erscheinungen von fünfundzwanzig und von dreißig Jahren, auch von weniger dunkelm Teint, als ihr Vater und ihre Mutter.

Jacques Helloch und seine Begleiter wurden hier ungemein herzlich aufgenommen. Da die ganze Familie spanisch verstand und geläufig sprach, kam eine Unterhaltung bald und ohne Schwierigkeiten in Gang.

»Und zunächst, wandte sich Manuel an seine Gattin, werden, da die »Gallinetta« hier achtundvierzig Stunden in Reparatur liegt, der Sergeant und sein Neffe bei uns wohnen. Mache ihnen ein Zimmer oder zwei zurecht.

– Zwei, wenn ich bitten darf, sagte eiligst der Sergeant Martial.

– Gut, recht gern zwei, antwortete der Commissar, und wenn Herr Helloch und sein Freund auch im Rancho zu übernachten wünschen...

– Nein, besten Dank für Ihre Freundlichkeit, Herr Manuel, erklärte Germain Paterne. Unsre Pirogue, die »Maripare« ist im besten Zustande, und um Ihnen nicht zu viele Mühe zu machen, werden wir heute Abend an Bord zurückkehren.

– Wie es Ihnen beliebt, meine Herren, erwiderte der Commissar. Sie würden uns nicht im mindesten belästigen, wir wollen Sie in Ihren Entschließungen aber auch nicht beschränken.«

Dann richtete er das Wort an seine beiden Söhne:

»Wir werden einige unsrer besten Leute hinschicken müssen, um den Mannschaften der Falcas zu helfen.

– O, wir betheiligen uns auch gleich selbst an der Arbeit,« antwortete der ältere der beiden Brüder.

Er äußerte diese Worte unter einer gleichzeitigen respectvollen Verbeugung vor Vater und Mutter, ein Beweis von Ehrerbietung, dem man in venezuolanischen Familien fast überall begegnet.


Der Commissar erweckte die Bewunderung der Reisenden... (S. 254.)

[256] [259]Nach dem Frühstück, wobei es Wild, Früchte und Gemüse in großer Menge gab, fragte Herr Manuel seine Gäste nach dem Zwecke ihrer Reise. Bisher wurde der obere Orinoco kaum von Andern besucht, als von vereinzelten Kaufleuten, die sich meist nur bis zum Cassiquiare, stromaufwärts von Danaco begaben. Noch weiter hinauf hörte auch der Handelsverkehr auf dem Strome gänzlich auf, und nur Forschungsreisenden konnte der Gedanke kommen, auch noch bis zu den Quellen vorzudringen.

Der Commissar erstaunte deshalb nicht wenig, als Jean ihm die Veranlassung zu dieser Reise mitgetheilt hatte, bei der ihn seine beiden Landsleute freiwillig begleiteten.

»Sie stehen also im Begriff, Ihren Vater zu suchen? sagte er mit sichtlicher Rührung, die seine Söhne und seine Gattin offenbar theilten.

– Ja, Herr Manuel, und wir hoffen, in Santa-Juana seine Spur wiederzufinden.

– Sie haben nicht zufällig von dem Oberst von Kermor reden hören? wandte sich Jacques Helloch jetzt an den Herrn des Hauses.

– Niemals ist ein solcher Name an mein Ohr gedrungen.

– Und Sie waren doch, fragte Germain Paterne, auch schon vor zwölf Jahren in Danaco ansässig?

– Nein, zu jener Zeit wohnten wir noch im Sitio von Guachapana; es ist aber nichts davon zu unsrer Kenntniß gekommen, daß man dort von der Ankunft eines Oberst von Kermor gesprochen hätte.

– Und doch kann man, warf der Sergeant Martial ein, der von diesem Gespräch genug verstand, um sich daran zu betheiligen, zwischen San-Fernando und Santa-Juana keinen andern Weg einschlagen, als den auf dem Orinoco?

– Das ist wenigstens der bequemste und der kürzeste, antwortete Herr Manuel. Der Reisende setzt sich dabei weniger Gefahren aus, als wenn er durch die von Indianern bewohnten Gebiete im Innern ginge. Hat sich der Oberst von Kermor nach den Quellen des Stromes begeben, so ist er diesen ebenso hinausgefahren, wie Sie es vorhaben.«

Als er sich in dieser Weise äußerte, zeigte Manuel Assomption doch, daß die Sache auch ihm nicht ganz gewiß erschien. Es war ja zu auffallend, daß der Oberst von Kermor, als er sich nach Santa-Juana begab, bei seiner Fahrt auf dem Orinoco von San-Fernando aus gar keine Spuren hinterlassen hätte.

[259] »Haben Sie, Herr Manuel, fragte da Jacques Helloch, die Mission jemals besucht?

– Nein; nach Osten zu bin ich nie über die Mündung des Cassiquiare hinausgekommen.

– Oder haben Sie gelegentlich von Santa-Juana reden hören?

– Ja, als von einer Niederlassung, die dank der Arbeitsfreudigkeit ihres Chefs recht gut aufblühen soll.

– Sie kennen den Pater Esperante nicht?

– O doch... ich hab ihn einmal gesehen... vor etwa drei Jahren. Er war in Angelegenheiten der Mission den Fluß heruntergekommen und hat sich damals einen Tag in Danaco aufgehalten.

– Was für ein Mann ist es, dieser Missionär?« fragte der Sergeant Martial.

Der Commissar entwarf von dem Pater Esperante ein Bild, das ganz den Aussagen des Spaniers Jorres entsprach. Es war also sicher, daß dieser, wie er damals behauptete, den Missionär in Caracas getroffen hatte.

»Und seit seinem Erscheinen in Danaco, fuhr Jean fort, haben Sie mit dem Pater Esperante in keinerlei Verbindung gestanden?

– Nein, niemals, erklärte Herr Manuel. Wiederholt hab' ich dagegen von Indianern, die aus dem Osten kamen, gehört, daß Santa-Juana sich Jahr für Jahr vergrößere. Es ist ein lobenswerthes Liebeswerk, dem sich jener Missionär zu Ehren der Menschheit widmet.

– Gewiß, Herr Commissar, ließ sich Jacques Helloch vernehmen, und es ehrt auch das Land, das solche Männer hervorbringt. Ich bin überzeugt daß wir beim Pater Esperante den besten Empfang finden werden.

– Ganz zweifellos, erwiderte Herr Manuel, er wird Sie aufnehmen, als ob Sie seine Landsleute wären. Derselbe Empfang hätte des Herrn Chaffanjon gewartet, wenn dieser je nach Santa-Juana gekommen wäre.

– Und möchte uns dort, setzte Jean hinzu, endlich Nachricht werden, die uns auf die Spuren meines Vaters führte!«

Am Nachmittage mußten die Gäste des Commissars dessen Rancho besuchen, seine gut bearbeiteten Felder und wohl unterhaltenen Anpflanzungen besichtigen und seine Wälder – worin er gegen die so schädlichen Affen einen unausgesetzten Vernichtungskrieg führte – sowie die von weidenden Herden bevölkerten Wiesengründe durchstreifen.

[260] Eben jetzt war die Kautschukernte in vollem Gange – dieses Jahr etwas vorzeitig, denn gewöhnlich beginnt sie erst im November und dauert dann bis Ende März.

»Wenn es für Sie Interesse hat, meine Herren, sagte darüber Herr Manuel, so zeige ich Ihnen morgen, wie es bei dieser Ernte zugeht.

– Es wird uns ein großes Vergnügen bereiten, versicherte Germain Paterne, und ich hoffe, dabei zu lernen...

– Unter der Bedingung, daß Sie sehr frühzeitig aufstehen, fiel ihm der Commissar ins Wort. Meine Gomeros gehen mit Tagesanbruch an die Arbeit.

– Wir werden sie nicht warten lassen, verlassen Sie sich darauf, erklärte Germain Paterne. Dir paßt es doch, Jacques?

– Ich werde zur richtigen Zeit bereit sein, versprach Jacques Helloch. Und Sie, lieber Jean?

– Ich werde diese Gelegenheit nicht verfehlen, antwortete Jean, und wenn mein Onkel etwa noch schliefe...

– So wirst Du mich wecken, lieber Neffe, ja ich erwarte bestimmt, daß Du mich dann weckst! fiel der Sergeant Martial ein. Da wir einmal ins Land des Kautschuks gekommen sind, ist es nur recht und billig, auch kennen zu lernen...

– Wie man das Gummi elasticum gewinnt, Sergeant, das Gummi elasticum!« rief Germain Paterne.

Damit ging es endlich nach der Wohnung zurück, nach einem Spaziergange, der den ganzen Nachmittag gedauert hatte.

Das Abendessen versammelte die Gäste des Commissars wieder an der Tafel. Das Gespräch dabei drehte sich in der Hauptsache um die Reise und deren Zwischenfälle seit der Abfahrt von Caïcara, um die Massenwanderung der Schildkröten und das Auftreten des Chubasco, wodurch die Piroguen und das Leben der Passagiere so ernstlich gefährdet worden waren.

»Diese Chubascos sind in der That entsetzlich, sagte Herr Manuel, und auch der obere Orinoco bleibt davon nicht verschont. Was die Einfälle von Schildkröten angeht, so haben wir solche in unserm Landestheile nicht zu befürchten, denn hier finden sich keine geeigneten Strandflächen zum Ablegen der Eier, und jene Thiere trifft man nur vereinzelt an.

– O, sagen Sie ihnen nichts Schlechtes nach! meldete sich Germain Paterne. Ein richtig zubereiteter Sancocho von Schildkröten ist etwas Ausgezeichnetes. [261] Nur durch diese Thiere und – wer möchte es glauben? – durch die Affen ist einem bei der Fahrt auf Ihrem Strome eine leckere Mahlzeit ermöglicht.

– Das ist ja richtig, stimmte der Commissar zu. Doch um auf die Chubascos zurückzukommen, so hüten Sie sich davor, meine Herren. Sie treten ebenso plötzlich und ebenso heftig oberhalb wie unterhalb San-Fernandos auf, und Herrn Helloch, lieber Herr Jean, sollte besser nicht zum zweitenmale die Gelegenheit, Sie zu retten, geboten werden.

– Ganz recht... ganz recht! rief der Sergeant Martial, der diesen Gesprächsgegenstand nicht sonderlich liebte. Wir werden auf die Chubascos achten, Herr Commissar, wir werden sie schon überwachen!«

Da schlug Germain Paterne ein andres Thema an und sagte:

»Haben wir denn unsre Reisegefährten schon so gänzlich vergessen, daß wir Herrn Manuel gegenüber gar nicht von ihnen reden?

– Wahrhaftig, antwortete Jean, den ehrenwerthen Herrn Miguel... und die Herren Felipe und Varinas.

– Wer sind die Herren, die Sie eben nannten? erkundigte sich der Commissar.

– Drei Venezuolaner, mit denen wir die Fahrt von Ciudad-Bolivar nach San-Fernando zusammen gemacht haben.

– Einfache Reisende? fragte Herr Manuel.

– Und auch Gelehrte, erklärte Germain Paterne.

– Und was wissen sie, die gelehrten Herren?

– Sie würden besser thun, zu fragen, was sie nicht wissen, bemerkte Jacques Helloch.

– Nun, was wissen sie denn nicht?

– Sie wissen nicht, ob der Strom, woran Ihr Rancho liegt, der Orinoco ist.

– Alle Wetter, rief Herr Manuel, sie erkühnten sich, das zu bezweifeln?

– Der eine, Herr Felipe, behauptet, daß der eigentliche Orinoco dessen Nebenfluß, der Atabapo, sei, und der andre, Herr Varinas, hält den Guaviare für den richtigen Hauptstrom.

– Das ist ja die reine Frechheit! polterte der Commissar hervor. Sapperment, der Orinoco sollte nicht der Orinoco sein!«

[262] Er war wirklich wüthend, der würdige Herr Manuel Assomption, und seine Gattin wie seine beiden Söhne theilten seinen Ingrimm. Ihre Eigenliebe war tief verletzt in dem, was ihrem Herzen am nächsten lag, in ihrem Orinoco, d. h. dem »Großen Wasser« oder – in der Tamanaquensprache – dem »Könige der Ströme«.

Jetzt mußte nun näher erklärt werden, was Herr Miguel und seine beiden Collegen in San-Fernando vorhatten und welchen Untersuchungen – die gewiß von stürmischen Auseinandersetzungen begleitet wurden – sie sich in der nächsten Zeit widmen wollten.

»Welche Ansicht vertritt denn jener Herr Miguel? fragte der Commissar.

– Er ist der Meinung, antwortete Germain Paterne, daß der Fluß, auf dem wir von San-Fernando nach Danaco gekommen sind, der wirkliche Orinoco sei.

– Der aus dem Gebirgsstock der Parima hervorbricht! setzte der Commissar mit laut schallender Stimme hinzu. Nun, Herr Miguel möge nur zu uns kommen, er wird mit aller Herzlichkeit empfangen werden. Die beiden Andern mögen sich's aber nicht einfallen lassen, im Rancho Rast machen zu wollen; wir würden sie in den Strom werfen, und von dessen Wasser könnten sie genug verschlucken, sich zu überzeugen, daß es das des Orinoco ist!«

Es war gar lustig, Herrn Manuel mit solcher Lebhaftigkeit reden und so furchtbare Drohungen ausstoßen zu hören. Doch von jeder Uebertreibung abgesehen: der Besitzer des Rancho hielt auf seinen Strom und hätte ihn wohl bis aufs äußerste vertheidigt.

Gegen zehn Uhr abends verabschiedeten sich Jacques Helloch und sein Begleiter von der Familie Assomption, sagten dem Sergeanten Martial und Jean Gute Nacht und begaben sich nach ihrer Pirogue zurück.

Unwillkürlich oder in Folge einer Art Vorgefühls richteten sich die Gedanken Jacques Helloch's auf Jorres. Es unterlag keinem Zweifel, daß dieser Spanier den Pater Esperante gekannt hatte und ihm in Caracas oder sonstwo begegnet war, da er ihn ganz so, wie eben jetzt Herr Manuel, geschildert hatte. Man konnte den Mann also nicht wohl beschuldigen, ein Zusammentreffen mit dem Missionär nur erfunden zu haben, um sich den Fahrgästen der Piroguen, die nach Santa-Juana wollten, aufzudrängen.

Dem entgegen stand freilich die Aussage des Baré-Indianers, der ja behauptete, daß Jorres bereits den Orinoco, mindestens bis zum Rancho von [263] Carida, hinausgekommen sei, und er blieb dabei, auch trotz der Verneinungen des Spaniers. Fremdlinge, die durch die Gebiete des mittleren Orinoco kommen, sind nun nicht so zahlreich, daß man so leicht eine Verwechslung der Personen begehen könnte, wenn das auch einem Eingebornen gegenüber vielleicht am ehesten anzunehmen wäre. War es wirklich der Fall, hier, wo es sich um diesen Spanier mit dem so leicht wiedererkennbaren Gesicht handelte?...

Wenn Jorres aber schon nach Carida und folglich auch nach den Dörfern und Sitios unterhalb desselben gekommen war, warum leugnete er das? Welche Gründe hatte er, es zu verheimlichen? Was konnte es ihm bei denen schaden, die er nach der Mission Santa-Juana begleitete?

Vielleicht täuschte sich der Baré aber doch. Wenn einer sagt: »Ich hab' Euch hier gesehen!« und ein andrer sagt: »Ihr könnt mich hier nicht gesehen haben, da ich niemals hierher gekommen bin!«, kann der Irrthum nicht wohl bei dem zweiten liegen.

Und dennoch wollte die Sache Jacques Helloch nicht aus dem Kopfe. Zwar flößte sie ihm keine Besorgniß um seiner selbst willen ein, doch Alles, was die Reise der Tochter des Oberst von Kermor betraf, was sie verzögern oder ihren Erfolg gefährden konnte, beschäftigte, beunruhigte und erregte ihn mehr, als er sich selbst zugestehen wollte.

Diese Nacht schlief er erst spät ein, und am nächsten Morgen mußte Germain Paterne ihn noch mit einem freundschaftlichen Rippenstoß wecken, als die Sonne schon etwas über den Horizont aufgestiegen war.

4. Capitel
Viertes Capitel.
Die letzten Rathschläge des Herrn Manuel Assomption.

Kaum dürfte es nöthig sein, hier bei den Empfindungen Jacques Helloch's seit jenem Tage zu verweilen, wo Jeanne an Stelle Jeans getreten war, seit dem Tage, wo die Tochter des Oberst von Kermor, nachdem sie [264] vom Tode gerettet worden war, sich nicht mehr unter der Maske eines Neffen des Sergeanten Martial verstecken konnte.

Es ist wohl erklärlich, daß die Natur dieser Gefühle Jeanne von Kermor nicht entgehen konnte, zählte sie doch bereits zweiundzwanzig Jahre, wenn sie auch die Verkleidung als junger Mann erst als siebzehn Sommer alt erscheinen ließ.

Germain Paterne, der, wenn man seinem Gefährten glauben durfte, »von solchen Dingen nichts verstand«, hatte übrigens recht wohl bemerkt, [265] welche immer zunehmende Veränderungen im Herzen Jacques Helloch's vor sich gingen. Hätte er jetzt diesem gerade ins Gesicht gesagt: »Jacques, Du liebst Fräulein Jeanne von Kermor!« so wäre es sehr fraglich gewesen, ob Jacques zu antworten gewagt hätte: »Mein armer Junge, von solchen Dingen verstehst Du ja nichts!«


Die Operation selbst war höchst einfach. (S. 267.)

Germain Paterne wartete auch nur auf eine passende Gelegenheit, sich mit ihm darüber auszusprechen, und wäre es auch nur zu dem Zwecke, mit seiner eignen Person für die Ehre der Naturforscher, Botaniker und andrer Gelehrten einzutreten, die für die süßesten Empfindungen des Herzens gar nicht so unempfänglich sind, wie es die böse Welt zu behaupten liebt. Welchen Gedanken gab sich aber erst der Sergeant Martial hin, wenn er sich die verschiedenen Zufälligkeiten, die sich bisher ereignet hatten, vor Augen führte, wenn er sein Geheimniß entdeckt, seinen Plan gescheitert sah, wenn er sich sagen mußte, daß alle seine sein ausgesonnenen Vorsichtsmaßregeln durch jenen verwünschten Chubasco zerstört worden waren und daß seine Stellung als Onkel Jean von Kermor's unwiderruflich erschüttert war, da man diesen Neffen als eine Nichte erkannt hatte, zu der er nicht einmal in dem Verhältnisse eines Onkels stand!

Natürlich war er wüthend – wüthend gegen sich selbst und gegen alle Andern. Jean hätte bei dem plötzlichen Sturme nicht in den Strom fallen dürfen und er hätte sich ihm nachstürzen sollen, statt seine Rettung einem Dritten zu überlassen! Jacques Helloch's Sache war es ja gar nicht gewesen, ihm Hilfe zu bringen! Was ging ihn denn die Sache an? Und doch hatte er recht daran gethan, denn ohne ihn wäre er... nein, sie... jedenfalls ums Leben gekommen. Freilich durfte man hoffen, daß das keine weiteren Folgen haben werde. Das Geheimniß war sorgsam gehütet worden. Wenn er sich das zurückhaltende Benehmen des Retters Jeanne's vergegenwärtigte, glaubte der Sergeant Martial sich beruhigen zu dürfen, und sein Oberst würde ihm, wenn sie sich Auge in Auge gegenüberstanden, keinerlei Vorwürfe zu machen haben.

Armer Sergeant Martial!

Sehr frühzeitig wurde er von Jean geweckt, den Herr Manuel und seine Söhne schon vor dem Hause erwarteten.

Fast gleichzeitig trafen die beiden Franzosen ein, die ihre Pirogue eine Viertelstunde vorher verlassen hatten.

Man sagte einander Guten Tag. Jacques Helloch meldete, daß die Ausbesserung der »Gallineta« gut vorwärts schreite und die Falca am folgenden [266] Morgen wieder weiterfahren könne. Nun ging es sofort nach den Feldern hinaus, wo die Gomeros schon versammelt waren.

Diese »Felder« sind eigentlich Wälder, worin bestimmte Bäume, ganz wie beim Baumfällen, vorher bezeichnet sind. Hier handelte es sich freilich nicht darum, sie umzulegen, sondern nur darum, ihre Rinde zu ritzen, sie, wie man in Australien von den Milchbäumen sagt, zu »melken«.

In Begleitung seiner Gäste betrat Herr Manuel die seltsamen Gruppen von Kautschukbäumen grade zur Zeit, als die Gomeros ihre Arbeit begannen.

Der wißbegierigste unter den Besuchern, der, der sich in seiner Eigenschaft als Botaniker vorzüglich für das hier geübte Verfahren interessierte, war – wen könnte das überraschen? – natürlich Germain Paterne. Er beobachtete die Arbeit mit größter Aufmerksamkeit, und der Commissar ließ es sich angelegen sein, alle seine Fragen zu beantworten.

Die Operation selbst war höchst einfach.

Zuerst schnitt jeder Gomero, dem je etwa hundert Bäume einer sogenannten »Estrade« zugetheilt waren, deren Rinde mit einer sehr scharfen, kleinen Axt an.

»Ist die Zahl dieser Einschnitte eine bestimmte? fragte Germain Paterne.

– Sie wechselt je nach der Dicke der Bäume zwischen vier und zwölf, und die Beilhiebe müssen dabei mit größter Genauigkeit geführt werden, um die Rinde nicht tiefer als nöthig zu spalten.

– Dann handelt es sich also, meinte Germain Paterne, nicht um eine Amputation, sondern nur um einen Aderlaß.«

Gleich nachdem der Einschnitt erfolgt war, begann der Saft des Baumes an diesem herunter und in ein kleines Gefäß zu laufen, das so angebracht war, daß kein Tropfen verloren ging.

»Und wie lange dauert das Auslaufen? fragte Germain Paterne.

– Gegen sechs bis sieben Stunden,« belehrte ihn Herr Manuel.

Einen Theil des Vormittags durchwanderten Jacques Helloch und seine Gefährten diese Anpflanzung, während die Gomeros die Bäume »ansteckten«, ein ganz treffender Ausdruck, dessen sich der Sergeant Martial bediente. Siebenhundert Bäume wurden in dieser Weise einem Aderlaß unterzogen, der eine reiche Ernte an Kantschuk versprach.

Nach der Wohnung kam die Gesellschaft erst zur Zeit des Frühstücks zurück, dem Alle mit gutem Appetit große Ehre anthaten. Die beiden Söhne [267] Manuels hatten am Morgen in dem benachbarten Walde mit Erfolg gejagt, und das Wildpret, dessen Zubereitung ihre Mutter überwacht hatte, war wirklich ausgezeichnet. Ausgezeichnet auch die Fische, die zwei Bauern am nämlichen Morgen im Orinoco gefangen oder mit Pfeilen geschossen hatten; ausgezeichnet endlich die Früchte und die Gemüse des Rancho, darunter die Ananas, die dieses Jahr fast überreichlich gediehen waren.

Der Anfangsarbeit der Kautschukernte beigewohnt und gesehen zu haben, wie die Einschnitte gemacht wurden, das konnte die Wißbegierde Germain Paterne's noch nicht befriedigen, und er bat Herrn Manuel, ihn auch über das weitere Verfahren aufzuklären.

»Verweilten Sie noch einige Tage in Danaco, antwortete der Commissar, so würden Sie zunächst gesehen haben, daß der Gummisaft in den frühen Morgenstunden nach dem Einschneiden der Rinde nur langsam ausläuft. Es vergeht auch eine ganze Woche, ehe die Bäume ihren Saft ganz abgegeben haben.

– All dieses Gummi werden Sie also erst in acht Tagen eingebracht haben?

– Nein, Herr Paterne. Heut Abend schon bringt jeder Gomero die Ernte dieses Tages hierher und dann entzündet er sofort ein sehr rauchgebendes Feuer, um den Saft zum Gerinnen zu bringen. Nach dem Ausbreiten der dicken Flüssigkeit auf einem Brette setzt man dieses dem dichten Rauch von grünem Holze aus. Dabei bildet sich eine erste, mehr erhärtete Schicht, über die sich nach dem wiederholten Bestreichen des Brettes eine zweite lagert und so weiter. Auf diese Weise stellt man eine Art Laib aus Kautschuk her, der nun zum Versenden fertig ist.

– Und vor dem Eintreffen unsers Landsmanns Truchon, fragte Jacques, verstanden sich die Indianer ja wohl noch gar nicht auf dieses Verfahren?

– Gar nicht oder doch kaum, bestätigte der Commissar. Sie hatten nicht einmal eine Ahnung von dem Werthe dieses Naturerzeugnisses. Niemand konnte auch die Wichtigkeit voraussehen, die es für Handel und Gewerbe später gewinnen sollte. Der Franzose Truchon, der sich erst in San-Fernando und später in la Esmeralda aufhielt, war es, der den Indianern die Weiterbearbeitung des Kautschuksaftes lehrte, die in diesem Theile Amerikas jetzt ihre Hauptthätigkeit bildet.

»Vivat also Herr Truchon und Vivat das Land, dem er einst entsproß!« rief oder sang vielmehr Germain Paterne halblaut vor sich hin.

[268] Darauf trank man voller Begeisterung erst auf die Gesundheit Truchon's und dann auf das glückliche Gedeihen Frankreichs.

Am Nachmittage und nach mehrstündiger Ruhe ersuchte der Commissar seine Gäste, sich mit ihm nach dem kleinen Hafen hinunter zu begeben, wo an der Ausbesserung der Pirogue gearbeitet wurde. Er wollte sich selbst überzeugen, daß dabei nichts vernachlässigt würde.

So wanderten denn Alle durch die Felder des Rancho und lauschten dabei den Worten des Herrn Manuel, der von seiner Domäne mit dem berechtigten Stolze des Besitzers sprach.

Als man am Hafen angelangt war, sollte die inzwischen völlig reparierte »Gallinetta« eben wieder neben der »Moriche«, die an ihrem Haltetau leicht schaukelte, ins Wasser gesetzt werden.

Von ihren eignen Leuten und einigen Bauern unterstützt, hatten Valdez und Parchal die Arbeit sehr gut ausgeführt. Der Commissar sprach seine volle Befriedigung darüber aus und erklärte, daß ihm beide Falcas für die Fortsetzung der Fahrt jetzt in gleich gutem Zustande zu sein schienen.

Die »Gallinetta« brauchte nur noch über den Strand hin geschleppt zu werden. Wenn sie dann wie der schwamm, konnte das Deckhaus aufgesetzt, der Mast errichtet und endlich die vorher getragene Fracht u. s. w. neu verladen werden. Noch denselben Abend sollten der Sergeant Martial und Jean sie wieder beziehen und die Abreise sollte erfolgen, sobald sich der Horizont mit dem ersten Morgenscheine färbte.

Eben jetzt versank die Sonne hinter einer purpurnen Dunstwand, die das Eintreten von Westwind versprach – ein günstiger Umstand, der nicht unbenutzt gelassen werden durfte.

Während die Schiffsmannschaften und die andern Hilfskräfte Anstalt trafen, die »Gallinetta« wieder aufs Wasser zu setzen, lustwandelten Herr Manuel Assomption, dessen beide Söhne und die Passagiere der Piroguen am Strande auf und ab.

Unter den Leuten, die bei jener letzten Arbeit mit Hand anlegten, fiel dem Commissar zufällig Jorres auf, der sich von seinen Gefährten schon dem Aeußern nach so merkwürdig unterschied.

»Wer ist der Mann da? fragte er.

– Einer der Leute, die zur »Gallinetta« gehören, antwortete Jacques Helloch.

[269] – Das ist aber kein Indianer...

– Nein, ein Spanier.

– Wo haben Sie ihn angeworben?

– In San-Fernando.

– Und er verdingt sich berufsmäßig als Flußschiffer auf dem Orinoco?

– Berufsmäßig wohl nicht; uns fehlte aber gerade ein Mann, und da jener die Absicht hatte, nach Santa-Juana zu gehen, und er sich uns zur Aushilfe anbot, hat ihn der Schiffer Valdez in Dienst genommen.«

Jorres hatte offenbar bemerkt, daß von ihm die Rede war, denn ohne seine Arbeit zu unterbrechen, lauschte er gespannt auf Alles, was hier gesprochen wurde.

Da kam es Jacques Helloch in den Sinn, an den Commissar selbst eine weitere, naheliegende Frage zu stellen.

»Kennen Sie etwa diesen Mann? sagte er.

– Nein, erwiderte Herr Manuel. Ist er schon früher nach dem obern Orinoco gekommen?

– Ein Baré-Indianer behauptet, ihn in Carida gesehen zu haben, obwohl Jorres versichert, dort noch niemals gewesen zu sein.

– Mir kommt er hier bestimmt das erste Mal vor Augen, fuhr der Commissar fort, und er fiel mir nur auf, weil man ihn unmöglich mit einem Indianer verwechseln kann. Sie sagen, daß er sich nach Santa-Juana begiebt?

– Es schien ihm daran gelegen, in den Dienst der Mission einzutreten, denn er hatte schon sein Noviciat hinter sich, als er als Seemann die Welt zu durchstreifen begann. Seiner Aussage nach kennt er den Pater Esperante, den er schon vor zwölf Jahren in Caracas gesehen haben will, und das mag wohl richtig sein, denn er hat uns von jenem Missionär ganz dasselbe Bild entworfen, wie Sie, Herr Manuel.

– Na, es kommt ja darauf nicht viel an, wenn er nur jetzt seine Stelle ordentlich ausfüllt. Freilich soll man hierzulande allen Abenteurern mißtrauen, die irgendwoher kommen und irgendwohin gehen wollen.

– Eine Warnung, die ich mir hinters Ohr schreiben werde, Herr Manuel, versicherte Jacques Helloch. Ich werde den Spanier stets scharf im Auge behalten!«

Es ließ sich zwar nicht sagen, ob Jorres gehört hatte, was hier mit Beziehung auf ihn gesagt worden war; jedenfalls ließ er sich's nicht merken, obwohl[270] seine Augen wiederholt in seltsamer Gluth, die er nicht zu dämpfen vermochte, dabei aufflammten. Obgleich dann nicht mehr von ihm die Rede war, als sich der Commissar und die Reisenden der »Gallinetta« näherten, die jetzt neben der »Moriche« vertäut lag, lauschte er doch noch immer möglichst unauffällig auf jedes Wort, das in der kleinen Gruppe fiel.

Das Gespräch drehte sich jetzt um die Nothwendigkeit, die Piroguen tadellos in Stand zu haben, wenn es sich darum handelte, die im obern Theil des Flußbetts oft sehr starke Strömung zu bewältigen, und Herr Manuel wies auf diese Anforderung mit großem Nachdruck hin.

»Sie werden noch auf Raudals stoßen, sagte er, die zwar weniger lang und gefährlich als die von Apure und Maipure sind, der Schifffahrt aber doch ernstliche Schwierigkeiten bieten. Gelegentlich müssen die Fahrzeuge sogar über Klippen hinweggeschleppt werden, was sie leicht zur Weiterbenutzung untauglich machen kann, wenn sie nicht ganz solid gebaut sind. Ich sehe, daß bei der des Sergeanten Martial nichts vernachlässigt worden ist, doch ist denn die Ihrige, Herr Helloch, nicht auch gründlich untersucht worden?...

– Ich hoffe es wenigstens, Herr Manuel, denn ich hatte es ausdrücklich empfohlen. Parchal hat sich gewiß überzeugt, daß der Boden der »Moriche« fest ist. Wir dürfen also annehmen, daß die beiden Falcas ohne Beschädigung über die Raudals hinwegkommen und auch den Chubascos gut widerstehen werden, wenn diese selbst, wie Sie sagen, weiter oben noch ebenso schrecklich auftreten, wie weiter unten...

– Das ist auch richtig, versicherte der Commissar, und wenn die Schiffsmannschaften den Strom nicht genau kennen, werden sie kaum den Gefahren derselben trotzen können. Das sind überdies noch nicht die schlimmsten...

– Welche denn? fragte der Sergeant Martial etwas beunruhigt.

– Nun die, die das Vorkommen von Indianern längs der Ufer mit sich bringt.

– Sie haben dabei doch nicht die Guaharibos im Sinne, Herr Manuel? sagte Jean.

– O nein, liebes Kind, antwortete der Commissar lächelnd, diese Indianer sind ganz harmloser Natur. Ich weiß, daß sie früher für gefährlich galten. Gerade 1879, zur Zeit, wo der Oberst von Kermor also nach den Quellen des Orinoco hinaufgegangen wäre, schrieb man ihnen die Zerstörung mehrerer Dörfer und die Ermordung der Bewohner derselben zu...

[271] – Mein Vater hätte sich also gegen Ueberfälle dieser Guaharibos zu vertheidigen gehabt, rief Jean, und könnte ihnen dabei vielleicht gar in die Hände gefallen sein...

– Nein, nein! beeilte sich Jacques Helloch zu versichern. Jedenfalls hat Herr Manuel davon nie etwas gehört.

– Niemals, Herr Helloch, niemals, mein liebes Kind! Ich wiederhole Ihnen übrigens: Ihr Vater kann gar nicht ein Opfer jener Indianersippen geworden sein, weil diese ihren übeln Ruf vielleicht gar nicht, seit den letzten fünfzehn Jahren aber gewiß nicht verdient haben.

– Haben Sie selbst mit ihnen zu thun gehabt? fragte Germain Paterne.

– Ja freilich, mehr als einmal, und ich habe die Gewißheit erlangt, daß Herr Chaffanjon nur die Wahrheit gesagt hatte, als er mir bei seiner Rückkehr jene Indianer als armselige, kleine, schwächliche Burschen schilderte, die sehr furchtsam, scheu und überhaupt nicht zu fürchten wären. Ich ermahne Sie also auch nicht: Achtung vor den Guaharibos! sondern: Achtung vor den Abenteurern aus allen Nationen, die sich in den Savannen umhertreiben! Hüten Sie sich vor all solchem, jedes Verbrechens fähigen Raubgesindel, von dem die Regierung unser Land durch Entsendung von Milizen säubern sollte.

– Noch eine Frage, ließ sich Germain Paterne vernehmen. Ist das, was eine Gefahr für Reisende bildet, nicht auch eine für die Ranchos und deren Besitzer?

– Gewiß, Herr Paterne, meine Söhne, meine Feldarbeiter und ich selbst, wir bleiben auch stets auf unsrer Hut. Jede Annäherung solcher Banditen an den Rancho würde so zeitig gemeldet werden, daß sie uns nicht überrumpeln können. Dann empfingen wir sie mit Gewehrfeuer, das ihnen wohl das Wiederkommen verleiden dürfte. Von hier, von Danaco, wissen sie übrigens, daß die Mariquitarer keine Furcht kennen, und sie werden es kaum wagen, uns anzugreifen. Die Reisenden auf dem Strome müssen aber, vorzüglich oberhalb des Cassiquiare, stets strenge Wacht halten, denn die Ufergelände sind dort niemals sicher.

– Uns ist auch schon mitgetheilt worden, bemerkte hierzu Jacques Helloch, daß eine zahlreiche Bande von Quivas jene Gebiete durchstreift.

– Ja, leider! bestätigte der Commissar.

– Man nennt als ihren Anführer sogar einen entsprungenen Sträfling...


Die Gemüse und Früchte des Ranchos waren ausgezeichnet. (S. 268.)

– Ganz recht, einen höchst gefährlichen Kerl!

– Da hören wir nun, bemerkte der Sergeant Marti [272] al, immer wieder von diesem Sträfling reden, der aus dem Bagno von Cayenne entwichen sein soll.

– Aus Cayenne, das stimmt.

– Ist es denn ein Franzose? fragte Jacques Helloch.

– Nein, ein Spanier, der aber in Frankreich verurtheilt worden war, erklärte Herr Manuel.

– Und er heißt?...

[273] – Alfaniz.

– Alfaniz?... Vielleicht ein angenommener Name? bemerkte Germain Paterne.

– Nein, nein, es scheint sein richtiger Name zu sein.«

Hätte Jacques Helloch in diesem Augenblicke Jorres angesehen, so würde er jedenfalls erstaunt gewesen sein über ein Zittern in den Zügen des Mannes, das dieser nicht zu unterdrücken vermochte. Der Spanier ging langsam an der Uferböschung so hin, daß er sich der Gruppe wie zufällig mehr näherte, und, während er verschiedene, auf dem Sande umherliegende Gegenstände auflas, das Gespräch der Herren besser hören konnte.

Jacques Helloch hatte sich aber grade auf einen plötzlichen Aufruf hin umgedreht.

»Alfaniz? hatte der Sergeant Martial, an den Commissar gewendet, gerufen, Sie sagten, Alfaniz?

– Jawohl, Alfaniz.

– O, Sie haben ganz recht. Hier ist von keinem falschen Namen die Rede... es ist der jenes elenden Wichtes...

– Sie kennen diesen Alfaniz? fiel ihm Jacques Helloch, über diese Erklärung verwundert, lebhaft ins Wort.

– Ob ich ihn kenne! Rede Du, Jean, und erzähle, wie es kam, daß wir von ihm erfuhren. Ich würde mit meinem schlechten Spanisch nicht weit kommen und Herr Manuel verstände mich am Ende nicht einmal richtig.«

Jean erzählte nun die Geschichte, die er vom Sergeanten Martial her kannte, eine Geschichte, die der alte Soldat mehrfach vor ihm wiederholt hatte, wenn sie in ihrem Hause in Chantenay von dem Oberst von Kermor sprachen.

Im Jahre 1871, kurz vor dem Ende des unseligen Krieges, wo der Oberst ein Infanterieregiment befehligte, hatte er in einer Diebstahls- und Verrathssache als Zeuge aufzutreten.

Der Dieb war kein andrer als der Spanier Alfaniz gewesen. Der Verräther, der für den Feind arbeitete, indem er ihm Spionendienste leistete, beging verschiedene Diebstähle im Einverständnisse mit einem alten Verwaltungssoldaten, der sich der Hinrichtung nur durch einen Selbstmord entzog.

Als Alfaniz seine Schandthaten entdeckt sah, gewann er noch Zeit zu entfliehen, so daß man ihn nicht gleich dingfest machen konnte. Nur durch einen glücklichen Zufall gelang zwei Jahre später, 1873, seine Verhaftung, die [274] etwa sechs Monate vor dem Verschwinden des Oberst von Kermor erfolgte Vor das Criminalgericht der Untern Loire gebracht und durch die Aussage des Oberst schwer belastet, wurde er hier zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilt. Seit diesem Ausgang der Sache hegte er gegen den Oberst von Kermor den grimmigsten Haß, einen Haß, der sich mit den schrecklichsten Drohungen Luft machte in der Erwartung, die Worte einst noch in Thaten übersetzen zu können.

Der Spanier wurde nach dem Bagno von Cayenne gebracht, von wo es ihm nach neunzehn Jahren, 1892, mit zwei seiner Mitgefangenen auszubrechen glückte. Da er zur Zeit seiner Verurtheilung dreiundzwanzig Jahre alt war, zählte er jetzt also zweiundvierzig Jahre, und da man ihn als sehr gefährlichen Verbrecher betrachtete, sendete die französische Verwaltung Häscher aus, seine Spur zu verfolgen. Das erwies sich fruchtlos. Alfaniz war es gelungen, über die Grenzen von Guyana zu flüchten, und in den ausgedehnten, wenig bevölkerten Gebieten, in den ungeheuern Ilanos Venezuelas war gar nicht mehr an die Auffindung seiner Fährte zu denken.

Die Verwaltung erfuhr über ihn weiter nichts – und die venezuolanische Polizei glaubte dessen sicher zu sein – als daß er sich an die Spitze einer Quivasbande gestellt habe, die nach ihrer Vertreibung aus Columbia im rechten Ufergebiete des Orinoco hauste. Durch den Tod des Häuptlings Meta Sarrapia's ihres Anführers beraubt, unterwarfen sich die Indianer, die gefürchtetsten aller Eingebornen, willig Alfanizens Befehle, und dieser Rotte von Uebelthätern waren auch die Plünderungen und Metzeleien zuzuschreiben, deren Schauplatz die mittleren Provinzen der Republik seit Jahresfrist gewesen waren.

Das Unglück wollte es also, daß dieser Alfaniz gerade die Gebiete durchstreifte, in denen Jeanne von Kermor und Sergeant Martial den Oberst von Kermor suchen wollten. Wenn sein Ankläger aber ihm in die Hände fiel unterlag es keinem Zweifel, daß der Verbrecher sich ohne alles Mitleid an ihm rächen würde. Das bildete also für das junge Mädchen zu den vielen andern eine neue Beunruhigung, und die Thränen stürzten ihr aus den Augen bei dem Gedanken, daß der elende, nach Cayenne verbannte Sträfling von da hatte entweichen können.

Jacques Helloch und Herr Manuel bemühten sich, ihr beruhigend zuzureden. Wo lag die Wahrscheinlichkeit, meinten sie, daß Alfaniz den Ort, an dem der[275] Oberst von Kermor sich aufhielt, hätte entdecken können, während doch alle Nachforschungen danach vergeblich gewesen wären. Nein, es war nicht zu befürchten, daß der Oberst in seines Feindes Hände gefallen wäre.

Jedenfalls galt es aber, jetzt Alles aufzubieten, die Nachforschungen fortzusetzen, keine Verzögerung eintreten zu lassen und vor keinem Hinderniß zurückzuschrecken.

Uebrigens sollte für die Weiterfahrt bald Alles bereit sein. Die Leute des Schiffers Valdez, und Jorres unter ihnen, beschäftigten sich schon mit der Wiederbeladung der »Gallinetta«, die am nächsten Morgen segelfertig sein sollte.

Herr Manuel führte seine Gäste, die für die zuvorkommende Aufnahme in Danaco herzlich dankbar waren, nach der Wohnstätte im Rancho zurück, wo sie auch den letzten Abend mit ihm zubringen sollten.

Nach dem Abendessen plauderten Alle noch bis zehn Uhr. Jeder merkte sich bestens die dringenden Ermahnungen des Commissars, vorzüglich soweit sie die Achtsamkeit betrafen, die man an Bord der Piroguen nicht vernachlässigen sollte.

Als die Trennungsstunde geschlagen hatte, begleitete die Familie Assomption's die Passagiere nach dem kleinen Hafen.

Hier nahm man von einander Abschied, wechselte unter dem Versprechen eines Wiedersehens bei der Rückkehr die letzten Händedrücke, und Herr Manuel unterließ es nicht, zu sagen:

»Ah, Herr Helloch, und auch Sie, Herr Paterne, wenn Sie Ihre in San-Fernando verlassenen Reisegefährten wieder treffen sollten, so bringen Sie dem Herrn Miguel meine besten Empfehlungen, seinen beiden Freunden aber meine Verwünschung mit einem Hoch auf den Orinoco – wohl verstanden, den einzigen, wahren Orinoco, auf den, der bei Danaco vorüberfluthet und die Ufer meines Landbesitzes bewässert!«

[276]
5. Capitel
Fünftes Capitel.
Rinder und Zitteraale.

Die Fahrt auf dem Oberlaufe des Stromes ist jetzt also wieder aufgenommen. Die Reisenden sind voll guten Vertrauens auf den Erfolg ihres Vorhabens. Sie haben es nur eilig, nach der Mission Santa-Juana zu kommen, und gebe der Himmel, daß der Pater Esperante ihnen dann den richtigen Weg weisen könne, daß eine zuverlässige Auskunft sie endlich zu ihrem Ziele führe! Möchte ihnen auch ein Zusammentreffen mit der Bande jenes Alfaniz, das das Schicksal Aller in Frage stellen könnte, gnädig erspart bleiben!

An diesem Morgen, zur Stunde der Abfahrt, hatte sich Jeanne von Kermor an Jacques Helloch, als sie allein waren, mit folgenden Worten gewendet:

»Sie haben mir nicht allein das Leben gerettet, Herr Helloch, sondern wollen auch meine Bemühungen zur Auffindung meines Vaters freundlich unterstützen. Mein Herz ist voller Dankbarkeit! Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das jemals entgelten soll...

– O, sprechen wir nicht von Dankbarkeit, geehrtes Fräulein, antwortete Jaques Helloch. Unter Landsleuten sind solche kleine Dienste nur eine Pflicht, und diese Pflicht bis zum Ende zu erfüllen, wird mich nichts abhalten können!

– Vielleicht gehen wir aber neuen und sehr ernsten Gefahren entgegen, Herr Jacques!

– Nein, das fürchte ich nicht. Uebrigens wäre das für mich nur ein weiterer Grund, Fräulein von Kermor nicht zu verlassen. Ich... Sie verlassen... denn – setzte er mit einem Blick auf das junge Mädchen, das die Augen niederschlug, hinzu – das... das haben Sie mir doch zu verstehen geben wollen.

– Herr Helloch... ja... ich wollte... ich mußte es... Ich kann Ihren Edelmuth nicht mißbrauchen. Allein hatte ich mich auf diese weite Reise begeben... Gott hat Sie mir in den Weg gesendet, und ich danke ihm dafür aus Herzensgrund... doch...

– Doch Ihre Pirogue erwartet Sie, mein Fräulein, wie mich die meinige, und beide werden zusammen dem Ziele zustreben. Ich habe diesen Beschluß [277] mit gutem Bewußtsein gefaßt, und was ich einmal zu thun beschlossen habe, das führ' ich auch aus! Wenn Sie dafür, daß ich Sie diese Fahrt allein fortsetzen ließe, keine andern Gründe haben, als die Gefahren, die Sie andeuten...

– Herr Jacques, fiel Fräulein von Kermor lebhaft ein, welch andre Gründe könnt' ich dazu haben?...

– Nun also, Jean, mein lieber Jean – ich muß Sie ja noch so nennen – sprechen wir nicht mehr von einer Trennung, und nun muthig vorwärts!«

Das Herz klopfte ihm mächtig, diesem »lieben Jean«, während er nach der »Gallinetta« zurückkehrte. Und als Jacques Helloch wieder zu seinem heimlich lächelnden Freunde kam, empfing ihn dieser mit den Worten:

»Ich möchte gleich darauf wetten, daß Fräulein von Kermor Dir gedankt hat für das, was Du für Sie gethan hast, und daß sie Dich gleichzeitig bat es damit genug sein zu lassen...

– Ich hab' ihr das aber abgeschlagen, rief Jacques Helloch. Ich werde sie nie und nimmer verlassen!

– Sapperment, das ist viel gesagt!« erwiderte einfach Germain Paterne, der den Freund leicht auf die Schulter klopfte.

Daß der letzte Theil der Reise den Insassen der Piroguen noch schwere Unannehmlichkeiten vorbehalten könnte, war nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Vorläufig hatten sie sich aber nicht zu beklagen. Der Wind hielt sich sehr stetig aus Westen, und die Falcas kamen mit ihren Segeln recht gut gegen die nicht unbedeutende Strömung auf.

An diesem Tage gelangte man, nach dem Vorüberkommen an mehreren Inseln, auf denen der Wind die Kronen der hohen Bäume beugte, gegen Abend nach der nahe einer Biegung des Orinoco gelegenen Insel Bayanon. Bei dem Ueberflusse an Proviant, den man der Freigebigkeit des Herrn Manuel Assomption und seiner Söhne verdankte, war es nicht nöthig, jagen zu gehen. Da ferner die Nacht besonders klar und vom Mond hell erleuchtet war, schlugen Parchal und Valdez vor, erst am nächsten Morgen Halt zu machen.

»Wenn der Strom frei von Klippen und Felsen ist, meinte Jacques Helloch dazu, und wenn Sie nicht fürchten, gegen einen Kiesel anzustoßen...

– Nein, nein, versicherte der Schiffer Valdez, wir müssen aber die schöne Witterung benutzen, um ein Stück stromaufwärts zu kommen. Es ist selten, daß man sich in dieser Jahreszeit so begünstigt sieht.«

[278] Der Vorschlag war gut, er wurde angenommen, und die Piroguen sandten ihre Haltetaue nicht ans Land.

Die Nacht verstrich ohne Unfall, obgleich der ohnehin nur dreihundertfünfzig Meter breite Strom zuweilen durch eine Kette von Inselchen – vorzüglich bei der Mündung des Rio Guanami, eines Zuflusses am rechten Ufer – noch weiter eingeengt wurde.

Am Morgen befanden sich die »Gallinetta« und die »Moriche« in der Höhe der Insel Tremblador, wo Chaffanjon mit einem intelligenten und dienstwilligen Neger namens Ricardo in Beziehung getreten war. Dieser Neger aber, der damals den Titel eines Commissars des Cunucunuma und des Cassiquiare führte, hatte inzwischen seinen Wohnsitz gewechselt. Nach Aussage des französichen Reisenden war es ein sehr strebsamer, streng nüchterner und energischer Mann gewesen, dessen Unternehmungen gewiß gediehen waren und der nun jedenfalls einen andern Rancho im nördlicheren Theile der Savanne eingerichtet hatte.

»Ich bedaure, daß dieser Ricardo nicht mehr hier ist, bemerkte Jacques Helloch. Vielleicht hätten wir von ihm erfahren, ob Alfaniz in der Nachbarschaft des Stromes aufgetaucht sei.«

Dann wendete er sich an den Spanier.

»Haben Sie, Jorres, bei Ihrem Aufenthalte in San-Fernando wohl von den Flüchtlingen von Cayenne reden hören, und von der Indianerbande, die sich ihnen angeschlossen hat?

– Gewiß, Herr Helloch, antwortete der Spanier.

– Hat man ihr Auftreten in den Provinzen des obern Orinoco gemeldet?

– Daß ich nicht wüßte. Man sprach nur von einer Rotte Quivas-Indianer.

– Ganz recht, Jorres, und Alfaniz, ein Sträfling ist es, der sich an ihre Spitze gestellt hat.

– Das ist das erste Mal, daß mir dieser Name zu Ohren kommt, erklärte der Spanier. Auf keinen Fall hätten wir aber ein Zusammentreffen mit jenen Quivas zu fürchten, denn wie man allgemein behauptete, suchten sie wieder nach Columbia, woraus man sie vertrieben hatte, zu gelangen, und wenn das zutrifft, können sie nicht auf dieser Seite des Orinoco sein.«

Es war ja möglich, daß Jorres recht unterrichtet war, als er sagte, daß die Quivas sich mehr nördlich nach den Ilanos Columbias zu zurückgezogen [279] hätten. Trotzdem vergaßen die Reisenden aber die Empfehlungen des Herrn Manuel Assomption keine Minute und hielten sich immer auf ihrer Hut.

Der Tag ging hin, ohne daß sich ein besondrer Zwischenfall ereignete. Die Piroguen kamen ziemlich schnell vorwärts und gingen von Insel zu Insel, von denen immer die eine gleich auf die andre folgte.

Am Abend legten sie sich an der Spitze der Insel Caricha fest.

Da Windstille eingetreten war erschien es rathsamer. Halt zu machen, als in der Dunkelheit zu den Palancas zu greifen.

Bei einem kurzen Ausflug, den Jacques Helloch und der Sergeant über das Uferland der Insel unternommen hatten, erlegten sie eines jener Faulthiere, die gern zwischen den Aesten einer Cecropia hocken, deren Blätter ihnen als gewöhnliche Nahrung dienen. Darauf nach der Mündung des Rio Caricha zurückgekehrt, wo ein Paar jener, zur Familie der Chironecten gehörigen, Sarignen auf eigene Rechnung fischten gelang den Jägern noch ein Doppelschuß, der ebenso geschickt als glücklich zu nennen war. Da sich jene Sarignen nur von Fischen nähren, ist ihr Fleisch aber zähe und so thranig, daß selbst die Indianer nichts davon wissen wollen. Sie können also keineswegs die Affen ersetzen, die, selbst für europäische Gaumen, ein wirklich vortreffliches Gericht abgeben.

Dagegen fanden die Chironecten einen freundlichen Empfang bei Germain Paterne, der mit Unterstützung Parchal's sofort daran ging, sie auszunehmen und zu präparieren, um ihr Fell haltbar zu machen.

Das sich ausschließlich von Früchten nährende Faulthier wurde geröstet, indem man es in ein mit glühend heißen Steinen ausgelegtes Loch steckte, worin es die Nacht über bleiben sollte. Die Passagiere freuten sich darauf, es zu verspeisen, wenn es am nächsten Tage beim Frühstücke erschien, und wenn sein Fleisch dann ja etwas zu stark nach Rauch schmeckte, so fanden sich unter den Leuten der Piroguen dafür gewiß immer noch Liebhaber genug. Diese Indianer waren ja überhaupt nicht wählerischer Natur, und als einer von ihnen am nämlichen Abende einige Dutzend großer, fast einen Fuß langer Regenwürmer mitgebracht hatte, sotten sie diese mit Kräutern ab und verzehrten sie mit behaglichem Schmunzeln.

Natürlich wollte Germain Paterne, getreu seinem Grundsatze, Alles womöglich selbst zu prüfen, zuerst auch davon kosten. Der Widerwille siegte hier aber doch über den Wissenstrieb, wenigstens brachte er die »Speise« nur bis an den Rand der Lippen.

[280] »Ich glaubte, Du wärest Deiner Wissenschaft inniger ergeben! scherzte Jacques Helloch über den Widerwillen des Freundes, der mit seinem Naturforscherinstinct ja eigentlich unvereinbar war.


Die Wolke zog jetzt sehr schnell heran. (S. 285.)

– Ich bitte Dich, Jacques, auch der Opfermuth des Naturforschers hat seine Grenzen! antwortete Germain Paterne, bemüht, nicht merken zu lassen, daß es ihm noch einmalschlimm und übel wurde.

Am nächsten Tage wurde eiligst aufgebrochen, um einen Morgenwind zu benutzen, der kräftig genug war, die Segel der Falcas zu schwellen. Von [281] jetzt ab sah man auch eine hohe Bergkette die Waldmassen überragen, die sich am rechten Ufer bis zum Horizont ausdehnten. Es war das Duldogebirge, eines der bedeutendsten dieser Gegenden, das den Reisenden mehrere Tage in Sicht blieb.

Nach vierundzwanzig Stunden einer anstrengenden Fahrt, während der der Wind öfters aussetzte und Regenschauer mit kurzem Aufklären des Himmels sich ablösten, machten Valdez und Parchal für die Nacht an der Piedra Pintada Halt.

Dieser »Bemalte Stein« ist nicht mit dem zu verwechseln, den die Reisenden schon bald nach der Abreise von San-Fernando gesehen hatten. Wenn er dieselbe Bezeichnung hat, so rührt das daher, daß die Felsen am linken Ufer ähnliche Spuren von symbolischen Figuren und hieroglyphischen Schriftzeichen aufweisen. In Folge des schon recht niedrigen Wasserstandes waren solche Zeichen auch schon am Fuße des Gesteins sichtbar, und Germain Paterne konnte sie nach Belieben studieren.

Auch Chaffanjon hatte das gethan; er erwähnt es in seinem Reiseberichte, den die Passagiere unaufhörlich zu Rathe zogen. Hierzu muß indeß darauf hingewiesen werden, daß ihr Landsmann diesen Theil des Orinoco in der zweiten Hälfte des November bereist hatte, während Jacques Helloch und seine Gefährten schon in der zweiten Hälfte des October hier waren. Der Zeitunterschied eines Monats kommt aber durch einen sehr deutlichen Witterungsunterschied in einem Lande zum Ausdruck, wo die trockne Jahreszeit sich sozusagen schroff an die Regenzeit anlehnt.

Der Wasserstand des Flusses war also jetzt noch etwas höher, als er es nach einigen Wochen sein mußte, und dieser Umstand sollte die Fahrt der beiden Piroguen begünstigen, denn gerade der Wassermangel wird hier oft zur Ursache der ärgerlichsten Hindernisse.

Am heutigen Abend rastete die kleine Gesellschaft an der Mündung des Cunucunuma, eines der Hauptzuflüsse der rechten Seite. Germain Paterne glaubte nicht für diesen Nebenfluß Partei ergreifen zu sollen, wie er es für den Ventuari gethan hatte, und doch wäre das hier nicht weniger begründet gewesen.

»Was nützte es auch? begnügte er sich zu sagen. Die Herren Felipe und Varinas sind ja nicht zur Stelle und das Gespräch darüber würde einschlafen.«

Unter andern Verhältnissen wäre Jacques Helloch wohl, mehr eingedenk des erhaltenen Auftrages, dem Beispiele des Landsmanns gefolgt, der ihm [282] auf dem obern Orinoco vorhergegangen war. Vielleicht hätte er mit Parchal und einem seiner Leute den Curiare der »Moriche« bestiegen und gleich Chaffanjon den Lauf des Cunucunuma im mariquitarischen Gebiete fünf bis sechs Tage lang näher erforscht; vielleicht wäre er schließlich auch mit jenem Generalcapitan, dem Schlaukopf Aramare, und seiner Familie, die von dem französischen Reisenden aufgesucht und photographiert worden waren, in nähere Beziehung getreten.

Jetzt aber waren die Vorschriften des Ministers des öffentlichen Unterrichts einem neuen Ziele, das Jacques Helloch nach Santa-Juana verlockte, geopfert worden. Es drängte ihn, dahin zu kommen, und er hätte sich bittere Vorwürfe gemacht, wenn er die Lösung der kindlichen Aufgabe Jeanne's irgendwie verzögert hätte.

Nur zuweilen erinnerte ihn Germain Paterne – nicht um ihm einen Vorwurf zu machen, sondern nur, um das eigene Gewissen etwas zu beruhigen – leichthin an seine, etwas vernachlässigte Aufgabe.

»Ja, ja... es ist schon gut! antwortete dann Jacques Helloch. Was wir auf dem Hinwege versäumten, können wir auf dem Rückwege nachholen.

– Wann denn?

– Nun, Sapperment, wenn wir zurückkommen. Glaubst Du etwa, wir würden niemals zurückkehren?

– Ich?... Ich weiß gar nichts. Wer weiß denn, wohin wir gehen? Wer weiß, was uns da draußen zustößt? Angenommen, der Oberst von Kermor würde überhaupt nicht gefunden...

– Nun, Germain, dann wird es Zeit sein, an die Rückfahrt zu denken.

– Mit Fräulein von Kermor?

– Natürlich!

– Nehmen wir aber an, unsre Nachsuchungen glückten, der Oberst von Kermor würde aufgefunden und seine Tochter wünschte dann – wie wahrscheinlich – bei ihm zu bleiben, könntest Du Dich dann entschließen, umzukehren?

– Umzukehren... wiederholte Jacques Helloch mit einer Betonung, die erkennen ließ, daß ihn solche Fragen in Verlegenheit setzten.

– Allein umzukehren... selbstverständlich mit mir?

– Gewiß, Germain!

– Na, Jacques, auf dieses »gewiß« möcht' ich nicht so viel bauen.

– Du bist ein kleiner Narr!

[283] – Zugegeben; doch Du... Du bist verliebt, und das ist nur eine andre, nicht weniger unheilbare Narrheit.

– Auch das noch?... Du sprichst da von Dingen...

– Von denen ich kein Jota verstehe. Weiß schon! Doch unter uns, Jacques, wenn ich nichts davon verstehe, so hab' ich doch ein Paar Augen, und ich weiß nicht, warum Du Dich bemühst, ein Gefühl zu verheimlichen, das mit Deiner wissenschaftlichen Aufgabe ja nichts gemein hat, und das ich übrigens ganz natürlich finde.

– Nun ja, alter Freund, gestand Jacques mit einer Stimme, die vor Erregung zitterte, ja, ich liebe dieses junge, so muthige Mädchen, und ist es denn etwas Wunderbares, daß die Theilnahme, die sie mir einflößte, sich entwickelt hat zur... Ja, ich liebe sie, werde sie niemals verlassen! Was daraus werden, wie es enden soll... ich weiß es nicht.

– Gut wird es enden!« antwortete Germain Paterne.

Er glaubte, dieser Versicherung nichts weiter hinzufügen zu sollen, sie brachte ihm aber den wärmsten Händedruck ein, den er von seinem Freunde jemals erhalten hatte.

Es ergiebt sich aus diesen wichtigen Nebendingen, daß es, wenn der Lauf des Cunucunuma jetzt nicht untersucht wurde, recht unsicher war, ob das bei der Rückkehr der Piroguen nachgeholt würde. Und doch hätte er es verdient, denn er ist eine bedeutende Wasserader, die eine malerische und reiche Gegend durchzieht. Ihre Mündung hat auch schon eine Breite von zweihundert Metern.

Am nächsten Tage setzten sich die »Gallinetta« und die »Moriche« wieder in Bewegung, und was bei dem Cunucunuma nicht geschehen war, das unterblieb ebenso bei dem Cassiquiare, dessen Mündung noch am Vormittag passiert wurde.

Es handelte sich hier übrigens um einen der wichtigsten Nebenflüsse des großen Stromes. Das Wasser, das er diesem durch eine Einbuchtung des Ufers zuführt, kommt aus den Abdachungen des Beckens des Amazonenstromes. Das hatte Humboldt erkannt, und schon vor ihm hatte der Naturforscher Solano sich überzeugt, daß zwischen den beiden Becken erst durch den Rio Negro und weiterhin durch den Cassiquiare eine Verbindung bestand.

Gegen 1725 war der portugiesische Kapitän Moraes, als er den Rio Negro bis unterhalb San-Gabriel, am Einflusse des Guaïria, hierauf diesen bis San-Carlos befuhr und von hier aus auf den Cassiquiare überging, auf dem [284] Orinoco herausgekommen, nachdem er auf diese Weise das venezuelo-brasilianische Gebiet durchschifft hatte.

Entschieden verdiente der Cassiquiare die Untersuchung eines Sachverständigen, obgleich seine Breite hier kaum vierzig Meter übersteigt. Die Piroguen setzen jedoch ihren Weg stromaufwärts fort.

In diesem Theile des Stromes ist das rechte Ufer sehr uneben. Ohne von der Duidokette zu sprechen, die sich, von undurchdringlichen Wäldern bedeckt, am Horizonte hinzieht, bilden die Guaaco-Cerros eine natürliche Böschung, über die der Blick weit über die Ilanos zur Linken schweifen kann, die von dem gewundenen und abwechslungsreichen Cassiquiare durchfurcht werden.

Die Falcas kamen also bei recht mäßigem Winde vorwärts, so daß sie die Strömung bisweilen nur mit Mühe überwanden. Da machte Jean, kurz vor Mittag, auf eine niedrige, dichte Wolke aufmerksam, die sich über die Savanne hinzuziehen schien.

Parchal und Valdez betrachteten diese Wolke, deren schwere, dunkle Masse sich nach dem rechten Ufer zu heranwälzte.

Auf dem Vordertheil der »Gallinetta« stehend, blickte auch Jorres nach der nämlichen Richtung hinaus und sachte sich die Ursache der Erscheinung zu enträthseln.

»Das ist eine Staubwolke«, sagte Valdez.

Parchal theilte diese Anschauung.

»Wer kann den Staub aber aufwirbeln? fragte der Sergeant Martial.

– Vielleicht eine marschierende Truppe, antwortete Parchal.

– Dann müßte sie aber zahlreich sein, bemerkte Germain Paterne.

– Freilich, sehr zahlreich!« setzte Valdez hinzu.

Nur noch zweihundert Meter vom Ufer, zog die Wolke jetzt sehr schnell heran. Dann und wann zerriß sie ein wenig, und man sah dann durch solche Spalten scheinbar röthliche Massen sich fortbewegen.

»Sollte das eine Bande Quivas sein? rief Jacques Helloch.

– In diesem Falle, erwiderte Valdez, müßten wir die Piroguen aus Vorsicht nach dem linken Ufer hinüberführen.

– Aus Vorsicht, ja, stimmte Valdez zu, und ohne einen Augenblick zu zögern!«

Sofort wurde der betreffende Befehl ertheilt. Die Mannschaften zogen die Segel ein, da diese die Falcas auf dem Wege schräg über den Strom [285] nur gehindert hätten, und auf die Palancas gestemmt, trieben sie die »Gallinetta«, die der »Moriche« vorausfuhr, nach dem linken Ufer.

Jorres war übrigens, nachdem er die Staubwolke aufmerksam betrachtet hatte, an seinen Platz zurückgekehrt und hatte ohne ein Zeichen von Unruhe eine Pagaie ergriffen.

Wenn der Spanier aber nicht unruhig war, hatten die Reisenden doch alle Ursache, es zu sein, wenn sie hier von einem Ueberfall durch Alfaniz und seine Indianer bedroht waren. Von diesen Raubgesellen war keine Schonung zu erwarten. Zum Glück aber mußten die Piroguen, da jene keine Mittel hatten, über den Strom zu setzen, vorläufig und so lange sie sich am linken Ufer hielten, gegen einen Angriff geschützt sein.

Hier angelangt, legten sie Valdez und Parchal an Baumstümpfe des steilen Ufers fest, und die Passagiere bereiteten sich, ihre Waffen fertig haltend, für den schlimmsten Fall auf die Abwehr vor.

Die dreihundert Meter der Breite des Orinoco gingen nicht über die Schußweite der Gewehre hinaus.

Man brauchte nicht lange zu warten. Die Staubwolke wirbelte jetzt kaum zwanzig Meter vom Ufer daher. Daraus tönte Geschrei hervor, oder vielmehr ein charakteristisches Brüllen, über das sich niemand täuschen konnte.

»O, da ist nichts zu fürchten! rief Valdez. Das ist ja nur eine Herde Rinder!

– Valdez hat Recht, bestätigte Parchal. Aus dem Staube tauchen einige tausend Thiere hervor...

– Und verursachen allen diesen Heidenlärm!« setzte der Sergeant Martial hinzu.

Der betäubende Lärm rührte in der That von dem Gebrüll dieser lebenden Fluthwelle her, die über die Flächen der Ilanos daherrollte.

Jean, den Jacques Helloch bestimmt hatte, im Deckhause der »Gallinetta« Schutz zu suchen, trat wieder heraus, um den Durchzug einer Viehherde durch den Orinoco mit anzusehen.

Solche Wanderungen von Rindern sind auf dem Gebiete Venezuelas nichts Seltnes. Die Eigenthümer der Thiere müssen wohl oder übel den Anforderungen der trocknen und der nassen Jahreszeit Rechnung tragen. Wenn es in den höher gelegenen Landstrecken an Gras zu fehlen beginnt, macht es sich nöthig, Weideplätze auf den niedriger gelegenen Ebenen in der Nachbarschaft des Stromes [286] aufzusuchen, wobei mit Vorliebe die Thalgründe gewählt werden, die bei Hochwasser Ueberschwemmungen ausgesetzt sind und darauf einen desto üppigeren Pflanzenwuchs zeigen. Gräser aller Art bieten den Thieren dann auf der ganzen Ausdehnung der Esteros eine ebenso reichliche wie ausgezeichnete Nahrung.

Die Ilaneros müssen also mit ihrem Thierbestand zeitweilig auswandern, und wo sie auf einen Wasserlauf, einen Fluß, Rio oder Bayou treffen, wird er schwimmend überschritten.

Jacques Helloch und seine Gefährten sollten jetzt dem interessanten Schauspiele beiwohnen, ohne von diesem Tausende von Köpfen zählenden Haufen von Wiederkäuern etwas zu fürchten zu haben.

Am Ufer angelangt, blieben die Rinder zunächst stehen. Da verdoppelte sich aber der Lärm, denn die letzten Reihen drängten die ersten widerstandslos weiter, während diese anfänglich zauderten, in den Strom zu springen.

Sie wurden dazu aber schließlich durch den ihnen vorausgehenden Cabestero gezwungen.

Das ist nämlich der Schwimmmeister, erklärte Valdez Er wird sein Pferd mitten in den Strom treiben und die Thiere folgen ihm dann nach.«

In der That stürzte sich der Cabestero mit raschem Sprung über das abfallende Ufer hinunter. Einige Kuhhirten, denen ein Führer vorausging, welcher eine Art wilder Hymnen, ein »Vorwärts!« von seltsamem Rhythmus anstimmte, schwammen voran. Nun stürzte sich auch die Herde in den Strom, auf dessen Fläche man nur noch die Köpfe mit den langen, geschweiften Hörnern sah während die mächtigen Nasenlöcher geräuschvoll schnauften.

Bis zur Mitte des Strombettes vollzog sich der Uebergang ohne Schwierigkeit, trotz der Strömung, und man konnte annehmen, daß er unter der Leitung des Schwimmmeisters und dank der Geschicklichkeit der Führer auch ohne Unfall durchgeführt würde.

Es sollte aber anders kommen.

Plötzlich entstand eine auffallende Bewegung unter den schwimmenden Thieren, als sich noch mehrere Hunderte etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt befanden. Auch laute Ausrufe der Kuhhirten mischten sich unter das Gebrüll der Rinder. Es schien, als ob die ganze Masse von Schrecken gepackt wäre, dessen Ursache nicht erkenntlich war.

»Die Cariben!.. Die Cariben! riefen da die Leute von der »Moriche« und der »Gallinetta«.

[287] – Die Cariben? wiederholte Jacques Helloch.

– Ja, bestätigte Parchal, das verschulden Cariben und Parayos!«

Offenbar war die Herde zwischen eine große Anzahl jener furchtbaren Zitterrochen und elektrischen Aale gerathen, die es in den Wasserläufen Venezuelas zu Millionen giebt.


»Das ist ja nur eine Herde Rinder!« (S. 286.)

Durch die Entladungsschläge dieser lebenden »Leydener Flaschen«, die immer einen großen Vorrath hochgespannter Elektricität enthalten, wurden die Rinder erst von heftigen Zuckungen befallen, dann mehr und mehr gelähmt [288] [291]und endlich ganz bewegungslos gemacht. Dann sanken sie auf die Seite und bewegten höchstens noch zum letzten Male die von den elektrischen Entladungen durchschütterten Beine.


Es schien, als ob die Masse von Schrecken gepackt wäre. (S. 287.)

Viele davon versanken binnen wenigen Secunden, während andre in ihrer Verwirrung, die Zurufe der Führer, von denen einige selbst von den Gymnoten getroffen worden waren, überhörend, von der Strömung weggerissen wurden und das andre Ufer erst einige hundert Meter flußabwärts erklimmen konnten.

Da es nicht möglich gewesen war, die noch nach dem Ufer herandrängenden hintern Reihen der Thiere, welche die andern gleichsam vor sich herschoben, anzuhalten, mußten sich immer weitere von den erschreckten Rindern wohl oder übel ins Wasser stürzen. Jedenfalls hatte sich die elektrische Energie der Parayos und der Cariben aber allmählich erschöpft. So gelangte denn eine große Menge der Thiere ohne größeren Schaden an das linke Ufer, von wo aus sie geräuschvoll nach der Savanne zu entflohen.

»Na, meinte Germain Paterne, so etwas sieht man in der Seine und Loire denn doch nicht, nicht einmal in der Garonne, und es ist wahrlich ein Schauspiel, das der Mühe des Zusehens lohnt!

– Donner und Doria, platzte der Sergeant Martial heraus, wir würden uns vor diesen verwünschten Aalen schon zu hütenwissen!

– Gewiß, mein wackrer Sergeant, erklärte Jacques Helloch; gegebenenfalls schützt man sich dagegen, wie gegen eine elektrische Batterie.

– Das Klügste bleibt aber doch, bemerkte Parchal, nicht da ins Wasser zu fallen, wo es von den gefährlichen Burschen wimmelt.

– Ganz recht, Parchal, ganz recht!« stimmte Germain Paterne ihm zu.

Es ist allbekannt, daß Gymnoten in den Flüssen Venezuelas sehr zahlreich vorkommen und manches Unheil anrichten; dagegen wissen die Fischer daselbst auch, daß jene ein vortreffliches Nahrungsmittel abgeben. Deshalb fangen sie die Zitterrochen und dergleichen mit Angeln, lassen sie in fruchtlosen Entladungen sich erschöpfen und können dann ohne Gefahr damit hantieren.

Was soll man aber von Humboldt's Berichte halten, worin ausgesprochen ist, daß seiner Zeit Pferdeherden unter diese Wasserwütheriche gejagt und deren elektrischen Schlägen ausgesetzt worden wären, nur um den Fang der Fische zu erleichtern? Elisée Reclus' Ansicht geht dahin, daß selbst zur Zeit, wo noch zahllose Pferde durch die Ilanos schwärmten, diese doch noch für zu werthvoll galten, als daß man sie in so barbarischer Weise hingeopfert hätte, [291] und er dürfte damit Recht haben. Als die Piroguen ihre Fahrt wieder aufgenommen hatten, wurde diese durch die Schwäche des Windes verzögert, der im allgemeinen jeden Nachmittag abflaute. An verschiedenen engen Stellen mit verstärkter Strömung mußte man sich deshalb mittelst der Estrillas weiterhelfen, was den Verlust einiger Stunden verursachte. Schon war die Nacht herangekommen, als die Passagiere am Fuße des Dorfes la Esmeralda anhielten.

Zu dieser Zeit war über dem rechten Ufer der Himmel glänzend von lodernden Flammen beleuchtet, die aus dem bewaldeten Gipfel der Pyramide des zweitausendvierhundertvierundsiebzig Meter über das Meer emporragenden Duido hervorzüngelten. Es handelte sich dabei nicht um einen Krater, der seine Gluthmassen durch vulcanische Zuckungen ausspie, sondern nur um einfache, hüpfende Flammengarben, die die obern Abhänge des Cerro umgaukelten, während durch jene blendenden Blitze verwirrte Wasserfledermäuse über den still am Ufer liegenden Falcas hin und her huschten.

6. Capitel
Sechstes Capitel.
Schwere Beunruhigung.

So lange die Barés noch Barés sein werden, wird das Auftreten jener riesigen Irrlichter auf dem Gipfel des Duido in deren Lande auch als ein übles Anzeichen, als ein Vorläufer von Unglücksfällen betrachtet werden.

Und so lange die Mariquitarer Mariquitarer bleiben, wird bei ihnen dieselbe Naturerscheinung als Hinweis auf glückliche Ereignisse gelten.

Diese beiden Indianerstämme deuten sich also das Verhalten ihres prophetischen Berges in grade entgegengesetzter Weise. Ob nun der eine oder der andre Recht hat, jedenfalls ist die Nachbarschaft des Duido für das Dorf la Esmeralda nicht von Vortheil gewesen.

Kaum fände man wohl eine lieblichere Lage in den an den Orinoco grenzenden Savannen, kaum zur Viehzucht geeignetere Weidegründe oder ein besseres Klima, dem jedes Uebermaß tropischer Luftwärme fremd ist. Und doch [292] erscheint la Esmeralda in einem Zustande trauriger Verlassenheit und beklagenswerthen Verfalls. Von dem alten, durch spanische Ansiedler gegründeten Dorfe ist nichts mehr übrig, als eine kleine Kirche und fünf bis sechs Strohhütten, die aber auch nur zur Zeit der Jagd und des Fischfangs bewohnt sind.

Als die »Gallinetta« und die »Moriche« hier eintrafen, fanden sie im Hafen auch nicht ein einziges Fahrzeug vor.

Wer hat denn aber die Indianer von hier vertrieben?... Die schrecklichen Muskitos sind es, die den Ort unbewohnbar machen, die Myriaden von Insecten, deren verwünschte Rasse alle Flammen des Duido nicht zu vernichten vermochten.

Die Falcas wurden von ihnen auch dermaßen belästigt, die Muskitonetze erwiesen sich so unzureichend und Passagiere und Mannschaften hatten so arg von Insectenbissen zu leiden – selbst der Neffe des Sergeanten Martial, den sein Onkel diesmal nicht genügend zu schützen im Stande war – daß Parchal und Valdez schon vor Tagesanbruch mit Hilfe der Palancas abfuhren, ohne erst die Morgenbrise abzuwarten.

Gegen sechs Uhr sprang der Morgenwind auf, und zwei Stunden später kamen die Piroguen an der Mündung des Iguapo, eines der Zuflüsse des rechten Ufers, vorüber.

Jacques Helloch dachte ebensowenig daran, den Iguapo zu untersuchen, wie er den Cunucunuma oder den Cassiquiare beachtet hatte, und Germain Paterne erwähnte dieser Pflichtvergessenheit mit keinem Worte, nicht einmal in der Form einer freundschaftlichen Neckerei.

Der Sergeant Martial wurde dagegen, und Jacques Helloch nicht minder, durch eine andre Wahrnehmung beunruhigt.

So kräftig, ausdauernd und energisch Jeanne von Kermor auch war, die bisher allen Anstrengungen getrotzt hatte, war doch zu befürchten, daß sie den übeln Einwirkungen des Klimas und des Landes hier noch ihren Tribut werde zollen müssen. In den mehr sumpfigen Gegenden herrschen endemische Fieber, denen man nur selten entgeht. Dank ihrer widerstandsfähigen Constitution hatten Jacques Helloch, Germain Paterne und der Sergeant Martial noch nichts von diesen Einflüssen gespürt, und schon in Folge langer Gewöhnung waren die Mannschaften dagegen gefeit. Das junge Mädchen litt dagegen seit einigen Tagen an allgemeinem Unwohlsein, dessen ernste Bedeutung niemand verkennen konnte.

[293] Germain Paterne durchschaute bald, daß Jeanne von Kermor von einem Sumpffieber bedroht war. Ihre Kräfte nahmen ab, ihr Appetit schwand gänzlich, und von diesem Tage ab war sie durch unüberwindliche Schlaffheit genöthigt, sich stundenlang unter dem Deckhause niederzulegen. Sie zwang sich jedoch nach Möglichkeit, dem zu widerstehen, weil sie der Gedanke bedrückte, ihren Reisegenossen noch weitere Unruhe zu machen.

Noch blieb ja die Hoffnung, daß dieses Unwohlsein ein vorübergehendes sein werde; vielleicht irrte sich Germain Paterne überhaupt in seiner Diagnose, und außerdem mußte ja, bei Jeannes geistiger und körperlicher Zähigkeit, die Natur ihr bester Arzt sein, der noch durch das wirksamste Hilfsmittel – durch ihre Jugend – unterstützt wurde.

Immerhin setzten die Passagiere die Fahrt auf dem obern Theile des Stromes nur mit zunehmender Aengstlichkeit fort.

An diesem Tage legten die Piroguen für die Nacht nahe der Mündung des Gabirima, eines linksufrigen Nebenflusses, an. Von den Barés-Indianern, die Chaffanjon erwähnt, fand man hier keine Spur. Das war nicht zu bedauern, da die zwei Hütten von Gabirima, zur Zeit als der französische Reisende hier weilte, nur einer Familie von Räubern und Mördern Obdach gewährten. Ein Mitglied derselben war der vormalige Capitan von la Esmeralda gewesen. Ob jene nun Verbrecher geblieben oder ehrbare Leute geworden waren, das ließ sich nicht entscheiden, jedenfalls aber waren sie von hier fortgezogen, so daß irgendwelche Auskunft über die Bande des Alfaniz nicht zu erlangen war.

Mit Fleisch von Hirschen, Bisam- und Wasserschweinen, die die Jäger noch am Abend erlegt hatten, frisch versehen, stießen die Falcas schon am nächsten Tage vom Ufer wieder ab. Die Witterung war recht schlecht. Wiederholt stürzten gewaltige Regengüsse herab. Jeanne von Kermor litt nicht wenig von dieser Unbill der Witterung. Ihr Zustand besserte sich nicht. Das Fieber blieb bestehen und wurde sogar trotz aller angewendeten Mittel langsam schlimmer.

Die vielen Windungen des Stromes, der von Rissen durchsetzt und in der Breite auf zweihundert Meter eingeengt war, gestatteten es an diesem Tage nicht, über die Insel Yano, die letzte, der die Piroguen flußaufwärts begegnen sollten, hinauszukommen.

Am nächsten Tage, am 21. October, bot ein Raudal, das zwischen hohen, nahe bei einander liegenden Ufern herabbrauste, noch einige Schwierigkeiten [294] und gegen Abend ankerten die »Moriche« und die »Gallinetta«, die tagsüber bessern Wind gehabt hatten, vor dem Rio Padamo.

Das Fieber, das an dem jungen Mädchen nagte, war noch immer nicht gewichen. Jeanne fühlte sich mehr und mehr abgeschlagen, und ihre Schwäche gestattete ihr nicht einmal mehr, das Deckhaus zu verlassen.

Hierdurch geängstigt, machte sich der alte Soldat die schlimmsten Vorwürfe, dieser Reise zugestimmt zu haben. Alles das war seine Schuld!... Was war aber zu thun?... Wie ließen sich die Fieberanfälle bannen und ihre Wiederkehr verhüten? Selbst angenommen, daß die Reiseapotheke der »Moriche« ein wirksames Mittel enthielt, war es unter den jetzigen Umständen nicht rathsamer, umzukehren?... Binnen wenigen Tagen mußten die Piroguen mit Hilfe der Strömung ja San-Fernando wieder erreichen können.

Jeanne von Kermor hatte den Sergeanten Martial und Jacques Helloch über diese Frage reden hören, und sagte darauf traurig und mit kaum vernehmbarer Stimme:

»Nein! Nein! Kehren wir nicht nach San-Fernando zurück! Ich will bis zur Mission gehen... will gehen, bis ich meinen Vater wieder gefunden habe! Nach Santa-Juana... Santa-Juana!«

Nach dieser Anstrengung sank sie fast bewußtlos zurück.

Jacques Helloch wußte nicht, wofür er sich entscheiden sollte. Gab er den Bitten des Sergeanten Martial nach, so lief er Gefahr, bei dem jungen Mädchen eine verderbliche Krisis heraufzubeschwören, wenn diese bemerkte, daß die Piroguen wieder den Strom hinabschwammen. Alles in Allem schien es gerathener, die Reise fortzusetzen und wowöglich Santa-Juana zu erreichen, wo weitere Hilfe gewiß ebenso sicher zu finden war, wie in San-Fernando.

Dann wandte sich Jacques Helloch noch an Germain Paterne.

»Du vermagst also nichts zu thun? rief er mit verzweifelter Stimme. Du kennst keine Arznei, die dieses Fieber, an dem sie zu Grunde gehen muß, zu beseitigen vermag?... Siehst Du nicht, daß das arme Kind von Tag zu Tag mehr verfällt?«

Germain Paterne wußte nicht, was er antworten oder was er außer dem, das er schon versucht hatte, noch thun sollte. Das schwefelsaure Chinin, wovon er reichlichen Vorrath besaß, hatte trotz Anwendung in großen Dosen das Fieber nicht zu unterdrücken vermocht.

[295] Und als der Sergeant Martial und Jacques Helloch ihn mit ihren Fragen bestürmten, kam er in arge Verlegenheit.

»Das schwefelsaure Chinin bleibt auf sie ohne Wirkung – das war Alles, was er zu sagen im Stande war. Vielleicht müßte man zu gewissen Kräutern oder Baumrinden greifen, die sich hier in der Gegend finden müssen. Doch wer soll sie uns zeigen und wie könnten wir sie herbeischaffen?«

Valdez und Parchal, die hierüber gefragt wurden, bestätigten die Aussagen Germain Paterne's. In San-Fernando benutzte man allgemein gewisse fieberwidrige Erzeugnisse des Landes... wirklich specifische Mittel gegen die von sumpfigen Ausdünstungen hervorgerufenen Fieber, von denen Fremde und Einheimische in der trocknen Jahreszeit so viel zu leiden haben.

»Am meisten, versicherte Valdez, bedient man sich der Rinde der Cinchora und vor Allem der des Coloradito.

– Würden Sie diese Pflanzen erkennen?

– Nein, antwortete Valdez. Wir sind nur Schiffsleute und immer auf dem Strome. Da müßte man sich schon an die Ilaneros wenden, von denen an den Ufern leider keiner zu sehen ist.«

Germain Paterne war es recht wohl bekannt, daß die Wirkung des Coloradito bei Sumpffiebern fast souverän ist, und es unterlag keinem Zweifel, daß auch hier das Fieber weichen würde, wenn die Kranke mehrere Abkochungen dieser Rinde nehmen könnte. Leider war auch er, ein Botaniker, nicht im Stande, die Pflanze auf den Ufersavannen zu suchen.

Auf die bestimmte Willensäußerung Jeanne von Kermor's hin hatten ihre Gefährten indeß beschlossen, die Reise ohne Verzug fortzusetzen.

Das werthvolle Heilmittel konnte man sich in Santa-Juana jedenfalls verschaffen. Doch wie viel Zeit würden die beiden Piroguen brauchen, die zweihundert Kilometer, die es noch bis zur Mission war, zurückzulegen?

Am folgenden Tage wurde die Fahrt also mit dem Morgengrauen fortgesetzt. Heute drohte es mit Gewittern und man hörte zuweilen auch fernen Donner. Dabei herrschte aber ein günstiger Wind, den sich Valdez und Parchal nicht entgehen lassen wollten. Die braven Männer nahmen an dem Schmerze ihrer Passagiere aufrichtigen Antheil. Sie liebten ja den jungen Mann und waren untröstlich, ihn von Tag zu Tag schwächer werden zu sehen. Der Einzige, der sich ganz gleichgiltig erwies, war der Spanier Jorres. Er schien gar nicht darauf zu achten, was an Bord vorging.


Das Auftreten jener riesigen Irrlichter... (S. 292.)

[296]

Seine Blicke schweiften nur über die Ilanos auf der rechten Seite des Ufers. In der Befürchtung, Verdacht zu erwecken, hielt er sich dann meist ganz vorn auf der »Gallinetta« auf, während seine Kameraden sich um den Mast herum ausgestreckt hatten. Ein- oder zweimal machte Valdez darüber eine Bemerkung, und ohne Zweifel hätte auch Jacques Helloch das Benehmen des Spaniers verdächtig gefunden, wenn er Muße gefunden hätte, diesen zu beobachten. Seine Gedanken waren aber ganz wo anders, und während die Falcas Seite an Seite dahinglitten, verweilte er lange Stunden auf dem Fahrzeuge am Eingang des Deckhauses und behielt [297] das junge Mädchen im Auge, das zu lächeln sachte, um ihm für seine Aufmerksamkeit zu danken.

Und heute sagte sie zu ihm:

»Herr Jacques, ich möchte Sie wohl um ein Versprechen bitten.

– Sprechen Sie... sprechen Sie, Fräulein Jeanne. Ich werde das Versprechen halten, welches es auch sei.

– Herr Helloch... vielleicht werd' ich doch nicht stark genug sein, unsre Nachsuchungen fortzusetzen. Vielleicht muß ich, in der Mission angelangt, in Santa-Juana längere Zeit zurückbleiben. Würden Sie nun, wenn wir erfahren, was aus meinem Vater geworden ist... ja... würden Sie...

– Versuchen, ihn aufzufinden? – Gewiß, Jeanne... meine liebe Jeanne. Ja, ich werde hinausziehen, werde den Spuren des Oberst von Kermor folgen, ihn sicherlich finden und ihn seiner Tochter zuführen.

– Ich danke Ihnen, Herr Helloch, danke Ihnen im voraus von ganzem Herzen!« antwortete die Kranke, deren Kopf, den sie für einen Augenblick erhoben hatte, auf das Lager zurücksank.

Durch eine Mündungsstelle, die weit breiter als der Fluß selbst ist, ergießt der tiefe Padamo eine große Masse klaren Wassers in den Orinoco. Es ist einer der Nebenflüsse, der nicht ohne Grund mit dem Guaviare und dem Atabapo in Wettbewerb treten könnte.

Weiter aufwärts herrschte eine ziemlich schnelle Strömung zwischen steil abfallenden Ufern, über denen der Saum dichter Waldmassen sichtbar war. Die Piroguen fuhren manchmal unter Segel, manchmal wurden sie durch Pagaien fortbewegt. Vom Ocamo an nach aufwärts schrumpfte die Strombreite nun auf fünfzig Meter zusammen.

Der Tag verlief für die Kranke recht schlecht. In Folge eines sehr starken Fieberanfalls nahm ihre Schwäche noch weiter zu. Jetzt nahte offenbar der tödliche Ausgang, wenn es Germain Paterne nicht gelang, das einzige Arzneimittel zu beschaffen, das hier noch eine Wirkung versprach.

Wie könnten wir die schmerzliche Unruhe schildern, die unter den Passagieren der Piroguen herrschte! Des Sergeanten Martial hatte sich eine solche Verzweiflung bemächtigt, daß man für seinen Verstand fürchten konnte. Die Leute von der »Gallinetta« wichen gar nicht mehr von seiner Seite, weil sie besorgten, daß er sich in einem plötzlichen Anfalle geistiger Gestörtheit in den Fluß stürzen könnte.

[298] Jacques Helloch blieb bei Jeanne, milderte den brennenden Durst, der sie verzehrte, mit etwas frischem Wasser und lauschte, beängstigt durch ihr leises Seufzen, auf jeden Laut von ihren Lippen. Sollte er wirklich die nicht retten können, der er so innig in reinster Liebe zugethan war und für die er sein Leben gern hundertmal in die Schanze geschlagen hätte?...

Da kam ihm auch der Gedanke, daß er dem Wunsche des jungen Mädchens hätte widerstehen und Anordnungen zur Rückkehr nach San-Fernando geben sollen. Es erschien ja fast widersinnig, unter den vorliegenden Verhältnissen bis zu den Quellen des Orinoco hinaufgehen zu wollen, und mit Erreichung derselben war man ja noch nicht einmal in Santa-Juana. Setzte kein Rio die Mission mit dem Flusse in Verbindung, so mußte man noch einen Weg über Land einschlagen und bei drückender Hitze durch unbegrenzte Wälder wandern.

Als Jeanne von Kermor aber aus ihrer Betäubung erwachte, als das Fieber sie nur einigermaßen verlassen hatte, da fragte sie auch schon mit unruhiger Stimme:

»Herr Jacques, wir fahren doch immer noch auf dem richtigen Wege weiter?

– Ja, Jeanne, ja! antwortete er.

– Ich denke ohne Unterlaß an meinen armen Vater!... Ich habe auch geträumt, daß wir ihn gefunden hätten... daß er bei seiner Tochter wäre... und er dankte Ihnen, dankte für Alles, was Sie für mich... und für ihn... gethan hätten.«

Jacques Helloch wandte den Kopf ab, um seine Thränen zu verbergen. Ja, er weinte, dieser thatkräftige Mann weinte, weil er sich ohnmächtig fühlte gegenüber diesem sich immer verschlimmernden Leiden... gegenüber dem Tode dessen kalte Hand sich schon nach dem jungen Mädchen ausstreckte.

Am Abend hielten die Piroguen bei Port Mapaya an, von wo sie früh am nächsten Morgen wieder abfuhren und sich bald der Segel, bald der Pagaien bedienten. Da das Wasser sehr niedrig war, liefen die Falcas wiederholt Gefahr, auf dem sandigen Grunde des Flusses aufzufahren.

Im Laufe dieses recht anstrengenden Tages kamen die beiden Piroguen an der Stelle vorüber, wo die Cerros Moras das sonst flache rechte Ufer mit ihren letzten Ausläufern unterbrechen.

Am Nachmittag drohte ein neuer, ungemein heftiger Anfall das Leben der Kranken zu beendigen. Man glaubte ihr letztes Stündlein sei gekommen, der [299] Sergeant Martial geberdete sich so verzweifelt, daß Germain Paterne, um Jeanne dessen Weinen und Schluchzen nicht hören zu lassen, ihn nach der »Moriche« hinüberbringen ließ, die kaum fünfzig Schritte weit hinter der ersten Pirogue folgte. Das schwefelsaure Chinin erwies sich völlig unwirksam.

»Germain... Germain, sagte da Jacques Helloch, der seinen Genossen nach dem Vordertheile der »Gallinetta« geführt hatte, Jeanne wird sterben müssen...

– Gieb noch nicht alle Hoffnung auf, Jacques!

– Ich sage Dir, sie wird sterben... und selbst, wenn dieser Anfall sie nicht tödtet... einen zweiten solchen hält sie nicht mehr aus!«

Das war nur zu gewiß, und Germain Paterne ließ den Kopf sinken.

»Und nichts dagegen thun zu können, seufzte er, nichts!«

Gegen drei Uhr am Nachmittage fiel ein gewaltiger Regen herab, der die erstickende, fast unausgesetzt gewitterdrohende Luft etwas abkühlte. Das war recht erwünscht, denn dem Flusse kam das reichliche, aus den bleigrauen Wolken strömende Wasser recht sehr zu gute. Die hier so zahlreichen Zuflüsse erhöhten den Wasserstand und begünstigten ja damit die Weiterfahrt der Piroguen.

Um vier Uhr kam hinter einer vorspringenden Waldmasse an der linken Seite der ziemlich hohe Cerro Yaname in Sicht, und oberhalb des scharfen Bogens, den der Orinoco hier beschreibt, öffnete sich die schmale Mündung des Rio Mavaca.

Da der Wind sich gänzlich gelegt hatte, unterbrachen Valdez und Parchal die Fahrt am Fuße eines Sitio, der nur aus wenigen, von fünf bis sechs Mariquitarer-Familien bewohnten Strohhütten bestand.

Der Erste, der ans Land eilte, war Jacques Helloch, der noch nach der »Moriche« ein: »Kommen Sie mit, Parchal!« gerufen hatte.

Wohin wollte er?

Den Capitan des Sitio aufsuchen.

Und welches Anliegen hatte er an diesen?

Er wollte ihn anflehen, die Sterbende dem Tode zu entreißen.

Der Capitan bewohnte eine ziemlich ansehnliche Hütte, wie es die der Mariquitarer im allgemeinen sind. Es war ein geweckter, recht freundlicher Indianer von etwa vierzig Jahren, der die beiden Fremden sehr zuvorkommend empfing.

Auf Ersuchen Jacques Helloch's fragte ihn Parchal sofort nach dem Coloradito.

[300] Wahrscheinlich kannte der Capitan ja diese Pflanze, und jedenfalls kam sie in der Gegend hier vor.

»Ja, gewiß, erwiderte der Indianer, wir machen von ihr bei Fiebern gar oft Gebrauch.

– Und sie heilt diese Leiden?

– Immer!«

Vorstehende Worte wurden in der Indianersprache gewechselt, die Jacques Helloch nicht verstand; als Parchal ihm aber die Worte des Capitans übersetzte, rief er drängend:

»Der Indianer soll uns etwas von dieser Rinde schaffen. Ich bezahle Alles, was er dafür verlangt... gebe Alles, was ich besitze.«

Der Capitan entnahm einem der Körbe in seiner Hütte einige holzartige Stückchen, die er Parchal einhändigte.

Im nächsten Augenblick waren Jacques Helloch und Parchal schon zurück an Bord der »Gallinetta«.

»Germain! Germain! Der Coloradito! Der Coloradito!«

Das war Alles, was Jacques Helloch hervorzubringen vermochte.

»Gut, Jacques, ein neuer Fieberanfall ist noch nicht wieder eingetreten, antwortete Germain Paterne. Jetzt ist die richtige Zeit... Wir werden sie retten, lieber Freund... ja, ja, wir retten sie noch!«

Während nun Germain Paterne die Abkochung zubereitete, sachte Jacques Helloch die Kranke zu beruhigen. Noch niemals hatte das Sumpffieber dem Coloradito widerstanden... darin konnte man dem Capitan von Mavaca trauen...

Die arme Leidende mit ihren großen Augen und wachsbleichen Wangen hatte nach dem Anfall, bei dem ihre Körperwärme bis auf einundvierzig Grad gestiegen war, doch noch die Kraft, ein wenig zu lächeln.

»Ich fühle mich schon besser, stammelte sie, und ich habe doch noch gar nichts genommen...

– Jeanne, meine liebste Jeanne,« murmelte Jacques Helloch, während er neben ihr niederkniete.

Germain Paterne genügten wenige Minuten, um aus der Rinde des Coloradito einen Auszug zu bereiten, und Jacques Helloch näherte die Tasse den Lippen des jungen Mädchens.

Als diese den Inhalt getrunken hatte, sagte sie nur: »Danke, danke!« dann fielen ihr die Augen zu.

[301] Jetzt mußte man sie allein lassen. Germain Paterne zog auch Jacques Helloch, der nicht von ihrer Seite gehen wollte, mit sich fort. Beide nahmen dann schweigend auf dem Vordertheil der Pirogue Platz.

Die Mannschaften waren schon veranlaßt worden, ans Land zu gehen, um an Bord jedes Geräusch zu vermeiden. Wenn die Kranke einschlummerte, war es höchst wichtig, ihren Schlaf durch nichts zu stören.

Der Sergeant Martial war über Alles benachrichtigt worden; er wußte, daß das fieberwidrige Mittel erlangt und daß es Jeanne schon eingegeben worden war. Jetzt verließ er die »Moriche«, sprang eiligst ans Ufer und lief nach der »Gallinetta« zu.

Germain Paterne bedeutete ihm zurückzubleiben. Der arme Mann gehorchte, und mit Thränen in den Augen lehnte er sich gegen ein Felsstück.

Nach der Ansicht Germain Paterne's mußte, wenn ein neuer Anfall ausblieb, die Aufsaugung des Coloradito ihre Wirkung gethan haben. Binnen zwei Stunden würde das entschieden sein. Binnen zwei Stunden mußte man wissen, ob die Hoffnung, ja sogar die gewisse Aussicht vorlag, das junge Mädchen zu retten.

Mit welch unsäglicher Angst warteten jetzt Alle auf die Entscheidung! Jeder lauschte gespannt, ob ein Seufzer den Lippen der Kranken entschlüpfte... ob sie riefe... doch kein Wort von ihr wurde hörbar.

Jacques Helloch näherte sich dem Deckhause.

Jeanne schlummerte, schlummerte ganz ruhig, ohne jedes Zeichen von Athemnoth.

»Sie ist gerettet... gerettet! hauchte er Germain Paterne ins Ohr.

– Ich hoffe es... ich glaub es! O, der Coloradito ist ein vortreffliches Mittel... leider sind nur die Apotheken am obern Orinoco gar so selten!«

Als Jeanne dann am Nachmittage einmal erwachte, konnte sie, die Hand ausstreckend, mit vollem Recht zu Jacques Helloch sagen:

»Ich fühle mich jetzt besser... ja, weit besser!«

Und zu dem Sergeanten Martial, der nun Erlaubniß erhalten hatte, an Bord der »Gallinetta« zurückzukehren, sagte sie:

»Es geht gut, lieber Onkel!« und dabei wischte sie dem alten Soldaten die Thränen aus den Augen.

Die ganze Nacht hielt man an ihrem Lager Wache, und wiederholt wurde ihr die heilsame Abkochung eingeflößt. Im übrigen schlief sie friedlich, und bei[302] ihrem Erwachen am nächsten Morgen konnte es niemand mehr zweifelhaft sein, daß sie der Genesung entgegenging. Wie jubelten da die Passagiere und wie aufrichtig theilten die Mannschaften ihre Freude!

Selbstverständlich nöthigte man den Capitan von Mavaca, trotz seiner lobenswerthen Weigerung, zu Gunsten seiner Familie aus der Ladung der »Moriche« zu wählen, was ihm begehrenswerth erschien. Der wackre Mann zeigte sich höchst bescheiden. Einige Messer, eine kleine Axt, ein Stück Stoff, einige kleine Spiegel und Glasgegenstände nebst einem halben Dutzend Cigarren... das nahm er als Entschädigung für seinen Coloradito an.

Erst ganz kurz vor der Abfahrt fiel es auf, daß Jorres nicht an Bord der Pirogue und wahrscheinlich vom Abend vorher bis heute Morgen abwesend gewesen war.

Als er sich schließlich einstellte und Jacques Helloch ihn deswegen fragte, gab er zur Anwort, daß er, da die Mannschaft Befehl erhalten hätte, ans Land zu gehen, gleich draußen im Wald geschlafen habe, und man mußte sich wohl mit dieser uncontrolierbaren Antwort, die ja nicht erfunden zu sein brauchte, begnügen.

In den folgenden vier Tagen kamen die Falcas nur mühsam den Orinoco weiter hinauf, so daß in vierundzwanzig Stunden kaum zehn Kilometer zurückgelegt wurden. Doch immerhin! Jeannes Genesung ging ja schnell vor sich, und Dank der guten Nahrung, die Germain Paterne für sie mit besondrer Sorgfalt auswählte, nahmen ihre Kräfte zusehends zu. Jacques Helloch wich gar nicht mehr von ihrer Seite, und der Sergeant Martial hatte das schließlich ganz natürlich gefunden.

»Das sollte nun einmal so kommen! wiederholte er sich immer, doch, alle Bomben und Granaten, was wird mein Oberst dazu sagen?«

Am nächsten Tage schon konnte die Reconvalescentin das Deckhaus zwischen zwölf und zwei Uhr einmal verlassen. In eine leichte Decke eingehüllt und auf weichem Lager aus trockenen Gräsern auf dem Hintertheile der Pirogue ausgestreckt, athmete sie begierig die reine und stärkende Luft der Savannen ein.

Die Breite des Flusses überstieg jetzt keine dreißig Meter. Sehr häufig mußten nun die Falcas mittelst der Garapatos oder der Estrilla weiter getrieben werden. Man traf auch noch auf einige kleine, aber beschwerliche Raudals, und das Wasser war bisweilen so seicht, daß man sich fast veranlaßt sah, die Piroguen zu entladen.

[303] Zum Glück konnte man sich diese langwierige Arbeit ersparen. Dadurch, daß die Mannschaften ins Wasser stiegen, wurden die Fahrzeuge so weit entlastet, daß sie auch über die schlimmsten Stellen hinwegkamen. So war es mit dem Raudal von Manaviche und dem von Yamaraquin am Fuße des Cerro Bocon, der den Fluß um achthundert Meter überragt.

Jeden Abend gingen Jacques Helloch und der Sergeant Martial in die wildreichen Uferwälder jagen und kehrten nie zurück, ohne eine Anzahl Hoccos oder Pavas mitzubringen. In den südlichen Provinzen Venezuelas spielt die Frage der Ernährung überhaupt keine Rolle, wenigstens nicht für den Liebhaber des hier ganz vortrefflichen Wildes – ohne von den Fischen zu reden, die überall in Unmasse vorkommen.

Jeannes Gesundheit war jetzt wieder völlig hergestellt. Sie hatte seit der Anwendung des Coloradito nicht den geringsten Fieberanfall mehr gehabt. Ein Rückfall der Krankheit war auch nicht zu befürchten, wenn man nur die von ihrer Jugend unterstützte Natur walten ließ. Im Laufe des 25. tauchte eine geradlinige Bergkette auf, die man auf den Karten unter dem Namen der Cerros Guanayos findet.

Am 26. überwanden die Piroguen nicht ohne große Schwierigkeiten und ermüdende Anstrengungen das Raudal von Marques.

Wiederholt drängte sich Jacques Helloch, Valdez und Parchal die Wahrnehmung auf, daß das rechte Ufer doch nicht so verlassen war, wie es anfänglich erschien. Gelegentlich glaubte man menschliche Gestalten wahrzunehmen, die zwischen den Bäumen und hinter dem Buschwerk hinhuschten. Waren das Guaharibos, so konnte man sich darüber beruhigen, denn diese Stämme sind so gut wie ganz harmlos.

Jetzt war es nicht mehr so wie zur Zeit, als Chaffanjon den Orinoco befuhr und seine Leute täglich einen Ueberfall durch Eingeborne befürchten mußten. Die Mannschaften legten jenen Wahrnehmungen auch keinerlei Bedeutung bei.

Es bleibe aber nicht unerwähnt, daß Jacques Helloch und der Sergeant Martial immer vergeblich versuchten, an die flüchtigen Gestalten, die sie am Saume des Waldes zu sehen glaubten, heranzukommen. Jede Verfolgung derselben erwies sich als fruchtlos.

Wenn das aber keine Guaharibos, sondern Quivas – und vorzüglich solche von der Bande jenes Alfaniz – waren, bildete ihr Vorkommen hier gewiß eine ernste Gefahr. Parchal und Valdez behielten darum auch das Ufer [304] [307]stets scharf im Auge und erlaubten keinem ihrer Leute mehr, ans Land zu gehen.


Mit Thränen in den Augen lehnte er sich gegen ein Felsstück. (S. 302.)

Die Art und Weise, wie sich Jorres dabei verhielt, erweckte keinerlei Verdacht, ja er bekundete sogar niemals den Wunsch, sein Fahrzeug zu verlassen. Uebrigens hatten die Piroguen nur noch sieben bis acht Tagereisen vor sich und mußten dann wegen Wassermangels im Flußbett so wie so still liegen bleiben. Der Orinoco war dann auf ein dünnes Wasserfädchen reduciert, das sich aus der Parimakette hervorschlängelt und aus dem erst dreihundert Zuflüsse die große Verkehrsader Südamerikas machen.

Dann wurde es nöthig, die Falcas zu verlassen und bis Santa-Juana eine Strecke von etwa fünfzig Kilometern durch die dichten Wälder des rechten Ufers zu Fuß zurückzulegen. Da lag ja das vorläufige Ziel, und diese Aussicht mußte Jedem die Beschwerden eines solchen beschwerlichen Marsches erleichtern. Der 27. October und der folgende Tag konnten zu den schlimmsten Reisetagen seit der Abfahrt von Caïcara gezählt werden. Es bedurfte der größten Hingebung der Mannschaften und aller Geschicklichkeit der Schiffer, um das Raudal der Guaharibos zu überwinden, die Stelle, die 1760 Diaz de la Fuente, der erste Erforscher des Orinoco, erreichte. Das veranlaßte Germain Paterne zu der gerechtfertigten Bemerkung:

»Wenn die Indianer dieses Namens nicht zu fürchten sind, so kann man das jedenfalls nicht von den Stromschnellen sagen, die nach ihnen benannt sind.

– Ja, es wäre ein Wunder, wenn wir ohne Beschädigungen darüber hinwegkämen, antwortete Valdez.

– Da der Himmel schon ein solches gethan hat, indem er die Rettung unsers lieben Jean gelingen ließ, wird er auch noch ein zweites für die Pirogue thun, die ihn trägt. Ein Wunder ist ja leicht gethan, wenn man der allmächtige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde ist...

– Amen!« murmelte der Sergeant Martial in feierlichstem Ernste.

Und wahrlich, es war wunderbar, hier nur mit einigen leichten Havarien wegzukommen, mit ein paar Rissen und Schrammen, die gleich unterwegs geheilt werden konnten.

Man stelle sich eine Treppe von hintereinander liegenden Wasserbecken vor, die auf einer Strecke von zwölf Kilometern einander folgen. Diese Anordnung erinnerte lebhaft an die mächtigen Schleusenanlagen des Götacanals in Schweden. Der Canal von Stockholm nach Gothenburg ist jedoch mit Kammern und mit sich öffnenden und schließenden Wasserthoren versehen, die den Schiffsverkehr [307] darauf erleichtern. Hier gab es dagegen weder Kammern noch Schleusenthore, man mußte sich vielmehr über die Treppenabsätze, die kaum einen Zoll Wasser unter den Bodenplanken der Falcas übrig ließen, mühsam emporarbeiten. Alle Ruderer mußten also dabei mithelfen und die Fahrzeuge mit der an Bäumen oder Felsblöcken befestigten Espilla vorwärts schleppen. Wäre die trockne Jahreszeit schon weiter vorgeschritten gewesen, so hätte dieses Raudal die Piroguen gewiß endgiltig aufgehalten.

Das ist so sicher, daß z. B. Chaffanjon an dieser Stelle sein Fahrzeug verlassen und seine Weiterreise, die ihn bis zu den Orinocoquellen führen sollte, in einem Curiare ausführen mußte.

Früh am Morgen brach man wieder auf. Die Breite des Flusses wechselte nur noch zwischen fünfzehn und zwanzig Metern. Die Falcas überschifften auch noch andre Stromschnellen am Fuße der Sierra Guahariba – unter andern das Raudal der Franzosen – und mehr als einmal rissen die kaum noch schwimmenden, sondern mehr mit den Armen fortgeschobenen Fahrzeuge tiefe Furchen in das sandige Flußbett. Am Abend endlich legten Parchal und Valdez die Falcas am Abhange des linken Ufers fest.

Ihnen gegenüber, auf dem andern Ufer, ragte die dunkle Masse eines hohen Pics empor. Das konnte kein andrer als der Pic Maunoir sein – so getauft von dem französischen Reisenden zu Ehren des Generalsecretärs der Geographischen Gesellschaft von Paris.

Vielleicht wurde, in Folge der Uebermüdung, diese Nacht nicht so scharf Wache gehalten.

Nach dem Abendessen hatte wenigstens keiner einen andern Gedanken als den, die Ruhe zu suchen, die jeder so nöthig brauchte. Passagiere und Mannschaften versanken denn auch bald in tiefen Schlummer.

Im Laufe der Nacht erfolgte kein Angriff – kein Ueberfall, weder durch die Bravos-Indianer, noch durch die Alfaniz'schen Quivas.

Beim Erwachen am frühen Morgen stießen die beiden Schiffer einen Schrei des Unmuths aus.

Das Wasser war seit gestern um fünfzig Centimeter gefallen, und die Piroguen saßen fest. Kaum einzelne gelbliche Wasserfäden rannen noch im Bett des Orinoco hin.

Die Schifffahrt war damit also für die ganze Dauer der trocknen Jahreszeit unterbrochen.

[308] Als die Mannschaften dann nach dem Vordertheile der Piroguen zusammengerufen wurden, zeigte es sich, daß einer der Leute beim Appell fehlte.

Jorres war wieder verschwunden, und diesmal sollte er auch nicht zurückkehren.

7. Capitel
Siebentes Capitel.
Das Lager beim Pic Maunoir.

Der Pic Maunoir überragt die Savanne um volle fünfzehnhundert Meter. Die Bergkette, die sich an die gewaltige Masse anschließt und deren unerschütterliches Bollwerk er zu bilden scheint, verzweigt sich über Sehweite hinaus nach Südosten.

Etwa vierundzwanzig Kilometer davon erhebt sich der Ferdinand von Lesseps-Pic – so hat ihn wenigstens Chaffanjon auf seiner Karte bezeichnet.

Hier beginnt die bergige Gegend, wo das orographische System Venezuelas die größten Erhebungen zeigt. Hier wölben sich breite, gewaltige Rücken und kreuzen sich diese verbindende Kämme in allen Richtungen. Der Anblick, den die Gebirge bieten, wirkt überraschend großartig. Hier steigt die Sierra Parima, die Nährmutter des Orinoco, auf, dort von Wolken umhüllt, der »Rothe Berg«, von dem zahllose, bei den Indianern in besonderem Rufe stehende Bäche herabrieseln – jener Roraima, ein riesiger Meilenstein im Mittelpunkt der Grenzen der drei Staaten.

Wenn es möglich gewesen wäre, wären Jacques Helloch und seine Gefährten auf dem Strom bis zur Sierra Parima, aus der dessen erste Quellen hervorsprudeln, hinausgefahren. Darauf mußten sie jetzt leider verzichten, wenn es auch zur Noth möglich gewesen wäre, die Reise mittelst der Curiares ihrer Piroguen noch fortzusetzen. Diese Boote hätten aber nur ein bis zwei Personen aufnehmen können. Wie wäre es aber möglich gewesen, ohne Mithilfe der Mannschaften weiter zu kommen, und was wäre aus dem gesammten Gepäck dabei geworden? Am Morgen dieses Tages traten Jacques Helloch, Germain Paterne, Jean, dessen Kräfte zusehends zunahmen, und der Sergeant Martial, [309] denen sich die Schiffer Valdez und Parchal angeschlossen hatten, zu einer Berathung – einem von den Indianern Nordamerikas sogenannten Palaver – zusammen.

Ob Palaver oder Berathung – jedenfalls sollten dabei wichtige Beschlüsse gefaßt werden, von denen die Fortsetzung und vielleicht auch der ganze Erfolg der Reise abhingen.

Die genannten sechs Personen hatten am Saume des Waldes an einer Stelle Platz genommen, die den Namen des »Lagers am Pic Maunoir« erhielt, obgleich der Pic auf dem jenseitigen Ufer lag. Darunter dehnte sich das mit Sand und Steinen bedeckte Flußbett aus, in dem die Falcas an der Mündung eines Rio, des Rio Torrida, auf dem Trocknen saßen.

Das Wetter war schön, der Wind frisch und regelmäßig. Zur Linken, auf dem entgegengesetzten Ufer, erglänzte der von den Sonnenstrahlen gebadete Gipfel des Pics und auf seiner bewaldeten östlichen Seite leuchtete eine breite, helle Fläche.

Die Mannschaften waren beschäftigt, auf dem Vordertheil der Pirogue, das von leichtem, nach Süden wegziehendem Rauche halb verhüllt war, die erste Mahlzeit herzurichten.

Uebrigens zeigte sich jetzt kein Indianer, ebenso wenig auf dem Flusse oder an dessen Ufer, noch unter den ersten Bäumen des Waldes. Von bewohnten oder verlassenen Strohhütten war keine Spur zu sehen, obwohl sonst zu dieser Zeit die Ufer hier mehrfach von den Eingebornen aufgesucht wurden. Die in diesen Landestheilen zerstreuten Indianer nehmen aber nirgends feste Wohnsitze ein. Selbstverständlich dringen Händler von San-Fernando niemals soweit den Fluß hinauf, da sie zu leicht von Wassermangel überrascht würden. Mit welchem Flecken, welchem Rancho sollten sie auch hier in Geschäftsverbindung treten? Jenseits von dem jetzt auch verödeten la Esmeralda trifft man Wohnstätten nicht einmal in genügender Anzahl beisammen, um ein Dorf zu bilden, und im Ganzen ist es selten, daß Piroguen über die Mündung des Cassiquiare hinausgehen.

Unter den Versammelten nahm Jacques Helloch sofort das Wort.

»Sie sind noch niemals auf dem obern Orinoco weiter hinauf gekommen, Valdez? fragte er.

– Niemals, antwortete der Schiffer der »Gallinetta«.

– Sie auch nicht, Parchal?

[310] – Auch ich nicht, erklärte der Schiffer der »Moriche«.

– Keiner Ihrer Leute kennt den Flußlauf oberhalb des Pic Maunoir?

– Keiner, versicherten Parchal und Valdez.

– Keiner... außer vielleicht Jorres, ließ sich Germain Paterne vernehmen, doch der hat sich von uns getrennt. Ich habe ihn in Verdacht, daß er nicht zum erstenmale diese Gebiete durchstreift, obgleich er das Gegentheil hartnäckig behauptete.

– Wohin mag er denn gegangen sein? fragte der Sergeant Martial.

– Dahin, wo er ohne Zweifel erwartet worden ist, antwortete Jacques Helloch.

– Erwartet?..

– Jawohl, Sergeant; seit einiger Zeit ist mir das Verhalten des Mannes überhaupt verdächtig vorgekommen.

– Und mir nicht weniger, setzte Valdez hinzu. Als ich ihn nach seiner nächtlichen Abwesenheit am Rio Mavaca fragte, warum er eigentlich weggeblieben wäre, gab er mir eine recht nichtssagende Antwort.

– Doch als er in San-Fernando an Bord kam, fiel Jean jetzt ein, war es doch seine Absicht, sich nach der Mission Santa-Juana zu begeben.

– Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß er den Pater Esperante gekannt hat, setzte Germain Paterne hinzu.

– Das ist wahr, sagte der Sergeant Martial, es giebt aber keine Erklärung dafür, warum er gerade jetzt verschwunden ist, wo wir nur noch einige Tagreisen von der Mission entfernt sind.«

Schon in den letzten Tagen hatte sich der Gedanke, daß Jorres den schlimmsten Verdacht rechtfertigen könne, bei Jacques Helloch mehr und mehr befestigt. Wenn er davon gegen niemand gesprochen hatte, kam das daher, daß er seine Gefährten nicht beunruhigen wollte. Von Allen war er jetzt auch der, den das Verschwinden des Spaniers am wenigsten überraschte, wenn er sich auch kein Hehl daraus machte, daß das recht ernste Folgen haben könnte.

Wenn er darüber nachdachte, fragte er sich wohl auch schon, ob Jorres nicht einer der aus Cayenne entwichenen Sträflinge sei, die jetzt an der Spitze der von Alfaniz angeführten Quivas standen. Alfaniz war ja ebenso Spanier wie er. Wenn das der Fall war, was machte er dann zur Zeit, als man ihn traf, in San-Fernando?... Warum verweilte er überhaupt in jenem Orte? Gewiß war nur, daß er sich daselbst befand und daß er, nachdem ihm bekannt [311] geworden war, daß die Passagiere der Piroguen nach Santa-Juana gehen wollten, dem Schiffer der »Gallinetta« seine Dienste anbot.

Jetzt, wo Jacques Helloch's Verdacht in Folge der Flucht des Spaniers festere Gestalt angenommen hatte, erfüllten ihn folgende Gedanken:

Wenn Jorres nicht der Alfaniz'schen Bande angehört und er keine schlechten Absichten hat, wenn es wirklich seine Absicht war, nach der Mission zu gelangen, warum verläßt er uns so nahe am Ziel der Reise?

Er ist aber verschwunden, wo man erst recht hätte voraussetzen sollen, daß er bei der übrigen Gesellschaft bliebe. Und wer weiß, ob er nicht, auf eine geheim erhaltene Nachricht hin, daß die Quivas und ihr Führer in den benachbarten Savannen umherschwärmten, die Nacht benutzt hat, um das Raubgesindel aufzusuchen...

Wenn das der Fall war, jetzt, wo die Piroguen festsaßen und die kleine Gesellschaft gezwungen war, ziemlich weit durch den dichten Urwald zu marschieren, um nach Santa-Juana zu gelangen, dann drohte dieser auch die Gefahr eines Ueberfalles, den sie bei ihrer Minderzahl gewiß kaum abzuschlagen vermochte.

Von solchen recht ernsten Befürchtungen wurde Jacques Helloch jetzt beschlichen.

Davon hatte er aber gegen niemand gesprochen... kaum mit wenigen Worten gegen Valdez, der seinen Verdacht bezüglich des Spaniers theilte.

Nach der vom Sergeant Martial so bestimmt aufgeworfenen Frage nach dem unerklärlichen Verschwinden jenes Jorres, bemühte er sich denn auch, dem Gespräch eine andre und bei der Lage der Dinge mehr Nutzen versprechende Wendung zu geben.

»Lassen wir Jorres, wo er ist, sagte er. Vielleicht kommt er doch noch wieder zurück, vielleicht nicht. Wir haben uns mehr mit unsrer gegenwärtigen Lage zu beschäftigen und die Mittel zur Erreichung des letzten Zieles zu erwägen. Auf dem Orinoco können wir die Reise nicht weiter fortsetzen, das ist, ich erkenne es an, ein unglücklicher Umstand...

– Der aber doch, fiel Jean ein, nach wenigen Tagen so wie so eingetreten wäre. Selbst angenommen, wir hätten die Quellen mit unsern Piroguen erreichen können, so hätten wir sie doch am Fuße der Sierra Parima verlassen müssen. Wir haben es ja nicht anders gewußt, als daß wir die Strecke von da bis zur Mission Santa-Juana, die ja mit dem Orinoco nicht in unmittelbarer Verbindung steht, zu Fuß zurücklegen müßten.

[312] – Sie haben Recht, lieber Jean, antwortete Jacques Helloch, früher oder später, morgen, wenn es nicht schon heute nöthig geworden wäre, hätten wir die Falcas verlassen müssen. Wäre es möglich gewesen, noch etwa vierzig Kilometer weiter nach Osten vorzudringen – und eine solche Fahrt wäre in der Regenzeit leicht auszuführen gewesen – so hätte uns das manche Anstrengungen erspart, die ich vor Allem für Sie fürchte.


»Keiner Ihrer Leute kennt den Flußlauf...« (S. 311.)

– O, ich habe meine Kräfte wieder, Herr Helloch, versicherte Jean; ich wäre bereit, schon heute aufzubrechen, und würde gewiß nicht zurückbleiben.

[313] – Ah, vortrefflich! rief Germain Paterne. Man braucht Sie nur zu hören, um ganz frisch und munter zu werden! Doch wir wollen Alles recht nüchtern überlegen, ehe ein Entschluß gefaßt wird. Kannst Du, Jacques, wohl sagen, wie weit wir jetzt sowohl von den Quellen, als auch von der Mission noch entfernt sind?

– Das hab' ich mir nach der Karte berechnet, antwortete Jacques Helloch. Von der Sierra Parima dürften wir demnach höchstens fünfzig Kilometer entfernt sein. Ich glaube aber nicht, daß es der richtige Weg wäre, bis nach den Quellen hinauf zu gehen.

– Und warum nicht? fragte der Sergeant Martial.

– Weil die Mission, wie wir bereits in San-Fernando gehört und von Herrn Manuel bestätigt bekommen haben, am Rio Torrido, im Nordwesten von unserm Lager am Pic Maunoir, liegt. Da erscheint es doch gerathener, den geraden Weg dahin einzuschlagen und nicht über die Sierra Parima einen Umweg zu wählen.

– Ganz recht, stimmte Jean ihm zu. Ich halte es für nutzlos, uns unnöthige Anstrengungen zuzumuthen, und es ist gewiß besser, in gerader Linie nach der Mission von Santa-Juana zu ziehen.

– Ja, wie denn? fragte der Sergeant Martial.

– Wie wir es gethan hätten... hätten thun müssen, wenn wir bis nach der Sierra Parima gekommen wären.

– Zu Fuß?

– Natürlich zu Fuß, erklärte Jacques Helloch. In diesem menschenverlornen Landstriche giebt es keinen Sitio, keinen Rancho, wo wir uns Pferde verschaffen könnten.

– Und unser Gepäck, fragte Germain Paterne... das müßten wir also an Bord der Piroguen zurücklassen?

– Ja freilich, antwortete Jacques Helloch, das kann ja ohne Bedenken geschehen. Warum sollten wir uns mit umfänglichen Gepäckstücken belasten?

– Hm! machte Germain Paterne, der mehr an seine Naturaliensammlungen als an seine Hemden und Strümpfe dachte.

– Wer weiß übrigens, warf Jean ein, ob unsre Nachsuchungen uns nicht noch über Santa-Juana hinausführen.

– In diesem Falle, erwiderte Jacques Helloch, und wenn wir in der Mission nicht Alles, was wir brauchen, finden, würden wir unser Gepäck nachkommen[314] lassen müssen. Hier an dieser Stelle werden die Piroguen unsre Rückkehr abzuwarten haben. Parchal und Valdez, oder wenigstens einer von Beiden, werden sie mit der Schiffsmannschaft bewachen. Die Mission liegt nicht so weit von hier, daß ein Mann zu Pferde die Strecke nicht in vierundzwanzig Stunden zurücklegen könnte, und jedenfalls wird der Verkehr mit Santa-Juana nicht allzu schwierig sein.

– Ihre Ansicht, Herr Helloch, fuhr Jean fort, geht also dahin, nur das Unentbehrlichste für eine drei- bis viertägige Wanderung mitzunehmen.

– Ganz recht, lieber Jean, das ist das Einzige, was wir thun können, und ich würde sogar vorschlagen, sofort aufzubrechen, wenn wir nicht erst noch das Lager an der Mündung des Rio Torrida einzurichten hätten. Vergessen wir nicht, daß wir hier unsre Piroguen wiederfinden müssen, wenn wir nach San-Fernando zurückkehren wollen.

– Mit meinem Oberst! rief der Sergeant Martial.

– Mit meinem Vater!« flüsterte Jean.

Ueber Jacques Helloch's Stirn war eine leichte Wolke des Zweifels gezogen. Er ahnte manche Schwierigkeiten und fürchtete manche Hindernisse, ehe das Ziel wirklich erreicht werden würde. Und würde man dann in Santa-Juana wohl zuverlässige Mittheilungen erhalten, die es erlaubten, die Spuren des Oberst von Kermor weiter zu verfolgen?

Jedenfalls hütete er sich, seine Gefährten irgendwie zu entmuthigen. Die Umstände hatten es ihm auferlegt, zuzustimmen, daß er die Reise bis zum Ende mit ausführte, und er gedachte vor keiner Gefahr zurückzuweichen. Gleichsam zum Führer des kleinen Zuges geworden, dessen Erfolg noch in so unbestimmter Ferne lag, fühlte er sich auch verpflichtet, dessen Leitung zu übernehmen, und er wollte nichts versäumen, diese Pflicht zu erfüllen.

Die Abfahrt wurde bis zum nächsten Tage verschoben und man ging daran, die Gegenstände auszuwählen, die bei einer drei bis vier Tagemärsche langen Wanderung durch die Urwälder der Sierra unentbehrlich erschienen.

Auf seinen eignen Vorschlag hin wurden Valdez und zwei seiner Leute bestimmt, die Reisenden bis zur Mission zu begleiten. Parchal und die übrige, sechzehn Köpfe zählende Mannschaft sollten am Lagerplatze bleiben und die Piroguen überwachen. Wer konnte aber wissen, ob es nicht mehrere Monate dauern würde, ehe deren Passagiere zurückkehren konnten! Dann neigte sich die trockne Jahreszeit ihrem Ende zu und die Schifffahrt wurde wieder möglich.[315] Doch das kam ja erst in Betracht, wenn es sich wirklich um die Rückreise handelte.

Gewiß konnte man schmerzlich bedauern, daß diese Gegend am obern Orinoco so völlig menschenleer war. Wie vortheilhaft wäre es gewesen, bei Indianerfamilien etwa nöthige Erkundigungen einziehen zu können. Sie hätten jedenfalls über den einzuhaltenden Weg, über die Mission von Santa-Juana und deren genaue Lage im Nordosten des Flusses werthvolle Auskunft gegeben.

Jacques Helloch hätte dabei wohl auch erfahren, ob Alfaniz mit seiner Quivasbande in der Umgebung des rechten Ufers aufgetaucht wäre, denn wenn Jorres sich ihr hatte anschließen können, hauste sie unzweifelhaft in dem benachbarten Gebiete.

Ueberdies hätte man gewiß einen jener Indianer als Führer durch den dichten Wald anwerben können, der nur unbestimmte Pfade, die von vorübertrabenden Raubthieren oder von Indianern herrühren mochten, erkennen ließ.

Als Helloch gegen Valdez den Wunsch aussprach, daß er hier gern auf Indianer stieße, unterbrach ihn dieser mit den Worten:

»Möglicherweise treffen wir ein bis zwei Büchsenschuß weit vom Lager auf einzelne Hütten von Guaharibos.

– Haben Sie Gründe, das zu glauben?

– Wenigstens einen, Herr Helloch, denn als ich am Waldessaume, etwa zweihundert Schritt vom Ufer, entlang ging, hab' ich Asche von einer Feuerstätte gefunden.

– Erloschen gefunden?...

– Ja, doch die Asche war noch warm.

– Möchten Sie sich nicht getäuscht haben, Valdez! Doch wenn es Guaharibos hier in der Nähe giebt, warum sollten sie nicht neugierig auf die Piroguen zugelaufen sein?

– Zugelaufen, Herr Helloch!... Nehmen Sie lieber an, sie wären spornstreichs entflohen.

– Ja, warum denn? Wär' es für sie nicht ein glücklicher Zufall gewesen, mit Reisenden in Verkehr zu treten, wo sie mit ihnen hätten nützliche Tauschgeschäfte machen können?

– Es sind Memmen, die armen Kerle! Ihre erste Sorge wäre es nur gewesen, sich im Walde zu verstecken und erst wieder hervorzukommen, wenn sie glaubten, das ohne jede Gefahr wagen zu können.

[316] – Nun gut, Valdez, wenn sie selbst auch entflohen sind, haben doch ihre Strohhütten nicht die Flucht ergriffen, und vielleicht entdecken wir eine solche tiefer im Walde.

– Darüber ist leicht Gewißheit zu erhalten, meinte Valdez, wenn wir nur bis zwei- oder dreihundert Schritt vom Waldessaume aus eindringen. Die Indianer pflegen sich nie sehr fern vom Flusse zu halten. Giebt es in der Umgebung überhaupt einen Sitio oder eine Einzelhütte, so werden wir keine halbe Stunde zu gehen haben, um darüber aufgeklärt zu werden.

– Dann, Valdez, ziehen wir also auf Entdeckung aus. Da der Ausflug aber doch längere Zeit in Anspruch nehmen könnte, wollen wir erst frühstücken; nachher geht's fort.«

Unter Leitung der beiden Schiffer wurde das Lager schnell eingerichtet. Obgleich größere Vorräthe an Salzfleisch, Conserven, Maniocmehl u. dgl. vorhanden waren, beschloß man doch, diesen Proviant für die spätere Rückreise aufzubewahren, um dann nicht vielleicht völlig entblößt zu sein. Valdez und seine beiden Leute beluden sich mit einigen Säcken. Traf man Indianer in der Nachbarschaft, so sollten diese mit zu Hilfe genommen werden, und die Lockspeise einiger Piaster würde sie leicht zu Trägern und zu Führern machen.

Uebrigens mußte auch die Jagd Jacques Helloch und seinen Reisegefährten, ebenso wie den im Lager am Pic Maunoir zurückbleibenden Mannschaften, mehr als das Nothwendige liefern. Wir wissen, daß die Ernährungsfrage nie von besondrer Bedeutung war, wenn man so wildreiche Landstriche bereiste. Schon der Saum des Waldes lieferte dafür einen Beweis.

Hier flatterten Wildenten, Hoccos und Pavas umher, hier sprangen Affen von einem Baum zum andern und trabten Bisam- und Wasserschweine hinter dem Gebüsch dahin, während das Wasser des Rio Torrida von Fischen geradezu wimmelte.

Während des Essens gab Jacques Helloch den Entschluß kund, den er in Uebereinstimmung mit Valdez gefaßt hatte. Beide wollten im Umkreis eines Kilometers zur Aufsuchung von Guaharibo-Indianern ausziehen, die hier in den Ilanos des obern Orinoco wohnen mochten.

»Ich möchte Sie so gern begleiten, rief Jean.

– Wenn ich Dir's erlaube, mein Herr Neffe! erklärte der Sergeant Martial. Ich bin aber der Ansicht, Du schonst Deine Beine für die Wanderung. Ruhe getrost diesen Tag noch aus... auf ärztliche Verordnung!«

[317] Ein so großes Vergnügen auch Jacques Helloch bei dem kurzen Ausfluge die Begleitung des jungen Mädchens gewährt hätte, mußte er sich doch sagen, daß der Sergeant Martial diesmal im Rechte war. Auf der Fußtour nach Santa-Juana standen der kleinen Gesellschaft noch genug Anstrengungen bevor, daß Jeanne von Kermor sich recht wohl eine vierundzwanzigstündige Ruhe gönnen konnte.

»Mein lieber Jean, sagte er, Ihr Onkel räth Ihnen gut. Der heutige Tag wird Ihnen alle Kräfte wiedergeben... Valdez und ich, wir sind genug...

– Eines Naturforschers benöthigt man nicht? fragte Germain Paterne.

– Man braucht doch keinen Naturforscher, um Eingeborne zu entdecken, erwiderte Jacques Helloch. Bleib nur hier, Germain, und botanisiere nach Herzenslust am Rande des Waldes oder längs des Ufers.

– Ich werde Ihnen dabei helfen, Herr Paterne, erbot sich Jean, und wenn's hier seltne Pflanzen giebt, werden wir eine gute Ernte einheimsen.«

Vor dem Aufbruch empfahl Jacques Helloch dem Schiffer Parchal dringend, die Reisevorbereitungen möglichst zu beschleunigen. Was Valdez und ihn anging, hofften sie, vor Ablauf von zwei Stunden zurück zu sein, und jedenfalls würden sie ihre Nachsuchung nicht über eine gewisse Entfernung hin ausdehnen.

Damit verließen sie, der eine das Gewehr auf der Schulter, der andre die Axt im Gürtel, ihre Gefährten und verschwanden, eine schräge Richtung einschlagend, hinter den ersten Bäumen.

Es war jetzt neun Uhr morgens. Die Sonne erfüllte den Wald mit feurigen Strahlen. Zum Glück überwölbte üppiges Laubwerk den Erdboden, was die Temperatur etwas erträglicher machte.

Sind im Gebiete des obern Orinoco die Berge nicht bis zum obersten Gipfel mit Bäumen bestanden wie die Cerros am Mittellaufe, so zeigen die Wälder sich dafür reich an üppig gedeihenden Arten, die dem jungfräulichen Boden entsprießen.

Der Wald der Sierra Parima schien ganz verlassen zu sein. Dennoch konnte Valdez an einigen von ihm beobachteten Zeichen, an niedergetretenem Grase, abgebrochenen Zweigen und noch ziemlich frischen Fußstapfen erkennen, daß sich Indianer auf der rechten Uferseite des Flusses befinden müßten.

Die Waldmasse – was wir hervorheben möchten – bestand zum größten Theile aus Baumarten, die selbst für die Eingebornen leicht verwerthbar waren. Da und dort standen Palmen abweichender, wenn nicht für die Augen [318] von Reisenden, die den Strom von Ciudad-Bolivar bis zum Pic Maunoir herausgefahren waren, ganz neuer Art, ferner Bananen, Chapparos, Cobigas, Flaschenkürbisbäume und Marinas, deren Rinde zur Herstellung indianischer Säcke dient.

An einzelnen Stellen bemerkte man auch jene Kuh-oder Milchbäume, die in der Nähe des Ufers nicht so häufig vorkommen, und Gruppen von Morichis oder Lebensbäumen, die im Delta des Orinoco so häufig sind – eine höchst werthvolle Pflanze, deren Fasern zu Fäden und Stricken verarbeitet werden, deren Mark eine stoffreiche Nahrung liefert und deren Saft nach vollendeter Gährung ein sehr heilsames Getränk darstellt.

Je weiter Jacques Helloch hier in den Wald eindrang, desto mehr erwachten in ihm die Begierden des Jägers. Wie leicht hätte er jetzt Wasserschweine, Faulthiere, Bisamschweine, eine Anzahl weißer, Venditas genannter Affen und mehrere Tapire erlegen können, die ihm in bequeme Schußweite kamen. Doch weder er noch Valdez hätte sich mit so viel Wild beladen können, und außerdem erschien es angezeigt, sich hier nicht durch den Knall einer Feuerwaffe zu verrathen. Man wußte ja nicht, von wem er gehört werden könnte und ob nicht gar Quivas hinter dem Dickicht umherschweiften. Jedenfalls wären die Guaharibos, wenn solche entflohen waren, dadurch nicht zum Wiederkommen verlockt worden.

Jacques Helloch und Valdez gingen also schweigsam nebeneinander weiter. Sie folgten dabei einer Art gewundenem, durch niedergetretenes Gras erkennbarem Flußpfade, ohne zu wissen, wohin er führte und ob er vielleicht nach der Sierra zu in einer Lichtung mündete.

Es war aber im Ganzen leicht zu sehen, daß die Wanderung durch den Wald nur langsam und mühevoll vor sich gehen würde und daß man auf Verzögerungen, Anstrengungen und öfteres Rasten rechnen müßte. Wären die Piroguen bis zu den Orinocoquellen hinauf gekommen, so hätte sich ihnen vielleicht im Gebiete der Parima ein weniger schwieriger Weg nach der Mission von Santa-Juana geboten.

Derlei Gedanken beschäftigten Jacques Helloch, während sich sein Begleiter nicht von dem Zwecke des Ausfluges, d. h. der Auffindung eines Sitio oder doch einer von Indianern bewohnten Hütte, wo er Unterstützung zu finden hoffte ablenken ließ. So rief denn auch, nach einstündiger Wanderung, der Schiffer der »Gallinetta« zuerst:

[319] »Eine Strohhütte!«

Jacques Helloch und er blieben stehen.

Hundert Schritte von ihnen erhob sich eine rundliche, einem großen Champignon ähnelnde Hütte von recht dürftigem Aussehen. Tief unter einer Palmengruppe verloren, reichte ihr konisches Dach fast bis zur Erde herab. Am untern Theile des Daches befand sich eine unregelmäßige Oeffnung, die durch keine Thür abgeschlossen war.

Jacques Helloch und Valdez begaben sich nach der Hütte und traten in deren Innenraum ein.

Er war leer.

In diesem Augenblicke hörten die Beiden aus ziemlicher Nähe und in nördlicher Richtung das Krachen eines Schusses.

8. Capitel
Achtes Capitel.
Der junge Indianer.

»Achtung!... Ein Schuß! rief Jacques Helloch.

– Und kaum dreihundert Schritt von hier, antwortete Valdez.

– Sollte ihn der Sergeant Martial abgefeuert haben, der nach unserm Fortgange vielleicht jagen gegangen wäre?

– Das glaub' ich kaum.

– Oder etwa der Indianer, dem die Hütte hier jedenfalls gehört, Valdez?

– Wir wollen uns zunächst überzeugen, ob sie bewohnt gewesen ist«, rieth der Schiffer der »Gallinetta«.

Beide gingen – sie waren bei dem Krachen des Schusses herausgetreten – in die Strohhütte wieder zurück.

Ihr Inneres war ebenso dürftig wie ihre äußere Erscheinung. Von Möbeln keine Spur. Tief hinten auf dem Erdboden eine Lagerstatt aus dürren Gräsern, die offenbar erst unlängst zusammengedrückt waren. Nahe dem Eingange einige [320] leere Flaschenkürbisse und der Rest eines Wasserschweins, das an einer Dachsparre hing. In einem Haufen zwei oder drei Dutzend in der Form Mandeln ähnlicher Gavillanüsse, eine handvoll Bachacosameisen und geröstete Comejens, die ein Hauptnahrungsmittel der Bravos-Indianer bilden.


Sie folgten dabei einer Art, durch niedergetretenes Gras erkennbarem Flußpfade. (S. 319.)

Endlich ein mäßig großer flacher Stein, der als Feuerherd diente und auf dem noch einige rauchende Zweige glimmten.

»Der Bewohner dieser Hütte, bemerkte Valdez, muß noch kurz vor unserm Eintreffen hier gewesen sein.

[321] – Und kann auch nicht fern sein, setzte Jacques Helloch hinzu, denn jedenfalls rührte der Schuß von ihm her.«

Valdez schüttelte den Kopf.

»Diese Indianer haben weder Flinten noch Pistolen. Ein Bogen, Pfeile, eine Sarbacane (Blaserohr), das ist Alles.

– Wir müssen uns aber doch über die Sache klar werden,« rief Jacques Helloch, der, von neuer Unruhe erfüllt, sich fragte, ob hier nicht doch die Quivasbande des gefährlichen Alfaniz umherschwärmte.

Von welchen Gefahren waren dann die am Pic Maunoir lagernden Passagiere bedroht! Und welch verderbliche Angriffe hatten sie zu befürchten, wenn sie, ohne Führer auf dem Wege nach Santa-Juana, durch dieses Waldgebiet zogen!

Ihre Waffen bereit haltend, traten Jacques Helloch und Valdez aus der Hütte hervor und schlugen, hinter Bäumen und Gebüschen immer möglichst versteckt, die Richtung ein, von der her sie den Schuß vernommen hatten.

Die von ihnen eben verlassene Hütte gehörte nicht einmal zu einem Sitio. In ihrer Umgebung war nichts von einer Bearbeitung des Bodens oder von Anpflanzungen zu sehen – keine Gemüse, keine Fruchtbäume, kein Weideplatz für Nutzthiere.

Jacques Helloch und Valdez drangen, aufmerksam lauschend und scharf umherspähend, langsam weiter vor. Ringsum hörten sie keinen andern Laut, als den Schrei von Hoccos und das Pfeifen im Geäst sich tummelnder Pavas oder das Rascheln der Zweige im Dickicht, durch das vielleicht ein Raubthier hinschlich.

Schon zwanzig Minuten gingen sie in dieser Art weiter und fragten sich jetzt, ob sie nicht nach der Hütte und von da nach dem Lager zurückkehren sollten, als ihnen aus geringer Entfernung ein leises Schluchzen zu Ohren drang.

Valdez deutete durch ein Zeichen an, sich niederzuducken, nicht um besser zu hören, sondern um nicht eher gesehen zu werden, als bis der rechte Augenblick zum Hervortreten gekommen wäre.

Hinter einem Busche von Zwergflaschenkürbissen lag eine Waldblöße, die von grellem Sonnenschein beleuchtet war.

Als Valdez die Zweige des Busches etwas auseinander schob, konnte er die Lichtung in ihrem ganzen Umfange übersehen und bemerkte dabei, daß das Schluchzen von jener Seite her ertönte.

[322] Jacques Helloch, der neben ihm kauernd immer den Finger am Abzug des Gewehres hatte, blickte auch zwischen den Zweigen hindurch.

»Da... sieh da!« sagte endlich Valdez.

So viele Vorsicht, wie Beide beachtet hatten, war, wenigstens in diesem Augenblicke, nicht nöthig gewesen. Am andern Ende der Lichtung und am Fuße einer Palme sah man nur zwei menschliche Gestalten.

Die eine, die eines Mannes, lag regungslos, wie eingeschlafen oder vielmehr, als ob sie hier der Tod ereilt hätte, auf der Erde hingestreckt.

Die andre, die eines halben Kindes, kniete daneben, hob den Kopf des Mannes in die Höhe und ließ jenes Schluchzen vernehmen, dessen Veranlassung nun erkennbar wurde.

Hier lag keine Gefahr vor, sich den beiden Indianern, denn solche waren es, zu nähern, vielmehr erschien es eine Menschenpflicht, ihnen womöglich Hilfe zu bringen.

Sie gehörten nicht zu den – seßhaften oder umherschweifenden – Bravos, denen man in den Gebieten des obern Orinoco begegnet. Valdez erkannte ihren Typus vielmehr als den der Banivas, zu denen er selbst zählte.

Der eine, der, der kein Lebenszeichen von sich gab, schien ein Mann von etwa fünfzig, der andre ein Knabe von ungefähr dreizehn Jahren zu sein.

Jacques Helloch und Valdez gingen um den Busch herum und zeigten sich in einer Entfernung von viel leicht zehn Schritten.

Sobald er die beiden Fremdlinge gewahr wurde, sprang der junge Indianer auf die Füße. Auf seinen Zügen malte sich der Schrecken... einen Augenblick zögerte er noch, dann, als er zum letztenmale den Kopf des am Fuße des Stammes liegenden Mannes erhoben hatte, entfloh er, ohne daß die beruhigenden Zeichen des Schiffers Valdez ihn zurückhielten.

Beide liefen nun auf den Mann zu, beugten sich über ihn, richteten ihn auf, lauschten auf seine Athmung und legten ihm die Hand auf die Herzgegend.

Das Herz schlug nicht mehr; kein Athemzug kam über die blutleeren Lippen.

Der Indianer war todt... todt seit kaum einer Viertelstunde. Sein Körper war noch nicht erkaltet und zeigte noch keine Leichenstarre. Unter seinem mit Blut befleckten Guayuco erkannte man, daß eine Kugel seine Brust in der Höhe der Lungen durchbohrt hatte.

Valdez suchte auf dem Boden umher und fand richtig ein Geschoß zwischen dem gerötheten Grase.

[323] Es war eine Revolverkugel von sechsundeinhalb Millimeter Kaliber.

»Das Kaliber der Revolver, die an Bord der »Gallinetta« sind, bemerkte Jacques Helloch, denn die auf der »Moriche« haben ein Kaliber von acht Millimetern. Was bedeutet das? Was sollen wir beginnen?«

Seine Gedanken richteten sich sofort auf Jorres.

»Wir wollen zuerst versuchen, den Knaben zurückzuholen, fuhr er fort. Er allein kann uns mittheilen, was hier vorgegangen ist, unter welchen Umständen der Indianer erschossen wurde, und vielleicht auch, wer dessen Mörder war.

– Ganz recht, antwortete Valdez, doch wo sollen wir ihn finden, da er aus Angst entflohen ist?

– Sollte er nicht nach der Hütte gelaufen sein?

– Das ist nicht grade wahrscheinlich.«

Es war das gewiß nicht wahrscheinlich, und thatsächlich auch nicht der Fall.

Der junge Indianer hatte sich nur etwa hundert Schritte weit zur Linken von der Waldblöße entfernt. Hinter einem Baume verborgen, beobachtete er von dort aus die beiden Fremden. Als er sich überzeugt hatte, daß von ihnen nichts zu fürchten sei, und sah, wie sie sich um den Indianer bemühten, wagte er einige Schritte vorwärts, um sich den Männern zu nähern.

Valdez bemerkte ihn und erhob sich – da schien das Kind aber aufs neue flüchten zu wollen.

»Reden Sie doch den Knaben an, Valdez,« sagte Jacques Helloch.

Der Schiffer der »Gallinetta« ließ einige Worte in der Indianersprache fallen, um den Knaben zu rufen. Nachdem er ihn dadurch weiter beruhigt hatte, verlangte er, jener solle zu ihnen kommen. Er bat ihn sogar, bei der Wegschaffung des Indianers von hier nach der Hütte behilflich zu sein.

Das Kind schien sich nicht ohne ängstliches Zögern zu entscheiden. Dem Ausdruck des Schreckens, der auf seinem Gesichte lag, folgte der des lebhaften Schmerzes, und wieder begann der Knabe kummervoll zu schluchzen.

Nur langsamen Schrittes kam er heran, und als er den todten Körper erreicht hatte, warf er sich unter strömenden Thränen über ihn hin.

Der junge, sanftmüthig aussehende, von Natur recht kräftig gebaute Indianer schien durch Entbehrungen und Elend abgemagert zu sein. Das war wohl auch kein Wunder bei den Umständen, unter denen er inmitten des menschenleeren Urwalds und in jener Hütte wahrscheinlich allein mit dem hier am Boden liegenden älteren Indianer gelebt hatte. Auf der Brust trug er eines der [324] kleinen Kreuze, die die katholischen Missionäre an die Proselyten der Missionen auszutheilen pflegten. Er schien geweckten Geistes, denn als Jacques Helloch sich in spanischer Sprache an Valdez wendete, sagte er gleich, daß er diese Sprache auch verstände.

Nun stellte man einige Fragen an ihn.

»Wie heißt Du?

– Gomo.

– Wer ist der Indianer hier?

– Mein Vater.

– Der Aermste! rief Jacques Helloch. Es war sein Vater, der getödtet wurde!«

Und da der Knabe weinte, ergriff er seine Hand, zog ihn an sich und sachte ihn durch Liebkosungen zu trösten.

Jetzt fragte Valdez weiter:

»Wer hat Deinen Vater erschossen?

– Ein fremder Mann... Er war mitten in der Nacht gekommen und in unsre Hütte eingedrungen.

– In die Hütte, die da hinter uns liegt? fuhr Valdez fort, indem er mit der Hand in der betreffenden Richtung hinwies.

– Ja... hier in der Nähe giebt es keine andre.

– Woher kam wohl jener Mann?

– Das weiß ich nicht.

– War es ein Indianer?

– Nein, ein Spanier.

– Ein Spanier! rief Jacques Helloch.

– Ja, wir verstanden ihn vollkommen, als er uns ansprach, versicherte Gomo.

– Und was wollte er von Euch?

– Er wollte wissen, ob schon Quivas in den Wäldern der Parima eingetroffen wären.

– Welche Quivas? erkundigte sich Valdez ebenso lebhaft, wie es sein Begleiter nur hätte thun können.

– Die Quivas, deren Anführer Alfaniz ist, erklärte Gomo.

– Die Bande des entsprungenen Sträflings!«

Sofort setzte Jacques Helloch noch hinzu:

[325] »Sind sie denn hier schon aufgetaucht?

– Das weiß ich nicht, antwortete das Kind.

– Du hast auch nicht davon reden hören, daß sie sich in der Umgebung gezeigt hätten?

– Nein.

-Du hast sie aber schon gesehen... früher einmal?

– Ja... ja!«

Und die Augen des jungen Indianers, dessen Züge wieder Schrecken und Angst ausdrückten, füllten sich aufs neue mit Thränen.

Auf weitere eindringliche Fragen, die Valdez an ihn richtete, erzählte er, daß jene Quivas mit ihrem Anführer das Dorf San-Salvador im Norden der Parima, wo er damals mit seinen Angehörigen wohnte, überfallen und alle Bewohner desselben hingeschlachtet hätten, daß seine Mutter dabei getödtet worden, während es seinem Vater und ihm noch gelungen wäre, sich zu retten. Dann wären sie hierher in den Wald geflohen und hätten jene Hütte errichtet, worin sie seit etwa zehn Monaten gelebt hätten.

Ueber das Vorkommen von Quivas im Lande konnte Gomo keinerlei Auskunft geben. Sein Vater und er hatten nichts davon gehört, daß ihr Eintreffen in der Umgebung des Orinoco gemeldet worden wäre.

»Und der Spanier, der des Nachts in Deine Hütte kam, hat von Euch wohl etwas über sie erfahren wollen? fuhr Valdez fort.

– Ja... er wurde sehr wüthend, weil wir ihm nichts darüber sagen konnten.

– Ist er dann bei Euch geblieben?

– Ja, bis zum nächsten Morgen.

– Nun und dann?...

– Dann hat er verlangt, mein Vater sollte ihm nach der Seite der Sierra hin als Führer dienen.

– Hat Dein Vater das gethan?

– Nein, er hat es abgeschlagen.

– Warum denn?

– Weil er fürchtete, dabei mit Quivas zusammenzutreffen.

– Und der Spanier?...

– Der ist, als es Tag geworden war und er sah, daß wir ihn nicht führen wollten, erst allein fortgegangen.

[326] – Und also noch einmal wiedergekommen?...

– Ja... ungefähr vier Stunden später.

– Vier Stunden später?... Aus welchem Grunde?

– Er hatte sich im Walde verirrt und konnte die Richtung nach der Sierra nicht finden. Diesmal bedrohte er uns mit dem Revolver und sagte, er würde uns tödten, wenn wir sein Verlangen nicht erfüllten.

– Da hat Dein Vater nachgegeben?

– Ja... mein Vater... mein armer Vater! schluchzte der arme Indianer. Der Spanier hatte ihn am Arme gepackt, zerrte ihn zur Hütte hinaus und zwang ihn, vor ihm herzugehen. Ich folgte Beiden nach. So ging es vielleicht eine Stunde lang weiter. Mein Vater, der den Mann nicht führen wollte, schlug Umwege ein, bei denen wir immer hier in der Nähe blieben. Ich sah das gleich, ich kenne ja den Wald. Der Spanier durchschaute es schließlich aber auch... er brauste auf, überhäufte meinen Vater mit Schimpfreden und drohte ihm nochmals. Da stürzte sich mein Vater, den jetzt der Zorn übermannte, auf den Spanier. Es kam zu einem nicht lange dauernden Ringen. Mein Vater war ohne Waffen und ich konnte ihm nicht helfen – plötzlich krachte ein Schuß und er brach zusammen, während der fremde Mann entfloh... Ich hob meinen Vater auf... aus seiner Brust rieselte das Blut hervor... er konnte schon nicht mehr sprechen... wollte noch nach der Hütte zurückkehren, doch vermochte er sich nur bis hierher zu schleppen, wo er gestorben ist.«

Voller kindlicher Liebe, die überhaupt die eingebornen Stämme am obern Orinoco auszeichnet, stürzte sich der Knabe weinend auf die Leiche des Indianers.

Die beiden Andern mußten ihn zu beruhigen und zu trösten suchen, indem sie ihm zu verstehen gaben, daß sie seinen Vater rächen würden. Der Mörder würde schon gefunden werden und sollte für sein Ver brechen die verdiente Strafe finden.

Bei diesen Worten schlug der junge Gomo die Augen wieder auf, und durch seine Thränen schimmerte das Feuer der Sehnsucht nach Rache.

Jacques Helloch stellte an ihn noch eine letzte Frage.


Auf seinen Zügen malte sich der Schrecken... (S. 323.)

»Du hast jenen Mann doch ordentlich gesehen? sagte er.

– Ja, ich habe ihn gesehen und werde sein Gesicht nimmermehr vergessen!«

– Kannst Du uns sagen, wie er gekleidet war?... Erinnerst Du Dich seiner Größe, der Farbe seines Haares... seiner Gesichtszüge?...

– Er trug Jacke und Beinkleider eines Seemannes.

[327] – Gut.

– Und war etwas größer als Sie, setzte Gomo mit einem Blick auf Valdez hinzu.

– Aha!

– Er hatte schwarzes Haar und auch sein Bart war ganz schwarz...

– Das ist Jorres! rief Jacques Helloch.

– Ohne Zweifel... das ist er!« bestätigte auch Valdez.

Beide machten nun Gomo den Vorschlag, ihnen zu folgen.

[328] [331]»Wohin denn? fragte der junge Baniva.

– Nach dem Flusse, hinunter an die Mündung des Rio Torrida, wo unsre Piroguen liegen.

– Piroguen? rief der Knabe verwundert.

– Ihr, Dein Vater und Du, Ihr wußtet wohl nichts davon, daß gestern Abend zwei Falcas dort eingetroffen waren?

– Nein. Wären wir aber von dem Spanier nicht in den Wald verschleppt worden, so hätten wir Sie wohl heute früh, wenn wir wie gewöhnlich fischen gingen, dort getroffen.


Jean zog ihn sogar an sich und überhäufte ihn mit Liebkosungen. (S. 332.)

– Nun also, mein Kind, ich frage Dich noch einmal, willst Du mit uns kommen? sagte Jacques Helloch freundlich.

– Sie versprechen mir aber, nach dem Mann zu suchen, der meinen Vater getödtet hat?...

– Ich verspreche Dir, daß der Tod Deines Vaters gesühnt werden soll...

– O... dann geh' ich mit Ihnen!

– So komm!«

Beide schlugen nun mit dem jungen Gomo den Weg nach dem Orinoco wieder ein.

Der todte Indianer sollte natürlich nicht den Zähnen der Raubthiere preisgegeben bleiben. Er gehörte dem Stamme der zum Christenthum bekehrten Banivas aus dem Dorfe San-Salvador an, dessen Bewohner durch die Bande der Quivas hingemetzelt worden waren.

Jaques Helloch hatte schon beschlossen, im Laufe des Nachmittags mit einigen Bootsleuten nach dem Schauplatze des Todtschlags zurückzukehren und dem erschossenen Indianer ein christliches Begräbniß zu bereiten.

Gomo geleitete seine neuen Freunde nun auf dem kürzesten Wege, und ohne die Strohhütte wieder zu berühren, gelangten alle Drei in einer halben Stunde nach dem Lagerplatze.

Jacques Helloch und Valdez waren übereingekommen, von Jorres hier nichts zu erwähnen. Es däuchte ihnen rathsamer, über die Beziehungen zu schweigen, die ohne jeden Zweifel zwischen Alfaniz und ihm bestanden, und jedenfalls war es unnütz, ihre Gefährten noch weiter zu beunruhigen.

In der That hatte sich ihre Lage arg verschlimmert durch die Thatsache, daß der Spanier Kenntniß von dem Verwandtschaftsbande hatte, das Jean [331] mit dem Oberst von Kermor verknüpfte. Das mußte durch ihn ja auch Alfaniz erfahren, und um seinem Hasse gegen den Oberst Genüge zu thun, würde der Schurke jedenfalls versuchen, sich dessen Kindes zu bemächtigen.

Einigermaßen beruhigend erschien es wenigstens vorläufig, daß sich bisher keine Quivas am Stromufer gezeigt hatten. Wäre die Verbrecherhorde in der Sierra Parima aufgetaucht, so hätten der Indianer und sein Sohn gewiß etwas davon gehört. Jacques Helloch wollte sich den Andern gegenüber also auf die Mittheilung beschränken, daß der Spanier nach seinem Verschwinden mit jenem Indianer, der sich geweigert hatte, ihm bis zur Mission von Santa-Juana als Führer zu dienen, in Streit gerathen sei, der mit einem Todtschlag geendet habe.

Diese Darstellung des Vorgangs wurde auch Gomo angedeutet, und der Knabe, dessen Augen verständnißinnig leuchteten, begriff, was man von ihm wollte. Er würde sicherlich gegen niemand von den Quivas oder von Alfaniz sprechen.

Welch erstauntes Gesicht machte aber der Sergeant Martial, ebenso wie Jean und Germain Paterne, als Jacques Helloch bei seinem Eintreffen im Lager Gomo vorstellte und dessen Geschichte in verabredeter Weise erzählte. Alle nahmen den jungen Indianer in herzlichster Weise auf; Jean zog ihn sogar an sich und überhäufte ihn mit Liebkosungen, als er hörte, daß das arme Kind nun ganz verlassen dastand. Es durfte nicht seinem Schicksal überlassen werden... nein... sie wollten, sie mußten sich seiner annehmen.

Gomos Erscheinen hier konnte fast als eine Botschaft von der Vorsehung betrachtet werden, denn auf die Frage Jeans, ob er die Mission von Santa-Juana kenne, antwortete der Knabe:

»O gewiß; ich bin mit meinem Vater ja so vielmals dort gewesen.

– Wirst Du uns denn dahin führen?

– Ja... herzlich gern! Sie sind nicht so wie der schlechte Mann... der uns als Führer haben wollte.«

Auf ein Zeichen von Valdez hütete sich Gomo weislich, noch mehr zu sagen.

Ueber den Urheber des an dem Indianer verübten Todtschlags konnte nach dem Bilde, das der Knabe von dem Mörder entworfen hatte, weder bei Jacques Helloch, noch bei Valdez der geringste Zweifel herrschen. Wäre das doch der Fall gewesen, so mußte er weichen, als es sich herausstellte, daß ein Revolver aus dem Deckhause der »Gallinetta« entwendet worden war.

[332] Es war der des Sergeanten Martial.

»Mein Revolver gestohlen, rief der alte Soldat wüthend, gestohlen von jenem Schandbuben, und hat auch noch dazu dienen müssen, den armen Indianer zu ermorden!... Ein Revolver, den mir mein Oberst geschenkt hatte!«

Der Kummer des Sergeanten Martial über diesen Verlust war mindestens ebenso groß wie sein Zorn. Wenn Jorres ihm je unter die Hände käme...

Gomo schien sehr gerührt von dem Wohlwollen, das man ihm entgegenbrachte. – Nach dem Frühstück beschäftigte man sich noch mit der Einrichtung des Lagers am Pic Maunoir, das die Bootsmannschaften der Falcas bewohnen und behüten sollten, und traf die letzten Vorbereitungen für die Reise der Passagiere mit Rücksicht auf eine Trennung, die... ja, wer weiß wie lange, dauern sollte.

Inzwischen hatte Gomo durch Jean erfahren, in welcher Absicht die Gesellschaft sich nach der Mission von Santa-Juana begeben wollte.

Da veränderten sich plötzlich seine Züge.

»Sie wollen Ihren Vater aufsuchen... sagte er.

Ja, mein Kind!

– O, Sie werden ihn wiedersehen, doch ich den meinigen niemals... niemals!«

Am Nachmittage verließen Jacques Helloch, Germain Paterne und die Schiffsleute der »Moriche« das Lager und begaben sich nach der Waldblöße.

Gomo begleitete sie dabei, und auch Jean hatte die Erlaubniß erhalten, ihnen zu folgen.

In einer halben Stunde war die Stelle erreicht, wo der Leichnam des Indianers am Fuße der Palme lag. Die Mannschaft, die sich mit Hacken und Schaufeln versehen hatte, hob eine Grube aus, die tief genug war, den Körper vor Raubthieren zu bewahren.

Hier wurde der Indianer begraben, nachdem Gomo, in Thränen ganz aufgelöst, seinen Vater zum letzten Male umarmt hatte. Nach Zufüllung der Grube kniete Jean an deren Rande neben dem Knaben, und beide vereinigten sich in einem innigen Gebete für den Todten.

Darauf ging es zum Lager zurück.

Jean fühlte sich durch den Weg nicht besonders ermüdet. Er »stellte seinen Mann« schon wieder recht gut, so daß es ihm auch für die längere Wanderung jedenfalls nicht an Kräften fehlen würde. Er versicherte das wenigstens Jacques Helloch und dem Sergeanten Martial mit den Worten:

[333] »O, ich habe die beste Hoffnung! Um meinetwillen braucht sich niemand zu beunruhigen!«

Als die Nacht hereinbrach, suchten die Passagiere zum letzten Male ihre Schlafstätten in den Deckhäusern auf, während die Mannschaften abwechselnd das Lager bewachten.

Für Gomo war an Bord der »Gallinetta« ein Ruheplatz zurecht gemacht worden. Das arme Kind fand aber kaum eine Stunde ruhigen Schlafes, da es immer und immer wieder weinend und schluchzend erwachte.

9. Capitel
Neuntes Capitel.
Durch die Sierra.

Vormittags um zehn Uhr brachen Jacques Helloch und seine Gefährten aus dem Lager am Pic Maunoir auf und ließen es unter der Hut Parchal's, dem man ja völlig vertrauen konnte.

Parchal hatte nun die Mannschaft der »Gallinetta« und die der »Moriche«, zusammen fünfzehn Leute, unter seinem Befehl. Zwei derselben, die das nöthigste Gepäck trugen, begleiteten die Reisenden. Wenn sich Parchal im Falle eines Angriffs, entweder durch Eingeborne oder bei einem Ueberfalle durch Alfaniz, nicht genügend vertheidigen könnte, sollte er das Lager aufgeben und so schnell wie möglich die Mission von Santa-Juana zu erreichen suchen.

Es war übrigens kaum zweifelhaft – und Jacques Helloch fühlte sich davon völlig überzeugt – daß die Mission in der Lage sein werde, sich der Quivas, die jetzt diesen Theil des Gebietes Venezuelas unsicher machten, mit Erfolg zu erwehren.

In dieser Hinsicht – er hatte sich mit Valdez darüber ausgesprochen – konnte er sich mit Recht sagen, daß die besseren Aussichten die schlechteren überwogen. Auf dem Wege durch die Waldmassen der Sierra Parima drohte die schlimmste Gefahr nur durch ein Zusammentreffen mit der Alfaniz'schen Räuberbande. Nach der Versicherung Gomos und nach dem, was dessen Vater [334] Jorres geantwortet hatte, war diese Rotte in der Nachbarschaft der Sierra bisher noch nicht aufgetaucht. Wenn er sich nach Norden zu wendete, wollte der Spanier zwar jedenfalls Alfaniz aufsuchen, dessen Bagnogenosse er gewesen sein mochte – eine Annahme, die ja viel Berechtigung zu haben schien. Doch wenn die Quivas nicht fern waren, war es die Mission ja auch nicht – höchstens fünfzig Kilometer. Die Zurücklegung von fünfundzwanzig Kilometern in vierundzwanzig Stunden angenommen, mußten Fußgänger binnen zwei, höchstens zweieinhalb Tagen jenes Ziel erreichen. Wenn die Gesellschaft also am 30. October vormittags aufgebrochen war, konnte man wohl glauben, daß sie, so lange schlechte Witterung keine Verzögerungen herbeiführte, am 1. November im Laufe des Nachmittags in Santa-Juana eintreffen würde.

Bei einigem Glück hoffte der kleine Trupp auch die Wanderung ohne ein gefahrdrohendes Zusammentreffen mit dem gefürchteten Raubgesindel zu vollenden.

Das »Detachement« bestand aus acht Personen. Jacques Helloch und Valdez marschierten an der Spitze, hinter ihnen Jean und Gomo in der von dem jungen Indianer bezeichneten Richtung hin. Hinter diesen kam Germain Paterne mit dem Sergeanten Martial und zum Schluß die beiden Leute von der »Gallinetta« mit dem auf das Nöthigste beschränkten Gepäck, das aus Decken für das Nachtlager, aus conserviertem Fleisch und einem genügenden Vorrath an Maniocmehl bestand, während sonst jeder seine Flasche mit Aguardiente oder Tafia selbst trug.

Inmitten des wildreichen Urwaldes hätte die Jagd gewiß hingereicht, die für die Reisenden erforderlichen Nahrungsmittel zu liefern. Dagegen hielt man es für richtiger, sich möglichst still zu verhalten und seine Gegenwart nicht durch Flintenschüsse zu verrathen. Ließen sich einzelne Wasser- oder Bisamschweine anders als mit Hilfe einer Kugel erlegen, so würden sie willkommen sein. Die Echos der Sierra sollten also keinen einzigen Gewehrschuß wiedergeben.

Selbstverständlich waren aber Jacques Helloch, der Sergeant Martial und Valdez mit ihren Gewehren nebst hinreichendem Schießbedarf und außerdem mit Revolvern und einer Art Jagdmesser ausgerüstet. Germain Paterne hatte ebenfalls seine Flinte mitgenommen, doch auch die Botanisiertrommel, von der er sich eben niemals trennte, nicht vergessen.

Die Witterung erwies sich für eine Fußreise recht geeignet, von drohendem Regen oder Gewitter zeigte sich keine Spur. Hoch hinziehende Wolken milderten[335] die Hitze der Sonnenstrahlen. Eine frische Brise wehte über die Baumwipfel und drang auch unter die Aeste hinunter, so daß viele dürre Blätter aufgewirbelt wurden. Der Erdboden stieg nach Nordosten zu mäßig an. War die Savanne nicht durch eine steilere Niederung unterbrochen, so konnten sich hier auch keine Sumpfstrecken finden, keine jener wasserdurchtränkten Esteros, die man sonst so häufig in den Niederungen der Ilanos antrifft.

Immerhin sollte es den Reisenden auf ihrer Wanderung an Wasser nicht fehlen.

Nach Aussage Gomos verlief der Rio Torrida von seiner Mündung am Orinoco aus in der Richtung nach Santa-Juana. Es war das ein nicht schiffbarer Gebirgsfluß, der, oft von riesigen Felsblöcken besäet, für Falcas und selbst für Curiares ganz unfahrbar gewesen wäre. In launenhaftem Zickzack schlängelte er sich durch den Wald, und die kleine Truppe folgte jetzt seinem rechten Ufer.

Unter Führung des jungen Indianers drang man – die verlassene Strohhütte blieb links vom Wege liegen – nach Nordosten vorwärts, um das Gebiet der Sierra schräg zu durchschneiden.

Das Fortkommen war nicht gerade bequem auf dem vielfach mit Buschwerk bestandenen Erdboden, der zuweilen von einer dicken Schicht abgestorbener Blätter und zuweilen von Aesten und Zweigen bedeckt war, die die ungestümen Windstöße der Chubascos immer gleich zu Hunderten abbrachen. Jacques Helloch bemühte sich übrigens nach Kräften, kleine Hindernisse zu entfernen, um die Kräfte des jungen Mädchens zu schonen. Wenn sie ihm dann darüber eine Bemerkung machte, erwiderte er:

»Jedenfalls müssen wir schnell vorwärts kommen, noch wichtiger ist es aber, in Folge von Ueberanstrengung nicht aufgehalten zu werden.

– Ich bin jetzt vollständig wiederhergestellt, Herr Helloch. Fürchten Sie nicht, daß ich der Anlaß zu einer Verzögerung würde.

– Und doch bitte ich Sie, mein lieber Jean, entgegnete er dann, lassen Sie mich für Sie jede Vorsorge treffen, die mir angezeigt erscheint. Im Gespräch mit Gomo hab' ich die Lage von Santa-Juana genau genug kennen gelernt, so daß ich die auf unsrer Wanderung täglich zurückzulegenden Strecken berechnen konnte. Ohne feindliche Begegnungen, wozu es, wie ich hoffe, nicht kommen wird, brauchen wir in je einem Tage nicht allzuweit zu marschieren. Wäre es dennoch der Fall, so könnten wir froh sein, unsre Kräfte vorher geschont zu [336] haben... vorzüglich die Ihrigen. Ich bedaure nur, daß es unmöglich ist, hier irgendwie Fuhrwerk zu beschaffen, das Ihnen eine immerhin beschwerliche Fußreise erspart hätte.

– O, ich danke Ihnen, Herr Helloch, antwortete Jeanne von Kermor, das ist das Einzige, womit ich Ihnen vorläufig Alles, was Sie für mich gethan haben, zu vergelten vermag.


Das Fortkommen war nicht gerade bequem... (S. 336)

Und wahrlich, wenn ich mir Alles vergegenwärtige, angesichts der Schwierigkeiten, die ich anfänglich, nicht sehen wollte, so frage ich mich, wie mein Sergeant und sein Neffe wohl hätten ihr Ziel erreichen[337] können, wenn Gott Sie nicht auf unsern Weg sandte! Und Sie... Sie sollten doch eigentlich nicht über San-Fernando hinausgehen...

– Meine Pflicht war es, zu gehen, wohin Fräulein von Kermor ging, und es liegt doch auf der Hand, daß es, als ich mich zu dieser Bereisung des Orinoco entschloß, nur geschah, um Ihnen unterwegs zu begegnen. Ja, ja, das stand einmal in den Sternen geschrieben, was aber da gleichfalls geschrieben steht, ist die Bedingung, daß Sie sich in Allem, was diese Reise nach der Mission angeht, auf mich verlassen...

– Das werd' ich thun, Herr Helloch, und welchem ergebeneren Freunde könnte ich mich wohl anvertrauen?« antwortete das junge Mädchen.

Zur Mittagsrast wurde am Rio Torrida Halt gemacht. Sein wirbelndes Wasser hätte man an dieser Stelle nicht überschreiten können, obwohl er hier kaum über fünfzig Fuß breit war. Wildenten und Pavas flatterten über ihn hin. Dem jungen Indianer gelang es, einige davon mit Pfeilen zu erlegen. Sie wurden für das Abendessen aufbewahrt, während man sich jetzt mit kaltem Fleisch und Cassavabrod begnügte.

Nach einstündigem Ausruhen setzte sich die kleine Truppe wieder in Bewegung. Der Erdboden stieg allmählich mehr an, die Dichtheit des Waldes schien sich damit aber nicht zu vermindern. Ueberall dieselben Bäume, dasselbe Unterholz, dieselben Gebüsche. Durch Verfolgung eines Weges am Torrida hin vermied man übrigens eine Menge Hindernisse im tieferen, von Ilaneraspalmen bestandenen Walde. Ohne Zweifel würde – von Zwischenfällen abgesehen – gegen Abend die von Jacques Helloch berechnete Mittelzahl von Kilometern zurückgelegt sein.

Das Unterholz war überall höchst belebt. Tausende von Vögeln tummelten sich kreischend oder piepend von Zweig zu Zweig. Im Laubwerk machten Affen ihre wunderlichen Sprünge, vorzüglich viele jener Heulassen, die sich am Tage still verhalten, gegen Abend und gegen Morgen aber ihr ohrzerreißendes Conzert anstimmen. Unter der geflügelten Thierwelt hatte Germain Paterne das Vergnügen, ganze Schaaren von Guacharos oder Teufelchen zu beobachten, deren Vorkommen ein Anzeichen dafür war, daß man sich mehr der Ostküste näherte. Aus ihrer Tagesruhe aufgescheucht – denn meist verlassen sie ihre Felsenhöhlen nur in der Nacht – entflohen sie nach den Gipfeln der Matacas, deren Beeren, die ebenso fieberwidrig wirken wie die Coloraditorinde, ihnen als Nahrung dienen.

[338] Auch noch andre Vögel bewegten sich unter den Zweigen umher, wahre Tanzmeister und Pirouettenkünstler, von denen die Männchen vor den Weibchen offenbar »die Galanten« spielten. Je weiter man nach Nordosten kam, desto seltener wurden die Wasservögel, denn diese, als Liebhaber der Bayous (einer Art kleiner Tümpel), entfernen sich nicht weit vom Orinoco.

Zuweilen bemerkte Germain Paterne auch einzelne, mittels einer zarten Liane an den Zweigen hängende Nester, die sich wie kleine Schaukeln bewegten. Aus den für Reptilien nicht erreichbaren Nestern, aus denen zuerst Töne erklangen, als wären sie voller Nachtigallen, denen man die Tonleiter zu singen gelehrt hätte, schwärmten zahlreiche Truplais, die besten Sänger des Luftmeers, hervor. Der Leser erinnert sich wohl, daß der Sergeant Martial und Jean einige solche schon gesehen hatten, als sie nach der Ausschiffung aus dem »Simon Bolivar« durch Caïcara lustwandelten.

Die Versuchung, mit der Hand eines jener Nester zu fassen, war für Germain Paterne zu stark, ihr widerstehen zu können, doch als er es eben thun wollte, rief Gomo:

»Achtung!... Nehmen Sie sich in Acht!«

In der That stürzte schon ein halbes Dutzend Truplais, ihm nach den Augen hackend, auf den kühnen Naturforscher zu. Valdez und der junge Indianer mußten noch herbeieilen, um seine Angreifer zu verscheuchen.

»Vorsicht, Vorsicht! empfahl ihm Jacques Helloch, hüte Dich, nicht als Einäugiger oder Blinder nach Europa zurückzukommen!«

Germain Paterne ließ sich das für die Folge auch gesagt sein.

Nicht weniger war es rathsam, unter dem Gebüsch zu wühlen, das am Ufer des Rios üppig wucherte. Das Wort Myriaden enthält keine Uebertreibung, wenn man es auf die Vertreter des Würmer- und Schlangengeschlechts anwendet, von denen es im Grase wimmelte. Sie sind ebenso zu fürchten wie die Kaimans im Wasser oder längs der Ufer des Orinoco. Wenn diese sich im heißen Sommer in noch feucht gebliebene Vertiefungen verkriechen und darin bis zur Regenzeit schlafen, bleiben die Schlangen unter der Decke von dürren Blättern stets munter. Sie sind immer »auf dem Anstand«, und es wurden auch mehrere gesehen darunter ein zwei Meter langer Trigonocephale, den Valdez zum Glück zeitig genug bemerkte und verjagen konnte.

Von Tigern, Bären, Oceloten oder andern Raubthieren zeigte sich in der Umgebung nichts. Sehr wahrscheinlich würde man ihre Stimme aber in der[339] Nacht zu hören bekommen und es daher nöthig sein, den Lagerplatz gut zu bewachen.

Bisher waren Jacques Helloch und seine Gefährten also jeder unliebsamen Begegnung mit gefährlichen Thieren oder räuberishcen Banden – die noch mehr zu fürchten waren als jene – glücklich entgangen. Ohne Jorres oder Alfaniz je erwähnt zu haben, hatten Jacques Helloch und Valdez freilich niemals die sorgsamste Aufmerksamkeit außer Acht gelassen. Recht häufig entfernte sich der Schiffer der »Gallinetta«, der der kleinen Truppe vorausging, seitwärts zur Linken und streifte unter den Bäumen umher, um jede Ueberraschung zu verhüten oder jedem plötzlichen Angriff zuvorzukommen. Hatte er dann, obwohl er zuweilen mehr als einen halben Kilometer in den Wald hineingegangen war, nichts Verdächtiges bemerkt, so nahm Valdez seinen Platz neben Jacques Helloch wieder ein. Ein Blick, den Beide wechselten, genügte ihnen zur Verständigung.

Soweit es der schmale, neben dem Rio Torrida verlaufende Pfad gestattete, hielten sich die Reisenden immer möglichst dicht beieinander. Wiederholt wurde es jedoch nöthig, unter den Bäumen hinzumarschieren, um hohe Felsen oder tiefe Aushöhlungen zu umgehen. Der Fluß hielt längs der letzten Vorberge der Sierra Parima immer die Richtung nach Nordosten ein. Am andern Ufer erhob sich der Wald mehr etagenförmig und wurde da und dort von einer thurmhohen Palme überragt. Weit draußen ragte der Gipfel eines Berges empor, der mit dem orographischen System des Roraima zusammenhängen mußte.

Jean und Gomo gingen nebeneinander und längs des Ufers hin, das einen für zwei Personen grade noch genügend breiten Weg bot.

Ihr Gespräch bezog sich immer auf die Mission von Santa-Juana. Der junge Indianer erzählte sehr ausführlich viele Einzelheiten über die Gründung des Pater Esperante und über den glaubenseifrigen Pater selbst. Alles, was diesen Missionär betraf, war ja für Jean von höchstem Interesse.

»Du kennst ihn doch wohl? fragte er.

– Jawohl, ich kenne ihn und hab' ihn oft genug gesehen. Mein Vater und ich, wir haben uns ein ganzes Jahr in Santa-Juana aufgehalten.

– Vor längerer Zeit?...

– Nein, erst voriges Jahr vor der Regenzeit. Das war nach dem großen Unglück... unser Dorf San-Salvador hatten die Quivas ausgeplündert und zerstört. Damals flüchteten mit uns auch noch andre Indianer nach der Mission.

[340] – Und Ihr seid dort von dem Pater Esperante aufgenommen worden?

– Ja... ach, ein so guter Mann! Er wollte uns überhaupt dabehalten. Einige sind auch bei ihm geblieben...

– Und warum gingt Ihr dann fort?

– Mein Vater wollte es so. Wir sind Banivas. Er sehnte sich danach, wieder nach den Gebieten unsers Stromes zu kommen. Er hatte als Ruderer auf dem Strome gedient. Ich verstand auch schon mit einer kleinen Pagaie umzugehen. Bereits mit vier Jahren hab' ich mit ihm gerudert.«

Was der Knabe sagte, konnte Jacques und seine Gefährten nicht verwundern. Aus dem Bericht des französischen Reisenden kannten sie die Lebensgewohnheiten der Banivas, dieser besten Bootsleute, die schon seit Jahren zum Katholicismus bekehrt sind und zu den begabtesten und achtbarsten Indianerstämmen gehören. In Folge besonderer Verhältnisse – und weil Gomos Mutter von einer Sippe im Osten herstammte – hatte sich sein Vater im Dorfe San-Salvador, oberhalb der Quellen des Stromes, angesiedelt. Als er den Beschluß faßte, Santa-Juana zu verlassen, gehorchte er einem innern Triebe, der ihn bestimmte, nach den Ilanos zwischen San-Fernando und Caïcara zurückzukehren. Hier wartete er nun auf Arbeitsgelegenheit, auf das Eintreffen von Piroguen, worauf er hätte einen Platz finden können, und inzwischen bewohnte er die dürftige Hütte in der Sierra Parima.

Was wäre wohl nach dem von Jorres verübten Todtschlage aus seinem Kinde geworden, wenn die Falcas nicht genöthigt wurden, an der Stelle des Lagers am Pic Maunoir Halt zu machen!

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten Jeanne von Kermor, während sie den Worten des jungen Indianers lauschte. Dann brachte sie das Gespräch auf Santa-Juana, auf den heutigen Zustand der Mission und vorzüglich auf den Pater Esperante. Gomo gab auf alle Fragen eine klare, bestimmte Antwort. Er beschrieb den spanischen Missionär als einen großen, trotz seiner sechzig Jahre kraftstrotzenden Mann – »ein schöner, schöner Mann«, wiederholte er mehrmals – mit weißem Bart und wie von Feuer leuchtenden Augen, ganz wie ihn Herr Manuel Assomption und der elende Jorres geschildert hatten. In einer Geistesverfassung, die sie jeden Wunsch als verwirklicht betrachten ließ, sah sich Jeanne schon in Santa-Juana angelangt... der Pater Esperante empfing sie mit offenen Armen... gab ihr nach allen Seiten die nöthige Auskunft... er sagte ihr, was aus dem Oberst von Kermor nach dessen letztem Auftauchen [341] geworden wäre – sie wußte endlich, wo er nach seinem Weggange von Santa-Juana Zuflucht gesucht hätte...

Um sechs Uhr abends ließ Jacques Helloch, nach glücklich überwundener zweiter Wegstrecke, Halt machen.

Die Indianer gingen sofort daran, ein Lager für die Nacht vorzubereiten. Der Ort schien dafür günstig. Eine tiefe, in das steile Ufer einschneidende Ausbuchtung bildete bis zum Flußrande ein wirkliches Tonnengewölbe. Ueber den Eingang zu dieser Höhle hingen die Zweige großer Bäume gleich einem Vorhange herab, der auf die Felswand herniederfiel. Im Innern fand sich auch noch eine kleine Nische, worin das junge Mädchen ruhen konnte. Eine dicke Schicht trocknen Grases und dürrer Blätter sollte ihr als Lagerstatt dienen, auf der sie aber so gut wie im Deckhause der »Gallinetta« schlummern konnte.

Natürlich wehrte es Jean ab, daß man sich für ihn solche Mühe machen wollte. Jacques Helloch wollte jedoch auf keine Einwendungen hören und rief die Autorität des Sergeanten Martial an – da mußte der Neffe ja dem Onkel Gehorsam leisten.

Germain Paterne und Valdez richteten die Abendmahlzeit her. Der Rio enthielt Fische in erstaunlicher Menge. Gomo tödtete einige davon auf Indianerart mit Pfeilen, und diese wurden dann bei mäßigem Feuer, das neben dem Felsen entzündet wurde, schmackhaft geröstet. Mit den Conserven und dem Cassavabrod aus den Säcken der Träger, erkannten die Tischgenossen, die nach fünfstündigem Marsche freilich ein reger Appetit unterstützte, gern an, daß sie noch nie eine so köstliche Mahlzeit verzehrt hätten seit...

»Seit der letzten!« erklärte Germain Paterne, dem jedes Essen vortrefflich mundete, wenn es nur den Hunger stillte.

Nachdem es finster geworden war, sachte Jeder für sich ein geeignetes Ruheplätzchen, während Jean sich hatte in seiner Nische niederlegen müssen. Der junge Indianer streckte sich dicht vor dem Eingang aus. Da das Lager nicht ohne Ueberwachung bleiben konnte, entschied man sich dahin, daß Valdez im ersten Theile der Nacht mit einem seiner Leute munter bleiben sollte, bis ihn Jacques Helloch für den zweiten Theil derselben ablöste.

Es erschien ja dringend angezeigt, sowohl auf der bewaldeten Seite am Rio, als auch auf dessen andern Ufer jede verdächtige Annäherung rechtzeitig zu entdecken.

[342] Obwohl der Sergeant Martial auch seinen Antheil am Nachtdienste beansprucht hatte, mußte er sich doch darein fügen, bis zum Morgen ungestört auszuruhen. Für die nächste Nacht wollte man sein Anerbieten, ebenso wie das Germain Paterne's, gern annehmen. Heute würden Valdez und Jacques Helloch, wenn sie einander ablösten, schon genügen. Der alte Soldat sachte sich also einen Platz dicht an der Höhlenwand und möglichst nahe dem jungen Mädchen aus.

Das Gebrüll der Raubthiere und das Geschrei der Heulaffen begann wirklich, sobald es finster geworden war, und sollte vor den ersten Strahlen des Morgenroths auch nicht aufhören. Die beste Maßregel, um die Raubthiere vom Lager fern zu halten, bestand ja darin, ein loderndes Feuer anzuzünden und es die Nacht über zu unterhalten. Das war wohl Allen bekannt, und doch kam man zu dem Entschlusse, davon abzusehen. Wenn die leuchtenden Flammen auch die Thiere des Waldes verscheucht hätten, so konnten sie andrerseits Raubgesindel anlocken – vielleicht die Quivas, wenn diese jetzt in der Umgebung hausten, und es kam doch gerade darauf an, von diesen Mordgesellen unentdeckt zu bleiben.

Außer Valdez, der nahe dem Ufer Platz genommen hatte, und dem Manne, der mit ihm wachte, war das ganze Lager bald in tiefen Schlaf versunken.

Um Mitternacht traten Jacques Helloch und der zweite Träger an ihre Stelle.

Valdez hatte etwas Verdächtiges weder gesehen noch gehört. Etwas zu hören, wäre freilich bei dem Rauschen des Rios, dessen Wasser sich an den Felsblöcken in seinem Bette brach, außerordentlich schwer gewesen.

Jacques Helloch nöthigte Valdez, sich nun erst einige Stunden Ruhe zu gönnen, und nahm am Uferrande seinen Platz ein.

Von hier aus konnte er nicht nur den Saum des Waldes, sondern auch das linke Ufer des Torrida im Auge behalten.

So lehnte er sinnend am Fuße einer mächtigen Palme, doch weder seine Gedanken, noch die Empfindungen, die sich in seinem Herzen regten, vermochten ihn zu verhindern, stets strenge Wacht zu halten.

War er das Opfer einer Sinnestäuschung? Gegen vier Uhr morgens, als am Horizont der erste bleiche Tagesschimmer heraufstieg, wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich durch eine gewisse Bewegung am entgegengesetzten Ufer, das weniger steil abfiel, seltsam erregt. Es kam ihm vor, als ob unerkennbare Gestalten dort zwischen den Bäumen umherschlichen. Waren das Thiere... waren [343] es Menschen? Er erhob sich, kroch vorsichtig ganz nach dem Uferrande hin, dem er sich bis auf zwei Meter nähern konnte, und blieb nun, scharf auslugend, still liegen.

Etwas Bestimmtes konnte er auch von hier aus nicht wahrnehmen. Nur daß eine gewisse Unruhe am Rande des Waldes auf der andern Seite herrschte, glaubte er mit Gewißheit zu bemerken.

Sollte er jetzt Alarm schlagen oder wenigstens Valdez wecken, der nur wenige Schritte von ihm schlummerte?

Er hielt das letztere schließlich für das Beste und rüttelte den Indianer also sanft an der Schulter.

»Schweigt still, Valdez, raunte er ihm mit gedämpfter Stimme zu; seht dort nach dem andern Ufer hinüber!«

Valdez, der noch lang ausgestreckt auf der Erde lag, brauchte nur den Kopf nach der angedeuteten Richtung hin zu wenden. Eine Minute lang durchforschte er mit dem Blicke den freieren dunkeln Raum unter den Bäumen.

»Ich täusche mich nicht, sagte er endlich, dort schleichen drei bis vier Männer längs des Ufers umher.

– Was sollen wir da thun?

– Jedenfalls niemand wecken... an dieser Stelle ist es unmöglich, den Fluß zu überschreiten... und wenn sich nicht weiter oben eine Furt findet...

– Doch auf der andern Seite, unterbrach ihn Jacques Helloch nach dem Wald hinweisend, der sich in nordöstlicher Richtung fortsetzte.

– Dort hab' ich nichts gesehen und sehe auch jetzt nichts, erklärte Valdez, der sich umgedreht hatte, ohne aufzustehen. Vielleicht handelt es sich drüben nur um wenige Bravos-Indianer...

– Was sollten diese aber in der Nacht hier am Ufer zu suchen haben?... Nein, nein, meiner Ansicht nach ist unser Lager aufgespürt worden, und da, sehen Sie, Valdez, dort versucht einer der Männer bis zum Rio selbst hinunter zu klettern.

– Wahrhaftig, murmelte Valdez, das ist auch kein Indianer... man erkennt es schon aus seinem Gang!«

Die ersten Lichtstrahlen, die vorher nur die entfernten Gipfel am Horizont getroffen hatten, drangen jetzt bis zum Bett des Torrida herein. Valdez konnte den Mann, den er am andern Ufer gesehen hatte, also mit Bestimmtheit erkennen.

[344] »Das ist einer von den Quivas, die Alfaniz an führt... sagte Jacques Helloch.


Germain Paterne und Valdez richteten die Abendmahlzeit her. (S. 342.)

Sie allein haben Interesse daran, auszukundschaften, ob wir von allen Mannschaften der Piroguen begleitet werden oder nicht.

– Das erstere wäre freilich besser gewesen, meinte der Schiffer der »Gallinetta«.

– Gewiß, Valdez, leider können wir nicht Verstärkung vom Orinoco herholen. Nein, sind wir einmal entdeckt, so können wir keinen Mann mehr nach dem Lager entsenden. Wir würden doch angegriffen, ehe die Hilfe einträfe.«

[345] Da faßte Valdez lebhaft den Arm Jacques Helloch's, der sofort schwieg. Die Ufer des Torrida lagen jetzt in etwas hellerer Beleuchtung, während die Ausbuchtung, in deren Hintergrund Jean, Gomo, der Sergeant Martial, Germain Paterne und der zweite Träger schliefen, noch ziemlich in Dunkel gehüllt war.

»Ich glaube... begann da Valdez... ja, ich kann es erkennen... meine Augen sind gut... sie können mich nicht täuschen... ich erkenne den Mann dort... das ist der Spanier...

– Jorres!...

– Gewiß... er selbst.

– Nun, es soll niemand sagen, daß ich den elenden Schuft habe entkommen lassen!«

Jacques Helloch hatte bereits das neben ihm am Felsen lehnende Gewehr ergriffen und hob es rasch zur Schulter empor...

»Nein... nein...! wehrte ihm Valdez. Da wäre doch nur einer weniger, und unter den Bäumen verstecken sich vielleicht Hunderte. Uebrigens können sie jetzt unmöglich über den Rio kommen.

– Hier nicht, doch vielleicht weiter oben... Wer weiß das?«

Jacques Helloch fügte sich indeß dem Rathe, den Valdez ihm ertheilte, umsomehr, als der Schiffer der »Gallinetta« bisher immer das Richtige getroffen und überhaupt die merkwürdige Schlauheit und kluge Vorsicht der Banivas gezeigt hatte.

Jorres übrigens – wenn er es wirklich war – hätte sich bei dem Versuche, das Lager genauer in Augenschein zu nehmen, ja der Gefahr ausgesetzt, selbst sicher erkannt zu werden. So zog er sich denn unter die Bäume in dem Augenblicke zurück, wo der nahe dem Torrida stehende Bootsmann einige Schritte vorwärts ging, als ob er etwas Auffälliges bemerkt hätte.

Weder Jorres, noch irgend ein Andrer wurden am entgegengesetzten Ufer nochmals sichtbar. Nichts bewegte sich am Rande des Waldes, der nach und nach heller beleuchtet wurde.

Bei dem zunehmenden Tageslichte hatte der Spanier – immer vorausgesetzt, daß sich Valdez nicht geirrt hatte – wahrscheinlich erkennen können, daß nur zwei von den Mannschaften die Passagiere der Piroguen begleiteten, so daß er die Ueberzeugung gewann, daß die kleine Truppe ihm auf jeden Fall nicht gewachsen war. Wie sollte nun die Wanderung unter so unzureichender Sicherheit fortgesetzt werden? Die Gesellschaft war entdeckt... war ausspioniert [346] worden. Jorres hatte Jacques Helloch und seine Begleiter auf dem Wege nach der Mission Santa-Juana angetroffen und würde ihre Spur jetzt nicht wieder verlieren.

Das erzeugte schwere Bedenken, noch ernster war es jedoch zu nehmen, daß der Spanier jedenfalls wieder zu der Quivasbande gestoßen war, die hier in der Umgebung unter der Führung des Sträflings Alfaniz hauste.

10. Capitel
Zehntes Capitel.
Die Furt von Frascaes.

Um fünf Uhr wurde es im Lager wieder munter.

Der erste, der sich erhob, war Jean. Er ging schon am Ufer des Rios auf und ab, als der Sergeant Martial, Germain Paterne und der junge Indianer, in Decken eingehüllt und das Gesicht mit dem Hute bedeckt, noch ruhig schliefen.

Der Bootsmann, der seinen Posten am Uferrande hatte, machte Jacques Helloch und Valdez, auf die er eben zuging, Mittheilung von dem, was er in der Zeit seines Wachdienstes wahrgenommen hatte, und bestätigte dabei übrigens die Aussage des Schiffers Valdez. Auch er glaubte in dem Manne, der am andern Ufer des Rio Torrida umhergeschlichen war, mit Bestimmtheit Jorres erkannt zu haben.

Zunächst empfahl Jacques Helloch beiden Männern, von ihren Wahrnehmungen nichts verlauten zu lassen, da es ihm mindestens nutzlos erschien, die Gefahren der durch diese Begegnung verschlimmerten Sachlage vorher zu verkünden. Seiner Ansicht nach würde es genügen, daß diese den Uebrigen bekannt würde, wenn es sich erst nöthig machte, geeignete Maßregeln zur Sicherung der Reisegesellschaft zu treffen.

Nach reiflicher Erwägung des Für und Wider wurde beschlossen, daß die Truppe den Marsch nach der Mission von Santa-Juana fortsetzen sollte.

[347] Wenn Alfaniz nämlich sich in der Nachbarschaft umhertrieb, wenn auf Jacques Helloch und seine Gefährten ein Angriff geplant war, so würde ein solcher ja wahrscheinlich ebenso erfolgen, wenn sie vorwärts gingen, als wenn sie sich zurückwendeten.

Bei einer Umkehr nach dem Orinoco wären sie freilich durch den Rio Torrida gedeckt gewesen, da dieser nur stromaufwärts eine Ueberschreitung gestattete. Auf der andern Seite würde jedoch auch die Quivas nichts hindern, bis zum Lagerplatz am Pic Maunoir hinunterzuziehen, und es war zu befürchten, daß man sich der Rotte auch mit Hilfe der Piroguenmannschaften nicht werde erwehren können.

Dagegen bot es einige Vortheile auf Santa-Juana zuzuwandern. Zunächst blieb man dabei ja auch unter dem Schutze des Rios – vorausgesetzt, daß dieser nicht irgendwo überschreitbar war, und danach konnte man bei Gomo anfragen. Ferner näherte man sich damit dem jetzigen Ziele, ja man erreichte es vielleicht, und in der Mission von Santa-Juana war dann nichts mehr zu fürchten. Diese hatte eine Bevölkerung von mehreren Hundert Guaharibos, jener Indianer, aus denen die Aufopferung eines Missionärs erst Menschen gemacht hatte. Santa-Juana bot jedenfalls eine gegen alle Unternehmungen des verruchten Alfaniz völlig gesicherte Zuflucht.

Es galt also, die Mission schnellstens und um jeden Preis zu erreichen und sich demnach anzustrengen, um unter Verdoppelung der Marschetappen noch vor der nächsten Nacht dahin zu gelangen. Fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer mußten doch in einem Tage zurückgelegt werden können.

Jacques Helloch begab sich nach dem Lagerplatze, um den sofortigen Aufbruch vorzubereiten.

»Die da unten schlafen noch alle, Herr Helloch, sagte das junge Mädchen, das jetzt auf ihn zutrat.

– Und Sie, Fräulein Jeanne, sind die erste, die wach ist! antwortete Jacques Helloch. Ich werde aber die Andern sogleich wecken, damit wir bald wieder aufbrechen können.

– Sie haben nichts Verdächtiges bemerkt?

– Nein... nichts... gar nichts... doch lassen Sie uns weiter wandern. Ich habe ausgerechnet, daß wir, bei Verzichtleistung auf längere Ruhepausen, wenn nicht heute Abend, so doch noch in der Nacht in Santa-Juana eintreffen können.

[348] – Ach, Herr Helloch, wie drängt es mich, erst in der Mission zu sein!

– Wo ist Gomo? fragte Jacques Helloch, ihre Worte nicht weiter beachtend.

– Dort unten... nahe dem Eingang zur Höhle. Er schläft so friedlich, der arme Junge.

– Ich muß aber mit ihm sprechen; ich brauche einige Auskünfte, ehe wir fortgehen.

– Wollen Sie es mir überlassen, sie einzuholen?« erbot sich Jeanne von Kermor.

Fast gleichzeitig setzte sie aber hinzu:

»Sie scheinen diesen Morgen recht besorgt zu sein, Herr Helloch. Ist irgend etwas Schlimmes vorgefallen?

– Nein... ich versichere Ihnen... Fräulein Jeanne... nein!«

Das junge Mädchen wollte sich schon mit dieser Antwort nicht zufrieden geben, sie sagte sich aber, daß das Jacques wohl peinlich berühren könnte, so ging sie also nur zu Gomo und weckte ihn vorsichtig auf.

Der Sergeant Martial streckte eben ein paarmal die Arme, stieß einige laute Hms hervor und sprang dann schnell auf die Füße.

Bei Germain Paterne ging das nicht so ohne Umstände ab. In seine Decke eingewickelt, den Kopf auf die Botanisiertrommel – an Stelle eines Kissens – gelehnt, schlief er wie ein Murmelthier, das bekanntlich in dem Rufe steht, der Meisterschläfer der ganzen Schöpfung zu sein.

Inzwischen ließ Valdez die Säcke wieder zubinden, nachdem er ihnen die vom Abend vorher für den heutigen Morgenimbiß zurückgestellten Reste entnommen hatte. Als der junge Indianer munter geworden war, ging er mit Jean sogleich zu Jacques Helloch, der mit vor sich aufgeschlagener Karte neben einem flachen Felsblock stand. Die Karte zeigte die Gebiete zwischen der Sierra Parima und dem Gebirgsstock des Roraima, durch die sich der Rio hinwand.

Gomo konnte lesen und schreiben und war daher im Stande, über die betreffende Gegend genaue Auskunft zu geben.

»Du hast doch wohl gelegentlich Karten gesehen, die ein Stück Erde mit Land und Meer, mit Bergen und Flüssen darstellen? fragte ihn Jacques Helloch.

– Ei freilich! erwiderte er. In der Schule in Santa-Juana haben wir solche gar häufig gesehen.

[349] – Nun, so sieh Dir einmal diese hier recht aufmerksam an. Der große Strom, der darauf einen Halbkreis bildet, ist der Orinoco, den Du ja kennst.

– Den ich nicht nur kenne, sondern auch liebe!

– Ja, Du bist ein braves Kind... Du liebst Deinen schönen Strom!... Siehst Du auch hier, nahe seinem Ende, diesen mächtigen Berg?... Daraus kommen seine Quellen hervor.

– Die Sierra Parima, Herr Helloch, ja, das weiß ich... dort sind die Raudals, die ich mit meinem Vater oft genug hinauf und hinab gefahren bin.

– Richtig... zum Beispiel das Raudal von Salvaju.

– Und dann... hier ragt ein Pic empor...

– Der Pic Lesseps...

– Täusche Dich aber nicht; so weit sind wir mit unsern Piroguen nicht hinausgekommen.

– O nein... so weit nicht.

– Warum stellen Sie an Gomo alle diese Fragen, Herr Helloch? fragte jetzt Jeanne.

– Ich möchte über den Verlauf des Rio Torrida aufgeklärt sein, und vielleicht kann mir in dieser Beziehung Gomo die nöthige Auskunft geben....«

Das junge Mädchen warf einen fragenden Blick auf Jacques Helloch, der davor den Kopf senkte, jedoch sogleich in seiner Rede fortfuhr.

»Nun, Gomo, sieh, hier ist die Stelle, wo wir unsre Piroguen zurückgelassen haben... hier, das ist der Wald, worin Deines Vaters Hütte stand... und hier ist die Mündung des Rio Torrida...

– Da... da... sagte der junge Indianer, indem er die Fingerspitze auf die Karte setzte.

– Ganz recht... genau da, Gomo. Doch jetzt pass' auf; ich werde dem Laufe des Rio in der Richtung nach Santa-Juana folgen, und Du machst mich aufmerksam, wenn ich dabei einen Fehler begehe.«

Jacques Helloch ließ nun, schräg nach Nordosten zu und indem er dem Fuße der Sierra Parima gegen fünfzig Kilometer weit nachging, den Finger über die Landkarte gleiten. Darauf zeichnete er mit Bleistift ein Kreuz ein und sagte:

»Hier muß die Mission doch liegen?...

– Ja wohl... eben da.

– Und der Rio Torrida fließt von dieser Stelle aus herunter?

[350] – Ja... ganz wie es hier angegeben ist.

– Kommt er nicht eigentlich von weiter oben her?

– Gewiß, von weiter oben; wir sind zuweilen bis da hinauf gekommen.

– Santa-Juana liegt demnach an seinem linken Ufer?

– Wie Sie sagen.

– Dann werden wir also den Rio noch überschreiten müssen, da wir uns jetzt auf dessen rechten Ufer befinden.

– Das wird nöthig sein... es geht aber ganz leicht.

– Wie denn?

– Ja... etwas weiter stromauf ist eine Uebergangsstelle mit großen Steinen im Flußbett, über die man bei niedrigem Wasser bequem gehen kann... eine Furt, die die Furt von Frascaes genannt wird.

– Du kennst die Stelle?

– Ja, Herr Helloch; und ehe die Sonne im Mittag steht, werden wir sie erreicht haben.«

Die Antworten des jungen Indianers lauteten bezüglich der Uebergangsstelle so bestimmt, weil er selbst wiederholt ebenda den Fluß überschritten hatte.

Seine Aufschlüsse waren freilich dazu angethan, Jacques Helloch recht ernsthaft zu beunruhigen. Gestattete es die Furt von Frascaes seiner Gesellschaft, über den Fluß nach dem linken Ufer zu gelangen, so konnten auch die Quivas nach dem rechten Ufer herüberkommen. Jacques Helloch und seine Gefährten sollten also nicht bis zur Höhe der Mission den natürlichen Schutz durch den Rio genießen.

Die Verhältnisse verschlimmerten sich hierdurch nicht wenig. Dennoch war das kein Grund zur Umkehr, da die Möglichkeit eines Ueberfalles damit auch nicht abgewendet gewesen wäre. Erst in Santa-Juana befand sich die kleine Truppe in Sicherheit... in Santa-Juana mußte sie vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden ankommen.

»Und Du meinst, fragte Jacques Helloch zum Schluß, daß wir die Furt von Frascaes schon gegen Mittag erreichen könnten?

– Gewiß... wenn wir sofort aufbrechen!«

Die Strecke, die das Lager von der Furt trennte, mochte etwa ein Dutzend Kilometer betragen, und da einmal beschlossen war, einen beschleunigten Schritt in der Hoffnung einzuschlagen, noch diese Nacht am Ziele zu sein, konnte es nicht schwer sein, die Furt vor der ersten kurzen Rast zu überschreiten.

[351] Jetzt hieß es also: Unverzüglich vorwärts! Alles war bereit; die Säcke auf den Schultern der beiden Bootsleute, die Decken zusammengerollt auf dem


»Da... da..« sagte der junge Indianer. (S. 350.)

Rücken der Reisenden, die Botanisiertrommel Germain Paterne's am Riemen und die Waffen schußfertig.

»Sie denken, Herr Helloch, fragte der Sergeant Martial, daß es möglich sein wird, in zehn bis zwölf Stunden nach Santa-Juana zu gelangen?

– Das glaub' ich, wenn Sie die Beine, die nachher ausruhen können jetzt ordentlich rühren.


Valdez wurde unter einer Gruppe laut kreischender Quivas sichtbar. (S. 362.)

[352] [355]– O, an mir soll's nicht fehlen, Herr Helloch. Doch wird er es im Stande sein... er... Jean?

– Ihr Neffe, Sergeant Martial? fiel Germain Paterne ein. Ach, ich bitte Sie, der überholt uns im Wettlaufe! Man sieht es ja, daß er eine gute Schule genossen hat! Sie haben ihm Soldatenbeine gemacht, und er hat einen Turnerschritt!«

Bisher wußte Gomo noch nicht, welches Band einer – angeblichen – Verwandtschaft den Sohn des Oberst von Kermor mit dem Sergeanten Martial verknüpfte. Jetzt sah er den letztere scharf an.

»Sie sind sein Onkel?

– Nun ja... so ein wenig, Kleiner!

– Also der Bruder seines Vaters?

– Sein leibhaftiger Bruder, und daher kommt es auch, daß Jean mein Neffe ist, begreifst Du das?«

Der Knabe neigte den Kopf, als Zeichen, daß er ihn verstanden habe.

Das Wetter war recht trübe. Tief unten zogen, von einem Nordostwinde getrieben, regendrohende Wolken über den Himmel. Unter dem grauen Schleier verschwand der Gipfel der Sierra Parima vollständig und auch nach Süden hin war die Spitze des Pic Maunoir durch die Bäume nicht mehr zu sehen.

Jacques Helloch warf einen unruhigen Blick nach der Seite des Horizontes, von der der Wind herkam. Nach den ersten Strahlen beim Aufgang der Sonne hatte sich der Himmel schnell mit sich ansammelnden Dunstmassen überzogen, die beim Aufsteigen nur noch dichter wurden. Kam es jetzt zu einem jener heftigen Regengüsse, die so häufig die südlichen Savannen überfluthen, so mußte das Fortkommen der kleinen Gesellschaft verlangsamt werden und es wurde dann schwierig, Santa-Juana vor dem nächsten Tage zu erreichen.

Die kleine Truppe folgte nun wieder dem Pfade zwischen dem Rio und dem Rande des undurchdringlichen Waldes, wobei die gestrige Reihenfolge – mit dem Schiffer Valdez und Jacques Helloch an der Spitze – eingehalten wurde. Beide hatten zum letzten Male das gegenüberliegende Ufer betrachtet. Es war gänzlich verlassen, verlassen auch die Baumdickichte, die sich nach links hin ausdehnten. Kein lebendes Wesen war zu sehen, außer der lauten Welt der Vögel, deren Gesang die aufsteigende Sonne – unter Begleitung der gräßlichen Heulaffen – begrüßte. Alle klammerten sich an die Hoffnung, gegen Mitternacht die Mission zu erreichen, was freilich nur durch einen beschleunigten Marsch [355] – der höchstens zu Mittag von einer kurzen Rast unterbrochen wurde – möglich war. Es hieß also tüchtig ausschreiten, und jeder that das auch ohne Murren. Bei dem von Dünsten verschleierten Himmel erreichte die Wärme keine belästigend hohen Grade, und das war ein Glück, da das Ufer von keinem Baum beschattet wurde. Von Zeit zu Zeit drehte sich Jacques Helloch, den eine innere Unruhe verzehrte, einmal um und sagte:

»Wir gehen doch nicht zu schnell für Sie, lieber Jean?

– O nein, Herr Helloch, nein, erhielt er dann zur Antwort. Aengstigen Sie sich nicht um mich und auch nicht um meinen Freund Gomo, der die Füße eines Hirsches zu haben scheint.

– Herr Jean, erklärte dazu Gomo, wenn es nöthig wäre, könnte ich noch vor heut' Abend in Santa-Juana sein.

– Alle Wetter... was Du für ein Schnellläufer bist!« rief Germain Paterne, der keine solche Schnelligkeit entwickeln konnte und zuweilen hinter den Andern zurückblieb.

Jacques Helloch nahm darauf freilich keine besondre Rücksicht, sondern rief und trieb ihn fortwährend an:

»Vorwärts, Germain, Du kommst ins Hintertreffen!«

Dann erwiderte der andre:

»O, eine Stunde mehr oder weniger, das macht uns doch nichts aus!

– Weißt Du das so bestimmt?«

Da das Germain Paterne aber nicht wußte, mußte er wohl oder übel gehorchen und that denn das auch nach Kräften.

Einen Augenblick lang hatte sich Jacques Helloch mit der letzten Antwort des jungen Indianers beschäftigt: »vor dem Abend – hatte Gomo behauptet – könnte ich noch in Santa-Juana sein«.

Gomo verpflichtete sich also, binnen sechs bis sieben Stunden die Mission von Santa-Juana zu erreichen. War das nicht ein Umstand, aus dem Vortheil zu ziehen wäre?...

Unterwegs machte Jacques Helloch auch Valdez Mittheilung von dieser Antwort.

»Ja, in sechs bis sieben Stunden, sagte er, könnte der Pater Esperante unterrichtet sein, daß unsre kleine Gesellschaft auf dem Wege nach Santa-Juana ist. Er würde gewiß nicht zögern, uns Verstärkung entgegen zu schicken. Vielleicht käme er gar selbst...

[356] – Höchst wahrscheinlich, meinte Valdez; doch wenn wir dieses Kind gehen lassen, berauben wir uns des einzigen Führers, und den, glaub' ich, können wir nicht entbehren, da er allein das Land hier kennt.

– Sie haben Recht, Valdez, Gomo ist uns nothwendig, und vorzüglich, wenn wir an die Furt von Frascaes kommen.

– Da werden wir gegen Mittag sein; haben wir dann die Furt hinter uns, so werden wir ja sehen...

– Ja wohl, da wird sich's ja zeigen, Valdez. Vielleicht droht uns Gefahr gerade an jener Uebergangsstelle.«

Wer hätte sagen können, ob Jacques Helloch und seine Gefährten nicht schon, bevor sie diese erreich ten, von Gefahren bedroht würden? Nachdem Jorres das Lager am rechten Ufer des Rio Torrida ausgespäht hatte, konnte er da nicht mit der Alfaniz'schen Bande am linken Ufer des Flusses hinausgezogen sein? Da die Quivas einen Vorsprung von mehreren Stunden hatten, war es ja möglich, daß sie die Furt von Frascaes bereits überschritten hatten. Jetzt zogen sie vielleicht am rechten Ufer des Flusses hinunter, um die kleine Truppe zu überfallen. Eine solche Annahme war ja nicht auszuschließen. Als sich jedoch Valdez um neun Uhr einige Schritte weiter vorgewagt hatte, konnte er bei seiner Rückkehr zu den Uebrigen versichern, daß der Weg frei zu sein scheine. Auch am jenseitigen Ufer verrieth nichts die Anwesenheit der Quivas.

Jacques Helloch wollte nun an der jetzt erreichten Stelle Halt machen, nachdem er Gomo gefragt hatte:

»Wie weit sind wir wohl noch von der Furt entfernt?

– Etwa zwei Wegstunden, antwortete der junge Indianer, der Entfernungen nicht anders als nach der Zeit, in der sie zurückgelegt werden konnten, zu schätzen gewohnt war.

– So wollen wir ein wenig ruhen, rief Jacques Helloch, und schnell etwas von unserm Mundvorrath frühstücken. Ein Feuer anzuzünden ist ja nicht nöthig.«

In der That wäre man damit Gefahr gelaufen, seine Gegenwart zu verrathen... eine Rücksicht, deren Grund Jacques Helloch für sich behielt.

»Nur schnell, liebe Freunde, schnell, wiederholte er, nur eine Viertelstunde Rast!«

Das junge Mädchen durchschaute ihn recht gut. Jacques Helloch war von einer Unruhe gepeinigt, deren Ursache sie allerdings nicht kannte. Wohl hatte[357] sie davon reden hören, daß in der Gegend jetzt Quivas hausen sollten, auch wußte sie ja, daß Jorres verschwunden war; sie konnte aber nicht ahnen, daß der Spanier, wenn er an Bord der »Gallinetta« den Orinoco mit ihnen hinauffuhr, dies nur gethan hatte, um zu Alfaniz zu stoßen, ebensowenig daß zwischen dem aus Cayenne entwichenen Sträfling und ihm von langer Zeit her nähere Beziehungen bestanden. Mehr als einmal war sie nahe daran, zu sagen:

»Was bedrückt Sie denn eigentlich, Herr Helloch?«

Sie unterließ jedoch eine solche Frage, da sie sich auf die Intelligenz Jacques Helloch's, auf seinen Muth und seine Ergebenheit ebenso verließ, wie es auch gewiß sein Wunsch war, recht bald ans Ziel zu gelangen. Die kalte Mahlzeit wurde schnell beendet. Germain Paterne, der sie gern verlängert gesehen hätte, machte gute Miene zum bösen Spiel – es blieb ihm ja kein andrer Ausweg übrig. Ein Viertel auf zehn Uhr wurden die Säcke wieder geschlossen und aufgenommen, und nochmals ging es in der frühern Ordnung weiter.

Wenn der Wald sich am rechten Ufer des Rio Torrida ohne Unterbrechung fortsetzte, so bot das linke Ufer jetzt einen davon sehr abweichenden Anblick. Die Bäume standen dort nur noch in einzelnen über die Ilanos verstreuten Gruppen zusammen, und zwischen ihnen sproßte üppiges Gras, womit die Abhänge der Sierra überhaupt bis zum Gipfel bedeckt waren.

Das jenseitige Ufer hatte sich dagegen so gesenkt, daß es fast im gleichen Niveau mit dem Rio verlief. Hier war es also möglich, eine große Strecke der von keinem Baumvorhang verhüllten Savanne zu überblicken. Während man die Sierra anfänglich im Nordosten gehabt hatte, lag diese seit dem gestrigen Abend fast im Süden.

Jacques Helloch und Valdez behielten das andre Ufer unausgesetzt scharf im Auge, ohne deshalb das zu vernachlässigen, auf dem sie selbst hinzogen.

Noch immer war nichts Verdächtiges zu sehen.

Vielleicht hatten sich die Quivas an der Furt von Frascaes in den Hinterhalt gelegt?...

Gegen ein Uhr mittags wies Gomo nach einer wenige hundert Schritt entfernten Biegung des Rio hin, der sich da mehr nach Osten wandte und unter nackten Felsmassen verschwand.

»Dort ist es, sagte er.

– Dort?« wiederholte Jacques Helloch, der den Uebrigen ein Zeichen gab, stehen zu bleiben.

[358] Er selbst ging etwas weiter vorwärts, um den Lauf des Rio Torrida übersehen zu können, und überzeugte sich, daß sein Bett an dieser Stelle von Steinen und Sandflächen halb angefüllt war, zwischen denen sich nur dünne, leicht zu überschreitende Wasserfäden hinzogen.

»Wollen Sie, daß ich vorausgehe und die Furt an beiden Ufern besichtige? fragte Valdez.

– Ja, thun Sie das, Valdez, doch wagen Sie sich aus Vorsicht nicht bis zum andern Ufer hinüber und kommen sogleich zurück, wenn Sie den Weg frei gefunden haben.«

Valdez ging sofort und war schon nach wenigen Minuten bei der Biegung des Torrida verschwunden.

Jacques Helloch, Jean, der Sergeant Martial, Gomo und die Träger blieben in dicht geschlossener Gruppe nahe dem Ufer stehen. Germain Paterne hatte sich niedergesetzt.

So sehr er sich sonst zu beherrschen verstand, konnte Jacques Helloch seine trüben Ahnungen jetzt doch nicht verbergen.

Da fragte Gomo:

»Warum gehen wir nicht weiter?

– Ja, warum? setzte Jean hinzu. Und warum ist Valdez jetzt vorausgegangen?«

Jacques Helloch gab keine Antwort. Er entfernte sich selbst von der Gruppe und ging einige Schritte nach dem Rio zu, um das andre Ufer genauer sehen zu können.

Fünf Minuten verstrichen... solche Minuten, die einem wie ebensoviele Stunden erscheinen.


»Dort ist es,« sagte der junge Indianer. (S. 358.)

Jeanne war zu Jacques Helloch gegangen.

»Warum kommt denn Valdez nicht zurück? fragte sie, indem sie in seinen Augen zu lesen versuchte.

– Er kann ja nicht mehr lange ausbleiben,« begnügte sich Jacques Helloch zu antworten.

Fünf Minuten, noch weitere fünf Minuten vergingen... niemand sprach ein Wort.

Valdez hätte nun zum Hin- und Rückwege gewiß Zeit genug gehabt, und doch erschien er nicht wieder.

Man hatte keinen Hilferuf vernommen, überhaupt nichts, was einen hätte erschrecken können.

[359] Jacques Helloch gelang es, die Andern sich noch einmal fünf Minuten gedulden zu lassen. Gewiß bot es ja nicht mehr Gefahr, bis zur Furt von Frascaes zu gehen, als hier auf der Stelle zu verweilen oder ganz wieder umzukehren. Sollte die kleine Gesellschaft angegriffen werden, so war das stromaufwärts ebenso wie stromabwärts zu befürchten.

»Weiter, weiter!« sagte endlich Jacques Helloch.

Er setzte sich an die Spitze und seine Gefährten folgten ihm, ohne noch eine Frage an ihn zu richten. So gingen sie gegen dreihundert Schritt weit [360] am steilen Ufer hin und gelangten damit an die Biegung des Rio Torrida wo sie nach der Furt von Frascaes hinuntersteigen sollten.

Fünf Schritte vor den Uebrigen ließ sich der junge Indianer hinabgleiten und betrat schon die ersten, vom Wasser benetzten Steine.


»Pater Esperante!...« rief der junge Indianer. (S. 373.)

Da erhob sich plötzlich ein entsetzliches Geschrei auf dem linken Ufer, nach dem Jacques Helloch und seine Gefährten eben hinübergehen wollten.

Etwa hundert Quivas liefen von allen Seiten herbei und stürzten sich, die Waffen schwingend und drohende Rufe ausstoßend, auf die Furt zu.

[361] Jacques Helloch fand gar nicht die Zeit, sich durch Gewehrschüsse zu vertheidigen, und was hätte auch seine Flinte, sowie die Germain Paterne's und des Sergeanten Martial, was hätten die Revolver der Bootsleute gegen hundert bewaffnete Feinde, die die Furt besetzt hielten und sie sperrten, auch auszurichten vermocht?

Urplötzlich von dem Raubgesindel umringt, gab es für Jacques Helloch und seine Gefährten gar keine Möglichkeit, diesen Angriff abzuwehren.

Im nämlichen Augenblick wurde Valdez unter einer Gruppe laut kreischender Quivas sichtbar.

»Valdez! rief ihm Jacques Helloch zu.

– Die Schurken haben mich in einer Vertiefung des Bodens gefangen, antwortete der Führer der »Gallinetta«.

– Mit wem haben wir's eigentlich zu thun? fragte Germain Paterne.

– Mit der Rotte der Quivas, erwiderte Valdez.

– Und mit ihrem Anführer!« setzte eine drohende Stimme hinzu.

Dicht am Ufer stand jetzt ein Mann und neben ihm drei Individuen, die offenbar keinem Indianerstamme angehörten.

»Jorres! entfuhr es Jacques Helloch's Lippen.

– Nennt mich bei meinem richtigen Namen... Alfaniz!

– Alfaniz!« wiederholte der Sergeant Martial.

Vor Schreck erstarrt, richteten Jacques Helloch und Martial die Blicke unwillkürlich auf die Tochter des Oberst von Kermor.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Jorres war also Alfaniz, der mit noch drei Sträflingen, seinen jetzigen Spießgesellen, aus dem Bagno von Cayenne entsprungen war.

Seitdem er sich an Stelle ihres Häuptlings Meta Serrapia, der in einem Scharmützel mit der staatlichen Miliz gefallen war, an die Spitze der Quivas gesetzt hatte, zog der Spanier – seit etwa einem Jahre – mordend und plündernd durch die weite Savanne.

Fünf Monate vorher hatten die Quivas, wie früher erwähnt, beschlossen, nach den Gebieten im Westen des Orinoco zurückzukehren, von wo sie durch columbische Truppen vertrieben worden waren. Ehe sie jedoch das Bergland des Roraima verließen, wollte ihr neuer Führer noch einmal diese (die linke) Seite des Stromes absuchen. Er verließ zeitweilig die Bande, ging längs der Ilanos bis nach San-Fernando de Atabapo hinunter und kam dabei auch durch den[362] Rancho von Carida, wo Herr Manuel Assomption mit vollem Rechte behauptete, ihn schon damals gesehen zu haben. In San-Fernando wartete er grade auf eine Gelegenheit, nach den Quellen des Orinoco zurückzukehren, als die Piroguen »Gallinetta« und »Moriche« sich zur Abfahrt nach der Mission von Santa-Juana rüsteten.

Alfaniz – der gewöhnlich den Namen Jorres führte – bot unter dem Vorwande, sich ebenfalls nach der Mission begeben zu wollen, dem Schiffer der »Gallinetta«, der seine Mannschaft vervollständigen mußte, seine Dienste an, und wurde, wie wir wissen, angenommen – angenommen zum Unheil für die, die sich nach dem Oberlaufe des Stromes hinauswagen wollten.

Sobald sich Alfaniz dann mit den Quivas wieder vereinigt hatte, wollte er endlich der Rache, die er dem Oberst von Kermor geschworen hatte, Genüge leisten.

Er hatte ja gehört, daß der mit dem Sergeanten Martial auf der »Gallinetta« reisende junge Mann im Begriff stand, seinen Vater zu suchen, dessen Aussagen vor dem Criminalgerichtshofe der Untern Loire seine Verurtheilung zu lebenslanger Zwangsarbeit und seine Verschickung nach dem Bagno von Cayenne herbeigeführt hatten.

Jetzt oder niemals bot sich die unerwartete Gelegenheit, den jungen Mann und mit ihm vielleicht auch den Sergeanten Martial abzufangen, wenn es möglich war, sie auf dem Landwege nach der Mission zu überraschen – die Gelegenheit, an Stelle des Vaters wenigstens an dem Sohne Rache zu nehmen.

Das Weitere ist bekannt. Nachdem Alfaniz in der Nacht, die er am Sitio von Yaname auf dem Lande zubrachte, einen Genossen getroffen hatte, war er nach der Ankunft der Piroguen bei dem spätern Lager am Pic Maunoir entflohen.

Nach Ermordung des Vaters Gomos, weil dieser ihm nicht als Führer dienen wollte, war er dann am Rio Torrida hinauf und über die Furt von Frascaes gegangen und hatte die Bande der Quivas dort im Walde gefunden.

Jetzt, wo Jacques Helloch und dessen Gefährten in seiner Gewalt waren, gedachte sich der Elende auch der Piroguen an ihrem Halteplatz auf dem Orinoco zu bemächtigen.

Der Sohn oder vielmehr die Tochter des Oberst von Kermor war nun in seiner Hand.

[363]
11. Capitel
Elftes Capitel.
Die Mission von Santa-Juana.

Dreizehn Jahre vor dem Anfange dieser Erzählung gab es in der Gegend, die der Rio Torrida durchströmt, weder ein Dorf, noch einen Rancho oder Sitio. Kaum zogen dann und wann Indianer durch sie hin, wenn diese gezwungen waren, für ihre Herden neue Weideplätze zu suchen. Die ganze Gegend bestand nur aus ausgedehnten, zwar fruchtbaren, doch unangebauten Ilanos, fast undurchdringlichen Wäldern und sumpfigen Esteros, die im Winter durch die aus ihren Betten tretenden Wasseradern der Nachbarschaft immer frisch gefüllt wurden. Nur Raubthiere, Schlangen, Affen und mancherlei Vögel – die Insecten, vorzüglich die Muskitos, nicht zu vergessen – vertraten das Thierleben in diesen fast noch unbekannten Gebieten. Sie bildeten trotz ihrer reichen Pflanzenwelt thatsächlich eine Wüstenei, wohin niemals Händler oder Unternehmer aus der Republik Venezuela vordrangen.

Ging man einige hundert Kilometer in nördlicher und nordöstlicher Richtung hinauf, so verlor man sich schließlich in einem höchst merkwürdigen Gebietstheile, dessen höhere Stellen vielleicht mit dem Gebirgszuge der Anden zusammengehangen hatten, ehe einst deren große Bergseen sich durch ein weitverzweigtes Netz von Wasseradern in die Tiefen des Atlantischen Oceans entleerten. Es ist ein vielfach zerrissenes Land, wo sich Bergkämme kreuzen, wo manche Höhen dem Naturgesetz der Schwere zu spotten scheinen – ebenso wie ihre hydrographischen und orographischen Wunderlichkeiten – ein ungeheurer Raum und die unerschöpfliche Nährmutter des Orinoco, den er nach Norden entsendet, und des Rio Blanco, der nach Süden hin strömt, beherrscht von der himmelanstrebenden Bergmasse des Roraima, dessen jungfräulichen Gipfel Im Thurn und Perkin einige Jahre später zuerst erklimmen sollten.

So unausgebeutet, so verlassen war dieser weit entfernte Theil von Venezuela, als es ein Fremder, ein Missionär, unternahm, ihn wenigstens streckenweise umzugestalten.

Die auf diesem Gebiete zerstreut vorkommenden Indianer gehörten der großen Mehrzahl nach zum Stamme der Guaharibos. Gewohnheitsgemäß [364] durchstreiften sie die Ilanos im Innern tiefer Wälder am rechten Ufer des obern Orinoco. Es waren elende Wilde, noch von keinem Hauche der Civilisation berührt. Kaum hatten sie Strohhütten, um Unterkommen zu finden, kaum Lumpen aus Baumrinde, sich zu bedecken. Sie nährten sich von Wurzeln, Palmensprossen, von Ameisen und von Holzläusen (den sogenannten Todtenuhren) und verstanden sich nicht einmal auf die Gewinnung des Maniocmehls, das in Mittelamerika sonst die Hauptnahrung bildet. Sie schienen auf der Stufenleiter der Menschheit die unterste Sprosse einzunehmen, waren klein von Wuchs, schwächlich von Constitution, hager von Gestalt und hatten den aufgetriebenen Leib der Geophagen, und in der That waren sie, vorzüglich im Winter bei mangelnder andrer Nahrung, oft genöthigt, ihren Hunger mit thoniger Erde zu stillen. Die röthlichen langen Haare fallen ihnen auf die Schultern hinab, ihr Gesicht, auf dem ein scharfer Beobachter wohl noch ein Restchen unentwickelter Intelligenz entdecken könnte, und die etwas weniger tiefbraune Färbung ihrer Haut, worin sie sich von den andern Indianern, den Quivas, Piaroas, Barés, Mariquitarern und Banivas unterscheiden – Alles wies darauf hin, sie in die letzte Reihe der an sich niedrigst stehenden Rassen zu stellen.

Und diese Eingebornen galten für so gefährlich, daß selbst ihre nahen Stammverwandten kaum deren Gebiete zu betreten wagten, ja man hielt sie allgemein für so eingefleischte Räuber und Mörder, daß die Händler aus San-Fernando niemals über den Ocamo und höchstens den Mavaca hinausgingen. So hatte sich der üble Ruf gebildet, in dem die Guaharibos noch vor fünf Jahren standen, als Chaffanjon, ohne sich von den Befürchtungen seiner Bootsleute abschrecken zu lassen, seine Fahrt bis zu den Quellen des Stromes fortsetzte. Als er endlich auf der Höhe des Pic Maunoir mit ihnen zusammengetroffen war, erkannte er bald, wie arg die harmlosen Indianer verleumdet worden waren, und bemühte sich, ein gerechteres Urtheil über sie zu verbreiten.

Zu jener Zeit bildete übrigens, in Folge seiner Aufforderung um den spanischen Missionär versammelt, schon eine Anzahl von ihnen den Kern der Mission von Santa-Juana. Sie waren bereits für die Lehren der christlichen Religion empfänglich geworden und hatten das dem eifrigen Apostel zu verdanken, der ihnen alle Freuden des Erdenlebens opferte.

Der Pater Esperante ging von Anfang an darauf aus, mit den unglücklichen Guaharibos innigste Fühlung zu halten. Deshalb siedelte er sich tief drin [365] in den Savannen der Sierra Parima an. Hier beschloß er, ein Dorf zu gründen, das sich mit der Zeit zu einem Flecken entwickeln sollte. Von dem ihm verbliebenen Vermögen glaubte er keinen edleren Gebrauch machen zu können, als daß er es für dieses Werk der Barmherzigkeit verwendete, das gleich fest genug begründet werden sollte, um seinen Bestand auch für alle Zukunft zu sichern.

Bei seinem Eintreffen in dieser Wüstenei hatte der Pater Esperante als einzige Hilfskraft nur einen jungen Begleiter namens Angelos bei sich. Dieser damals fünfundzwanzigjährige Novize der ausländischen Missionen war gleich ihm selbst von dem apostolischen Eifer entflammt, der Zeichen und Wunder zu thun vermag. Beide hatten also – doch um den Preis welcher Schwierigkeiten und welcher Gefahren! – ohne zu erschlaffen und ohne zu wanken, die Mission von Santa-Juana gegründet und organisiert, ihnen war die leibliche und geistige Wiedergeburt eines ganzen Indianerstammes gelungen, und jetzt hatten sie eine Bevölkerung um sich versammelt, die, unter Einrechnung der auf den benachbarten Ilanos siedelnden Eingebornen, gegen tausend Köpfe zählte.

Fünfzig Kilometer im Nordosten von den Stromquellen und von der Mündung des Rio Torrida war es, wo der Missionär die Stelle für die zukünftige Ortschaft gewählt hatte: Eine höchst glückliche Wahl – mit einem Boden von erstaunlicher Fruchtbarkeit, wo die nützlichsten Baum- und Straucharten gediehen, unter andern Marimas, deren Rinde eine Art natürlichen Filz liefert; ferner Bananen, Platanen, Kaffeebäume und -stauden, die sich im Schatten größerer Bäume mit scharlachrothen Blüthen bedeckten, Bucares, Kautschuk- und Cacaobäume, und daneben sproßten und grünten Felder mit Zuckerrohr und Sassaparille oder mit Tabak, von dem man die »Cura nigra« für den einheimischen Verbrauch, und die mit Salpeter vermengte »Cura seca« für die Ausfuhr gewinnt, endlich Tonkabäume (Dypterix), deren Bohnen so gesucht sind, und Sarrapias, deren Schoten als Gewürz dienen. Nur einiger Arbeit bedurfte es, und die frisch umbrochenen, geeggten und besäeten Felder gaben reiche Ernten an Maniocwurzeln, Zuckerrohr und an dem unerschöpflichen Mais, der jährlich viermal zur Reise kommt und von dem aus einem einzigen Samenkorn fast vierhundert Stengel aufkeimen.

Wenn der Erdboden dieser Gegend eine so überraschende Fruchtbarkeit aufwies, die durch verständige Culturmethoden noch gesteigert werden sollte, so kam das daher, daß er noch in ganz jungfräulichem Zustande war. Nichts hatte bisher seine vegetative Kraft erschöpft. Zahlreiche kleine Bäche plätscherten, [366] sogar im Sommer, über ihn hin und ergossen sich schließlich in den Rio Torrida, der dem Bett des Orinoco im Winter eine beträchtliche Wassermenge zuführte.

Am linken Ufer dieses aus den Abhängen des Roraima entspringenden Rios erheben sich die ersten Baulichkeiten der Mission, nicht einfache Strohhütten, sondern kleine Wohnstätten, die sich mit den besten bei den Banivas und den Mariquitarern mindestens messen konnten. La Urbana, Caïcara und San-Fernando de Atabapo hätten auf die festen und bequemen Häuschen mit Recht neidisch sein können.

Das Dörfchen entstand am Fuße eines von der Sierra Parima getrennt aufragenden Cerro, dessen letzte Ausläufer gesunde und schöne Bauplätze darboten.

Am Fuße einer Böschung und im kühlen Schatten einer großen Palme erhob sich das in einfachstem Style erbaute Kirchlein von Santa-Juana, zu dem die Steine aus der Sierra geholt worden waren. Heute genügte das kleine Gotteshaus kaum noch für die Menge der Gläubigen, die die Predigten des Pater Esperante und die sinneberückenden Ceremonien des katholischen Gottesdienstes herbeilockten, während die spanische Sprache allmählich auch an Stelle des Idioms der Guaharibos trat. Daneben hatten sich übrigens noch, vom Leiter der Mission hochwillkommen geheißen, etwa fünfzig Weiße von venezuolanischer Abkunft in dem aufblühenden Dorfe angesiedelt.

Von Jahr zu Jahr war auf dem Orinoco Alles herbeigeschafft worden, was zur Gründung und Weiterentwicklung der kleinen Ortschaft gebraucht wurde, und so erklärt es sich, daß sie nach und nach bis nach San-Fernando, später auch bis Ciudad-Bolivar und Caracas vielfach genannt wurde. Dem Congreß des Staates lag es auch nahe, ein so hohe civilisatorische Zwecke verfolgendes Unternehmen zu unterstützen, das berufen schien, bisher werthlose, große Gebiete aufzuschließen und Volksstämme, deren Entartung und Elend ihre vollständige Vernichtung herbeizuführen drohten, auf eine höhere geistige Stufe zu heben.

Wenn von dem die Bäume etwas überragenden kleinen Thurme die feierlichen Glockentöne erklangen, hätte gewiß jedermann den kirchlichen Eifer der blühenden und in anständiger Bekleidung herzuströmenden Eingebornen bewundert. Männer und Frauen, Kinder und Greise – Alles drängte sich um den Pater Esperante.


Die Mission von Santa-Juana.

Ja, bei dem von Natur lebhaften Ausdruck ihrer Dankbarkeit wären sie, wie vor der Kirche, am liebsten auch noch vor dem unter einer Palmengruppe errichteten Pfarrhause in die Knie gesunken. Sie fühlten sich glücklich, [367] ihre Familien blühten auf, sie lebten ohne Noth und Sorge und vertauschten mit Vortheil ihre Bodenerzeugnisse gegen die Industrieproducte, die vom untern Orinoco heraufkamen – kurz, ihre Lage verbesserte sich ohne Unterbrechung und ihr Wohlbefinden nahm sichtlich weiter zu. Da strömten auch noch andre Ilaneros nach der Mission herbei, um sich hier niederzulassen. So vergrößerte sich der Ort bis in den Wald hinein, der ihn mit ewigem Grün umrahmte. Auch die bebauten Felder dehnten sich immer mehr aus, und das konnte leicht geschehen, da die Savannen des Orinoco sozusagen ohne Grenzen sind.

[368] [371]Es wäre irrig, zu glauben, daß die Mission Santa-Juana nicht auch widerwärtigere Perioden zu überwinden gehabt hätte. Um den Preis einer bewundernswerthen Hingebung für die Sache und dauernder Anstrengung hatte sie sich wohl recht schön entwickelt; zu Anfang war sie aber doch zuweilen von recht ernsten Gefahren bedroht gewesen. Vor Allem mußte das Dorf gegen neidische, wilde Horden vertheidigt werden, die einmal überall zu morden und zu plündern gewöhnt waren. Die Einwohner desselben hatten da manchen Angriff zurückzuschlagen, der das schöne Werk im Entstehen zu vernichten drohte.


Der Missionär hatte dem jungen Indianer... (S. 375.)

Zur Abwehr der Banden, die vom Orinoco oder von den Cordilleren der Küste her ihre Raubzüge ausführten, wurden deshalb die nöthigsten und geeignetsten Sicherheitsmaßregeln getroffen. Der Missionär erwies sich dabei als ein Mann der That und sein persönlicher Muth als ebenso groß wie sein Talent als Organisator.

Alle Guaharibos im kräftigen Alter wurden aufgeboten, discipliniert und im Gebrauch der Waffen unterrichtet. Jetzt stand eine Compagnie von etwa hundert Mann mit modernen Gewehren und reichlichem Schießbedarf, die alle gewandte Schützen waren – denn dazu brachten sie das scharfe Auge des Indianers mit – für die Sicherheit der Mission ein und vereitelte damit jede Aussicht auf Erfolg, wenn doch ein Angriff auf diese gewagt werden sollte.

Dafür hatte man auch schon den Beweis, als Alfaniz mit seinen Spießgesellen aus dem Bagno und der ihm folgenden Bande von Quivas die Ortschaft überfallen hatten. Obwohl sie an Zahl der der »Soldaten« des Pater Esperante mindestens gleich waren, erlitten sie doch die empfindlichsten Verluste, während auf der Seite der Guaharibos nur wenig Blut floß.

Vorzüglich in Folge dieser Niederlage hatten die Quivas auch geplant, das Land zu verlassen und die im Westen des Orinoco gelegenen Gebiete wieder aufzusuchen.

Obendrein war die Mission von Santa-Juana zum Angriff ebenso gut eingerichtet, wie zur Vertheidigung. Es lag zwar gewiß nicht in der Absicht des Pater Esperante, auf Eroberung auszuziehen, denn das Land, worüber er verfügte, reichte für alle seine Bedürfnisse aus. Er wollte sich aber auch keine Belästigungen von andrer Seite gefallen lassen, noch der Möglichkeit ausgesetzt sein, daß Banden von Verbrechern der schlimmsten Art sein Dorf überfielen. Um jeder Gefahr vorzubeugen, mußte er als Soldat auftreten. Was ist ein Missionär im Grunde auch anders als ein Soldat, und wenn er die Pflicht auf sich nimmt, nöthigenfalls sein Leben zu opfern, so hat er andrerseits doch auch [371] die Pflicht, die um ihn und um die Fahne des Christenthums geschaarten Gläubigen zu vertheidigen.

Im Vorhergehenden war von den Culturen die Rede, die in so hohem Maße zum Gedeihen der Mission von Santa-Juana beitrugen. Hierin lag aber nicht die einzige Quelle ihres Reichthums. An die bebauten Felder stießen weite Ebenen, wo große Rinderherden weideten, deren Ernährung durch den Graswuchs der Savannen ebenso wie durch die Ilanerapalme der Wälder gesichert war. Diese Viehzucht bildete einen wichtigen Handelszweig, wie das übrigens in allen andern Provinzen Venezuelas der Fall ist. Die Guaharibos besaßen auch eine Anzahl jener Pferde, die sich früher zu Tausenden in der Umgebung der Ranchos umhertummelten, und von diesen dienten die einen als Zugthiere und die andern zu den Ausflügen der Guaharibos, die in kurzer Zeit vortreffliche Reiter wurden und dann auch die weitern Umgebungen der Ortschaft nicht selten durchstreiften.

Der Pater Esperante entsprach ganz dem Bilde, das Herr Mirabal der junge Gomo und auch der falsche Jorres von ihm entworfen hatten. Seine Züge, seine Haltung und seine Bewegungen verriethen den thatkräftigen Mann, der seinem Willen bei jeder Gelegenheit Ausdruck zu geben wußte – kurz, den Führer, der das Befehlen gewöhnt war. Er besaß eine von hoher Einsicht unterstützte Energie. Sein festes und ruhiges Auge verrieth schon die Güte seines Gemüthes, die sich auch durch das häufige Lächeln der Lippen zeigte, welche dann und wann zwischen dem von den Jahren gebleichten Barte zu sehen waren. Er war muthig und hochherzig in gleichem Grade – zwei Eigenschaften, die ja so häufig zu einer einzigen verschmelzen. Obwohl er die Sechzig überschritten hatte, zeugten seine stramme Haltung, seine breiten Schultern, seine hochgewölbte Brust und seine kräftigen Gliedmaßen für die große Widerstands- und Leistungsfähigkeit des Mannes, der noch geistig und körperlich auf der Höhe des Lebens stand.

Was der Missionär vorher gewesen wäre, ehe er sich seiner schweren Aufgabe als Verbreiter christlicher Lehren widmete, hätte niemand sagen können. Er bewahrte darüber unverbrüchliches Schweigen. Nur dann und wann konnte man aus düstern Schatten, die über sein männliches Antlitz zogen, vielleicht schließen, daß ihn schmerzliche Erinnerungen an eine unvergeßliche Vergangenheit erfüllten. Der Pater Esperante war bei seinem Unternehmen übrigens von seinem jüngeren Gehilfen sehr wesentlich unterstützt worden. Der Bruder Angelos [372] war ihm mit Leib und Seele ergeben und konnte mit Recht einen nicht geringen Theil des Erfolges des frommen Werkes beanspruchen.

Neben diesen Beiden bildeten einige aus den dazu geeignetsten Indianern erwählte Personen die Beamtenschaft des Dorfes, wenn man auch sagen konnte, daß der Pater Esperante, der gleichzeitig Gemeindevorstand und Priester war, der die Kinder taufte, die Ehen schloß und einsegnete, wie er den Sterbenden in ihrem letzten Stündlein beistand, in seiner Person alle Aemter der Mission vereinigte.

Er mußte sich für seine Bemühungen auch reichlich entschädigt fühlen, wenn er sah, wie herrlich sein Werk gediehen und gewachsen war. Dieser Schöpfung war gewiß die Lebensdauer gesichert, wenn die einstigen Nachfolger des Missionärs dieselben Wege wandelten, die er stets innegehalten hatte.

Seit dem letzten Angriffe der Quivas hatte nichts die Ruhe der Bewohner von Santa-Juana gestört, und allem Anscheine nach sollten sie auch in Zukunft von der Wiederholung eines solchen verschont bleiben.

Gegen fünf Uhr am Nachmittag des 1. November, dem Tage, nachdem Jacques Helloch und seine Gefährten in Alfaniz' Hände gefallen waren, entstand im Dorf jedoch, wenn nicht eine Panik, so doch eine gewisse Beunruhigung.

Es war nämlich ein junger Indianer aufgetaucht, der in aller Eile, als ob er verfolgt würde, von der Savanne her herangestürmt kam.

Einige Guaharibos traten aus ihren Häusern, und sobald der junge Indianer sie gewahr wurde, rief er fast ängstlichen Tones:

»Pater Esperante! Pater Esperante!«

Sofort führte ihn Bruder Angelos dem Missionär zu.

Dieser erkannte auf den ersten Blick den Knaben, der, als er mit seinem Vater in Santa-Juana wohnte, die Schule der Mission fleißig besucht hatte.

»Du... Gomo?« fragte er.

Dieser konnte zunächst kaum ein Wort hervorbringen.

»Woher kommst Du denn?

– Ich bin entflohen... heute früh... und bin gelaufen, was ich konnte, um hierher zu kommen.«

Dem jungen Indianer versagte fast der Athem.

»Ruh' Dich erst aus, mein Kind, ermahnte ihn der Missionär, Du stirbst wohl beinahe vor Hunger. Willst Du etwas essen?

[373] – Nicht ehe ich Ihnen gesagt habe, warum ich gekommen bin. Es bedarf schleunigster Hilfe.

– Hilfe?...

– Dort unten sind Quivas... drei Stunden von hier... in der Sierra... nahe beim Flusse.

– Was? Quivas? rief Bruder Angelos.

– Und ihr Häuptling ebenfalls, setzte Gomo hinzu.

– Ihr Anführer, wiederholte Pater Esperante, der entwichene Sträfling... der schreckliche Alfaniz...

– Er ist vor wenigen Tagen wieder zu ihnen gestoßen, und vorgestern kurz nach Mittag haben sie eine Gesellschaft von Reisenden überfallen, die ich nach Santa-Juana führte.

– Reisende, die nach der Mission wollten?

– Ja, ehrwürdiger Vater, französische Reisende.

– Franzosen!«

Das Gesicht des Missionärs überflog eine plötzliche Blässe, und dann schloß er einen Augenblick die Lider.

Hierauf ergriff er den jungen Indianer bei der Hand, zog ihn nahe zu sich heran und sagte zu ihm mit einer Stimme, die vor unwillkürlicher Erregung zitterte:

»Sage mir Alles, was Du weißt!«

Gomo fuhr nun fort:

»Vor vier Tagen betrat ein Mann die Hütte, die mein Vater und ich in der Nähe des Orinoco bewohnten. Er fragte uns, wo sich die Quivas befänden und ob wir ihn zu ihnen führen wollten. Das waren dieselben, die unser Dorf San-Salvador zerstört und meine Mutter getödtet hatten. Mein Vater schlug sein Verlangen ab, und da schoß er auch ihn mit einem Revolver nieder...

– Er ist getödtet worden! murmelte Bruder Angelos.

– Ja, durch den Mann... Alfaniz...

– Alfaniz!... Und woher kam denn der elende Schurke? fragte der Pater Esperante.

– Von San-Fernando.

– Wie war er aber den Orinoco herausgekommen?

– Als Bootsmann, als Ruderknecht, unter dem Namen Jorres, an Bord einer der beiden Piroguen, die die Reisenden brachten.

[374] – Und Du sagst, das wären Franzosen?

– Ja, gewiß, Franzosen, die nicht weiter als bis zum Rio Torrida hinausfahren konnten. Sie haben ihre Piroguen an der Flußmündung zurückgelassen, und einer von ihnen, ihr Führer, der von dem Schiffer einer der Falcas begleitet war, hat mich im Walde neben der Leiche meines Vaters aufgefunden. Sie fühlten Mitleid mit mir... begruben meinen Vater und nahmen mich dann mit sich. Darauf ersuchten sie mich, sie nach Santa-Juana zu führen. Wir sind also aufgebrochen... und waren vorgestern an der Furt von Frascaes angelangt, als die Quivas uns überfielen und Alle gefangen nahmen...

– Und dann? forschte der Pater Esperante weiter.

– Dann?... Dann zogen die Quivas nach der Sierra zu, und erst heute Morgen habe ich ihnen entfliehen können.«

Der Missionär hatte dem jungen Indianer mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört. Das Blitzen seiner Augen bewies, wie der Zorn gegen die Verbrecherrotte in ihm aufloderte.

»Du sagst also, mein Kind, fragte er noch ein drittes Mal, daß jene Reisenden Franzosen waren?

– Ja, ehrwürdiger Vater.

– Und wie viele?

– Vier.

– Wer war sonst noch mit ihnen?

– Der Schiffer von einer der Piroguen, ein Baniva, namens Valdez, und zwei Bootsleute, die das Gepäck trugen.

– Woher kamen sie denn?

– Von Bolivar, von wo sie vor zwei Monaten abgereist waren, um sich nach San-Fernando zu begeben und dann den Strom bis zur Sierra Parima hinauszufahren.«

In tiefes Sinnen verloren, schwieg der Pater Esperante einige Augenblicke still.

»Du hast von einem Führer gesprochen, Gomo? fragte er. Die kleine Truppe hat also einen Führer?

– Ja, einen der Reisenden.

– Und der heißt?

– Jacques Helloch.

– Er hat noch einen Genossen?


Begünstigt durch die die ganze Nacht andauernde Helligkeit... (S. 382.)

– Der Germain Paterne heißt und in der Savanne überall Pflanzen sammelt.

– Wer sind denn die beiden andern Reisenden?

– Erstens ein junger Mann, der sehr freundlich [375] gegen mich gewesen ist, und den ich aufrichtig liebe.«

In Gomos Zügen verrieth sich die lebhafteste Dankbarkeit.

»Der junge Mann, fuhr er fort, nennt sich Jean von Kermor.«

Bei diesem Namen schnellte der Missionär empor, und aus seiner ganzen Erscheinung sprach die allergrößte Ueberraschung.


»Er ist es... er! rief der Knabe schluchzend. (S. 384.)

[376]

»Jean von Kermor? wiederholte er. War das wirklich sein Name?

– Ja, Jean von Kermor.

– Der junge Mann, sagst Du, ist mit den Herren Helloch und Paterne aus Frankreich gekommen?

– Nein, ehrwürdiger Vater; nach dem, was mir mein Freund Jean erzählt hat, haben sie sich unterwegs... auf dem Orinoco... beim Dorfe la Urbana erst zufällig getroffen.

– Dann sind sie in San-Fernando gewesen?

[377] – Ja, und von da aus zusammen nach der Mission weiter gereist.

– Und was bezweckt jener junge Mann?

– Er ist im Begriff, seinen Vater zu suchen.

– Seinen Vater?... Du sagst, seinen Vater?

– Jawohl, den Oberst von Kermor.

– Den Oberst von Kermor!« rief der Missionär in unbeschreiblicher Erregung.

Wer ihn in diesem Augenblick beobachtet hätte, würde auch gesehen haben, daß die Ueberraschung, die er vorher verrieth, sich jetzt zu einer ganz ungewöhnlichen Aufregung entwickelte. So energisch der Pater Esperante auch war, so sehr er sich sonst zu beherrschhen wußte, jetzt ließ er die Hand des jungen Indianers los und schritt, eine Beute ihn überwältigender Empfindungen, im Zimmer auf und ab. Nur mit äußerster Willensanstrengung wurde er wieder einigermaßen ruhig und setzte seine Fragen fort.

»Warum, sagte er, warum will sich Jean von Kermor gerade nach Santa-Juana begeben?

– Er hofft hier weitere Auskunft zu erhalten, die es ihm vielleicht ermöglicht, seinen Vater aufzufinden.

– Er weiß also nicht, wo dieser ist?

– Nein, seit vierzehn Jahren hat der Oberst von Kermor Frankreich verlassen und sich nach Venezuela begeben; sein Sohn weiß aber nicht, wo er sich jetzt befindet.

– Sein Sohn! Sein Sohn!« murmelte der Missionär, der sich mit der Hand über die Stirn strich, wie um alte Erinnerungen wach zu rufen. Schließlich wendete er sich wieder an Gomo.

»Ist er denn allein abgereist... jener junge Mann... hat er das allein unternommen?

– Nein.

– Wer begleitet ihn denn?

– Ein alter Soldat.

– Ein alter Soldat?

– Ja, der Sergeant Martial!

– Der Sergeant Martial!« wiederholte der Pater Esperante.

Hätte ihn der Bruder Angelos jetzt nicht aufgefangen, er wäre, wie vom Blitz getroffen, auf dem Boden des Zimmers zusammengebrochen.

[378]
12. Capitel
Zwölftes Capitel.
Auf dem Wege zur Rettung.

Den Franzosen, den Gefangenen der Quivas, Hilfe zu bringen, das duldete nach den so bestimmten Aussagen des jungen Indianers keinen Aufschub,

Der Missionär würde noch denselben Abend aufgebrochen und nach der Savanne hinausgezogen sein, wenn er nur gewußt hätte, welche Richtung dabei einzuschlagen gewesen wäre.

Zunächst drängte sich ja die Frage auf, wo Alfaniz augenblicklich sein möge. In der Nähe der Furt von Frascaes?... Nein; nach Gomos Mittheilungen hatte er diese am Morgen nach dem Ueberfalle verlassen. Sein eigenes Interesse gebot ihm ja, Santa-Juana fern zu bleiben, sich in den Wäldern der benachbarten Sierra zu verlieren, vielleicht auch nach dem Orinoco und der Mündung des Rio Torrida hinunterzuziehen, um sich da noch der Piroguen und der Mannschaft zu bemächtigen.

Der Pater Esperante sah ein, daß noch eine Auskundschaftung des Feindes nöthig war, ehe er dessen Verfolgung aufnehmen konnte.

Um sechs Uhr bestiegen zwei Indianer ihre Pferde und ritten nach der Furt von Frascaes hin davon.

Drei Stunden darauf waren die Reiter zurück, ohne eine Spur von den Quivas entdeckt zu haben.

Ob Alfaniz und seine Bande den Fluß überschritten hätten, um sich in die Wälder im Westen zu schlagen, oder ob sie nach der Sierra Parima hin gezogen wären, um längs des linken Ufers des Rios nach dem Lager am Pic Maunoir zu gelangen – das wußte vorläufig niemand.

Es mußte aber ermittelt werden, selbst wenn vor dem Aufbruche noch die ganze Nacht verstrich.

Zwei andre Indianer verließen die Mission mit dem Auftrage, die Savanne nach der Seite der Orinocoquellen hin abzusuchen, denn es erschien ja möglich, daß Alfaniz nicht geraden Weges nach dem Strome hinabgezogen wäre.

Mit Tagesanbruch kehrten die beiden Indianer nach Santa-Juana zurück, nachdem sie etwa fünfundzwanzig Kilometer weit vorgedrungen waren. Hatten [379] sie die Quivas auch nicht selbst zu Gesicht bekommen, so hatten sie wenigstens von einigen Bravos-Indianern, die sie in der Savanne trafen, gehört, daß die Räuberbande sich nach der Sierra Parima zu begebe.

In der Sierra Parima also galt es, sie zu überraschen und die Umgebung mit Gottes Hilfe endlich von diesem Auswurf von Indianern und Bagnosträflingen zu befreien.

Die Sonne stieg eben empor, als der Pater Esperante von der Mission auszog.

Seine Begleitmannschaft bestand aus hundert Guaharibos, die für der Gebrauch moderner Feuerwaffen besonders eingeübt waren. Die wackern Leute wußten, daß sie gegen die Quivas, ihre langjährigen Feinde, in den Kampf gingen, doch nicht allein, um diese zu zersprengen, sondern sie bis auf den letzten Mann auszurotten.

Zwanzig von den Indianern waren beritten und dienten als Deckung für einige Karrenwagen, die Proviant für mehrere Tage enthielten.

Das Dorf blieb einstweilen unter der Leitung Bruder Angelos', der durch Läufer mit der Expedition so viel wie möglich in Verbindung bleiben sollte.

Der Pater Esperante, zu Pferde an der Spitze seiner Truppe, hatte jetzt bequemere Kleidung angelegt, als die gewöhnliche Tracht des Missionärs. Ein Leinwandhelm bedeckte seinen Kopf, mit hohen Stiefeln saß er fest in den Steigbügeln; ein doppelläufiges Gewehr hing am Sattel und ein Revolver stak in seinem Gürtel.

Schweigend und nachdenkend trabte er dahin, eine Beute unbeschreiblicher geistiger Erschütterung, von der er nichts merken lassen wollte. Die Mittheilungen des ihn begleitenden jungen Indianers wirbelten ihm gleichsam im Kopfe umher. Er glich einem Blinden, dem man das Augenlicht wiedergegeben und der doch das Sehen verlernt hatte.

Von Santa-Juana aus wendete sich die Truppe in südöstlicher Richtung nach der Savanne – einer Ebene mit baumartiger Vegetation, mit stachligen Mimosen, dürftigen Chapparos und Zwergpalmen, deren Wedel im Winde schwankten. Die an solche Wege gewöhnten Indianer gingen so raschen Schrittes dahin, daß sie hinter den Reitern kaum zurückblieben.

Der Erdboden senkte sich allmählich; er stieg erst in der Nähe der Sierra Parima wieder an. Seine sumpfigen Strecken – die Esteros, die nur in der Regenzeit mit Wasser durchtränkt werden – boten jetzt, wo sie von der [380] Wärme ganz ausgetrocknet waren, eine hinreichend feste Oberfläche, so daß man quer darüber hingehen konnte, also nicht um sie herum ziehen mußte.

Der Weg bildete nahezu einen rechten Winkel gegen den, dem Gomo gefolgt war, als er Jacques Helloch und dessen Gefährten führte. Es war das der kürzeste zwischen der Mission und der Bergmasse der Parima. Einige noch frische Eindrücke ließen erkennen, daß hier wenige Tage vorher eine zahlreiche Truppe dahinmarschiert war.

Die Guaharibos entfernten sich also vom Rio Torrida, der nach Südwesten verlief. Dabei trafen sie auf mehrere kleine Zuflüsse seines rechten Ufers, die jetzt ausgetrocknet waren und kein Hinderniß bildeten. Nur einzelne, wenig ausgedehnte Bayous, die noch mit stagnierendem Wasser gefüllt waren, mußten vermieden werden.

Nach halbstündiger Mittagsrast brach der Pater Esperante wieder auf, und Alle strengten sich so nach Kräften an, daß die Guaharibos schon gegen fünf Uhr am Fuße des Bergstockes der Parima und in der Nähe der Stelle anlangten, wo sich einer jener Cerros erhebt, den Chaffanjon nach dem Namen Ferdinand von Lesseps' getauft hat.

Hier fand man noch Spuren eines Lagers, das erst vor kurzer Zeit aufgehoben sein konnte. Erkaltete Asche, Reste von Speisen, niedergedrückte Graslagerstätten und dergleichen wiesen darauf hin, daß jemand noch die letzte Nacht hier zugebracht habe. Damit schwand aber jeder Zweifel, daß Alfaniz mit den Quivas und jedenfalls auch mit seinen Gefangenen die Richtung nach dem Strom eingeschlagen hatte.

Während der Rast, die eine Stunde dauerte und den Pferden gestattete, sich durch frisches Futter zu stärken, ging der Pater Esperante abseits von den Andern auf und ab.

Seine Gedanken weilten bei den zwei Namen, die der junge Indianer genannt hatte.

»Der Sergeant Martial, sagte er wiederholt für sich hin, der Sergeant... hier... auf dem Wege nach Santa-Juana...«

Dann sann er wieder über Jean von Kermor nach... über das Kind, das seinen Vater sachte!... Wer war dieser junge Mann? Der Oberst hatte ja keinen Sohn gehabt!... Nein, Gomo mußte sich täuschen!... Doch gleichviel: jedenfalls schmachteten hier Franzosen in grausamer Gefangenschaft... Landsleute, die zu befreien, den Händen der Quivas zu entreißen, er sich verpflichtet [381] fühlte. Wieder ging es also vorwärts, und gegen sechs Uhr wurde das rechte Ufer des Orinoco erreicht.

Hier ergossen sich die ersten Wasserfäden von der Sierra Parima in den Strom durch die Bergschlucht, in deren Innern ein tollkühner Forscher am 18. December 1886 die französische Fahne aufgepflanzt hatte.

Dieser Theil der Sierra war von uralten Bäumen bedeckt, die einmal von allein zusammenzubrechen bestimmt schienen, denn keine Axt des Holzfällers würde sie in dieser weltfernen Gegend je niederlegen.

Die nächste Umgebung zeigte sich völlig verlassen. Keine Pirogue, nicht einmal ein Curiare, hätte in der heißen Jahreszeit bis hier hinauf gelangen können, und auch die beiden Falcas hatten schon fünfzig Kilometer weiter unten liegen bleiben müssen.

Diese fünfzig Kilometer konnten, wenn die Guaharibos derselbe Eifer beseelte wie ihren Anführer, noch in der Nacht zurückgelegt werden, so daß die Truppe dann mit Tagesanbruch bei dem Lagerplatze am Pic Maunoir eintraf. An ein Verfehlen des richtigen Weges war nicht zu denken, denn es genügte ja, am rechten Ufer des Stromes, dessen ausgetrocknete Rios keine Schwierigkeiten bereiten konnten, hinzuziehen.

Der Pater Esperante brauchte seine Indianer gar nicht erst zu fragen, ob sie sich diese Anstrengung zumuthen wollten. Er erhob sich und trabte voraus. Die Reiter und die Fußgänger folgten ihm einfach nach.

Der an seinem Ursprung sehr eingeengte Orinoco hatte nur eine Breite von wenigen Metern und zwängte sich zwischen steilen, abwechselnd aus Thon und Gesteinen bestehenden Uferwänden hin. Auf diesem ersten Theile seines Laufes hätte in der Regenzeit eine Pirogue mehrere Raudals überwinden müssen, wäre also auch dann nur mit starker Verzögerung vorwärts gekommen.

Es wurde schon langsam dunkel, als die Guaharibos die Furt le Crespo überschritten, die auf der Karte von dem französischen Reisenden zu Ehren des Präsidenten der venezuolanischen Republik mit diesem Namen bezeichnet worden ist.

Am völlig klaren Himmelsgewölbe herabsinkend, war die Sonne hinter dem wolkenlosen Horizonte verschwunden. Die funkelnden Sternbilder sollten bald vor dem Glanze des aufgehenden Vollmonds erbleichen.

Begünstigt durch die die ganze Nacht andauernde Helligkeit, konnten die Guaharibos eine weite Wegstrecke leicht überwinden. Sie wurden nicht einmal durch die schilfbedeckten Sumpfniederungen aufgehalten, durch die sie sich, ohne [382] die Gefahr, bis zum halben Leibe einzusinken, im Dunkeln gar nicht hätten wagen können.

Vom Uferrande aus gesehen, ließ das Flußbett eine Menge darin liegender Felsblöcke erkennen, die jede Schifffahrt darin, selbst zur Zeit des anhaltendsten Regens, so gut wie unmöglich machen mußten. Auch drei Monate früher wären die »Gallinetta« und die »Moriche« nur mit größter Beschwerde durch diese »Engen« hinausgekommen, die man auf der Karte als die Raudals Guereri, Yuvilla und Salvajuo eingetragen findet. Hier hätte man dazu greifen müssen, die Fahrzeuge streckenweise zu tragen und es ist kaum zu erwarten, daß dieser Theil des obern Orinoco jemals zu einem brauchbaren Verkehrswege umgewandelt werden könne. Hier oben besteht der Strom – in der trocknen Jahreszeit – aus wenigen dürftigen Wasserfäden die sich um die Felsstücke schlängeln und kaum den weißlichen Thon des Ufers befeuchten. Erst vom Cerro Ferdinand von Lesseps an nimmt er allmählich an Tiefe zu, weil sich von da an vom rechten und linken Ufer her mehrere Nebenflüsse in ihn ergießen.

Als es gegen fünf Uhr morgens Tag wurde, hatte der Pater Esperante, kaum zwölf Kilometer von der Mündung des Rio Torrida, eine Biegung des Flusses erreicht.

Binnen drei Stunden sollte er nun mit dem Schiffer Parchal und den zur Bewachung der Falcas zurückgebliebenen Mannschaften Fühlung bekommen.

Im Südwesten und an der andern Seite des Orinoco ragte der Pic Maunoir empor, dessen Gipfel in den ersten Strahlen des Morgenroths erglühte. Auf jener Seite erhob sich auch ein sechs- bis siebenhundert Meter hoher Cerro, der mit dem Pic demselben orographischen System angehörte.

Keinen Augenblick entstand jetzt etwa die Frage, eine Zeit lang, und wäre es nur eine Stunde, auszuruhen. Hatten sich die Quivas längs des Flusses hinabbegeben, um das Lager anzugreifen, so befanden sie sich entweder noch dort, oder hatten sich nach Ausplünderung der Piroguen schon wieder in der Richtung nach der Savanne zurückgezogen. Wer konnte wissen, ob sich Alfaniz dann nicht entschlossen hatte, doch wieder, statt nach Columbia, nach den westlichen Theilen Venezuelas zu gehen und seine Gefangnen dahin mitzuschleppen?

Eine Stunde lang zog der Trupp so dahin, und der Pater Esperante hätte vor Erreichung des Rio Torrida gewiß nicht Halt gemacht, wenn sich nicht gegen sechs Uhr ein unerwarteter Zwischenfall ereignete.

[383] Der junge Indianer lief den Uebrigen etwa fünfzig Schritte voraus – er war ja bekannt mit dem Uferlande, das er mit seinem Vater oft genug besucht hatte. Während er nun bemüht war, immer die Spuren von den vorübergezogenen Quivas im Auge zu behalten, bemerkte man, wie er plötzlich stehen blieb, sich zur Erde niederbeugte und einen lauten Schrei ausstieß...

Da, wo er sich befand, lag am Fuße eines Baumes regungslos ein Mann, der entweder schlief oder todt war.

Auf den Aufschrei Gomos hin wandte der Pater Esperante sein Pferd nach jener Seite, und mit einem kurzen Galopp erreichte er schnell den jungen Indianer.

»Er ist es... er! rief der Knabe schluchzend.

– Er?« wiederholte fragend der Pater Esperante.

Dabei war er schon aus dem Sattel gesprungen und näherte sich dem bewegungslosen Manne.

»Der Sergeant... der Sergeant Martial!« rief er.

Der alte Soldat lag ausgestreckt auf der Erde, die von seinem Blute geröthet war. Er hatte eine Kugel in die Brust bekommen... vielleicht war er schon todt...

»Martial!... Martial!« rief der Pater Esperante ihn an, während schwere Thränen seinen Augen entquollen.

Er richtete den Unglücklichen auf, näherte dessen Kopf dem seinigen und lauschte auf einen Athemzug aus den Lippen des Mannes; dann rief er fast freudig erregt:

»Er lebt... Gott sei Dank, er lebt!«

In der That begann der Sergeant Martial wieder schwach zu athmen; gleichzeitig erhob er auch einen Arm, ließ ihn aber kraftlos wieder sinken. Dann schlug er für eine Secunde die Augen auf und richtete den Blick auf den Missionär.

»Sie... Sie, mein Oberst!... Da unten... Alfaniz!«

Kaum hatte er, von krampfhaften Zuckungen unterbrochen, diese wenigen Worte geflüstert, so schwand ihm auch schon wieder das Bewußtsein.

Der Pater Esperante erhob sich; in seinem Kopfe jagten sich verwirrte, unverständliche Gedanken, die ihn in unaussprechlicher Weise erregten. Der Sergeant Martial hier... der junge Mann, den er zur Aufsuchung seines Vaters begleitete und der doch jetzt nicht bei ihm war... Beide in diesem [384] [387]entlegensten Theile von Venezuela, wer sollte ihm die Erklärung so vieler unerklärlicher Dinge bringen, wenn der Unglückliche starb, ohne vorher noch einmal haben sprechen zu können? Doch nein... er durfte nicht sterben!... Der Missionär würde ihn noch einmal retten, wie er ihn schon früher auf dem Schlachtfelde gerettet hatte. Er wollte ihn dem Tode abringen...

Auf seinen Wink kam einer der zweirädrigen Wagen heran, auf dem der Sergeant Martial auf eine Streu aus trocknem Grase gebettet wurde.


Er hatte den Revolver erhoben, um Feuer zu geben. (S. 389.)

Weder Augen noch Lippen des Verwundeten thaten sich dabei auf. So schwach dieser aber auch war, seine leise Athmung erlitt keine weitere Unterbrechung.

Der Marsch wurde nun fortgesetzt. Der Pater Esperante hielt sich nahe bei dem Wagen, worauf sein alter Waffenkamerad ruhte, den er nach so langer Trennung doch sofort wiedererkannt hatte... sein Sergeant, den er vor vierzehn Jahren dort in der Bretagne zurückgelassen hatte, aus der der Oberst ohne den Gedanken an eine spätere Rückkehr fortgegangen war... ihn fand er hier wieder... in weltverlorenem Lande... getroffen von einer Kugel... vielleicht aus der Hand des schurkischen Alfaniz...

»Gomo hat sich, dachte er, also doch nicht geirrt, als er vom Sergeanten Martial sprach... Doch was sagte er denn weiter?... Ein Kind... jener Sohn, der seinen Vater suchte... Ein Sohn?... Ein Sohn?«

Er wendete sich nochmals an den jungen Indianer, der an seiner Seite ging.

»Der Soldat wäre nicht allein hierher gekommen, hast Du mir gesagt. Er hatte einen jungen Mann bei sich?...

– Ja... meinen Freund Jean.

– Und Beide wollten sich nach der Mission begeben?

– Ja wohl... wegen des Oberst von Kermor.

– Und der junge Mann wäre der Sohn dieses Oberst?

– Gewiß, sein Sohn.«

Bei diesen so unzweideutigen Antworten fühlte der Pater Esperante sein Herz hämmern, als ob es davon zerspringen sollte. Was konnte er aber anders thun, als abwarten? Vielleicht lichtete sich das Geheimniß noch vor dem Ende des heutigen Tages.

Jetzt lag vor ihm nur das eine Ziel, die Quivas anzugreifen, wenn sie noch im Lager am Pic Maunoir angetroffen wurden – und die wenigen, vom Sergeanten Martial mühsam hervorgebrachten Worte gaben ja die Gewißheit, daß Alfaniz sich dort befand – nur die Aufgabe, dem Elenden seine Gefangenen [387] zu entreißen. Die Guaharibos gingen in Sturmschritt über, während die Wagen mit hinreichender Bedeckung zurückblieben.

Der ehemalige Oberst, der sich zum Missionär von Santa-Juana verwandelt hatte, durfte wohl auf den durchschlagendsten Erfolg rechnen, wenn er jetzt als Führer seiner muthigen Indianer diese die Verbrecherbande angreifen ließ.

Kurz vor acht Uhr hielt der Pater Esperante an, und die Guaharibos unterbrachen ihren Vormarsch, als sie hinter einer Biegung des Flusses eine geräumige Lichtung im Walde erreicht hatten.

Gegenüber, auf dem andern Ufer, erhob sich der Pic Maunoir. In der nächsten Nachbarschaft des Flusses war niemand zu sehen, auf dem Orinoco lag kein Fahrzeug.

Auf der andern Seite der Biegung aber stieg – es herrschte jetzt völlige Windstille – lothrecht eine Rauchsäule in die Höhe.

An jener Stelle, vielleicht kaum fünfzig Meter weiter hin und auf dem linken Ufer des Rio Torrida, befand sich also jedenfalls ein Lager.

Das konnte nur das der Quivas sein, doch wollte man sich davon erst überzeugen.

Einige Guaharibos krochen vorsichtig durch die nächsten Büsche, kamen aber schon nach drei Minuten zurück mit der Meldung, daß Alfaniz mit seiner Bande so nahe vor ihnen lagerte.

Die Truppe des Pater Esperante schloß sich nun auf der Lichtung enger zusammen. Die Wagen waren nachgekommen, und der, der den Sergeanten Martial trug, erhielt seinen Platz in der Mitte der übrigen.

Nachdem er sich noch überzeugt hatte, daß im Zustande des Verwundeten keine Verschlimmerung eingetreten war, traf der Oberst von Kermor seine Anordnungen, Alfaniz und dessen Spießgesellen zu umgehen. Die Berittenen ließ er dazu schräg über die Lichtung vorgehen, um die Quivas einzuschließen und sie bis zum letzten Mann vernichten zu können.

Wenige Augenblicke später erhob sich ein furchtbares Geschrei, dem sofort das Krachen von Feuerwaffen folgte.

Die Guaharibos hatten sich auf Alfaniz gestürzt, ehe dieser noch zu wirksamer Vertheidigung Zeit fand. Waren sich beide Parteien an Zahl auch gleich, so waren die Guaharibos doch besser bewaffnet und wurden besser befehligt. Die Waffen, über die der Spanier verfügte, rührten nur von der Plünderung der[388] Piroguen her und bestanden außer einigen Revolvern, die Jacques Helloch dort zurückgelassen hatte, nur aus denen, die den Gefangenen abgenommen worden waren.

Der Kampf konnte nicht lange dauern, und er währte auch wirklich nur kurze Zeit. Von dem Augenblicke, wo die Bande sich hatte überraschen lassen, war sie auch geschlagen. So flüchteten denn auch die meisten Quivas nach schwachem Widerstande von der Stelle, indem die einen in den Wald hinein stürmten, die andern durch das fast trockne Flußbett liefen, um die gegenüberliegende Savanne zu erreichen – die meisten aber waren schon tödlich von Kugeln getroffen.

Gleichzeitig hatten sich übrigens Jacques Helloch, Germain Paterne, Valdez, Marchal und die Leute von den Falcas auf die sie bewachenden Quivas gestürzt.

Gomo war der erste, der mit dem Rufe »Santa-Juana! Santa-Juana!« auf sie zueilte.

So tobte denn der Kampf bald nur noch in der Mitte des Lagerplatzes.

Hier vertheidigten sich Alfaniz, die aus Cayenne entsprungenen Sträflinge und einige von den Quivas mit Revolverschüssen, mit dem Erfolge, daß einzelne Guaharibos Verwundungen davontrugen, die sich glücklicherweise nicht als besonders schwer erwiesen.

Da sah man den Pater Esperante mitten auf eine den Spanier umgebende Gruppe zusprengen.

Jeanne von Kermor fühlte sich unwiderstehlich zu dem Missionär hingezogen, doch hielt sie Jacques Helloch zurück.

Von den Quivas verlassen, von denen man nur noch Geschrei aus einiger Entfernung hörte, wehrte sich Alfaniz zwar noch wie ein Wüthender, zwei seiner Bagnogenossen wurden aber bald an seiner Seite niedergestreckt.

Der Pater Esperante befand sich jetzt dem Spanier Auge in Auge gegenüber, und mit einer Handbewegung gebot er den Guaharibos Einhalt, die diesen schon umringt hatten.

Da wurde es ringsum still, man hörte nur die mächtige Stimme des Pater Esperante.

»Alfaniz, sagte er, seht, ich bin es!

– Der Missionär von Santa-Juana!« rief der Spanier.

Schon hatte er den Revolver erhoben, um Feuer zu geben, als Jacques Helloch ihn am Arme packte, so daß die Kugel ihr Ziel verfehlte.

[389] »Ja, Alfaniz, der Pater von der Mission Santa-Juana... doch auch der Oberst von Kermor!«

Da Alfaniz eben Jean, den er für den Sohn des Oberst hielt, nur wenige Schritt von sich entfernt sah, zielte er auf diesen. Doch bevor er abdrücken konnte, krachte ein Schuß, und der Schurke stürzte, vom Pater Esperante getroffen, lautlos zusammen.

Jeanne hatte sich in die Arme des Oberst von Kermor geworfen – sie nannte ihn ihren Vater.

Der Missionär, der in dem jungen Manne doch nicht seine leibliche Tochter erkennen konnte, welche er längst für todt hielt und auch niemals gesehen hatte, antwortete wiederholt:

»Ich habe gar keinen Sohn!«

Da hatte sich jedoch der Sergeant Martial aufgerichtet, und, die Arme gegen Jeanne hin ausgestreckt, sagte er:

»Nein, Herr Oberst, Sie hatten nur eine Tochter... und... da ist sie!«

13. Capitel
Dreizehntes Capitel.
Zwei Monate in der Mission.

Seit dem Verschwinden des Oberst von Kermor, seit seiner Abfahrt nach der Neuen Welt, waren vierzehn Jahre verflossen, und die Geschichte dieser vierzehn Jahre mag hier in wenigen Zeilen Platz finden.

Es war im Jahre 1872, wo von Kermor die Nachricht erhielt, daß mit dem Untergange des »Norton« auch seine Gattin und sein Kind den Tod gefunden hatten. Die Umstände, unter denen der Unfall sich zutrug, gestatteten ihm gar nicht zu glauben, daß von den beiden ihm so theuern Wesen das eine, sein Töchterchen Jeanne, damals noch ein ganz kleines Kind, hätte gerettet werden können. Er kannte Jeanne ja nicht einmal, da er Martinique kurz vor ihrer Geburt hatte verlassen müssen.

[390] Ein Jahr lang blieb der Oberst von Kermor noch an der Spitze seines Regiments. Dann kam er um seine Entlassung ein, und da ihn keine Familienbande an diese Welt mehr fesselten, beschloß er, den Rest seines Lebens dem gottgefälligen Werke der äußern Mission zu weihen.

Schon immer lebte in ihm neben der des Soldaten die Seele des Apostels. Der Officier war ganz dazu vorbereitet, sich in den Priester, den streitbaren Priester zu verwandeln, der sich der Bekehrung oder, mit andern Worten, der Civilisierung wilder Volksstämme widmet.

Heimlich verließ der Oberst von Kermor, ohne irgend jemand, nicht einmal den Sergeanten Martial, in seine Pläne eingeweiht zu haben, das französische Vaterland im Jahre 1875 und begab sich nach Venezuela, wo so viele Indianerstämme, in Unwissenheit dahinlebend, dem leiblichen und geistigen Verfall entgegengingen.

Als er in diesem Lande seine kirchlichen Studien beendet hatte, erhielt er die Ordination als Priester und trat in die Gesellschaft für äußere Mission unter dem Namen Pater Esperante ein, der sein Incognito in der neuen Lebensbahn schützen sollte.

Seine Entlassung als Officier erfolgte im Jahre 1873 und seine Ordination 1878, als er neunundvierzig Jahre zählte.

In Caracas war es, wo sich der Pater Esperante dafür entschied, seinen Aufenthalt in den fast unbekannten Gebieten des südlichen Venezuela zu wählen, wohin Missionäre nur sehr selten vordrangen. Eine ganze Menge eingeborner Stämme hatten wohl noch nie etwas von der veredelnden Lehre des Christenthums gehört oder waren wenigstens trotzdem Wilde geblieben wie vorher. Diese aufzusuchen bis zu den Landstrichen, die schon an Brasilien grenzten, das war die Aufgabe, zu der sich der französische Missionär berufen fühlte, und ohne daß jemand von seinem frühern Beruf das Geringste ahnte, brach er zu Anfang des Jahres 1879 dahin auf.


Seine strömenden Freudenthränen glichen einer Taufe. (S. 395.)

Nachdem er den Mittellauf des Orinoco hinausgefahren war, kam der Pater Esperante, der nun das Spanische wie seine Muttersprache beherrschte, nach San-Fernando, wo er sich einige Monate aufhielt. Von diesem Orte aus richtete er einen Brief an einen seiner Freunde, einen Notar in Nantes. Diesen Brief – den letzten, den er mit seinem wahren Namen unterzeichnete und der nur die Ordnung einer Familienangelegenheit betraf – bat er den Empfänger geheim zu halten.

[391] Hier muß daran erinnert werden, daß dieser in den hinterlassenen Papieren des Notars vorgefundene Brief dem Sergeanten Martial erst 1891, als Jeanne schon fast sechs Jahre bei ihm lebte, in die Hand gekommen war.

Dank seinen persönlichen Hilfsmitteln konnte sich der Pater Esperante in San-Fernando Alles beschaffen, was ihm zur Errichtung einer Station jenseits der Quellen des Stromes nöthig war. In demselben Orte nahm er auch den Bruder Angelos in seine Dienste, der, schon vertraut mit den Sitten der Indianer, sich ihm ebenso nützlich, wie für die edle Aufgabe begeistert erweisen sollte.

[392] [395]Der Bruder Angelos lenkte die Aufmerksamkeit des Pater Esperante auf die Guaharibos, die zum größten Theile an den Ufern des obern Orinoco und in der Nachbarschaft der Sierra Parima umherzogen. Grade diese Indianer zu bekehren, war eine That warmen Mitgefühls, denn man zählte sie zu den verwildertsten Eingebornen Venezuelas. Die Guaharibos standen ja, wie erwähnt, in dem Rufe von Räubern, Mördern und Menschenfressern, ein Leumund, den sie wenigstens in diesem Grade keineswegs verdienten.


»Reizend als junger Mann und reizend als junges Mädchen!« (S. 400.)

Das war aber nicht dazu angethan, einen so entschlossenen Mann wie den ehemaligen Oberst von Kermor zurückzuschrecken, und er blieb bei dem Vorsatze, eine Mission im Norden des Roraima zu begründen und die Eingebornen der Umgegend um sich zu sammeln.

Der Pater Esperante und der Bruder Angelos verließen San-Fernando in zwei Piroguen, die mit allem für ihre erste Einrichtung unentbehrlichen Material beladen waren. Das Weitere sollte je nach Bedarf zur kleinen Colonie nachgesendet werden. Die Falcas segelten also den Strom hinauf, legten dabei bei den bedeutenderen Ortschaften und den Ranchos am Ufer an und erreichten glücklich den Rio Torrida im Gebiete der Guaharibos.

Nach vielen fruchtlosen Versuchen, zwecklosen Bemühungen und mancherlei Fährlichkeiten gelang es dem Pater Esperante durch seine Güte und Hochherzigkeit doch schließlich, die Indianer zu sich heranzuziehen. Auf der Landkarte gab das bald ein neues Dorf, dem der Missionär den Namen Santa-Juana beilegte... Juana, den Namen, der der seines Töchterchens gewesen war.

So vergingen vierzehn Jahre. Die Mission blühte empor – der Leser weiß, unter welchen Verhältnissen. Es hatte schon den Anschein, daß den Pater Esperante nichts wieder mit seiner schmerzlichen Vergangenheit verknüpfen sollte, als sich die Vorgänge abspielten, die den Inhalt dieser Erzählung bilden.

Nach der Erklärung des Sergeanten Martial hatte der Oberst Jeanne in seine Arme gepreßt, und seine strömenden Freudenthränen glichen einer Taufe, mit der er die Stirn seines Kindes benetzte. Mit kurzen Worten berichtete das junge Mädchen ihm über ihren Lebenslauf, ihre Rettung an Bord des »Vigo«, über ihren Aufenthalt bei der Famlie Eridia in Havana und ihre Rückkehr nach Frankreich, ferner über den Entschluß, den sie gefaßt hatte, sobald ihr und dem Sergeanten Martial sein in San-Fernando aufgegebener Brief übermittelt worden war. Dann schilderte sie ihre Reise nach Venezuela, die sie als junger Mann verkleidet und unter dem Namen Jean antrat, die Fahrt auf dem [395] Orinoco, den Ueberfall durch den schurkischen Alfaniz und seine Quivas an der Furt von Frascaes und endlich die jetzige, so wunderbare Rettung.

Darauf begaben sich Beide nach dem Wagen zu dem alten Soldaten. Der Sergeant Martial fühlte sich wie neugeboren... er »strahlte«, wie man zu sagen pflegt, doch er weinte gleichzeitig, und immer und immer wieder sagte er:

»Mein Oberst... mein Oberst! Nun unsre Jeanne ihren Vater wiedergefunden hat, kann ich getrost sterben...

– Das verbiete ich Dir strengstens, alter Kriegskamerad!

– Ja, wenn Sie mir's freilich verbieten...

– Natürlich. Wir werden Dich pflegen, Dich wiederherstellen.

– O, wenn Sie mich pflegen, dann sterb' ich nicht... gewiß noch nicht!

– Du bedarfst aber dringend der Ruhe.

– Die wird mir nicht fehlen, Herr Oberst. Schon kommt der Schlaf wieder über mich, und diesmal wird es ein guter, stärkender Schlaf werden.

– Immer schlaf' Du, mein alter Freund, schlafe nur!... Wir kehren nach Santa-Juana zurück. Die Fahrt dahin wird Dir keine Beschwerden machen, und in wenigen Tagen bist Du wieder auf den Füßen.«

Der Oberst von Kermor hatte sich über das Lager des Verletzten gebeugt, hatte die Lippen auf die Stirn des Sergeanten Martial gedrückt, und sein alter Freund war dabei lächelnd eingeschlummert.

»Mein Herzensvater, rief Jeanne, wir werden ihn doch wohl retten?

– Mit Gottes Hilfe, ja, meine geliebte Jeanne!« antwortete der Missionär.

Germain und er hatten schon vorher die Verwundung des Sergeanten Martial genau untersucht, und sie glaubten, daß diese keine tödliche Folge haben werde.

Später erfuhr man auch, daß es der verruchte Alfaniz gewesen war, der auf den alten Soldaten in dem Augenblicke geschossen hatte, wo dieser sich in einem Anfall von Wuth auf ihn gestürzt hatte.

Der Pater Esperante sagte dann:

»Heute mögen meine wackern Indianer ausruhen und Ihre Gefährten, Herr Helloch, ebenfalls, denn Alle bedürfen einer gründlichen Erholung. Morgen schlagen wir den kürzesten Weg nach der Mission wieder ein, wobei uns Gomo führen wird.

– O, diesem muthigen Kinde verdanken wir im Grunde unsre Rettung, bemerkte Jeanne.

[396] – Ja, ich weiß es,« antwortete der Pater Esperante.

Darauf rief er den jungen Indianer herbei.

»Komm hierher, Gomo, komm zu mir!... Ich umarme Dich im Namen Aller, die Du gerettet hast!«

Und nachdem er aus den Armen des Pater Esperante freigekommen war, umschlangen ihn noch die Jeannes, die er in seiner Verwirrung immer noch: Mein Freund Jean! nannte.

Da das junge Mädchen die seit Beginn der Reise getragene Männerkleidung, wie wir wissen, noch nicht abgelegt hatte, fragte sie der Pater, ob ihre Begleiter wohl wüßten, daß Jean von Kermor eigentlich Jeanne von Kermor wäre. Darüber sollte er bald genug Aufklärung erhalten.

Als er nun Jacques Helloch und Germain Paterne, sowie Parchal und Valdez, den beiden Schiffern, deren opferfreudige Dienstwilligkeit sich im Verlaufe der langen und beschwerlichen Fahrt stets bewährte, dankend die Hand gedrückt hatte, nahm Jeanne von Kermor das Wort.

»Ich muß Dir sogleich mittheilen, liebster Vater, was ich unsern beiden Landsleuten Alles zu danken habe – ach, so viel, daß ich es in meinem Leben nicht wieder gut machen kann.

– Mein Fräulein, fiel da Jacques Helloch ein, ich bitte Sie... ich habe ja gar nichts für Sie gethan!

– Lassen Sie mich ausreden, Herr Helloch....

– Sprechen Sie aber nur von Jacques, nicht von mir, Fräulein von Kermor, rief Germain Paterne lachend, ich verdiene überhaupt keinen Dank.

– Ich bin Ihnen Beiden tief verpflichtet, liebe Reisegefährten, fuhr Jeanne fort, ja wohl, Beiden, mein theurer Vater. Wenn Herr Helloch mir das Leben gerettet hat...

– Sie haben meinem Kinde das Leben gerettet?« rief der Oberst von Kermor.

Jacques Helloch mußte es sich nun wohl oder übel gefallen lassen, den Bericht mit anzuhören, den Jeanne über den Schiffbruch der Piroguen kurz vor San-Fernando erstattete, und wie sie dabei, dank seinem Opfermuthe, dem Tode entgangen sei.

Weiter setzte das junge Mädchen dann hinzu:

»Ich sagte, lieber Vater, daß mir Herr Helloch das Leben gerettet hat; er hat aber auch noch mehr gethan, indem er uns, Martial und mich, begleitete, [397] sich an unsern Nachforschungen betheiligte... er sowohl, wie Herr Germain Paterne...

– Ei der Tausend! entgegnete der Letztere abwehrend. Sie dürfen wohl glauben, mein Fräulein, daß wir von Anfang an beabsichtigten, bis zu den Quellen des Orinoco hinauszugehen. Dahin lautete der Auftrag, den uns der Minister der öffentlichen Aufklärung...

– O nein, Herr Germain, nein, erwiderte Jeanne lächelnd, Sie sollten und wollten sich nur bis San-Fernando begeben, und wenn Sie nun bis Santa-Juana mitgegangen sind...

– So war das nichts weiter als unsre Pflicht!« erklärte Jacques Helloch.

Selbstverständlich erhielt der Oberst von Kermor später mehr ins Einzelne gehende Mittheilungen, und erfuhr er die verschiedenen Ereignisse während dieser abenteuerlichen Fahrt. Doch trotz der Zurückhaltung, die Jacques Helloch sich auferlegte, erkannte der Vater, als er Jeanne von so warmem Danke überströmen sah, doch schon ein wenig, welche Gefühle das Herz seiner Tochter erfüllten.

Während Jean von Kermor, Jacques Helloch, Germain Paterne und er über diese Dinge sprachen, ordneten Parchal und Valdez das Lager, wo der Rest des Tages und die folgende Nacht verbracht werden sollten. Ihre Leute hatten die im Kampfe Gefallenen in zwischen tiefer in den Wald geschafft. Der verwundeten Guaharibos nahm sich Germain Paterne an und versorgte sie mit zweckmäßigem Verbande.

Nachdem dann aus dem Wagen Nahrungsmittel geholt und an Alle in reichlicher Menge vertheilt waren, begaben sich, als schon an verschiedenen Stellen lustige Feuer aufloderten, Jacques Helloch und Germain Paterne in Begleitung des Oberst von Kermor und seiner Tochter nach den nahe am Ufer auf dem Trocknen liegenden Piroguen hinunter.

Diese erwiesen sich unbeschädigt, denn Alfaniz hatte sich ihrer bedienen wollen, um, den Ventuari hinaufsegelnd, nach den westlichen Gebieten zu gelangen. Sobald sich der Wasserstand ein wenig hob, konnten die beiden Falcas also wieder den Strom hinuntergleiten.

»Und die elenden Spitzbuben, rief Germain Paterne, haben wenigstens meine Sammlungen verschont! Wenn ich nun ohne sie nach Europa zurückgekehrt wäre! Erst überall so Vieles photographiert zu haben, und dann keine einzige Platte mit heimzubringen!... Niemals hätte ich es gewagt, dem Minister für öffentliche Aufklärung mit so leeren Händen vor Augen zu treten!«

[398] Die Freude des Naturforschers kann man sich wohl ebenso vorstellen, wie die Befriedigung der andern Passagiere der »Moriche« und der »Gallinetta«, als diese an Bord noch alle ihre Reiseeffecten wiederfanden, abgesehen von den Waffen, die sie auf der Waldblöße wieder zusammensuchen konnten.

Jetzt konnten die Piroguen, ohne irgend etwas zu fürchten zu haben, unter der Obhut der Mannschaften an der Mündung des Rio Torrida liegen bleiben. Wenn die Stunde zur Wiedereinschiffung herankam – wenigstens für die Insassen der »Moriche« – hatten Jacques Helloch und Germain Paterne nur einfach an Bord zu gehen.

Vorläufig war natürlich von einer Abfahrt keine Rede. Der Pater Esperante sollte nach Santa-Juana neben seiner Tochter auch deren treue Begleiter, den Sergeanten Martial, den jungen Gomo und den allergrößten Theil seiner Indianer zurückführen.

Wie hätten sich da die beiden Franzosen weigern können, einige Tage, selbst einige Wochen auf der Mission im Hause eines Landsmanns zuzubringen?

Sie nahmen die Einladung also ohne Widerrede an.

»Es geht gar nicht anders, bemerkte Germain Paterne gegen Jacques Helloch. Bedenke nur einmal... nach Europa zurückzukehren, ohne Santa-Juana besucht zu haben! Nein, ich hätte es gar nicht gewagt, mich dem Minister für öffentliche Aufklärung vorzustellen, und Du auch nicht, Jacques!

– Nein, ich auch nicht, Germain!

– Sapperment, wir hätten uns schämen müssen!«

Am heutigen Tage wurden alle Mahlzeiten gemeinschaftlich eingenommen. Die Vorräthe der Piroguen und der von Santa-Juana mitgeführte Proviant lieferten dazu alles Nöthige. Nur der Sergeant Martial befand sich nicht unter den Theilnehmern, doch er war ja so glücklich, so glücklich, seinen Oberst – wenn dieser auch die Kutte des Pater Esperante trug – endlich wiedergefunden zu haben. Die gute Luft in Santa-Juana mußte ihn doch binnen wenigen Tagen völlig wiederherstellen. Daran zweifelte er keinen Augenblick.

Selbstverständlich mußten Jacques Helloch und Jeanne dem Oberst von Kermor noch ganz eingehend über den Verlauf der Reise berichten. Er hörte ihnen zu, beobachtete Beide und erkannte leicht die Gefühle, die sich in Jacques Helloch's Herzen regten. Das machte ihm Gedanken. Welch neue Pflichten würde die ganz neue Sachlage ihm nun auferlegen?

[399] Natürlich legte Jeanne von Kermor noch am heutigen Tage die ihr zukommende Kleidung an, die in einem im Deckhause der »Gallinetta« untergebrachten Koffer aufbewahrt war.

Da sagte Germain zu seinem Freunde:

»Reizend als junger Mann und reizend als Mädchen! Wahrlich, ich habe mich auf derlei Dinge doch nicht recht verstanden!«


Er durfte unter dem Schatten der Palmen sitzen. (S. 402.)

Am nächsten Tage und nach Verabschiedung von Parchal und Valdez, die es vorzogen, zur Bewachung der Piroguen zurückzubleiben, verließen der Pater [400] Esperante, seine Gäste und die Guaharibos das Lager am Pic Maunoir. Mit Hilfe der Pferde und der Wagen konnte der Weg durch die Wälder und die Savanne nicht besonders anstrengend werden.


Die »Gallinetta« und die »Moriche« mußten mühsam geschleppt werden. (S. 406.)

Jetzt wurde auch nicht die vorher eingehaltene Richtung nach den Quellen des Orinoco hin gewählt. Am kürzesten war es ja, dem rechten Ufer des Rios zu folgen, wie es Jacques Helloch unter Führung des jungen Indianers schon gethan hatte. Die ganze Truppe kam jetzt so schnell vorwärts, daß zu Mittag bereits die Furt von Frascaes erreicht war.

[401] Von den jetzt in alle Winde verstreuten Quivas war keine Spur zu entdecken. Von ihnen hatte man nichts zu fürchten.

An der Furt wurde eine Stunde lang Halt gemacht, und da sich der Sergeant Martial von der Wagenfahrt keineswegs angegriffen fühlte, brach man dann getrosten Muthes nach Santa-Juana zu wieder auf.

Die Strecke zwischen dem Halteplatze und dem Dorfe wurde in einigen Stunden zurückgelegt, und noch am Nachmittage war die Mission glücklich erreicht.

An dem Empfange, der dem Pater Esperante hier zutheil wurde, erkannten Jacques Helloch und seine Begleiter, wie innig seine treuen Indianer ihn liebten.

Zwei Zimmer im Pfarrhause wurden nun Jeanne von Kermor und dem Sergeanten Martial eingeräumt, zwei andre Jacques Helloch und Germain Paterne in einem anstoßenden Häuschen, wo Bruder Angelos die Fremden willkommen hieß.

Am folgenden Tage rief die Glocke der kleinen Kirche das ganze Dorf zu einem Dankgottesdienst zusammen. Was empfand da, bei der vom Pater Esperante celebrierten heiligen Messe, das junge Mädchen, als sie ihren Vater zum ersten Male vor dem Altare sah! Und welchen Eindruck hätte das auf den Sergeanten Martial gemacht, wenn er dem von seinem Oberst geleiteten Gottesdienste hätte beiwohnen können!

Es erübrigt wohl, von den einzelnen Tagen, die in der Mission von Santa-Juana vergingen, hier eingehend zu berichten, und es genüge zu wissen, daß das Befinden des Verwundeten die erfreulichsten raschen Fortschritte machte. Schon am Ende der Woche durfte er auf einem mit weichem Hirschleder überzogenen Lehnstuhle unter dem Schatten der Palmen sitzen.

Der Oberst und seine Tochter hatten wiederholt längere Zwiegespräche über die Vergangenheit. Jeanne erfuhr nun erst, wie der der Gattin beraubte Gatte, der des Kindes beraubte Vater sich entschlossen hatte, sein ganzes Leben diesem apostolischen Werke zu widmen. Konnte er's jetzt, in noch unvollendetem Zustande, wieder aufgeben?... Nein, gewiß nicht! Jeanne sollte aber hier bleiben und ihm ihr späteres Leben weihen.

An einen solchen Gedankenaustausch schlossen sich auch häufiger Gespräche zwischen dem Pater Esperante und dem Sergeanten Martial an. Der Missionär dankte dem alten Waffengefährten für Alles, was er für seine Tochter gethan... und vorzüglich auch, daß er der Reise hierher zugestimmt hatte. Dann fragte er ihn mehr beiläufig über Jacques Helloch und erkundigte sich, ob Martial [402] die Beiden – Jeanne und den jungen Mann – wohl ein wenig näher beobachtet habe.

»Ja, ich versichere Ihnen, Herr Oberst, daß ich die strengsten Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte. Da gab es nur einen Jean, einen jungen Burschen aus der Bretagne, einen Neffen, dem sein Onkel, wenn auch nicht freudigen Herzens, nach diesem Lande der Wilden zu reisen gestattete. Es hat, wie es scheint, eben so sein sollen, daß Jacques Helloch und unsre liebe Tochter einander unterwegs kennen lernten. Ich habe Alles gethan, es zu verhindern... hab' es aber nicht gekonnt. Da hat der Teufel seine Hand mit im Spiele gehabt!

– O nein... doch Gott, mein braver Kriegsgefährte!« antwortete der Pater Esperante.

Inzwischen verstrich die Zeit, und die Dinge kamen um keinen Schritt weiter. Warum zögerte eigentlich Jacques Helloch, sich offen auszusprechen? Meinte er vielleicht, sich doch zu täuschen?... O nein, weder über seine eigenen Gefühle, noch über die, die er Jeanne von Kermor eingeflößt hatte. Nur eine ihn gewiß ehrende Zurückhaltung gebot ihm Schweigen. Das Gegentheil hätte ja ausgesehen, als beanspruche er nun den Preis für die von ihm geleisteten Dienste.

Sehr zu gelegener Zeit brachte Germain Paterne indeß »den Stein zum Rollen«, und eines Tages begann er zu seinem Freunde:

»Nun... wann reisen wir denn wieder ab?

– Sobald Du willst, Germain.

– Das ist ja recht schön, nur wirst Du es nicht wollen, wenn ich es will...

– O... warum denn?

– Weil Fräulein von Kermor dann verheiratet sein wird...

– Verheiratet!...

– Ja... denn ich werde um ihre Hand anhalten.

– Was kommt Dir in den Sinn? rief Jacques fast heftig.

– Na, na, nur gelassen! Natürlich nicht für mich, sondern für Dich!«

Und das that er denn auch, ohne sich durch Einwendungen, die ihm unangebracht erschienen, abhalten zu lassen.

Jacques Helloch und Jeanne von Kermor traten in Gegenwart Germain Paterne's und des Sergeanten Martial vor den Missionär, der sie nach ihrem Begehr fragte.

[403] »Jacques, begann das junge Mädchen mit tief erregter Stimme, ich bin bereit, die Ihrige zu werden... das wird in meinem ganzen Leben nicht genug sein, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeugen.

– Jeanne, meine theure Jeanne, antwortete Jacques Helloch, ach, ich liebe Sie... ja, ich liebe Sie schon längst!

– Nun, sage nichts weiter, lieber Freund, rief Germain Paterne. Etwas Besseres würdest Du doch nicht zu sagen finden!«

Der Oberst von Kermor zog seine beiden Kinder an sich, die, an seinem Herzen liegend, den Bund für's Erdenleben schlossen.

Die Trauung des jungen Paares sollte in Santa-Juana nach Verlauf von vierzehn Tagen stattfinden. Nachdem der Pater Esperante als Standesbeamter in der Mission die Civiltrauung verrichtet hätte, würde er auch die kirchliche Einsegnung der Neuvermählten folgen lassen und ihnen dabei den väterlichen Segen ertheilen. Jacques Helloch, der völlig frei dastand und dessen Familie der Oberst von Kermor früher gekannt hatte, brauchte keine Genehmigung einzuholen. Sein Vermögen und das vom Sergeanten Martial verwaltete Vermögen Jeannes mußte den jungen Leuten ein reichliches Auskommen sichern. Einige Wochen nach der Hochzeit sollten sie abreisen und dann über Havana fahren, um dort die Familie Eridia aufzusuchen. Darauf würden sie nach Europa reisen, in Frankreich, in der Bretagne, ihre Angelegenheiten ordnen und schließlich nach Santa-Juana zum Oberst von Kermor und zu dem alten Soldaten zurückkehren.

So lauteten die Bestimmungen, die allseitigen Beifall fanden, und am 25. November vollzog, im Beisein der festlich gekleideten Einwohnerschaft und in Gegenwart Germain Paterne's und des Sergeanten Martial, die als Zeugen dienten, der Vater die civile und die kirchliche Trauung seiner Tochter Jeanne von Kermor mit dem überglücklichen Jacques Helloch.

Es war eine ergreifende Feierlichkeit, die im Dorfe allgemeinster Theilnahme begegnete und eine tiefe Erregung zurückließ. Die wackern Guaharibos gaben dabei ihrer Freude in lautester Weise Ausdruck.

Nahezu ein Monat ging noch dahin, dann kam Germain Paterne der Gedanke, daß es doch wohl Zeit wäre, der wissenschaftlichen Mission, womit sein Genosse und er vom Minister für öffentliche Aufklärung betraut worden waren, endlich Rechnung zu tragen. Man sieht, daß es immer der Minister war, den er als Vermittler seiner Absichten zu Hilfe nahm.

[404] »Schon jetzt?« antwortete ihm Jacques Helloch auf seine Erinnerung.

Jacques Helloch hatte eben die Tage nicht gezählt... er war zu glücklich, um solche Rechnungen anzustellen.

»Ja wohl... schon! erwiderte Germain Paterne. Seine Excellenz muß ja annehmen, wir wären von venezuolanischen Jaguaren aufgezehrt worden, wenn unsre Erdenlaufbahn nicht etwa im Magen von Caraïben geendet hätte!«

In Uebereinstimmung mit dem Pater Esperante wurde nun die Abreise auf den 22. December festgesetzt.

Nicht ohne schwere Beklemmung des Herzens sah der Oberst von Kermor die Stunde herannahen, wo er sich von seiner Tochter trennen sollte, wenn es auch beschlossen war, daß diese nach einigen Monaten zu ihm zurückkäme. Die jetzige Reise erfolgte ja unter wesentlich günstigeren Bedingungen, und Frau Jacques Helloch war dabei nicht solchen Unannehmlichkeiten und Gefahren wie Jeanne von Kermor ausgesetzt. Die Thalfahrt auf dem Strome bis Ciudad-Bolivar verlief voraussichtlich schnell genug – freilich ohne die Gesellschaft der Herren Miguel, Felipe und Varinas, die San-Fernando jetzt jedenfalls wieder verlassen hatten.

Es war zu erwarten, daß die Piroguen binnen fünf Wochen Caïcara erreichten, und von da aus sollte einer der auf dem untern Orinoco verkehrenden Dampfer benutzt werden. Was aber die schließliche Rückkehr nach Santa-Juana betraf, konnte man Jacques Helloch wohl zutrauen, daß er sie mit größter Schnelligkeit und in möglichster Sicherheit auszuführen wissen werde.

»Obendrein, mein Herr Oberst, bemerkte der Sergeant Martial, hat unsre Tochter den besten Ehemann, sie in Schutz zu nehmen, und der ist mehr werth als so ein Dreiviertels-Invalid... ein alter dummer Kerl, der nicht einmal im Stande war, sie zu retten... weder aus den Fluthen des Orinoco, noch vor der Liebe dieses braven, ehrenfesten Jacques Helloch!«

[405]
14. Capitel
Vierzehntes Capitel.
Auf Wiedersehen!

Am Morgen des 22. December lagen die beiden Piroguen bereit, den Strom wieder hinunter zu fahren.

Zu dieser Zeit des Jahres war der Wasserstand des Orinoco noch nicht besonders gestiegen. Die »Gallinetta« und die »Moriche« hatten deshalb gegen fünf Kilometer stromabwärts bis zur Mündung eines kleinen Rios des rechten Ufers, wo sich hinreichende Wassertiefe vorfand, mühsam geschleppt werden müssen. Von hier aus liefen sie höchstens noch Gefahr, einige Stunden lang da und dort den Grund zu streifen, nicht aber bis zum Eintritt der Regenzeit etwa gar auf dem Trocknen sitzen zu bleiben.

Der Pater Esperante wollte seine Kinder bis zu dem neuen Halteplatze der Falcas geleiten. Der jetzt wieder ganz hergestellte Sergeant Martial schloß sich ihm ebenso an, wie der junge Indianer, der inzwischen zum richtigen Adoptivkinde der Mission von Santa-Juana geworden war.

Etwa fünfzig Guaharibos bildeten die weitere Begleitung, und Alle langten glücklich an der Einmündung des Rios an.

Als die Stunde zur Abfahrt schlug, nahm Valdez seinen Platz auf der »Gallinetta« ein, auf der Jacques Helloch und seine Gattin sich einschiffen sollten. Parchal begab sich auf die »Moriche«, deren Deckhaus die kostbaren Sammlungen Germain Paterne's und seine nicht minder kostbare Person aufzunehmen hatte.

Da die beiden Falcas beisammen bleiben und häufig dicht Bord an Bord segeln sollten, würde Germain Paterne nicht auf seine eigene Gesellschaft beschränkt sein, sondern, so viel er wollte, mit dem jungen Ehepaare in Berührung bleiben können. Außerdem sollten, wie sich das ja von selbst versteht, die Mahlzeiten gemeinschaftlich an Bord der »Gallinetta« eingenommen werden, wenn Jacques und Jeanne Helloch nicht ausnahmsweise einer Einladung Germain Paterne's nach der »Moriche« folgten.

Die Witterung war günstig, das heißt, es wehte ein mäßig frischer Wind aus Osten, und da die Sonnenstrahlen durch einen leichten Wolkenschleier gemildert wurden, herrschte auch eine recht erträgliche Temperatur.

[406] Der Oberst von Kermor und der Sergeant Martial gingen bis zum Rande des Wassers hinab, um ihre Kinder noch einmal zu umarmen. Weder die einen, noch die andern suchten ihre natürliche Erregung zu verbergen. Jeanne, die ja sonst so energisch war, weinte still in den Armen ihres Vaters.

»Ich führe Dich zu ihm zurück, meine geliebte Jeanne, flüsterte ihr Jacques Helloch tröstend zu. In einigen Monaten werden wir Beide wieder in Santa-Juana sein!...

– Nein, wir alle Drei, schaltete Germain Paterne ein, denn ich habe übersehen, einige von den seltenen Pflanzen zu sammeln, die nur in der Umgebung der Mission vorkommen, und ich denke dem Minister für öffentliche Aufklärung zu beweisen...

– Gott mit Dir, mein guter Martial, Gott sei mit Dir! sagte die junge Frau, die den alten Soldaten zum Abschied umarmte.

– Ach, Jeanne... gedenke Du auch Deines Onkels, der Dich keinen Augenblick vergessen wird!«

Dann kam die Reihe an Gomo, von dem Jeanne auch noch mit einer Umarmung Abschied nahm.

»Leb wohl, mein Vater, sagte Jacques Helloch, indem er die Hand des Missionärs warm drückte, und auf Wiedersehen... auf Wiedersehen!«

Jacques Helloch, seine Gattin und Germain Paterne bestiegen die »Gallinetta«.

Die Segel wurden gehißt, die Haltetaue losgeworfen und die beiden Piroguen schwenkten nach der Strömung in dem Augenblicke ab, wo der Pater Esperante die Arme ausstreckte, um ihnen einen letzten Segen zu ertheilen.

Dann schlugen der Sergeant Martial, der junge Indianer und er, in Begleitung der Guaharibos, den Weg nach der Mission wieder ein.

Wir brauchen hier nicht Strecke für Strecke die Fahrt der Falcas auf dem Orinoco hinunter zu schildern. Dank der Strömung beanspruchte diese Reise gut drei bis viermal so wenig Zeit und gewiß zehnmal weniger Anstrengung und brachte zehnmal weniger Gefahr, als wenn es sich darum handelte, den Strom nach den Quellen hinauszusegeln. Nie brauchte jetzt die Espilla benutzt zu werden, um die Piroguen aufzuholen, und im schlimmsten Falle genügten die Palancas, wenn der Wind sich ganz legte oder zu widriger Richtung umschlug.

Die Passagiere sahen jetzt, wie in einem beweglichen Panorama, die Orte, woran sie früher vorbeigekommen waren – dieselben Dörfer, Ranchos, Raudals [407] und dieselben Stromschnellen. Schon machte sich ein Wachsen des Wassers bemerkbar, so daß dieses für die Piroguen überall Tiefe genug haben mußte, eine Löschung der Ladung zu vermeiden, und so ging denn die Fahrt voraussichtlich ohne Mühe und Anstrengung von statten.

Welcher Unterschied, wenn sich die junge Frau und ihr Gatte jetzt an die Beschwerden, die Unruhe und an die Gefahren der Reise erinnerten, die sie vor noch nicht so vielen Wochen vollendet hatten!

Beim Auftauchen des Sitios des Capitan Baré dachte Jeanne daran, daß sie hier ein Opfer des Sumpffiebers geworden wäre, wenn Jacques Helloch nicht die unschätzbare Coloraditorinde entdeckt hätte, die ihr einen wiederholten Anfall verhütete.

Weiterhin erkannte man, unsern dem Cerro Guararo, die Stelle, wo die den Strom überschreitende Rinderherde von den schrecklichen elektrischen Zitterrochen überfallen worden war.

In Danaco ferner stellte Jacques Helloch seine Gattin Manuel Assomption vor, dessen Gastfreundschaft sie mit Germain Paterne einen Tag lang genossen hatten. Wie erstaunten aber die guten Leute im Rancho, als sie in der reizenden jungen Frau den Neffen wiedererkannten, der mit seinem Onkel Martial in einer der Hütten des Mariquitarerdorfes Unterkommen gefunden hatte.

Am 4. Januar endlich vertauschten die »Gallinetta« und die »Moriche« das Bett des Orinoco gegen das des Atabapo und legten sich am Quai von San-Fernando fest.

Drei Monate waren vergangen, seit Jacques Helloch und seine Gefährten sich hier von den Herren Miguel, Felipe und Varinas verabschiedeten. Weilten nun die drei Collegen noch immer am nämlichen Orte? Das konnte man doch kaum annehmen. Nachdem sie die Frage bezüglich des Orinoco, des Guaviare und des Atabapo gründlich behandelt hatten, waren sie gewiß gleich nach Ciudad-Bolivar heimgekehrt.

Germain Paterne hätte nun gar zu gern erfahren, welcher der drei Flüsse den endlichen Sieg davongetragen habe. Da die Falcas nun hier einige Tage liegen bleiben sollten, um vor der Fahrt nach Caïcara ihren Proviant zu erneuern, konnte ihm die Gelegenheit, seine Neugier zu befriedigen, ja nicht fehlen.

Jacques Helloch und seine Gattin gingen also ans Land und erwählten als Wohnung das Häuschen, worin sich der Sergeant Martial schon einmal aufgehalten hatte.

[408] [411]Noch an demselben Tage machten sie ihren Besuch bei dem Gouverneur, der mit großer Befriedigung von den Ereignissen hörte, deren Schauplatz die Mission von Santa-Juana gewesen war – einerseits von der fast vollständigen Ausrottung der Alfaniz'schen Verbrecherbande, und andrerseits von dem glücklichen Erfolge der Reise.

Was die Herren Miguel, Felipe und Varinas betraf, so hatten diese – erstaune nur niemand darüber! – die Ortschaft noch nicht verlassen, da sie über die hydrographische Streitfrage bezüglich der drei Wasserläufe jetzt ebensowenig einig waren, wie bei ihrer Abreise aus Ciudad-Bolivar.

Noch am nämlichen Abend konnten die Passagiere von der »Gallinetta« und der »Moriche« einen Händedruck mit den Insassen der »Maripare« wechseln.

Herr Miguel und seine gelehrten Freunde empfingen die alten Reisegefährten mit größter Zuvorkommenheit.


»Und wer war damit nicht zufrieden?« rief Germain Paterne. (S. 415.)

Man vergegenwärtige sich aber ihre Verblüffung, als sie Jean – »ihren lieben Jean« – am Arme Jacques Helloch's und – in Frauenkleidung wiedersahen.

»Wollen Sie uns wohl mittheilen, warum er sich so verwandelt hat? fragte Herr Varinas.

– O, sehr einfach: weil ich ihn geheiratet habe, erklärte Jacques Helloch.

– Sie... Sie haben Jean von Kermor geheiratet? rief Herr Felipe, der die Augen weit aufriß.

– Das nicht... doch Fräulein Jeanne von Kermor.

– Wie? platzte Herr Miguel heraus, Fräulein von Kermor?

– Das ist die Schwester Jeans! antwortete Germain Paterne lachend. Nicht wahr, sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich?«

Bald folgte eine weitere Erklärung, und die jungen Gatten wurden in aufrichtigster Weise beglückwünscht, Frau Jacques Helloch aber noch einmal besonders, daß sie ihren Vater, den Oberst von Kermor, in dem Missionär von Santa-Juana wiedergefunden hätte.

»Und der Orinoco? fragte Germain Paterne. Füllt er noch immer seinen früheren Platz aus?

– Noch immer, versicherte Herr Miguel.

– Er ist es also, der unsre Piroguen bis zu seinen Quellen in der Sierra Parima getragen hat?...«

Die Gesichtszüge der Herren Varinas und Felipe bewölkten sich bei dieser Frage, aus ihren Augen sprühten Blitze, die Vorboten eines Unwetters, während [411] Herr Miguel nur mit den Schultern zuckte. Dann entwickelte sich wieder der Redekampf, dessen Stärke die Zeit nicht abzuschwächen vermocht hatte, zwischen dem Vertreter des Atabapo und dem Parteigänger des Guaviare. Nein – sie stimmten noch nicht überein, würden das niemals thun, und ehe der Eine seine Anschauung zu Gunsten der des Andern verleugnete, hätten sie gewiß weit lieber Herrn Miguel Recht gegeben und sich zu Gunsten des Orinoco ausgesprochen.

»Beantworten Sie das Eine, rief Herr Varinas, und leugnen Sie einmal, daß der Guaviare nicht schon sehr viele Male als der westliche Orinoco bezeichnet worden wäre, und zwar von den competentesten Geographen!

– Von ebenso uncompetenten wie Sie, mein Herr Varinas!« antwortete Herr Felipe, ebenso laut, wie sein Gegner gefragt hatte.

Man sieht, daß Rede und Gegenrede hier schon von den ersten Worten an in hitzigster Weise geführt wurden. Das konnte freilich niemand wundern, der etwa wußte, daß die beiden Gegner jeden Tag, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, über das nämliche Thema ganz ebenso in Wortwechsel geriethen. Wenn die von beiden Seiten vorgebrachten Argumente auch jetzt noch nicht bis zum Tz abgenutzt waren, konnte das nur daran liegen, daß sie von außerordentlicher Zähigkeit waren.

Herr Varinas setzte den Streit noch weiter fort.

»Seine Quelle in der Sierra Suma-Paz, östlich vom obern Magdalenenstrome im Gebiete Columbias zu haben, das ist denn doch ein ander Ding, als sich, kein Mensch weiß wo, mühsam hervorzuwinden...

– Kein Mensch weiß wo, Herr College? versetzte Herr Felipe scharf. Sie scheuen vor solchen entehrenden Ausdrücken nicht zurück, wo es sich um den Atabapo handelt, der aus den vom Rio Negro bewässerten Ilanos hervorbricht – ganz abgesehen davon, daß der mächtige Flußlauf einen Verbindungsweg mit dem Becken des Amazonenstromes bildet!

– Das Wasser Ihres Atabapo aber ist pechschwarz, und es gelingt ihm nicht einmal, sich mit dem des Orinoco zu vermischen!

– Das Ihres Guaviare dagegen ist lehmig, schmutziggelb, und Sie wären nicht im Stande, es nur wenige Kilometer stromabwärts von San-Fernando überhaupt noch nachzuweisen!

– Der Guaviare wird aber von Kaimans bewohnt. Er hat deren so viele Tausende, wie der Orinoco, während der Atabapo sich mit lächerlichen [412] Fischchen begnügen muß, die ebenso werthlos, schwarz und mager sind, wie er selbst. Schicken Sie doch einmal Schiffe auf Ihren Atabapo, Herr Felipe, und sehen Sie zu, wie weit sie, wenn man sie nicht auf Karren über Land weiter schafft, kommen werden! Auf dem Guaviare können solche Tausende von Kilometern hinaufsegeln... hinauf bis zur Einmündung des Ari-Ari und auch noch weiter!

– Ob man Schiffe einmal über seichte Stellen hinwegschaffen muß oder nicht, Herr Varinas, wir bilden doch das hydrographische Verbindungsglied zwischen den Amazonasländern und der venezuolanischen Republik!

– Und wir zwischen Venezuela und Columbia!

– Ach, ich bitte Sie!... Giebt es denn da gar keinen Apure, der einen Weg für die Schiffe bietet?

– Und auf Ihrer Seite etwa keinen Cassiquiare, wie?

– Ihr Guaviare hat weiter nichts als Schildkröten!

– Und Ihr Atabapo nichts andres als Muskitos...

– Uebrigens ergießt sich der Guaviare, wie alle Welt weiß, hier, wo wir sind, schließlich in den Atabapo...

– Fehlgeschoffen, der Atabapo verschwindet im Guaviare, wie alle Leute mit gesundem Menschenverstand zugeben, und die Wasserzufuhr des Guaviare beträgt auch nicht weniger als dreitausendzweihundert Cubikmeter...

– Und wie die Donau, fiel hier Germain Paterne, den Dichter der »Orientales« citierend, ein:


».... strömt er

Vom Abendlande zum Morgenlande.«


Das war ein Argument, dessen sich Herr Varinas noch nicht bedient hatte, das er aber sorgsam in das Actenbündel des Guaviare einheftete.

Bei diesem heftigen Wortgefecht zur Hervorhebung der Bedeutung der beiden Nebenflüsse konnte sich Herr Miguel des Lächelns nicht erwehren. Er ließ den Orinoco ruhig seine zweitausendfünfhundert Kilometer dahinströmen, von der Sierra Parima an bis zu seinem fünfzigarmigen Delta, das sich an der Küste des Atlantischen Oceans verzweigt.

Inzwischen erlitten die nöthigen Vorbereitungen keine Unterbrechung. Die Piroguen, die nun untersucht, ausgebessert, in völlig tadellosen Stand versetzt und frisch verproviantiert waren, lagen am 9. Januar zur Abfahrt bereit.

Jacques und Jeanne Helloch schrieben noch einen Brief an ihren Vater – einen Brief, in dem auch der Sergeant Martial und der junge Indianer [413] nicht vergessen waren. Dieses Schreiben gelangte nach Santa-Juana durch Händler, die mit Eintritt der Regenzeit den Strom hinauszufahren pflegen. Es sagte Alles, was zwei dankerfüllte, glückliche Herzen nur sagen können.

Am Tage vor der Abreise erhielten die Passagiere zum letzten Male eine Einladung zum Gouverneur von San-Fernando. An diesem Abend herrschte Waffenstillstand, die hydrographische Streitaxt blieb einstweilen begraben. Nicht als ob das Thema etwa erschöpft gewesen wäre, die Gegner hatten ja aber noch Monate und Jahre vor sich, jene lustig zu schwingen.

»Ihre »Maripare«, Herr Miguel, fragte die junge Frau, wird morgen also die »Gallinetta« und die »Moriche« nicht begleiten?

– Es scheint nicht so, verehrte Frau, antwortete Herr Miguel, der sich ja fügen mußte, seinen Aufenthalt am Zusammenflusse des Guaviare und des Atabapo noch zu verlängern.

– Ja, wir müssen uns noch über einige wichtige Punkte klar werden, ließ sich Herr Varinas vernehmen.

– Und haben noch einige Untersuchungen auszuführen, setzte Herr Felipe hinzu.

– Dann also, auf Wiedersehen, meine Herren! sagte Jacques Helloch.

– Auf Wiedersehen?... fragte Herr Miguel verwundert.

– Jawohl, erwiderte Germain Paterne, und zwar in San-Fernando... wenn wir wieder hier vorüberkommen... etwa nach sechs Monaten... denn es ist doch kaum wahrscheinlich, daß die hochwichtige Frage...«

Am nächsten Tage, am 9. Januar, schifften sich die Reisenden, nach herzlichem Abschied von dem Gouverneur, wie von Herrn Miguel und seinen Collegen, wieder ein, und schnell dahingetragen von der Strömung des Flusses – ob dieser sich nun Atabapo, Guaviare oder Orinoco nannte – verloren die beiden Piroguen den Flecken San-Fernando bald aus dem Gesicht.

Kaum eine Stunde später erkannte die junge Frau die Stelle wieder, wo die beiden Falcas am rechten Ufer gestrandet waren, und auch die, wo Jacques sie bei dem entsetzlichen Tosen des Chubasco mit Gefahr seines Lebens gerettet hatte.

»Ja... meine geliebte Jeanne... hier war es...

– Hier, mein Jacques, wo in Dir der Gedanke aufkam, Deinen lieben Jean nicht zu verlassen... ihn durch so viele Fährlichkeiten bis zum Ziele seiner Reise zu begleiten.

[414] – Und wer war damit nicht zufrieden? rief Germain Paterne. Das war der gute Sergeant Martial. O, der Onkel hatte seine wahre Noth mit dem Neffen, der ihm nichts zu Danke machen konnte.«

Im Laufe der folgenden Tage legten die von der Brise immer begünstigten Piroguen schnell eine große Strecke zurück. Sie überwanden ohne Schwierigkeit die Raudals von Mapure und Ature, die jetzt nur flußabwärts zu passieren waren, und kamen bald nach der Mündung des Meta und nach dem Dorfe Cariben. Die wildreichen Inseln des Stromes lieferten reichlich schmackhafte Nahrung, und auch der Fischfang blieb überall ertragreich.

Später gelangte die Gesellschaft nach dem Rancho des Herrn Mirabal in la Tigre. Nach dem Grundsatze: »Ein Mann, ein Wort« legten die Falcas hier an, und ihre Passagiere waren vierundzwanzig Stunden lang die Gäste des vortrefflichen Mannes, der sie mit inniger Freude wegen des Ausgangs ihres Unternehmens beglückwünschte, wobei er ebenso darauf hinzielte, daß der Oberst von Kermor in Santa-Juana wirklich gefunden worden war, wie er zartfühlend darauf hindeutete, »was die Folge davon gewesen wäre«.

In la Urbana mußten die Piroguen für den letzten Theil der Fahrt noch einmal mit Vorräthen versorgt werden.

»Aber die Schildkröten? rief plötzlich Germain Paterne. – Erinnerst Du Dich der Schildkröten nicht, Jacques... jener Myriaden von Schildkröten? Alle Wetter, hierher auf dem Rücken von Schildkröten gekommen zu sein...

– In diesem Dorf sind wir einander zum ersten Male begegnet, Herr Germain, sagte die junge Frau.

– Ja, dank jenen vortrefflichen Panzerthieren, denen wir doch wohl einige Anerkennung schuldig sind, erklärte Jacques.

– Die werden wir ihnen dadurch darbringen, daß wir sie verspeisen, denn sie schmeckt ausgezeichnet, die Schildkröte des Orinoco!« rief Germain Paterne, der alle Dinge immer von dem ihnen zukommenden besondern Standpunkte aus betrachtete.

Am 25. Januar erreichten die Falcas Caïcara.

In diesem Flecken trennten sich Jacques Helloch, Jeanne und Germain Paterne von den Schiffern und deren Mannschaften, nicht ohne den wackern und so ergebenen Leuten, deren Dienste sie gern anerkannten und gut belohnten, einen herzlichen Dank auszusprechen. Von Caïcara brachte ein Dampfer des Apure die Reisenden binnen zwei Tagen nach Ciudad-Bolivar, von wo die [415] Eisenbahn sie schnell nach Caracas beförderte. Zehn Tage später waren sie in Havana bei der Familie Eridia, und fünfundzwanzig Tage darauf in Europa, in Frankreich, in der Bretagne, in Sainte-Nazaire, in Nantes.

Da begann Germain Paterne einmal:

»Weißt Du wohl, Jacques, daß wir auf dem Orinoco volle fünftausend Kilometer zurückgelegt haben?... Ist Dir das nicht ein bischen lang vorgekommen?

– O, bei der Rückfahrt nicht!« antwortete Jacques Helloch, der glücklich und lächelnd seiner Jeanne ins Auge blickte.


Ende.

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Der stolze Orinoco. Der stolze Orinoco. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7520-B