Die Villa des Timoleon

Wär's eine Nymphe, die in der Einsamkeit
Dem Wandrer sich verräth? Im Gebüsch vielleicht
Verborgen lauscht das holde Wesen
Und dem Erschöpften ertönt die Stimme:
Komm, labe, Wandrer, dich und Epipoli
Gestärkt besteigst du! Täuscht' ich mich nicht, es quillt
Vom Felsen sprudelnd und der Bäume
Freundliche Schatten verbreiten Kühlung.
Dem Berg entsproßt großblätterig Indiens Frucht
Voll Purpurfeigen, auch die Cypresse ragt,
Es reift die Goldorang' und lieblich
Birgt sich im ewigen Grün die Mühle.
Ich trinke; dankt' ich's, lauschende Nymphe, dir?
O welche Stille! Wohnte die Schwermuth hier,
Der Schmerz, vielleicht verkannte Tugend,
Oder die Weisheit, die Völkern Heil bringt?
[141]
Timoleon, o Name mir werther selbst
Als Recht und Tugend, Wort und Gedanke nur!
Du bist die That! Es schuf den Menschen,
Schuf auch die Erde des Gottes That nur.
Timoleon, dir bietet der Denker selbst,
Der Seher des Cefiß, der unsterbliche,
Das Haupt; was er im Geiste geträumet,
Doppelt hast du's in der That geschaffen.
Sah je im Tempel größeren Sterblichen
Ortygias Gottheit? Gelon, der Alte, nicht,
Nicht Hermokrat, nur Einer ist hier,
Nur Aristomaches Bruder ähnlich,
Der Mann, der einst den Weisen von Griechenland
Das Schwert umgürtet und den Tyrannen schlug,
Ein Gott und Retter heut gefeiert,
Morgen gemordet von schnöder Habsucht.
Timoleon, ertöne dein Name mir
Noch einmal! Großer Vater des Volks, du hast
Zertrümmert des Tyrannen Burg und
Hast auf den Trümmern gestürzter Herrschaft
Dir selbst den Thron, Großmüthigster, nicht gebaut,
Wie Menschen pflegen, hast den Entfesselten
Der Freiheit Haus und seine Säulen,
Weiser Gesetze Geschenk verliehen.
So, nach vollbrachtem Werke, du blinder Greis,
Rathgeber, angebeteter stets des Volks,
Tratst du in Einsamkeit und Ruhe,
Ruhe genießend, denn Ruhe schufst du.
[142]
O Brudermörder, wie doch erhabener
Bist du als jener Römer, der Sieger, doch
Zerstörer ist. Zweimal gestritten,
Zweimal entsagt und befreiet hast du.
Und gält' es eines anderen Bruders Blut,
Fürs Heil des Volkes fließ' es und Vaterland,
Und göttlich dünke mir dein Herz und
Schön wie die Liebe der Dioskuren.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Die Villa des Timoleon. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8A17-3