Viertes Lied

Glaub' ich's, daß ihr nun auch mein trinakrisch Glück mir beneidet?
Eifrer der Heimath, ihr seid, heilige Frömmler, gemeint.
»Unersättlich nach Sinnengenuß, von Freude zu Freude
Jagt er bethört und bedenkt nicht, daß die Nemesis naht.
Irdischem neigt sich der Sinn, der verwilderte. Bessrer Empfindung,
Frommer und reiner, verschließt er das vergiftete Herz.
Sitte achtet er nicht noch Gesetz, nicht Glauben und Schule,
Den die Willkür allein, den die Begierde beherrscht.
[152]
So der Heimath entflohn von dem ernsteren Gange des Lebens
Schwelgt er in Lust und Genuß selbst bis an Lybiens Strand.«
Schweigt, o Kinder des Lichts, ihr auserkohrenen Lämmer;
Ja, verkünd' ich es nur, größrer Entzückungen Rausch,
Kühnere Orgien feiert' ich nicht, seitdem mir des Lebens
Schäumender Becher den Mund freieren Geistes berührt.
Ja, gesteh' ich's euch nur, ich schämte mich selber der Heimath,
Wärt ihr das Aermlichste nicht, was noch die Mutter gebar,
Zeugte die Stammburg einst, die zertrümmerte, theure, die Helden,
Das unsterbliche Paar, staufische Friedriche nicht.
Hör's, engbrüstig Geschlecht, ich verberge dir nichts, ich bekenne
Stolz und freudig, wie Zeus reich mir die Tage geschenkt.
Bald am Anapus weil' ich, es gleitet der Kahn zu der Quelle,
Und auf dem flüssigen Pfad schattet die Blume des Nils.
Bald umschweben die Göttinnen mich im seligen Enna,
Und die Stunde, da mir Helios einst sich erhob
Ueber des Aetnas Riesengebild, nicht, glaub' ich, ihr gleichet,
Währt es auch Ewigkeit, all euer Leben an Werth.
Bald in duftigen Hainen besuch ich des Akragas Tempel,
Einen ganzen Olymp birgt mir das liebliche Grün.
Selinunts Titanenruin und der stolzen Segesta
Troisches Säulenhaus ladet den Glücklichen ein.
Bald nach Karthagos Trümmern vom lilybäischen Strande
Wünsch' ich mich über die See, über die lybische, weg.
Unter Marsalas Palmen und hesperidischen Reben
Wandr' ich zum heiligen Berg, hört es, zum Eryx hinan.
Schmähet ihr noch, so ruf ich dich an, o Genius: Lehre
Dithyrambischen Worts stolzre Bedeutungen mich.
So entströme die Flamme des Aetnas Grunde, so wälze
Donnernd der purpurne Strom sich aus der Tiefe hervor;
So umstürme des Gipfels Orkan den begeisterten Sinn mir,
Und der brausende Dampf werde mir delphische Gluth;
[153]
So umdufte das Veilchen Proserpinas Fels und vom Eryx
Nahe voll zärtlicher Gluth, nahe mit rosigem Arm
Mir das schönste der Mädchen, es nah' Amathusia selbst mir
Und kredenze des Kelchs ewig verjüngenden Trank.
Schon durchglüht mich die Flamme, vernehmt's: Was ist's, wenn im Taumel
Eurer zu spotten ich mir Apotheose geträumt!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Sicilien. Sicilianische Lieder. Viertes Lied. Viertes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8AE2-A