[113] Lieder aus Capri

1.

Dem Horizonte nähert sich die Sonne.
Versinke sie im Meer, in goldnen Bergen,
Ich fühle stets die reinste Herzenswonne.
Doch welche Lust, wie alle Lüfte schweigen,
Und die Natur zur Ruhe sich bereitet,
Den jähen Pfad zum Fels hinanzusteigen,
Wenn schon im West, gleich einem Purpurquelle,
Die Sonne glühet, und in lautern Flammen
Auf Meer und Land verströmet Glanz und Helle.
Dann scheint des Himmels Schooß sich zu erschließen,
Und auf der Inseln schimmerndes Gebirge
Ein goldner Regen sanft herabzufließen;
Dann scheint, geblendet von des Lichtes Sprühen,
Enaria dem Bad der warmen Fluthen
Mit reinem Schwanenleibe zu entglühen;
Sie scheint verschämt, in kindischen Gefühlen,
Den vollen Busen überm Meer, mit Rosen
Und mit Violen anmuthsvoll zu spielen.
Ein Augenblick, und jene göttergleichen,
Von Licht beträuften Wangen, Berg und Insel,
Und Meer und Himmel siehst du schon erbleichen.
So gleich dem holden Wunderspiel der Sonne
Verharrt nur kurz in ungetrübter Schöne
Und schwindet bald des Lebens höchste Wonne.

[114] 2.

Der Feinde hatt' ich immer allzuviele;
Oft seh' ich sie, gleich zaubrischen Figuren,
Vorüberziehn im stillen Schattenspiele.
Ich habe viel, und wurde viel beleidigt,
Ich fühlte manchen Schmerz, und weckte manchen,
Oft hab' ich andre, wen'ge mich vertheidigt.
Von wen'gen Herzen bin ich selbst geschieden,
Bekennen muß ich, daß die Lieben Theuern
Mich meist zuerst geflohen und gemieden.
Falsch war ich nie, so oft sie's auch mich hießen,
Ich täuschte nur, weil ich mich selbst getäuschet,
Beweinte sie, die mich enttäuscht verließen.
Ein ewig Scheiden und ein ewig Lassen
War so mein Leben, doch die alten Freunde
Der Heimath sind's, die mich am meisten hassen.
Kaum weiß ich selber, wie es so gekommen,
Sie hätten Recht, fast sollte man es meinen,
Sie sind die Bessern ja, sie sind die Frommen.

3.

Besteig' ich nach des Sommertages Schwühle
Mein südlich Dach, auf traulichem Gesteine
Mich dein zu freuen, holde Abendkühle,
Betracht' ich so in wohlgefäll'gen Träumen
Die Stadt, am grauen Felsen des Solaro,
Umblüht von Gärten und zerstreuten Bäumen,
Erhebt sich an begrünter Rebenmauer
Des Ostens halbverwaistes Kind, die Palme,
So einsam, und so stolz in ihrer Trauer,
[115]
Und seh' ich bis in ungemessne Weiten
Voll Sonnenglanz, sich zwischen rauhen Felsen,
Mit manchem fernen Schiff das Meer verbreiten,
Dann glaub' ich, daß Minervens Kap entnommen,
Vielleicht durch Zaubermacht bewegt, die Insel
Längst in ein morgenländisch Meer geschwommen.

4.

Ich habe dich geliebt,
Und Treue bis zum Grabe dir geschworen,
Und doch hab' ich dein Herz so schwer betrübt.
So oft vergaß ich dein,
Denn andre Länder bringen andre Freuden,
Doch immer bliebst du in der Ferne mein.
Dein hab' ich mich genannt,
Mich dir geweiht zu ewigen Gefühlen,
Und dennoch hast du mich so tief verkannt.
Du kennst mein falsches Herz,
Und doch hab' ich dich nie, o süße Seele,
So wahr geliebt, als in der Trennung Schmerz.
Zu leben ohne dich,
Ich schwur und glaubte, daß ich's nicht vermöchte,
Und dennoch leb' ich, lebst du ohne mich.
Blüht mir auch andres Glück,
Hab' ich auch längst mein schwankend Herz vergeben,
So weint es doch, kehrt ihm dein Bild zurück.
Auf heitres Wiedersehn
War unser schluchzend Wort beim letzten Kusse,
Und dennoch wird und mag es nie geschehn.
[116]
Du littest lang und schwer,
Doch daß die Zeit mein schmerzlich Angedenken
Nicht längst vertilgt, wer gäbe mir Gewähr?
Drum däuchte mir denn fast,
Solch' eine Lieb, solch' ein Wechselglühen
War uns im Frühling eine Blumenlast.
Nun da sie abgeblüht,
So kränzen wir das Haupt mit frischen Rosen,
Und bleiben glücklich, auch wann sie verglüht.

5.

Es baut der Mensch im wohlbepflanzten Garten,
Und zieht der Rebe fruchtbares Gewinde
Von Baum zu Baum in freudigem Erwarten.
So grünt denn selbst, vom Menschenfleiß bebauet,
Der kahle Fels, der aus dem Meere starret,
Der Gärtner erndtet, weil er fest vertrauet.
Vom Vogelfange nähret sich der Arme,
Die steilste Klippe weiß er zu erklettern,
Und lauert kühn nach dem verborgnen Schwarme.
Er zittert nicht, wenn er zum Abgrund schauet,
Wo tief die grüne Meereswoge brandet,
Erreicht die Beute, weil er fest vertrauet.
Das Element des Fischers ist die Welle,
Sein Boot ist sicher, und er achtet's wenig,
Ob's um ihn schäum' und auf und nieder schwelle,
Er kennt die See, so wie sein Haus; ihm grauet
Vor ihrer Falschheit nicht, er senkt die Netze,
Und er gewinnet, weil er fest vertrauet.
[117]
Erscheint mir so der Gärtner in Gedanken,
Der Jäger auf dem luft'gen Felsenwege,
Der Fischer in des Wassers wildem Schwanken,
Und fällt mir ein, worauf ich einst gebauet,
Auf Lieb' und Treu' und Wort, so find' ich leider,
Daß ich verloren, weil ich fest vertrauet.
Den Glücklichen ist alle Ruh beschieden,
Ich aber jage nur nach eitlem Ruhme,
So sah denn auch noch keiner mich zufrieden.

6.

Wer hätte je so schwesterlich verbunden
Die Kraft der ungesell'gen Elemente
In einem einz'gen schönen Stern gefunden?
Verklärt schien mir in seinem Glanz die Erde,
Das Irdische verewigt und vergeistigt,
Ich wähnte, daß es nie vergehen werde.
Des ganzen Himmels Schöne lacht' in blauen,
In offnen, undurchdringlich hellen Tiefen,
Nie konnt' ich bis zu ihrem Grunde schauen.
Sein Licht, es galt mir mehr als Mond und Sonne,
Den Frühling bringen sie, mir brachte jenes
Die keuschen Rosen erster Liebeswonne.
Ach denk' ich gar der süßen, heißen Fluthen,
Womit der Schmerz, die Wehmuth es gefeuchtet,
Fängt mir's im tiefsten Herzen an zu bluten.
Genügt dir Eines schon, der Stürme Wehen,
Die Macht des Meers, der Flammen und der Erde,
Nur Eins, im Elemente zu vergehen,
[118]
Dann darf der Sterbliche fürwahr nicht klagen,
Der einst sie alle seelenvoll zerflossen
In eines Auges feuchtem Licht ertragen.

7.

Zwar keinen Freund, der gleich geliebt den Musen,
Begeisterung entzündend und empfangend,
Im schönen Taumel sänk' an diesen Busen,
Kein Mädchen hab' ich, das am Arm mir gienge,
Wenn mich der Gott beseelt, schon auf der Lippe
Das heiße Lied mit einem Kuß empfienge.
Kaum blieb mir die Erinn'rung noch an beides,
Doch, ach, es ist nicht der vergangnen Freuden,
Nur die Erinnerung vergangnen Leides.
Mein Umgang, meine Freunde sind die alten
Entblößten Felsen, der umrauschten Klippen
Schwermüthige gigantische Gestalten.
Denn wie die Insel fern vom festen Lande
Verlassen ruht, so knüpfen mich ans Leben
Nicht mehr beglückende beglückte Bande.
Wohl bin ich einsam, bin ich abgeschlossen,
Mein einzig Gut ist, meine einz'ge Habe,
Was ich gelitten, was ich einst genossen.
Dem Meere gleich, seh' ich im Wellenzuge
Der Menschheit Wechselstrom vorüber treiben,
Ich folge nicht mehr seinem falschen Truge.
Doch wie der Fels nicht mehr im Spiel der Wogen
Und Winde sich vergnügt, die seine Pfeiler
In ew'ger Wiederholung stets umzogen;
[119]
Wie hier der Aloe stolz Gewächs erblühet,
Dort Indiens Feige, Palmen und Oliven,
Hier saft'gem Laubgrün die Orang' entglühet:
So ist nicht unfruchtbar mein stilles Leben,
In Fülle reifen goldne duft'ge Früchte,
Im Sonnenschein die Edelste der Reben.
Wird sie zuletzt der schöne Gott bemeistern,
So wird sie euch, zu reinem Wein verwandelt,
Als feuriger Gesang das Herz begeistern.

8.

Dem Fischer, der das Netz den falschen Wellen
So manches Jahr geduldig anvertrauet,
Mag ich mich gern am Strande zugesellen.
Fast ist er nackt: vom heißen Sonnenscheine
Gedunkelt und verbrannt ist Kopf und Nacken,
Und Brust und Schulter, sind auch Arm' und Beine.
Sein einz'ger Schmuck ist eine Wollenmütze,
Beglückt ist er vielleicht in eines Kahnes,
In einer Hütte sparsamem Besitze.
Ein Mädchen ist die Sehnsucht seiner Jugend,
Und ihm getraut, so bringt's ihm frische Kinder,
Und übt bewußtlos eine strenge Tugend.
Die Kleinen lernen bald die Kunst der Alten.
Das Netz zu ziehn, das Ruder keck zu führen,
Den Dienst des Boots ausdauernd zu verwalten.
Oft sah ich's, daß mit liebevollem Bangen
Am Strand sie Mutter oder Weib erwartet,
Und offnen Arms die Kehrenden empfangen.
[120]
Friedfertig, nur im Kampf oft mit dem Meere,
Betreiben sie das Urgeschäft der Väter,
Ein volles Netz giebt ihnen Ruhm und Ehre.
Welch Bild der Menschheit! Mit vermeßnem Willen
Wagt ins Unendliche hinein sich Jeder,
Das tägliche Bedürfniß nur zu stillen.

9.

O Einsamkeit, wo ihre schweren Sünden
Des Weltbeherrschers Tochter einst beweinte,
Wie läß'st du ganz mich ihre Qual empfinden!
Die einst ihr der Verbannten Haus umgrauet,
Schreckbare Felsen, deren kahle Wildniß
Ins öde grüne Meer hinunterschauet,
Verlaßner Strand, wo nur die Woge brandet,
Wo an der hochumrauschten Fischerhütte
Schon lange Boot und Kahn nicht mehr gelandet;
Ihr bargt ein Herz, in Sinnenlust verwildert,
Von Qualen einer Leidenschaft durchwühlet,
Wie keines Byrons Schmerz sie noch geschildert.
Leicht ist dem besten Herzen ein Verbrechen,
Sobald es liebt, noch leichter ist's dem kalten
Fühllosen Zorn zu strafen und zu rächen.
Schnell ist die strenge Welt bereit zu richten,
Weil sie ein flammendes Gefühl der Liebe
Nicht schaffen kann, so will sie's doch zernichten.
O Julia, laß mich theilen deine Thränen,
Die Schwermuth der Verbannung, die Erinn'rung
Vergangner Lust, verlorner Heimath Sehnen.
[121]
Auch meine Liebe hat sie schlimm gedeutet,
Die fluchbeladne Welt, und ihre Blumen
Wie giftig Unkraut gänzlich ausgereutet.
Auch mir lag eine Julia in den Armen,
Und Schuld und Unschuld, ach sie nannte beides
Verbrechen ohne Scheu und ohn' Erbarmen.
So schließe denn der Felsen alte Trauer
Uns ein, und gern, verstoßne Kaisertochter,
Umarm' ich hier dich ohne Furcht und Schauer.
Sie mögen höhnisch unsre Namen schmähen,
Mir bleibt mein Herz, und jene matten Stimmen
Laß sie im Meeresbrausen untergehen.

10.

Auf jähen Felsen grauen alte Thürme,
Es gähnt der Abgrund unter ihren Füßen,
Ein halb Jahrtausend wehn um sie die Stürme.
Kaum schwingt der leichte Vogel sich zu ihnen,
Doch mühsam über ungezählte Stufen
Gelangt der Mensch zu diesen Burgruinen.
Sind's wohl aus röm'scher Vorzeit Ueberreste,
Hat hier der Feind der Welt, die er beherrschte,
Tiberius erbauet eine Veste?
Ein andrer Kaiser ist's, der Held vom Norden,
Der Hohenstauf' ist mit dem rothen Barte
Der Insel Herr, des Schlosses Gründer worden.
Und wo der Waiblinger in freiern Tagen
Gethront, denkt oft ein Dichter dran, den Namen
Der Großen einst zu feiern, die ihn tragen.

[122] 11.

Ich hab' es hundertmal erfahren,
Daß mir die reinsten Herzensfreuden
Ein blut'ger Quell von Schmerzen waren.
Mit Herz und Leib, mit Geist und Sinnen,
Als Schönheit und Genuß versuchte
Den Blick mir Liebe zu umspinnen,
Als höchste Kraft und Gluth im Leben,
Als Drang nach That und Ruhm und Ehre
Die Freundschaft meinen Muth zu heben.
Ich schlang mit glühendem Vertrauen
Den Arm um manchen schönen Nacken,
Sah manches Aug' in Thränen thauen.
Mit mir zu streben und zu handeln
Schwur manches Heldenherz, und manches
Den rauhen Pfad des Ruhms zu wandeln.
Doch weil ich hier auf unsrer Erden
Kein Heil'ger bin und kein Apostel
Und erst im Himmel möcht' es werden,
So war es leicht mich zu bethören,
Denn aus dem Kelch, den sie mir reichten,
Konnt' ich den Satan nicht beschwören.
So schlürft' ich denn, ein trunk'ner Zecher,
Von Freund und Mädchen süß umlispelt,
Der Hölle Gift aus vollem Becher.
Drum muß ich jetzt alleine bleiben,
Und ohne Freund, und ohne Liebchen
Im öden Strom des Lebens treiben.
[123]
Und siehst du einst noch halb erschlossen
Aus gift'gem Boden manches Veilchen
In meines Lorbeers Schatten sprossen,
So sei dir eben nicht verhehlet,
Daß jenen Blumen ihre Seele,
Der schöne Duft, der Glaube fehlet.

12.

Wenn eures Neids und eurer niedern Ränke,
Scheelsücht'ge häm'sche vaterländ'sche Feinde,
Zuweilen ich in meinem Lied gedenke,
So scheint's, daß euer Haß auch mich verbittre,
Daß jener Sümpfe Dunst, worin ihr röchelt,
Selbst meine reine Inselluft durchwittre.
Doch ist's nicht so: ich muß die Zeit verfluchen,
Da ich gelernt, des Lebens Geist und Würde
In Freiheit ohne Schrank' und Maaß zu suchen,
Und jene nun den Furien heil'ge Kette
Von Lieb' und Irrthum, Haß, Vertrau'n und Frevel,
Die ich einst trug an deiner Richterstätte,
Befleckte Unschuld, oft mit ihrem Kummer,
Mit ihrem Fluch und euern Namen kehret
Sie wie ein Traum zurück in wildem Schlummer.
Ich kämpfe mit den häßlich finstern Bildern,
Ich zürn' und straf', und meines Liedes Weise
Beginnt sogleich auch wieder zu verwildern.
Doch ich erwach', es fliehen die Gespenster,
In einer reinen Welt seh' ich mich wieder,
Der holde Tag lacht schon durchs Blumenfenster:
[124]
Die frischen Lüfte fühl' ich um mich wehen,
Es glänzt das Meer, und in verjüngter Schöne
Seh' ich den bessern Geist mir schon erstehen.

13.

In solcher Einsamkeit, wer sollt' es meinen,
Daß mir zuweilen auch der heitre Eros,
Und alle Grazien lächelnd mir erscheinen.
Jüngst fuhr ich von Parthenope herüber,
Und sieh im engen schweren Capriboote
Saß eine schöne Frau mir gegenüber.
Zwar sah ich meist hinab in Fluth und Wogen,
Doch läugn' ich nicht, daß manchmal meine Augen
Geheime Lust aus ihren Blicken sogen.
Und mußt' ich mich vom Sonnenglanze wenden,
Wenn's Meer ihn wiederstrahlt, begann auch wieder
Ihr holdes Aetherauge mich zu blenden.
Und nicht so schön erhoben sich die Wellen,
Und sanken, als ich ihren jungen Busen,
Das dünne Kleid sah auf und nieder schwellen.
Wir sprachen viel, doch eben nur vom Winde,
Wir sahn die Fische hüpfen übers Wasser,
Ich lachte wohl auch mit dem hübschen Kinde.
Es kam die Nacht, und sie verschwand im Dunkel,
Wir freuten uns mit jedem Ruderschlage
Jetzt an des Meeres strahlendem Gefunkel.
Da breitete die schwarzen jähen Wände
Das Felseneiland um uns aus, – wir sahen
Des Strandes Lichter, unsres Weges Ende.
[125]
Schon hörte sie des frohen Vaters Rufen,
Der alte Fischer schließt sie in die Arme,
Nun gute Nacht! Und meine Felsenstufen
Wandr' ich empor mit ungetrübtem Sinne:
Zwar es verliert, wer Kraft hat zu entsagen,
Doch leicht ist der Verlust vor dem Gewinne.

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Lieder aus Capri. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8BFB-C