[33] Der Tiber

O Lethe, dessen Strome der alten Kraft
Und Weltherrschaft Vergessenheit Rom entschlürft,
Roms Schatte nur, wie oft den Fluthen,
Da ihn die Mitwelt begrub, ersteht er
Gleich einem Geist der Schicksalsgedanke mir,
Ob von der Brücke, wo mir der Insel Bild
Mit Kirch' und Kloster und der Vesta
Säulenrotunde, wo der Cäsare
Den Palatin umstarrende Trümmer mir
Erscheinen, oder ob in der Wildnis du
Der schweigenden Campagna nur mit
Thürmen der Vorwelt am sand'gen Strande
Begegnest: immer athmet Melancholie
Dein träger Strom, kaum wälzet das Mühlrad sich
Und kaum das Doppelnetz den Wellen,
Während auf Trümmern von Kokles Brücke
Umsonst der Fischer laurend ins Wasser schaut;
Kein lust'ger Nachen gleitet die Ufer hin,
Nur selten seh' ich schweren Ganges
Schweben vom Strand in des Abends Schatten
Ein schwarzes Boot, als führte des Acherons
Fährmann Roms große Todten zur Ruh. Auch selbst
Des Himmels Lieblichkeit, du spiegelst
Nie sie zurück; denn es trübt der Schlamm dich,
Wie des Tyrannen Seele der Friede nie
Durchleuchtet, sondern ewig des Scepters Schuld,
Des Thrones Greul, der Völker Jammer
Und des vergossenen Blutes Anblick
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Umdüstert. Dann nur röthet dich Purpurlicht,
Wenn aus des Kaisers Grabe des Aetnas Gluth
In tausend Blitzen steigt. Da, dünkt dir,
Hadrians Asche sie schlummr' allein nicht,
Es schlummr' im Mausoleum die Menschheit selbst,
Die er beherrscht', und nun aus geborstnem Grab
Urplötzlich stünde sie empor mit
Flammen und Donner des Weltgerichtes.
O Rom, wie sankst du, wenn auch vom Quirinal
Des Priesters stolz dreifaltige Krone blitzt,
Dennoch wie sankst du! Dich beglückt er
Noch mit der heiligen Pracht des Schauspiels!
Gewaltig steigt Palast, Obelisk empor,
Und Kirch' und Tempel, Säul' und des Springquells Glanz,
Noch ziert's dich, und auf Marmorböden
Winselt der Bettler, auf Tempelstücken.
Am Platz, wo Brutus Söhne vom Vaterspruch
Gerichtet starben, da es gebot, das Volk,
Und groß an Tugenden und Greueln
Selbst die Gesetze sich gab und oftmals
Mit Bürgerblut sie schrieb in den ew'gen Stein,
Aechzt nun der Krüppel, nach dem Bepurpurten
Die Hand ausstreckend, der mit stolzem
Rossegespann und Gefolg' erscheinet.
Noch traur'ger darbt die Armuth im Gramgemach,
Wo nichts mehr blüht als Seufzer, vielleicht ein Stück
Errungnen Brods; doch fühl' ihr Herz sich
Glücklich, denn prachtvoll von Deck' und Wölbung
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Glänzt Gold in hundert Tempeln, vom Throne giebt
In Goldgewändern schimmernd Sankt Petri Fürst
Den Segen, und Roms größte Kuppel
Leuchtet in Flammen als Krone Petri.
Doch leichten Sinn und fröhlichen gab Natur
Roms Volk, genähret einst an der Wölfin Brust,
Im Blut des Feindes und dem eignen
Wüthend und Kön'ge zu sehn in Ketten
Gewöhnt, von Cäsarn und von Tyrannen selbst
Geschmeichelt und gefürchtet vergaß es nun
Der alten Männer mit den Göttern,
Denen sie opferten, kämpften, siegten.
Statt Schlachtgesang ertönet das Tamburin
Zum Herbsttanz, zärtlich klingt in der Sommernacht
Dem Liebchen Lied und Mandoline;
Und der Triumphzug des Imperators,
Der Mönche Schwarm wich er; und dem Pulcinell
Des Colosseums blutiges Römerspiel ...
O Tiber, gönn' in deiner Nähe
Bald mir ein Grab an der Pyramide!

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Rom. Der Tiber. Der Tiber. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8C06-C