Michel Angelo Buonarotti

1.
Deiner Brust hat die güt'ge Natur nicht den Frieden gegeben,
Der, wie der Frühling so zart, alles erheiternd verjüngt.
Du verschmähest den sanften Verkehr mit dem Genius, zürnend
Stürmest, Titanen gleich, du in den Himmel empor.
2.
Nicht wie zu Sanzio geheim in der Stunde der Weihe die Gottheit
Niederstieg, und sein Herz ruhig im Schaun sich gestillt,
Du hast im Rosenduft den schöpfrischen Gott nicht gefunden,
Nur in dem Riesengebäu seiner Planeten erkannt.
3.
Hier verfolgtest du ihn mit alldurchdringlichem Scharfblick,
Und nicht die Poesie seines unendlichen Werks,
[54]
Aber das große Gesetz und die ew'ge organische Ordnung
Fandest du auf und hast's kühn und gewaltig zersetzt.
4.
Der Verstand ist dein Gott, ein anatomischer Newton,
Wolltest du Nahrung für ihn, wo sie in Strömen erquillt
Wie du dem eigenen Herzen Tyrann warst, und dem Gemüthe
Harter Gebieter, so giebst auch dem Gemüthe du nichts.
5.
Zärteres widert dich an, du willst die gigantische Wahrheit,
Die das zaubrische Reich holder Gefühle verlacht.
Staunen nur magst du erwecken, das Uebrige dünkt dir zu kindisch,
Thorheit dünkt's dir, geliebt, Weisheit, bewundert zu sein.
6.
Ungeheuer bist du. Nur die wilde Erscheinung der Geister
Ohne das lindernde Maaß trieb und begeisterte dich,
Ja der erhabenen Kraft in deinem Busen gefiel nur
Wie der Gedanke, so auch Form und Natur kolossal.
7.
Deiner männlichen Brust erschien der Schöpfer nur furchtbar,
Wie er voll Allmacht der Welt einst sich zu bilden gebot.
Weibern Feind und ihren Gespielen, der Anmuth und Zartheit,
Kümmert's dich nicht, daß dich selbst furchtsam die Grazien fliehn.
8.
Sanftmuth kennet er nicht und Liebe, Demuth und Duldung
Findet da keinen Raum, wo nur der Stolz sich erhebt.
Ja, von allen Ideen, die Gottes Wesen begründen,
Dünkt ihm die Kraft nur, die Macht göttlich und herrlich zu sein.
9.
Also thürmt' er die Kuppel der Basilik' in die Lüfte,
Schuf er den Moses, und so selber den Heiland der Welt,
[55]
Also malt' er das jüngste Gericht und die großen Propheten,
Um, wie kein Sterblicher je, dreifach unsterblich zu sein.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Rom. Kunst und Antike. Michel Angelo Buonarotti. Michel Angelo Buonarotti. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8C49-5