[41] Olevano

Erstes Lied

Wenn der goldenen Loose mir das Schicksal
Eins vergönnte, wenn heitrer Himmel wieder
Ueberm Haupt mir die hohe lautre Schönheit
Bess'rer Tage verjüngt ergöß', und voller
Mir die heilige reine Flut des Lebens
Aus der Urne des Gottes ränne, wenn sie
Frei vom drohenden Fels, wo sie zerstäubet,
Ungefährdet vom Abgrund, dessen Grauen
Oft die schäumend bewegte gern verschlänge,
Nun im Schatten des jungen Lorbeers und im
Süßen Dufte der Rose klar und ruhig,
Wellenlos, zu des Friedens Sonnentempel
Ihrem Genius folgte, – dann wohl trennt' ich
Nimmermehr mich von dir, bis meiner Tage
Vollgewachsener Strom ins Meer verrauschte;
Dann wohl blieb' ich dir treu, wie seinen Felsen,
Seinen Lüften der Adler; meine Freuden
Baut' ich kühn mir ins Urgebirg, des Aethers
Frischem Reiche vertraut' ich mich, der Menschheit
Nur aus neblicher Wolkenferne sichtbar,
Ihren giftigen Pfeilen nicht erreichbar,
Felsenland der Sabiner, und des alten
Volks der Herniker, dir, mein heimlich Tempe,
Mein Olevano, treu!
Vom hohen Grabe,
Das die Sag' als dreitausendjährig Denkmal
Des Ascanius ehrt, ist's schön, des Morgens,
Im gewaltigen, ew'gen Eichenschatten
Hinzuwandern, bis aus Elysiums üpp'ger
Waldesfülle, dem Dunkel der Cypressen,
Noch vom Pupurhauche der Früh' umduftet,
Des sikul'schen Ariccia's busch'ger Hügel
[42]
Mit der glänzenden Kuppel sich entfaltet.
Schön ist's auch von Genzano's sonn'ger Höhe
Hier hinunter zu blicken, wo im Schooße
Seiner Haine Dianens blauer Spiegel 1
Deine schmachtende sanfte Mild' und Schöne
O hesperischer Himmel, wiederstrahlet,
Unter Pappeln von Nemi's jähem Fels die
Nymph' Egeria sich im Thränenbache
Niederstürzt, und den grauen Zeiten heilig,
Unterm Cavo der ferentin'sche Hain blüht,
Ja der taurischen Göttin grüne Heimat
Aus den Fernen der Vorwelt das Geheimniß
Holder Fabel der Gegenwart zurückruft,
Aber dort des Tyrrhenermeeres Bläue,
Wie ein Wunder, homer'scher Geist entwehet,
Und die muntre Erinn'rung noch in Circe's
Feenwelt und des griech'schen Wandrers spielet.
Dennoch suchte die Heimat hier ein ruhig
Unzerfallnes Herz nur, deß Empfindung
Sanft und tief wie Dianens Spiegel wäre,
Das der Freud' und der Wehmuth Schauern leise,
Wie dem Zephyr die stille See, erbebte,
Dem die Liebe, die erste, heil'ge, schöne,
Wie italische Lüfte, rein und selig
Noch ins knospende Blumenreich des Innern
Allerquickend und tiefbelebend schiene,
Dem der scheue Genuß, der zücht'ge, täglich
Noch die fliehende Lust mit holdem Wahne
Nie vergänglicher Dauer lächelnd täuschte,
Das die Qualen der ersten Jugendliebe
Nie im Taumel der zweiten und die Täuschung
Neu entzündeter, sturmverwehter Flamme
Nie im schrecklichen Wagen der Verzweiflung,
Nie im dreifachen Brand vergessen wollte,
[43]
Das noch niemals verloren, dem im tiefen
Heiligthume der Seele nie der Altar
Und das Bild der befleckten Göttin stürzte,
Dem noch Leben und Liebe so gefahrlos,
Ungerührt vom Orkan, im linden Dufte
Weiter Ferne, wie des Tyrrhenermeeres
Ruhig liebliches Bild von dort erscheinet.
Solche Herzen erfreuten Cynthia's Haine,
Und die blühende Schattenwelt Ariccia's.
Meine Seele, die schon das Glück des Friedens
Wie die schweigenden Ufer der Diana
Nun das glückliche Fabelreich, verloren,
Meine trauernde Seele haucht nur Wünsche,
Nur Erin'rungen, Seufzer, Klagelaute,
Dort hinüber, wo sie nur längst Entfloh'nes,
Der Vergangenheit einsam weinend suchte.
Deine Felsen, die zeitgetroffnen, aber,
Mein Olevano, sind's, wo sich der hohe
Düstre Geist der Natur mit ernsten Schauern
Seiner Einsamkeit gerne mir befreundet,
Finstre Wälder des Apennins, in deren
Melancholischen Schluchten über Trümmer
Niederschäumend der Bergstrom tos't, in deren
Blitzgespaltenen Wipfeln oft der Wind ein
Lied hinhaucht, das, verwandt mit meinen Leiden,
Meinen Schmerzen, wie wilde Geisterliebe
Mir ertönet, das ich versteh' und kenne,
Dem antwortend sich Stürm' in meiner Seele
Heulend regen, o Wälder, euch erwählt' ich
Mir zur Heimat! in eurem Grün vernähm' ich
Keinen menschlichen Laut, nur des Naturgeists
Ewig Sausen und Weh'n, nur selten hallte
Ferneher der Gesang des Ziegenhirten
Aus dem Thal, zu der Pfeifen rohem Spielwerk,
[44]
Das, nach Sitte der Väter, der Campagna
Volk erfreut, und auf luft'ger Felsenspitze,
Wenn der blühende Wald sich lichtet, stünd' ich
Plötzlich, und in den Lüften hängen wie der
Leichtgeflügelten Vögel wind'ge Heimat,
All' die Dörfer umher, dem Auge Staunen
Und Verwundrung erregend – Civitella's
Nackte schaurige Höh'n, sie lockten mächtig
Mir das stürmische Herz, und frischer Bergwind
Bliese wild mir durchs Haar, die Wolken zögen
Nah um's Haupt mir, die fels'ge Pyramide,
Mein Olevano, graut' empor, und ungeduldig
Zitternd schweifte der Blick, der alten Volsker
Vielgestaltig Gebirg, die Schlösser all' und
Luft'gen Dörfer entlang, bis fern, wo dämmernd
Unter Latiums wollustvollen Hügeln
Sich Velliträ erhebt, das rebengrüne.
Hier, wenn mir's der Olympier einst vergönnte,
Hierher flüchtet' ich mich und jenes wen'ge
Noch von Hoffnung und karger Lebensfreude,
Was vom Schiffbruch des Lebens mir geblieben.

Fußnoten

1 Noch nennt man den See von Nemi lo Specchio di Diana.

Zweites Lied

Doch nicht immer der Berge melanchol'sche
Wälderschauer, der Felsschlucht altes Dunkel,
Wo des Räubers Auge dem Wandrer lauert,
Und der fliegende Dolch so manchen Busen
Von den Qualen des Lebens schon befreiet,
Doch nicht immer des Bergstroms ödes Brausen
Und des Sturmes Gespielen, jene Wipfel
Uralt rauschender Bäum' und jene Pfade,
Die nur selten das Maulthier keuchend wandelt,
Wären meine Gesellschaft. Menschen suchen
Gerne Menschen. Erhab'ne Geister freilich,
[45]
Schöpferische, die Herrscherthrone stützen,
Völkern, oder den Sternen, des Gedankens
Unergründlichem Werk, ja selbst dem Gotte
Den er denkt, des Gesetzes Ordnung geben,
Die das All und was in ihm ist, bis zu der
Pflanze treibendem Keim, die weite Schöpfung,
Die lebend'ge, mit ihrem Geist, mit Anfang
Selbst und Ende, die Alles, was im Raume,
Alles, was in der Zeit geschieht und lebet,
Zaubrern ähnlich, in Zahl und Chiffern bannen,
Geister auch, die des Bildes ew'ge Schönheit
Aus dem Marmor mit Schöpferfreiheit rufen,
Als ob längst sie vollendet in der rohen
Ird'schen Masse geschlummert, und nun herrlich,
Wie die Seele dem Körper, ihr entstiegen,
Ferne wären sie mir. Doch wie die Sonne,
Der unendliche Lichtquell, alles Lebens
Heitre Mutter, die Schatten auch erzeuget,
Folgt dem Genius auch des Schwarzen, Dunkeln,
Allzuviel, und der karge Neid, die grimme
Eifersucht und der Bosheit Schlangentäuschung,
Alle Martern und Leiden einer kühnen
Ruhmbegierigen thatenlust'gen Seele,
Nie mehr träfen sie mich; treulose Herzen
Und eidbrüchige Freunde würfen nie mehr
Tödtlich Gift in die Quelle, die kastal'sche,
Wo ich schöpf' und den ernsten Musen opfre;
Haß und Kleinmuth bekränzte mir den Altar,
Wo die Flamm' ich entzünde, nicht mit Dornen,
Statt mit Rosen und süßer Myrt' und Lorbeer;
Vor dem Grauen der schicksalsheil'gen Furien
Furchtsam zitternd, verbärg' ihr süßes Antlitz
Mir die fliehende, scheue Grazie nicht mehr;
Lieblich wäre mein Lied alsdann und lauter
Wie italischer Aether; meines Lebens
[46]
Milde sinkende Sonne göss' in diesen
Sanften Himmel des Liedes ihres Abends
Schönstes, glühendstes Gold; besänftigt ruhte
Nun im friedlichen Glanze meiner Leiden
Endlos Meer, die beschwornen Stürme schwiegen,
Und in Blüten des neuen Frühlings sänge
Nun die Nachtigall. Wenn die Nacht sich nahte,
Stiegen nicht die Gespenster mehr der Todten
Leichenbleich aus den Gräbern; still erschiene
Mir die Sonne der Schlafenden, der Träume
Zücht'ge Göttin; die Stätte, wo sie ruhen,
Die Geliebten, umduftet' eine Klarheit,
Wie von jenseits zur Erde niederdämmernd.
Mein Begleiter, mein Freund und Umgang aber
Wäre doch nur Homer; denn wie ich ferne
Von der Mitwelt und ihrem Wuste lebte,
Möcht' ich auch nur der Kinder und der Helden,
Nur der Weisen und Götter Sprache hören!
Einsam wäre ja dann und schlicht und kräftig
Auch mein Leben, so wie mein Lied; am Quelle
Treuer heil'ger Natur säß' ich, in ihrer
Unerschöpflichen Flut mich täglich badend,
Jeden Flecken vertilgend, und in immer
Voll'rer schön'rer Gesundheit wachsend, säh' ich
Zur unsterblichen Jugend schon mich reifen;
Ruhig kehrt' ich in Platon's Arme wieder,
Ein Enttäuschter, zurück, der ich die Wahrheit
Irrend außer mir sucht', und, wie sie schweigend
Mir im Busen gewohnt so lang' nicht wußte.
Freudeschauernd begrüßt' ich Diotima's
Seherlehre zum erstenmale wieder,
Von den Schmerzen der Wanderung genesen,
Von der Liebe der Körper und der Seelen,
Von der Sehnsucht der unvollkomm'nen Schönheit.
[47]
Die zum Menschen uns lockt, zum ersten Anschau'n
Allvollendeter, geist'ger, ew'ger Schönheit,
Die in Gott ist, die reine Seele wendend.

Drittes Lied

Kehrt' ich müde von Fels und Berg nach Hause,
Schlüge freilich kein liebend Herz dem Wand'rer
Ungeduldig entgegen; von der Treppe
Meines friedlichen Hauses streckte freilich
Mir die Arme kein treues Weib zu, freudig
An die züchtige, keusche Brust mich drückend,
Wo ein blühender Säugling hellen Auges
Uns anblickte, wie wenn er schon der Mutter
Schalkhaft lachte, daß sie den Vater küsset.
Schweige stille, mein Herz, laß ab, mit Bildern
Dich zu martern, die nur dich dran erinnern,
Was du bitter auf immer hast verloren.
Doch nicht gänzlich ohn' alle Lieb', ohn' allen
Menschlich freundlichen Blick verflössen mir die
Stillen Tage. Des Hauses muntre Kinder
Wären gerne bei mir: denn gut und menschlich,
Kindern freundlich, ist in des Lebens Stürmen
Stets mein Herz doch geblieben, wie's die falschen,
Bösen Zungen der Menschen auch verleumdet.
Alle liebten sie mich; ich schenkte diesem
Spielwerk, jenem erzählt' ich ein Geschichtchen,
Ja ich scherzte mit ihnen, heute führt' ich
In Kastanienhaine sie und morgen
Zu den Höhen voll Feigen und Oliven.
Kehrt' ich Abends zurück, so spränge jubelnd
Rafaello mir zu, der wilde Knabe,
Sich mit Jauchzen um meine Füße klammernd,
Oder riefe Demetria mich zum Schutze
Vor des Brüderchens Ungestüm; das eine
[48]
Brächte Feigen auf grünem Weinlaub, jenes
Frischen stärkenden Wein aus der Campagna,
Und Melonen voll süßen Markes, einen
Blumenkorb, den sofort die ältre Schwester,
Scheuer gegen den Mann, und dem Geheimniß
Des Geschlechtes schon nah, ihm still entwindet,
Und mit feinerem Sinn der Blumen schönste
Wählend, weiblich verschämt, mir durch des rohen
Bruders Hand zum Geschenk ein Sträußchen sendet.
Treulich sorgte die hohe schöne Mutter –
Frisch und jugendlich noch, wenn auch der Sohn ihr
Auf den Gipfeln der Serpentara muthig
Jagend streift, noch ein Kind am Busen nährend, – 1
Für den einsamen Gast, damit kein Ding ihm
Zu des Lebens Bequemlichkeit entgehe;
Rüstig käme der Vater auch und scherzte,
Lacht' und nennte mich einen finstern Träumer,
Einen Sonderling, den die Nacht des Waldes
Mehr erfreu' als der Menschen lustig Treiben,
Dem die Stirne zu frühe sich gefaltet,
Der mit Grillen sich plagt', und mahnt', die Schwermuth
Mit begeisterndem Weine zu verscheuchen.
Dann ergriff' er der raschen Kinder eines,
Schwäng' es lachend empor, und setzt es nieder,
Und entlief', ein Geschäft im Hause, flüchtig,
In der Vigne, im Garten zu besorgen.
Doch am liebsten das greise Haupt des Alten
Säh' ich an, wenn im Kreis der muntern Enkel
Seine Seele sich freut, wenn er des Knaben
Unart wehrt, und dem Arm der hohen Mutter
Oft den Säugling entnimmt, damit sein Händchen
In den silbernen Locken spiel'; und Abends,
Wenn der Geistliche kommt, der alte, ernste,
Spricht man traulich von Krieg und Menschenelend,
[49]
Wann die Kinder entschlummert, und erzählet,
Von der Herrlichkeit Roms, und von den Fremden,
Die bis hieher gepilgert, und der Schönheit
Dieser Zaubernatur und von den Räubern,
Die den Wanderer drohn, und ihrer Mordlust, 2
Vom Ertrage der Ernt' und der Oliven,
Und vom Herbste der Feigen und des Weines.
Manches mischt auch der alte Pred'ger über's
Alterthum ins Gespräch, und redet kundig
Von den Spuren der Römer, und den Resten
Längst vergangener Zeit; ich aber schild're
Tausend Dinge, die ich, die Welt durchpilgernd,
Einst gesehn und bewundert, Völkersitten,
Land und Meer und entfernte Städt' und Reiche, –
Tief im Herzen das traur'ge Schicksal bergend,
Das mich quälend von Ort zu Ort getrieben!

Fußnoten

1 Serpentara nennt man einen öden Felshang bei Olevano, der sich allmählich gegen das fast in den Wolken schwebende Civitella erhebt. Vielleicht daß er von den Schlangen den Namen hat, welche in dieser Wildniß nicht selten sind. Er war dem Dichter ein Lieblingsspaziergang; denn der Wechsel der malerischen Ansichten des Aequergebirges, besonders aber der Volskerkette, ist unbeschreiblich mannigfaltig. Diese himmlischen Berge sind nach Zeichnung und Form, vorzüglich durch die stete Folge von Licht, Schatten, Duft, Violett, Azurblau, und bei gewissen Beleuchtungen durch die reizendsten Regenbogenfarben wohl die allerschönsten, welche der Dichter gesehen. Für den Landschaftsmaler ist hier eine unerschöpfliche Ausbeute zu finden.

2 In jetziger Zeit sind die Räuber in den päpstlichen Gebirgen zwar nicht häufig, und man kann das Latium, auch das Sabinerland sicher durchwandern. Aber es sind kaum sechs Jahre her, daß eine gewaltige Bande in den Bergen von Olevano hauste. Ich hörte die abenteuerlichsten Historien. Bekannt ist auch in Deutschland der Raub des Malers, welchen die Briganti mit einem Grafen verwechselten, den sie abführen wollten. Sie richteten den äußersten Unfug in der Gegend an. Kein Mensch war des Lebens mehr sicher. Vor den Dörfern bei hellem Tage ertönte das furchtbare faccia a terra, welches sie dem Wanderer zuruften, während sie die Muskete auf ihn anlegten. Don Leonardo Prattesi, ein alter Geistlicher, in dessen Haus ich wohnte, erzählte mir, daß er einmal einen Spaziergang vors Dorf hinaus gemacht, und ein Buch in der Hand gehabt. Unversehens sieht er etliche Dutzend Räuber in aller Behaglichkeit vor dem Angesicht der Olevaneser die Weinberge und Feigengärten heruntersteigen und Pfähle ausreißen. Der alte Herr erschrack nicht wenig. Die fürchterlichen Menschen gingen geruhig über die Straße, grüßten den halb todten Prediger mit einem freundlichen: Buon giorno, ser zi prete! (zi für zio, Oheim) und zogen die Vigne hinunter. Die Carabinieri lieferten ihnen kleine Bataillen, richteten aber nichts aus und hatten große Furcht vor ihnen.

Viertes Lied

Eine Stunde des Tages aber weiht' ich
Dir, o Loggia! Des Morgens, wenn die Sonne 1
Aus den Hernikerfelsen, überm kahlen
Sanft umdufteten Haupte des Serone 2
Sich erhüb', und die Purpurflamme glühend
Um Olevano's Häuserpyramide
Höh're Schönheit ergösse, säß ich längst schon
Auf des Hauses Balkon, an dem das Weinlaub
Schwellend volle Gewinde hoch emporrankt,
Ueberquellend vom Geist des Freudengottes
Schon die Traube dem süßen Lichte zulacht,
Wo in mächtigen Blättern aus der Mauer
Mit der reifenden Frucht die Feige vorgrünt,
Saftig schon die Citrone lacht, die goldne,
Die Melon' ihr Gewächs zur Erde senket,
Und zur Seite der einsamen Cypresse,
Aus dem Busche die Goldcitrone blinket.
[50]
Helle säh' ich die wind'gen Schlösser blinken,
Sähe Rocca di Cavi, morgenheiter
Der Capranica Burg, Kastanienhügel 3
Führten nun mir den Blick in der Campagna
Bunte, schimmernde Gründe weit zur Ferne,
Bis wo durch die Elysiumshaine Cavi's
Palestrina der Schattenpfad sich nähert, 4
Zu der Volsker Gebirge, Cavignano,
Bis zur Scurcola und Anagni's Tempe. 5
Und die volle Erinn'rung schweifte manchmal
In mein Latium hin, das ewig theure,
Zu den Hainen Albano's, zu Gandolfo's
Klarem, erlenbekränzten See, zu Nemi's
Altem, dunkeln Dianenwald, Genzano's
Meeresaussicht, und zu des Monte Cavo,
Weltbeherrschenden Haupt, wo oft mein Auge
Von Oreste, von Tibur's Paradiese 6
Das unendliche Meer bis zu der Circe
Fernem, bläulichen Vorgebirg', hinunter
Zu Parthenope's Zauberinseln schaute,
Schweifte gerne zum rebenvollen Hügel,
Wo die Stadt der Lavinia, fabelheilig,
Drei Jahrtausende bald sich schon im Lichte
Des hesperischen Himmels sonnt; sie schweifte
Nach des ewigen Frühlings Wollusthainen,
Frascatanischen Gärten zu, und bliebe
Träumend stehn an der Einzigen, der Hehren,
Unaussprechlich Erhab'nen, deren Kuppeln
Aus der Schwermuth und Oede der Campagna
Einsam ragen und doch die Welt beherrschten.
Einst auch so auf dem Hausbalkone saß ich,
Unstät irrte mein Auge von dem Maulthier,
Das den Bergpfad herauf der träge Führer
[51]
Der rothwammsige, nach des Thores grauer
Wölbung führte, hinweg in weite Fernen:
Lange mocht' ich wohl so hinüberschauen,
Den Gedanken folgend, die gleich den Wolken
Manchmal über die schöne Erde schweben,
Und im fliegenden Wechsel bald verwehen,
Als mein Blick nach Olevano's Terrassen
Aus der Ferne zumal sich kehrt; und siehe,
Drüben, wo sich am Fels das Dorf emporhebt,
Da gewahr' ich auf hoher Loggia schöne,
Farb'ge Frauengestalten, eine aber
Ragt vor allen hervor an Wuchs und Hoheit
Und an Jugend, an reicher Tracht und Kleidung.
Weiß, in reizendem Faltenwurf erglänzt das
Busentuch, um den Nacken sanft sich wölbend;
Albanesische Sitte, weiß der Schleier,
Blendend weiß das Gewand auch, Rosenbänder
Und viel andere zieren Brust und Arme,
Groß und königlich anzuschauen ist sie,
Dienerinnen nur dünken mir die andern;
Nieder aber von des Balkones Höhe,
All die schönen Olivenhaine, die den
Fuß des Felsens mit Silbergrün bedecken,
All die Fülle der Feigen und Kastanien
Und die farbigen Gründe der Campagna
Ueberblickte sie, zu der Volsker fernen,
Violetten Gebirgen dann sich wendend.
Und mir däuchte – warum? ich wüßt' es deutlich
Nicht zu sagen – ein Weib aus grauen Zeiten
Aus homerischer Welt zu schauen, sei es
Nun Andromache, die von Priams Beste
Ueber Ilion's Eb'ne blickt, wo Hektor
Mit den Danaern kämpft, sei es die schöne
Königstochter Antigone, die ängstlich
Mit der Sklavinnen Schaar von Thebens Mauern
[52]
Niedersieht in das Feld, wo sich der Sieben
Waffenglänzendes Heer zum Sturme nähert.
Also königlich war sie anzuschauen,
Jene Frauengestalt im weißen Schleier,
Und im weißen Gewand und Busentuche;
Nur ein Punkt in der weiten Felsenlandschaft,
Schien sie doch mir die Herrin all des Landes.
Einsmals blickte sie auch zu mir herüber,
Und in düsterer Träume Nebel senkte
Sich die Seele mir ein. Da schlich Cechino,
Mein Begleiter zuweilen durch die Berge,
Sich heraus, und die Schulter mir berührend,
Weckt' er mich aus dem Traum. »Siehst du hinüber,«
Fragt' er lachend, »wo auf der hohen Loggia –«
Nein, erwidert' ich, rasch empor mich hebend,
Eben däuchte mir, daß sich über'm Monte
Artemisio vom Meer her ein Gewitter 7
Nahen wird, und so laß uns eilig vorher,
Eh' es kommt, auf die Serpentara wandern. 8

Fußnoten

1 Loggia nennt man in Italien die Balkone, deren fast jegliches Haus einen hat. Häufig sind sie auf dem Dache. Meine Loggia in Olevano ist einzig in der Welt.

2 Der Monte Serone, zum Hernikergebirg gehörig, liegt östlich von Olevano, ist sehr hoch und öd, und von einer ausgezeichnet schönen Zeichnung. Auf ihm hielten sich lange die Räuber auf, und man konnte sie von der Loggia meines Hauses aus droben umhergehen, spioniren, Feuer machen und schießen sehen.

3 Capranica und Rocca di Cavi sind ungemein hochliegende Dörfer auf den Gipfeln des Aequergebirgs westlich von Olevano; Rocca di Cavi sieht man von den sieben Hügeln aus.

4 Palestrina, das alte Präneste, ist nur zwölf Miglien von Olevano entfernt, aber verdeckt durch die Aequerberge.

5 Lauter Berge und Städte sind östlich von Olevano. Besonders lieblich ist die Lage Palignano's, und hinter ihm Anagni's. Es zeichnen sich unzählige Gründe und Hügel in den mannigfaltigsten Linien übereinander her, und die Beleuchtung wechselt fast jeden Augenblick, so daß sie bald in glänzender Farbenfrische vor uns blühen, bald in einen elysischen Fernduft zurückschweben.

6 Die Aussicht auf dem Cavo ist unermeßlich. Westlich die Campagna und Rom, nördlich und östlich die Gebirge vom Sorakte an, das Sabinerland, das Gebiet der Aequer, Herniker und Volsker, die meist beschneiten Hörner des Apennins, die pontinischen Sümpfe südlich, das Vorgebirg der Circe, das Homer für eine Insel hielt, wie jeder Reisende aus der Ferne, westlich und südlich aber die ungeheure Meeresfläche. Die Hälfte des Horizonts ist hohes Meer. Zudem die entzückend schönen lustvollen Umgebungen des alten Vulkans, die unsägliche Fruchtbarkeit und Fülle der Natur, die Seen von Nemi und Albano, Genzano, Civita Lavinia, Rocca di Papa, Marino, und ferne die vielen Seestädte so ergreifenden Andenkens. Da denkt man denn nicht mehr an den Rigi, undankbar und ungerecht wie man ist, und sieht sich nur im Land der größten Geschichte, der lieblichsten Fabel, der süßesten Natur.

7 Der Monte Artemisio von unvergleichlich zarter Bildung nach dem Charakter der Albanerberge liegt westlich von Olevano. An seinem Fuß das alte Velliträ, jetzt Velletri.

8 Diese Gedichte sollten sich in einer größeren schwermüthigen Reihe ausdehnen, und zuletzt sollte mitten unter den Zaubern dieser italischen Bergnatur das Bild des Vaterlandes aufdämmern, und ein zärtlicher Abschied von ihm schließen. Das war die Absicht des Dichters, während er lange in tiefer Abgeschiedenheit in Olevano lebte. Die abenteuerliche Laune des Schicksals aber unterbrach ihn.


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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Olevano. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8CB9-7