[68] Lieder der Untreue

Erstes Lied

Sabinerin.

Bald, Geliebter, schickt der Vater
Mich nach Rom ins Nonnenkloster,
Täglich bitt' ich ihn, es bittet
Täglich auch die gute Mutter,
Endlich naht das Wiedersehen,
Endlich von Olevano
Scheid' ich, und vielleicht auf immer.
Ich.

Könnt' ich, schöne Nazarena,
Deine Hoffnung dir erfüllen,
Jene Träume, die ich spielend
Mit dem Feuerhauch der Sehnsucht
Dir im Herzen aufgeblasen,
Deren Süßigkeit und Glut
Ich verwegen mit dir theilte.
Sie.

Hab' ich mich nicht, mein Geliebter,
Ganz dir anvertraut? Die Heimat,
Unsre Felsen, unsre Berge,
Gern verlass' ich sie, die einz'ge
Tochter bin ich meiner Eltern,
Dennoch folg' ich dir, mein Herz,
Wenn nur du getreu mir bleibest.
Ich.

Gutes Kind, du füllst mit Wehmuth
Und mit Reue mir die Seele!
Soll ich meine Schuld bekennen?
Gleich der sommerlichen Raupe
Spann ich mich in deinem Herzen
Traulich ein, als Schmetterling
Muß ich nun ins Weite fliegen.
[69] Sie.

O was hör' ich, wär' es möglich?
Hätt' ich wohl dein Wort verstanden?
Dich verlör' ich, und entfaltet
Hier in dieses Herzens Wärme
Flögest du davon, du ließest
Mich am traur'gen Webestuhl,
Und du zögst in andre Länder?
Ich.

Was vermöcht' ich dir zu sagen,
Ohne schmerzlich zu bereuen,
Was ich blind an dir verschuldet,
Ohne schmerzlich zu empfinden,
Was ich dir und mir verschwiegen,
Was ich dir und Ihr gethan,
Dir und Ihr gebrochen habe.
Sie.

O was sagst du, mich betrogen
Hättest du, die ich ins Kloster
Dir zu Liebe gehen wollte,
Die ich träumte mit dem Herbste
Meiner Liebe Frucht zu ernten.
Heimat, Eltern, Vaterland,
Selbst die Sprache dir zu opfern?
Ich.

Nenn' es nicht Betrug, und willst du,
Ach, so sage lieber, daß ich
Dieses eigne Herz betrogen
Mit dem schmeichlerischen Wahne,
In des Südens goldnen Lüften
In den Schlummer es gelullt,
Draus die Schuld es nun erwecket.
[70] Sie.

Guter Himmel, nach so langen
Schweren Zweifeln doch verrathen?
O was wird die Mutter sagen?
Wie das ganze Dorf mich schmähen,
Wie die Mädchen meiner spotten,
Ach und wie mein armes Herz
Seinen süßen Wahn beweinen!
Ich.

Tröste, schöne Nazarena,
Tröste dich, noch ist's im Dunkel,
Und wir sind noch nicht geschieden;
Aber höre, wenn ich fühle,
Daß ich doppelt mich verschuldet,
Sei es eine schöne That,
Die mich doppelt auch entsühne.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Lieder des Römischen Carnevals. Gedichte aus Latium und den Sabinerbergen. Lieder der Untreue. Erstes Lied. Erstes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8CBB-3