Oden an seinen Eser

1.

Verschied'nes Lob ist jedem. Mir sei der Kranz,
Der weinlaubduft'ge, den mir die Götterhand
Des holden schöpferischen Jünglings
Drückt in die Schläfe, mir sei Begeist'rung!
Sei's, daß verblühter Frühlinge Liebeslust
Voll Nachtigallenstimmen, voll Mädchenreiz,
Sei's, daß der traur'gen Herbste Schwermuth
Wieder ins klagende Herz zurückkehrt:
Sei's, daß Neapels Inseln der Fabel Duft,
Und der Geschichte lebenerweckender
Gluthvoller Hauch mit Morgenröthen,
Strömen von purpurnem Blut verkläre,
Daß in Sorrents Orangengeruch, am Fels,
Den mir die Fluthen klarer als Aug' und Herz
Des reinsten Engels wiederstrahlen,
Tasso's gereinigter Geist mir aufsteigt,
Daß mir des Dreizacks schrecklicher Gott am Strand
Tyrrhen'schen Meers der Säulen gigant'sche Pracht,
Den Tempelbau mir zeigt, der ewig
Wie das unsterbliche Element ist.
[107]
Stets fühl' ich mir das glühende Herz bewegt:
Dem Gold vergleich' ich seine Gedanken, die
Erst roh und unrein, endlich lauter
Aus der Begeisterung Flamme springen.
Dann nicht der Erde kleinliche Sorgen mehr,
Der Noth unbeugsam drückende Kraft, den Sieg
Nur fühl' ich, den ich mir erkämpfe,
Fühle den Stolz nur des nahen Lorbeers.
Schon in den Blüthen ehrt man die Frucht. Am Grab
Achills einst stand der junge Eroberer
Und weint': in Einer Thräne glänzten
Alle Triumphe der künft'gen Hoheit.
Blind treibt der Gott, der innre, beseelende,
So in der Knospe, daß sie zur Rose sich
Entfalte, wie im Menschenherzen,
Daß es zu höherem Wort sich öffne.
Der Berg Vesuv auch, wenn ihn des Feuers Strom,
Dem Weine gleich, der über den Becher schwillt,
Bis an den Kranz füllt, strudelt schäumend
Herrliche Gluth in die schöne Nacht aus.

2.

Nicht Schlachten will ich preisen, noch Könige
Noch forschen, wer Rom's würd'ger, ob's Cäsar ist,
Ob Brutus, Namen der Geschichte,
Glänzende nicht und gerühmte Schatten.
Ich singe meinen Freund, und auf stolzeren,
Auf tiefern Wogen kühnen Gesangs sei mir
Vergönnt, mit Stromsgewalt und Kraft ihn
Jauchzend zu tragen zum Oceane,
[108]
Da sich die Zukunft eint mit Vergangenheit,
Beid' aber unvergängliche Gegenwart;
Ohn' Anfang beid' und ohne Ende,
Beide die göttliche Ewigkeit sind.
Dich kenn' ich, seit ich kenne, was schön ist, Freund,
Dich lieb' ich, seit ich liebe, was gut ist, Freund!
In meinem Herzen lebst du einzig,
Seit es der delphische Gott bewohnet.
Dein Lob, es dünkte schon mir Unsterblichkeit,
Erweckte Blüth' und Frühling, wie Sonnenschein,
Dein Tadel reinigte, gleich Wettern,
Dünste der Erde, die mich umfiengen.
Entrissen sind wir uns, und im kalten Hauch
Des Nordens athmest Seufzer der Sehnsucht du
Nach meinem Süden, wo einst Menschen
Wandelten besserer Art, dir ähnlich.
Dir hat, uralter röm'scher Tage werth,
Kraftvollen Geists und hohen Gemüths ein Weib
Das Leben schön begränzt und ewig
Hält in ermüdender Wirksamkeit es
Lebendig dir der Grazie schönern Dienst:
Mir nimmt aufopfernd keines des Herzens Gram
Und Sorg' ab, kein verjüngtes Abbild
Lächelt mir zärtlich mein Selbst entgegen.
Die Gräber Roms sind meine Vertrauten nur;
Oftmals jedoch am Fuße des aschigen
Vulkans, am blauen Meer, im Glanze
Parthenopeischer Lüfte fühl' ich
[109]
Die Seel' aus jener Gräber Melancholei
Erstehn, mit Psyches seliger Lust am Strand
Des Lethe schwärmen, und in Düften
Schwelgen der purpurnen Hesperiden.
Wenn dann in Bajä's trümmerumgeb'nem Golf,
Wo gern im Kahn ich über die Spiegelfluth
Hingankle zu Misenums Felsen,
Oder zum Tempelgewölb' der Venus,
Mir wohl erhab'ne Namen der Vorwelt sich
Gebietrisch zeigen, bringst dem gepeinigten
Orest doch du des weisern Freundes
Theuerstes, heiligstes Bild zurücke.

3.

Komm, Freund, Geleiter bin ich und Führer dir,
Komm nach Pompeji. Willig hast du mir stets
Geöffnet manchen Quell der Schönheit,
Manchen Gedanken von höh'rer Weisheit
Enthüllt vor mir; drum ladet der Dankbare
Dich ein zum Weinberg. Hoch an der Ulme rankt
Vieläst'ge fruchtbelad'ne Rebe,
Wurzelnd und blühend aus tausendjähr'ger
Vulkan'scher Asche. Drunten im großen Grab
Schlief eine Stadt, der Götter und Menschen voll,
Als noch die Sonn' ihr schien; verlassen
Aber von beiden, da sie des heißen
Schreckbaren Regens tödtlich Gewölk bedeckt,
Aus dessen Graus nun wieder der Tempel steigt,
Und heit're Säulen, und das farb'ge
Kleine Gemach, die gemalte Hausflur,
[110]
Und selbst des Forums tempelumragter Platz,
Da längst gestürzt ist früherer Götter Dienst
Und jene, die des Donn'rers Adler
Und Amathusiens Rosen ehrten,
Des Heidenthums holdsinniger Name schmückt
Die Glücklichen! Der kalte Gedanke, wie
Empfindung, Wunsch, und Schmerz und Sehnsucht,
Alles zum heitern Bild verklärte
Sich ihrem frischen schöpfrischen Geist. O Freund,
Komm, sieh und fühl's hier, offen ist Thür' und Haus,
Komm, dich umfängt der Säulen Anmuth,
Dich des verschwiegnen Gemaches Schönheit.
Sagt dir's nicht selbst die bunte gemalte Wand,
Der Arabesken schwärmende Phantasie,
Und all' der Bilder Lieblichkeit nicht,
Wie sie gefühlt und gedacht, die Vorwelt?
O Freund, was wären wir, wenn Jahrtausende
Zuvor uns dieses Himmels Azur geblüht,
Däucht mir doch, jener bessern Zeit ist
Wenigstens unsere Freundschaft würdig.

4.

Der Städte Raffael ist Neapel, Freund!
Das fühlten wohl Roms alte Tyrannen, das
Des fels'gen Capris Ungeheuer,
Jener bepurpurte blöde Wahnwitz,
Der auf vermeß'ner Brücke Puteolis
Meerbusen überschritt, der entmenschte Narr,
Der hier gesungen und gebadet,
Wo er gemordet die eigne Mutter.
[111]
Doch, ob auch Ischia's feurige Traube mir
Nektar verheißt, ob auch um Amalfis Fels
Gern meinem Geist in duft'ger Ferne
Dorische Tempel dem Meer entsteigen,
Ob auch durchs Schattengrün von Camaldoli
Die Vorgebirg' und blühenden Inseln all'
Im schönen Elemente schimmern
Und aus dem Berge Gewölk aufwirbelt,
Doch treibt's zurück mich. Wehmuth erfüllt mich schon
Und kind'sche Wonne, denk' ich die Säulen mir
Der gold'nen Basilik', an alter
Mauer, am stillen begrünten Platze,
Wo an Ramesses thebischem Obelisk
Der Brunnen plätschert, einsame Straßen auch,
Hier Kuppeln in der Abendröthe,
Dort des zertrümmerten Colosseums
In Sonnenflammen athmende Riesenwand
Prachtvoll mir zeigen! Trauernde Roma, hier
Der Völker großem Gott, dem ew'gen
Schicksal geheiligt ertönt mein Lied dir.
Zweimal hast du mit eiserner Hand die Welt
Gedrückt, Herrschsüchtige, größer als du war nur
Das Schicksal, drum auch zweimal hat's dir
Strafend entwunden den schweren Scepter,
Den Kön'ge, Senatoren, Cäsare einst
Geführt, und unerbittlicher noch zuletzt
Dreifach gekrönte Priester, deren
Heiliger Waffe der Hohenstaufen
[112]
Großherz'ger Heldenstamm als ein Opfer sank
Der Völkerblindheit, denen die Kaiserhand
Den Bügel hielt, und deren Bannstrahl
Könige stürzte vom Thron der Väter.
Ach, sänft'ge nun, o Rom, dein tyrannisch Herz,
Und beuge dich der Zeit. Der gefallene
Herrschgier'ge Engel rang vergebens
Einst mit dem Himmel um seine Krone.
Im Grabe deiner großen Auguste, wo
Britannicus ein heuchlerisch Todtenmahl
Geehrt, vergißt in Spiel und Stierkampf
Nun das entartete Volk die Vorwelt.
Des Forums Siegesbögen und Tempel, jetzt
Durchzieht sie nur schwermüthiger Mönche Schwarm,
Der Wand'rer nur aus fernen Landen,
Fremd, wie der Römer im eignen Rom ist.
Eins bleibt dir noch, der himmlische Genius
Der Kunst ist's! Freund, drum laß mich, da Andres nicht
Vergönnt ist, einer bessern Zukunft
Thaten und Werke der Muse weihen.

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TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Oden an seinen Eser. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8CBD-0