[41] Olevano

Erstes Lied

Wenn der goldenen Loose mir das Schicksal
Eins vergönnte, wenn heitrer Himmel wieder
Ueberm Haupt mir die hohe lautre Schönheit
Bess'rer Tage verjüngt ergöß', und voller
Mir die heilige reine Flut des Lebens
Aus der Urne des Gottes ränne, wenn sie
Frei vom drohenden Fels, wo sie zerstäubet,
Ungefährdet vom Abgrund, dessen Grauen
Oft die schäumend bewegte gern verschlänge,
Nun im Schatten des jungen Lorbeers und im
Süßen Dufte der Rose klar und ruhig,
Wellenlos, zu des Friedens Sonnentempel
Ihrem Genius folgte, – dann wohl trennt' ich
Nimmermehr mich von dir, bis meiner Tage
Vollgewachsener Strom ins Meer verrauschte;
Dann wohl blieb' ich dir treu, wie seinen Felsen,
Seinen Lüften der Adler; meine Freuden
Baut' ich kühn mir ins Urgebirg, des Aethers
Frischem Reiche vertraut' ich mich, der Menschheit
Nur aus neblicher Wolkenferne sichtbar,
Ihren giftigen Pfeilen nicht erreichbar,
Felsenland der Sabiner, und des alten
Volks der Herniker, dir, mein heimlich Tempe,
Mein Olevano, treu!
Vom hohen Grabe,
Das die Sag' als dreitausendjährig Denkmal
Des Ascanius ehrt, ist's schön, des Morgens,
Im gewaltigen, ew'gen Eichenschatten
Hinzuwandern, bis aus Elysiums üpp'ger
Waldesfülle, dem Dunkel der Cypressen,
Noch vom Pupurhauche der Früh' umduftet,
Des sikul'schen Ariccia's busch'ger Hügel
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Mit der glänzenden Kuppel sich entfaltet.
Schön ist's auch von Genzano's sonn'ger Höhe
Hier hinunter zu blicken, wo im Schooße
Seiner Haine Dianens blauer Spiegel 1
Deine schmachtende sanfte Mild' und Schöne
O hesperischer Himmel, wiederstrahlet,
Unter Pappeln von Nemi's jähem Fels die
Nymph' Egeria sich im Thränenbache
Niederstürzt, und den grauen Zeiten heilig,
Unterm Cavo der ferentin'sche Hain blüht,
Ja der taurischen Göttin grüne Heimat
Aus den Fernen der Vorwelt das Geheimniß
Holder Fabel der Gegenwart zurückruft,
Aber dort des Tyrrhenermeeres Bläue,
Wie ein Wunder, homer'scher Geist entwehet,
Und die muntre Erinn'rung noch in Circe's
Feenwelt und des griech'schen Wandrers spielet.
Dennoch suchte die Heimat hier ein ruhig
Unzerfallnes Herz nur, deß Empfindung
Sanft und tief wie Dianens Spiegel wäre,
Das der Freud' und der Wehmuth Schauern leise,
Wie dem Zephyr die stille See, erbebte,
Dem die Liebe, die erste, heil'ge, schöne,
Wie italische Lüfte, rein und selig
Noch ins knospende Blumenreich des Innern
Allerquickend und tiefbelebend schiene,
Dem der scheue Genuß, der zücht'ge, täglich
Noch die fliehende Lust mit holdem Wahne
Nie vergänglicher Dauer lächelnd täuschte,
Das die Qualen der ersten Jugendliebe
Nie im Taumel der zweiten und die Täuschung
Neu entzündeter, sturmverwehter Flamme
Nie im schrecklichen Wagen der Verzweiflung,
Nie im dreifachen Brand vergessen wollte,
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Das noch niemals verloren, dem im tiefen
Heiligthume der Seele nie der Altar
Und das Bild der befleckten Göttin stürzte,
Dem noch Leben und Liebe so gefahrlos,
Ungerührt vom Orkan, im linden Dufte
Weiter Ferne, wie des Tyrrhenermeeres
Ruhig liebliches Bild von dort erscheinet.
Solche Herzen erfreuten Cynthia's Haine,
Und die blühende Schattenwelt Ariccia's.
Meine Seele, die schon das Glück des Friedens
Wie die schweigenden Ufer der Diana
Nun das glückliche Fabelreich, verloren,
Meine trauernde Seele haucht nur Wünsche,
Nur Erin'rungen, Seufzer, Klagelaute,
Dort hinüber, wo sie nur längst Entfloh'nes,
Der Vergangenheit einsam weinend suchte.
Deine Felsen, die zeitgetroffnen, aber,
Mein Olevano, sind's, wo sich der hohe
Düstre Geist der Natur mit ernsten Schauern
Seiner Einsamkeit gerne mir befreundet,
Finstre Wälder des Apennins, in deren
Melancholischen Schluchten über Trümmer
Niederschäumend der Bergstrom tos't, in deren
Blitzgespaltenen Wipfeln oft der Wind ein
Lied hinhaucht, das, verwandt mit meinen Leiden,
Meinen Schmerzen, wie wilde Geisterliebe
Mir ertönet, das ich versteh' und kenne,
Dem antwortend sich Stürm' in meiner Seele
Heulend regen, o Wälder, euch erwählt' ich
Mir zur Heimat! in eurem Grün vernähm' ich
Keinen menschlichen Laut, nur des Naturgeists
Ewig Sausen und Weh'n, nur selten hallte
Ferneher der Gesang des Ziegenhirten
Aus dem Thal, zu der Pfeifen rohem Spielwerk,
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Das, nach Sitte der Väter, der Campagna
Volk erfreut, und auf luft'ger Felsenspitze,
Wenn der blühende Wald sich lichtet, stünd' ich
Plötzlich, und in den Lüften hängen wie der
Leichtgeflügelten Vögel wind'ge Heimat,
All' die Dörfer umher, dem Auge Staunen
Und Verwundrung erregend – Civitella's
Nackte schaurige Höh'n, sie lockten mächtig
Mir das stürmische Herz, und frischer Bergwind
Bliese wild mir durchs Haar, die Wolken zögen
Nah um's Haupt mir, die fels'ge Pyramide,
Mein Olevano, graut' empor, und ungeduldig
Zitternd schweifte der Blick, der alten Volsker
Vielgestaltig Gebirg, die Schlösser all' und
Luft'gen Dörfer entlang, bis fern, wo dämmernd
Unter Latiums wollustvollen Hügeln
Sich Velliträ erhebt, das rebengrüne.
Hier, wenn mir's der Olympier einst vergönnte,
Hierher flüchtet' ich mich und jenes wen'ge
Noch von Hoffnung und karger Lebensfreude,
Was vom Schiffbruch des Lebens mir geblieben.

Fußnoten

1 Noch nennt man den See von Nemi lo Specchio di Diana.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Lieder des Römischen Carnevals. Gedichte aus Latium und den Sabinerbergen. Olevano. Erstes Lied. Erstes Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8CCC-E