Das Grab der Scipionen

Wohin, o Wandrer, daß du die Appia
So einsam hin, die hochummauerte, ziehst?
Auf deiner Stirne seh' ich Falten,
Ernsthaft erscheinst du, und tiefen Trübsinn
Verräth dein suchend Auge. Gewahrst du sie,
Die kleine Thüre, kennst du sie? tritt nur ein,
Des Weinbergs schmale Mauertreppe
Führt dich zum Grabe der Scipionen.
Hier ruht sie nun, die hohe Cornelia,
Die mit Carthago's trauerndem Lorbeer einst
Ganz andre Treppen im Triumphe
Kapitolinischen Siegestempeln
Entgegenwallte. Jubelnder Heere Zug,
Festtrunkene Völker folgten dem Roßgespann,
Der Aar vom Donnrer in den Himmeln
Ueber den Häuptern der Herrn der Erde
[16]
Ragt' er, ein Kampfgespiele von stolzer Art,
Der über Asia, über Britania,
Der Korsen Eiland und Lukania,
Afrika's Reiche den Fittig wölbte.
Jetzt steht die Nachwelt schweigend an ihrem Grab,
Und schaurig dunkel, wie das Verhängniß selbst,
Und stille, wie im Schattenlande,
Schaun die Gemächer, die unterird'schen,
Voll Ewigkeit und schicksalgeheiligter
Grabruhe dich im Scheine der Fackel an,
Wo ruhm- und kampfsatt das gewalt'ge
Römergeschlecht sich zum Grab gebettet.
In diesem Sarge ruht der Erobere 1
Lukania's: die Seele begrub der Leib
In dem Gestein, und seine Inschrift
Trugen die Götter ins ew'ge Buch ein.
Denn Männerkraft stirbt nie: und wenn Helden auch
Geboren sind vom Weibe, sie sterben nicht,
Es wartet ihrer der Olympus,
Und ihr Olymp ist die Weltgeschichte.
Dort sind sie gleich den Sternen des Himmels fest
In ihrer großen Ordnung gereiht: auch wenn
Ihr Strahl Jahrhunderte durchflieget,
Trifft er doch endlich noch unser Auge.
Nur daß dies Auge, sei es geklagt voll Schaam,
Unwürdig oft der heiligen Strahlen ist,
Die in ein Herz voll niedrer Wünsche,
Oder ins Leere hinunterschauen.
[17]
Der Vorwelt war es Schande, so thatenlos
Zu leben, Schand' auch, niedriges bloß zu thun,
Groß wollte sie die That, und eine
Dünkt' ihr nur groß, die dem Vaterlande,
Sich selbst aufopfernd, Segen und Heil gebracht;
Nicht Lorbeer, aber Tugend erstrebte sie.
Es sprach der weise Rath der Greise:
Der ist der Beste, – das dünkt mir Lorbeer.
Darum, o Wandrer, komm in dies Grab herein,
Nur nimm den kleinen Kummer nicht mit. Das ziemt
Dir nicht: wo Scipionen schlafen,
Sollst du erwachen, o Sohn der Nachwelt!
Den Sarkophag, aufschaudernd betracht' ihn du,
Mit einer Frage siehet er stumm dich an:
Wenn du, o Mensch, dereinst gestorben,
Sage, was gräbt in den Sarg man dir ein?
Antworte nicht! o gehe beschämt hinweg
Aus diesem ew'gen Todtengemach, das dir
Allein eng ist, doch nicht den großen
Todten, die mehr, als du dachtest, thaten.
Und wenn dich außen wieder das Licht begrüßt,
So sieh, wie schlicht und einfach der Weinberg grünt,
Und wie am Grab noch junge Rosen,
Selbst noch ein Lorbeer die Wand emporblüht.

Fußnoten

1 Man vergebe dem Dichter die Freiheit, die er sich nahm, indem er den colossalen Sarkophag des Scipio Barbatus, der sich jetzt im Belvedere des Vaticans befindet, an den Ort zurück dachte, wohin er gehört.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waiblinger, Wilhelm. Gedichte. Oden und Elegien aus Rom, Neapel und Sicilien. Oden und Elegien aus Rom. Das Grab der Scipionen. Das Grab der Scipionen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8CF0-B