Die vierzigste Fabel.
Von Glidern des Menschen und dem Bauch.

All glider, die der mensche hat,
Hetten zusamen einen rat
Wider desselben menschen bauch,
Sprachen, »Er ist ein rechter schlauch.
Wir müßen in mit arbeit neren,
Erwerben, was er kan verzeren.
Es schmeckt die nase, die zung sich regt,
Die füße gen, der rücken tregt,
Mit hörn das or im dienen tut,
Das auge wacht mit steter hut,
Es wirkt die hand mit allen treuen,
Der mund muß im die speise keuen.
Ein jedes glid nimt eben war,
Daß nicht dem bauch leid widerfar.
Der faule bauch ligt stetes müßig,
Wird auch der speis oft überdrüßig,
Die wölln wir im nicht lenger geben,
Mag selber schaffen, wil er leben.«
Da sprach der bauch zu den gelidern:
»Wie mögt ir mir so sein zuwidern?
Ist not, daß ir mir speis verschafft,
Wo ir behalten wolt eur kraft.«
[71]
Kein glid sich an die rede kert,
Biß sie es die erfarnheit lert.
Von hunger ward der bauch gar schwach,
Da teten auch die glider gmach.
Als den vorderb und schaden sahen,
Eintrechtig zu dem bauche jahen:
»Iß, trink und laß dirs schmecken wol,
Ein jedes wil tun, was es sol.«
Da war der bauch verdorben schon,
All glider mustn mit im vergon.
Wie die glider han ein gemeinschaft,
Und eins zu gut dem andern schafft,
So muß ein mensch den andern neren:
Eins kan des andern nicht entperen.
Kein mensch so mechtig oder reich,
Wer er auch Creso und Midi gleich,
Der in worten oder taten
Seins nehsten hülfe kan geraten.
Darumb auch Gott geboten hat,
Daß wir dem nehsten hilf und rat
Erzeigen sollen und in lieben
Und gegen im all woltat üben.
Ich halt es vor den höchsten schutz
Auf erd und vor den grösten nutz,
Daß einer große freundschaft hat,
Die bei in treten in der not.
Gut ists, der sich zu gutem gsellt
Und gute freund vor augen helt.
Die fabel zeigt uns auch dermaßen,
Daß oberkeit und undersaßen
Einander sollen sein eingleibt.
Als, was die oberkeit betreibt
Mit kriegen oder rates mute,
Daß es kom der gemein zu gute,
Mit rat und tat sie stetes schützen,
Als zu frommen und irem nutzen.
[72]
Da gegen sol auch die gemein
Willig und unverdroßen sein,
Was oberkeit an sie begert,
Daß sie desselben sei gewert.
Es sei am gschoß, steur oder zoll,
Als ungewegert geben sol.
So bstet bürgerlich policei
In irem vorrat auch dabei.
Der gülden friede wird erhalten,
Wo man die einigkeit leßt walten,
Wie uns sanct Paulus auch tut lern
Am dreizehenden zun Römern.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 40. Von Glidern des Menschen und dem Bauch. 40. Von Glidern des Menschen und dem Bauch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8D47-0