[58] Die einunddreißigste Fabel.
Vom Frosch und dem Ochsen.

Ein großen ochsen an der weid
Ersah ein frosch; da war im leid,
Daß er nicht war in solcher moß
Gewachsen wie der ochse groß,
Und sprach zu seinem son: »Sich zu,
Ich werd wol wißen, was ich tu.
Ich wil mich sere groß machen,
Daß ich dem ochsen in allen sachen
Gleich werde, jederman wundere sich,
Sprech: sih, der frosch ist dem ochsen gleich.«
Er blies sich auf und sprach zum son:
»Sich, lieber, hab ichs nit getan?«
Er sprach: »Vatter, ir werdts nit tun,
Darumb laßt ab bei zeiten nun.«
Der frosch sprach: »Sihe zum andern mal,
Ob ichs nicht schier ablangen sol.«
Der son sprach: »Vatter, ich bitt, laß ab,
Oder ich euch zuletzt gesehen hab.«
Der frosch sprach: »Kostets ein königreich,
Heut wil ich sein dem ochsen gleich.«
Blies sich mit aller macht so hoch,
Daß er zu zweien stücken brach.
Ein jeder hat von Gott sein gab,
Daran er ein benügen hab.
Der hat ein adelichen leib,
Der ander ein frommes, schönes weib;
Diser ist stark, jener ist reich;
Dem ist niemand an freundschaft gleich;
Der hat eine werkliche hand,
Der ander ein guten verstand.
Ich rat eim jeden: bleib dabei,
Dazu er best geschicket sei,
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Und trag daneben kein abgunst
Zu seines nehsten glück oder kunst,
Vermeße sich nicht mer, denn er kan,
Oder wird im wie dem frosche gan.
Auch ists nicht weislich, sich zu erregen,
Wider einen starken zu legen:
Beßer, daß er sich selbs erst meße
Und seiner schwachheit nicht vergeße.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 31. Vom Frosch und dem Ochsen. 31. Vom Frosch und dem Ochsen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8D9F-C