Die sechzigste Fabel.
Von einem Tyrannen und seinem Undersaßen.

Von eim tyrannen hab ich glesen,
Der setzt sein datum, all sein wesen,
Daß er nur gelt und gut mocht haben;
Drumb must er schetzen, schinden, schaben,
Mit scharren, scheumen, reumen, ropfen
Dacht als in seinen sack zu stopfen,
Wo ers nur mocht zusamen raspeln,
Und alles auf ein haufen haspeln.
Per fas et nefas als versucht,
Und was nur pfenning tragen mucht;
Drumb er auch als verteurt und steigert,
Ja, wers im denn zu geben weigert,
Der het sein unhuld und ungnaden,
Must oft erleiden größern schaden.
Also gar gschmitzt, sinnig und spitzig
War aufs gelt und so eigennützig,
Daß er umb gelts willn alles wagt,
Die undersaßen greulich plagt,
Daß jeder, was er gbot, aus forcht
Im on all einred stets gehorcht.
Under im saß ein reicher man,
Ein treuer, frommer undertan;
Dem warn vil güter angestorben,
Het selber auch dazu erworben
[302]
An silber, golt ein große summ.
Weil er nu war woltetig, frum,
Kunt der tyrann kein ursach finden,
Daß ern seins gfallens auch mocht schinden.
Ein kluge list gunt zu erdenken.
Als wenn einr gern den hunt wolt henken,
So sagt man, daß er schmer hab gfreßen;
Also wards im auch zugemeßen:
Er het die feind seins vatterlands
Zu großem schaden gmeinen stands
Heimlich in seinem haus versteckt.
Derhalben er im boten schickt
Und sprach: »Hab dich drumb her vertagt,
Gar böse stück man von dir sagt,
Und die du gwis solt han geton,
Als heimlich conspiration,
Die du mit unsern feinden heltst,
Und nach des lands verderben stellst,
Und daß dus oft gar heimlich hast
In deinem eignen haus zu gast,
Heltsts uns zuwidern da verborgen,
Daraus man sich het zu besorgen,
Daß dise stadt und ganzes lant
Möcht komen in ein fremde hant.
Solchs wer ein groß verräterei:
Da wurdt ir eign, jetzt seit ir frei,
Und ander unrat, der hieraus
Erfolgt und kem dir selb zu haus.
Drumb sind wir auch dermaß geflißen,
Solchs zu erfragen, wöllns auch wißen.
Laß hören, was sagstu dazu?«
Sprach: »Gnedigr herr, geb, was man tu
An mir, desgleichen an den meinen,
So wirds doch noch mit groß noch kleinen
Auf mich noch auf die meinen bracht,
Sondern man hats auf mich erdacht
Und mit lügen auf mich erdicht.
Ein solcher man bin ich zwar nicht,
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Der seine er wolt so verwandeln,
Wider das vatterland zu handeln.«
Da stund einr von den suppenfreßern,
Dems maul nach gelt auch gunt zu weßern,
Verstund seins herren meinung wol
Und sprach: »Ja, wenn ichs sagen sol,
Laßt in seim haus vornen und hinden
Suchen, ich weiß, daß man wird finden
Meins herren feind, dazu die seinen,
Die in auch selb mit untreu meinen.«
Da merkt der man dasselbig stück,
Verstund ir practik und ir tück,
Er sprach von stund: »Gnediger herr,
Schickt mit mir einen oder mer.
Wo ein feind in meim haus wird funden,
Sol er gefangen und gebunden
On all barmherzgkeit werden gfürt;
Kein untreu werd an mir gespürt.«
Nam etlich von den hofeschranzen,
Die geltfreßer und geirenpanzen,
Gab in ein große summen gelts
Und sprach: »Schweigts nit, meim herrn vermelts
Und sagt: diß ist der große feint
(Wiewol er sonst gar freundlich scheint),
Der im nach leib und leben strebt
Und stets verfolgt, dieweil er lebt.
Den wil ich im jetzt selb verpflichten;
Er mag in seins gefallens richten,
Sehe zu, daß ern nit überwindt;
Ein jeglich tat irn lon einst findt.«
Es ist zwar ein gemeine plag,
Auch aller frommen herzen klag,
Daß in der welt der eigen nutz
Regiert nur jederman zu trutz
In alln landen, an allen enden,
In hohen und in nidern stenden,
Bei alln weltlichen potentaten,
Bei allen geistlichen prelaten,
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Bei oberkeit und undertan,
Bei bürgern, baurn, dem gmeinen man,
Zwischen freunden und bekanten,
Zwischen brüdern und verwanten,
Ja, zwischen eltern und den kinden
Leßt sich der eigennutz auch finden.
Jederman lert die not diß sagen
Und übern eigennutz zu klagen.
Ich halts auch selb dafür gewis,
Wenn eigennutz und selbgenieß
Vertrieben weren aus der welt,
So wer nit nötig, daß man gelt
Oder irkein münz hinfort dorft machen;
Schlecht wurden alle hadersachen,
Keinr wurd dem andern guts verhelen,
Da wer kein dieb, wurd niemand stelen.
Der groß müselig kaufmanshandel
Und in der welt all ferlich wandel,
All wucher, schinderei, aufsetz,
Practik, list, wechsel, all geltnetz
Wurden auf ein mal hingereumt
Und als unglück hinweg gescheumt.
So wurd die welt sein lauter, neu;
Frumkeit, einfalt, glaub, lieb und treu,
Die kemen alle wider gleich,
Und wurd allhie ein himmelreich,
Das wurd on aufhörn ewig weren,
Darin man gar nichts dorft begeren.
Daß aber nit also wil sein,
Verhindert eine sach allein;
Wo man derselben raten künt,
Villeicht ein wenig beßer stünt.
Und wer des hoffertigen prachtens,
Des hönen, schmehen und verachtens,
Des hönschen blachens und beschimpfens,
Des schilens und des nasenrimpfens,
Des haßens, neidens und misgünnens,
Des liegens und des friedzertrünnens,
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Des heuchelns, schmeichlens und des gleißens,
Der triegerei und leut bescheißens,
Des hinderredens, orenblasens,
Des wüten, toben und des rasens,
In summ, der unfell und geferden,
Dardurch all ding verdorben werden,
Solten die welt nit so verheren,
Wo wir eim feind nur könten weren
Und in mit pestilenz und plagen
Aus der welt wisten zu verjagen:
Das ist der schendlich eigennutz,
Der hat bei allen menschen schutz
Und wird von jedem wol gemeint,
Und ist doch unser höchster feint,
Den wir zu unserm schaden groß
Hegen gleich wie ein feur im schoß;
Der alle leut auf erd betreugt,
Die ganze welt so gar ausseugt.
Sie ist durch eigennutz verdorben,
Ist lebend tot und halb gestorben,
So hats der eigennutz durchecht,
An all ir macht so gar geschwecht,
Daß sie Gott und sein wort auch lastert,
In sünd und schand so gar vergastert
Und wird in eitelm unglück alt;
Ist von ir erst geschaffnen gstalt
So weit abkummen und entwichen:
Ir schöne farb ist gar verblichen,
Ist rostrig, schimlig, seiger, kamig,
Unfletig, schwarz, rüßig und ramig,
Elend, verschrumpfen, gretzig, reudig,
Faltig, schrammig und runzelheutig,
Krumb, lam, beinbrüchig, hackrig, hinkend,
Gar schwach, verwundt, faul, madig, stinkend,
Alt, mager, dürr, greisgro, schwachkopfig,
Hustend, speiend, rotzig und schnopfig,
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Schlotternd, zitternd, bleich, fal, tot, gel,
Unwißend, toll, tumb, stumb, blind, schel,
Unrechtlich, heßlich, scheußlich, nichtig,
Wurmstichig, löchricht und durchsichtig,
Verbraucht, verschlißen, abgenützt,
Gelappt, geflickt und understützt,
In summ, verdorben ganz und gar,
Und ist nichts guts an haut und har,
Stet hinden, vorn, alln enden offen,
Ist auch kein beßrung mer zu hoffen,
Daß, wenn ich dwarheit reden solt
Und jemand wer, ders glauben wolt,
Daß ich wol umb ein batzen wett,
Wenn Adam, Abel, Enos, Seth
Jetzt leibhaftig da vor uns stünden,
Daß sie vorwar nit sagen künden,
Daß diß noch wer dieselbig welt,
Welch dasmal ward von Gott gestellt,
Darin sie han so lang gewandert:
So wunderlich hat sichs verandert.
Drumb rat ich, daß wir bald anheben
Zu beßern unser sündlich leben,
Den eigennutz mit ernst austreiben,
Verdammen, aus der welt verschreiben
Mit rechttun und mit guten sitten,
Und Gott mit rechtem glauben bitten,
Daß er doch wöll sein lieben son
Absenden aus seim höchsten tron,
Daß er der welt einst mach ein end,
Daß diser jamer und elend
Einmal aufhör, die tag verkürzt,
Und als werd in einander gstürzt,
Und uns durch seine zukunft lab,
Daß wir der sünden komen ab
Und werden in das reich gesetzt,
Darin wir ewig unverletzt,
Von allem unflat gwaschen rein,
Frum, selig, heilig mit im sein,
[307]
Uns freuen mit der engelschar.
Daß solchs geschehe und werde war,
Das wünscht Burcardus Waldis allen,
Die iren lust und wolgefallen
Haben an Gott und seinem wort,
Der dis gedicht von end zu ort,
Beid, alt und neu gemachte fabeln,
Mit deutung, gleichnus und parabeln,
Wie ers in dem latin hat funden,
Zu reim in kleine büntel gbunden,
Zu gut der jugent ausgen laßen,
Auf daß dest beßer wer zu faßen.
Gott wöll sein gnad dazu verleihen,
Daß zu allm guten mög gedeien
Und der meinung werd angenommen,
Wie es der jugent ist zu frommen,
Allein gemacht und dargetan,
Daß also auch werd gnomen an,
Gelernet und gebraucht recht wol.
Dazu wünscht er jetzt noch ein mal,
Ders ganze buch hat zamen bracht,
Glück, heil, vil tausent guter nacht.

Ende. [308]

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 60. Von einem Tyrannen und seinem Undersaßen. 60. Von einem Tyrannen und seinem Undersaßen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8DCA-C